Zuger Denkmalschutz und der Kampf um die Tradition

Warum in Zug so schnell Häuser abgerissen werden

Viele Häuser leben in Zug nicht allzu lange: Es fehlt immer mehr die Balance zwischen Altem und Neuem, meinen Zuger Denkmalschützer.

(Bild: woz)

In Zug verwandeln sich Häuserlandschaften wie im Zeitraffer. Überall ragen Kräne in die Höhe. Altes weicht Neuem fast überall, wo eine saftige Rendite winkt. Der Zuger Denkmalschutz betrachtet die Entwicklung mit immer mehr Sorge, schöpft aber auch neue Hoffnung. 

Historische Bausubstanz wird in Zug immer mehr vernichtet. Städtebauliche Identitäten gehen dadurch verloren. Nicht wenige Zuger erkennen ihre Stadt kaum mehr wieder.

In Cham etwa lässt ein Hauseigentümer ein historisches Haus beim Bahnhof einfach abtragen und jenseits der Gleise wieder aufbauen – damit er auf seinem Grundstück Platz hat für ein neues Haus. Im Alpenblick in Cham möchte ein Liegenschaftsbesitzer ein Gebäude aus dem Inventar schützenswerter Denkmäler abreissen und wieder aufbauen – weil dies billiger sei, als das Haus zu sanieren (zentralplus berichtete).

Abriss und Neubau – das Zuger Ritual

Gar nicht zu sprechen braucht man von den vielen Baugesuchen im Zuger Amtsblatt jede Woche. Da ist der Vermerk «Abriss und Neubau» schon Standardtext.

Abriss und Neubau – dieses Ritual scheint inzwischen so typisch für Zug wie der sanfte Wellenschlag des Zugersees.

Wird in Zug faktisch schneller abgