Eine Luzernerin kämpft für die Sexualität

«Mütter sollten ihren Mädchen vermitteln, dass ihre Genitalien was Tolles sind»

Beate Wanka ist sexologische Körpertherapeutin. Kein bekannter Beruf – aber ein äusserst interessanter.

(Bild: jav)

Beate Wanka ist sexologische Körpertherapeutin. Das bedeutet: Sie bringt Menschen die eigene Sexualität näher. Und sie plädiert dafür, dass Frauen sich selbst mehr berühren sollten. Berühren und betrachten.

Es soll offenbar eine Revolution der weiblichen Sexualität anstehen. In Musikvideos, in Magazinen und der Kunst wird die Vielfalt des weiblichen Geschlechts gefeiert. Artikel erklären den Unterschied von Vulva und Vagina und es gibt Portemonnaies und Taschen zu kaufen, mit weiblichen Genitalien als Dekoration.

Eine Frau, die sich nicht erst seit wenigen Monaten mit der Yoni befasst, wie sie ihre Vulva und Vagina nennt, ist Beate Wanka. Die 54-jährige gebürtige Deutsche lebt in Luzern und arbeitet hier als sexologische Körpertherapeutin, Frauenmasseurin und Sexualcoach.

Sie sagt: «Eine erfüllende Sexualität ist unser aller Geburtsrecht». Und: «Sex ist lernbar – ein Leben lang.» Zu ihr kommen Menschen, die Probleme mit ihrer Sexualität haben, andere, die die eigene Sexualität tiefer erforschen wollen, und auch Leute, die von Psychotherapeuten und Ärztinnen empfohlen werden – um sexuelle Thematiken zu bearbeiten.

zentralplus: Sie sind sexologische Körpertherapeutin. Das ist kein sehr verbreiteter Beruf. Wie kommt man dazu?

Beate Wanka: (Sie lacht.) Ich war stets Buchhalterin und mache diesen Job noch immer gerne. Doch als ich auf diese Ausbildung gestossen bin, hat sie mich richtig angesprungen. Es ging mir dabei erstmal um meine eigene Sexualität. Ich habe erst einen Einführungskurs besucht und dann die Ausbildungen gemacht. Und erst zum Schluss habe ich gemerkt, wie viel das neue Wissen bei mir bewegt hat. Diese für mich gigantische Erfahrung wollte ich weitergeben.

«Ich selbst hatte solch heftige Reaktionen niemals erwartet, in meiner naiven Begeisterung»

zentralplus: Ich schätze, viele Menschen haben Vorurteile und Berührungsängste gegenüber Ihrer Arbeit. Wie haben Bekannte oder Ihre Familie auf diese ungewöhnliche berufliche Neuausrichtung reagiert?

Wanka: (Sie lacht und zuckt mit den Schultern.) Es war alles dabei – auch tiefgreifende Reaktionen. Mein damaliger Partner kam gar nicht damit klar und wir haben uns dann auch getrennt. Auch Freundinnen verlor ich, die mit dem Thema einen ganz anderen Umgang haben. Ich selbst hatte solch heftige Reaktionen niemals erwartet, in meiner naiven Begeisterung. In der Familie war es unterschiedlich. Einige wissen es nicht, andere finden es gut, wollen aber nicht mehr darüber wissen. Das akzeptiere ich. Grenzen zu spüren und zu wahren, ist sowieso gerade in meinem Beruf sehr wichtig. Aber es gab in meinem Umfeld auch Menschen, die wirklich alles wissen wollten und mir auch zu meinem «Mut, mich zu outen» gratuliert haben.

zentralplus: Es hört sich tatsächlich wie ein Outing an.

Wanka: So hat es sich besonders angefühlt, als ich die Texte für meine Webseite bereitstellen musste. Ich war wie blockiert: Was denken die Nachbarn, die Familie? Stecken die mich dann in die Prostitution? Mit dieser Scham umzugehen, war nicht einfach. Jedoch habe ich gelernt, zu mir und zu meiner Arbeit zu stehen und gut zu spüren, wie offen mein Gegenüber für das Thema Sexualität ist. Da gilt es auch diese Grenze zu wahren. Je nachdem, mit wem ich spreche, bin ich dann einfach Buchhalterin und Körpertherapeutin.

zentralplus: Aber erhalten Sie auch anzügliche oder angriffige Mails?

Wanka: Bisher noch nie. Ich habe mich allerdings auch mit meinem Webauftritt ganz klar positioniert mit den Themen rund um die Sexualität. Da bleibt nichts zweideutig.

zentralplus: Sie bieten Kurse an – Intim-Massagen oder Vulva-vaginal-Mapping. Was machen Sie da mit den Leuten?

Wanka: Ich biete unter anderem «Handarbeitskurse» an. (Gemeinsames Lachen). Wir üben an künstlichen Modellen die Intimmassage für Männer und Frauen mit verschiedenen Massagegriffen. Wir üben, wie man sein Gegenüber berühren kann, wir lernen zu kommunizieren und wie wir den Menschen, der da liegt, so abholen können, dass er sich am ganzen Körper berührt fühlt. Die Kurse sind oft recht lustig und entspannt. Und auch ich lerne da immer wieder Neues dazu. Es geht in meiner Arbeit viel um Wissensvermittlung. Darum, den eigenen Körper und die eigene Sexualität besser kennenzulernen. Um daraus mit sich in eine tiefere Verbundenheit zu finden. In den Einzelsitzungen definieren die Menschen ihr Lernziel, was sie verändern wollen, und darin begleite und coache ich sie. Gebe Ideen und Tipps – auch zum Üben mit nach Hause.

zentralplus: Wie sehen solche Hausaufgaben konkret aus?

Wanka: Das können zum Beispiel Beckenschaukel, Atemübungen oder Selbstberührungen sein oder auch das Schaffen von Inseln im Alltag. Der Körper braucht viel Zeit, um Gewohnheiten zu verändern, deshalb geht es meist nicht nur um die Kurse oder Körperarbeit bei mir, sondern auch um das Üben zu Hause.

Beate Wanka musste für ihren Job auch erstmal einige Schamgrenzen überwinden.

Beate Wanka musste für ihren Job auch erstmal einige Schamgrenzen überwinden.

(Bild: jav)

zentralplus: Sie beraten auch Paare. Was sind dort die grossen Themen?

Wanka: Meist geht es um Kommunikation. Wie drücke ich aus, was ich will, ohne den anderen zu verletzen? Oder wie höre ich die Bedürfnisse an, ohne zu werten. Das ist etwas, das ich mir auch immer wieder selbst bewusst mache: Meine Wertesysteme überprüfen.

zentralplus: Hatte Sexualität schon immer einen wichtigen Stellenwert in Ihrem Leben?

Wanka: Ich ging schon immer sehr offen damit um, war schon immer neugierig, wie andere Sexualität leben, was sie ausprobieren und wie sich etwas für sie anfühlt. Ich hatte da immer eine fast kindliche Naivität im Umgang damit. Im Privaten hingegen gab es schon viel mehr Schamgrenzen und Stoppschilder. Da haben mir meine Ausbildungen geholfen, meine Sexualität lustvoller zu geniessen.

«Meine Vulva konnte ich lange nicht annehmen. Ich fand sie seltsam hässlich.»

zentralplus: Gab es auch einen zentralen Punkt dabei?

Wanka: Meine Vulva konnte ich lange nicht annehmen. Ich fand sie seltsam hässlich – die Farbe, die Form. Ich dachte, das sie nicht normal aussieht. Heute liebe ich meine Yoni. Sie ist wunderschön. Das hat sich aber erst verändert durch häufiges Anschauen im Spiegel. Dadurch, dass ich mich selbst viel berührt habe, mich habe berühren lassen.

zentralplus: Es gibt den aktuellen Trend, die Vulva in all ihren Formen in Kunst und Mode zu zeigen. Inwiefern beobachten Sie diese Entwicklung und was fällt Ihnen dabei auf?

Wanka: Ich sehe, dass es immer stärker Thema wird, die Vulva als Begriff wird bekannter, man erfährt mehr über das weibliche Geschlecht. Zum Beispiel besteht die Klitoris aus einer Klitoris-Eichel, einem Schaft und zwei Schenkeln, die zirka acht Zentimeter lang sind. Darüber staunen viele Frauen erstmal. Dabei es ist so wichtig, dass wir uns selbst kennen.

zentralplus: Wie wichtig empfinden Sie diesen Trend?

Wanka: Das Wort Trend gefällt mir nicht. Mich macht es traurig. Denn es heisst, dass es nicht normal ist. Und gleichzeitig bin ich dankbar um mehr Öffentlichkeit für das Thema. Denn ich bin überzeugt, dass mehr Bilder und mehr «beim-Namen-nennen» dazu führt, dass wir uns in unseren Körpern verbundener fühlen. Und ich glaube, viele Frauen machen sich in dieser Zeit auf den Weg, sich zu erforschen und entdecken.

«Die weibliche Sexualität gilt im Christentum als etwas Dunkles.»

zentralplus: Und weshalb haben wir nicht früher damit angefangen?

Wanka: Weil Sexualität sehr negativ besetzt ist. Es ist nichts, das man feiert. Besonders die weibliche Menstruation gilt als schmutzig. Die Werbung für weibliche «Hygieneprodukte» zeigt das deutlich – das Wunder, dass der weibliche Schoss Leben schenkt, darüber wird vergessen. Ein Grund dafür war die katholische Kirche, wo eine Frau, die Lust verspürt, eigentlich direkt hätte verbrannt werden sollen. Die weibliche Sexualität gilt im Christentum als etwas Dunkles. Und so reden Leute immer noch: «Das da unten». Wenn ich dann nachfrage, ist es oft tatsächlich wie ein genitales dunkles, unbekanntes Loch – da ist kein Bezug. Es ist wie abgetrennt. Und wir leben im Patriachat – das prägt uns. Ich will jetzt nicht gross in den Feminismus einsteigen, aber es braucht eine Balance. Viele Männer verhungern auf die Frage: Was kann ich dir Gutes tun? Und die Frau hat keine Antwort, weil sie es selbst nicht weiss. 

zentralplus: Was bräuchte es, abgesehen von einem Pop-Trend, damit sich das in der Gesellschaft ändert?

Wanka: Was wäre zum Beispiel, wenn eine Mutter auf die warum-habe-ich-keinen «Penis-Frage» der Tochter antwortet: Du hast eine Vulva und eine Vagina, du kannst deine Vulva auch mit einem Spiegel anschauen, um sie richtig zu sehen und die Vagina mit deinem Finger erkunden. Wichtig wäre, dass die Mütter ihren Mädchen vermitteln, dass ihre Genitalien was tolles und natürliches sind. Wir Frauen sehen unsere Vulva und Vagina halt einfach nicht. Das ist unser Nachteil den Männern gegenüber. Männer haben eine verbundenere Beziehung zu ihrem Penis – weil sie ihn täglich sehen und anfassen.

zentralplus: Sie plädieren also für viel mehr Anfassen?

Wanka: (Sie lacht.) Ja. Anfassen und Anschauen ist Kennenlernen. Und das ist wiederum viel mehr als Selbstbefriedigung. Es geht nicht darum, auf einen Orgasmus hinzuarbeiten. Das ist auch toll. (Lacht.) Aber es ist viel mehr. Man kann mit den Füssen anfangen oder den Ohrläppchen, mit Wärme, Kratzen, Streicheln, Drücken oder Vibration. Wir haben unterschiedlichste Haut-Rezeptoren, die auf verschiedene Arten von Berührung reagieren. Das wahrzunehmen und dann auch darüber zu sprechen hilft, die eigenen Bedürfnisse mitteilen zu können.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 08.09.2018, 17:02 Uhr

    Gute Idee, aber zuerst sollte man die Schönheitschirurgie verbieten und in der Schule statt Gender die Natürlichkeit lehren. Ich sag jetzt nicht mehr, sonst fühlen sich wieder ein paar betupft

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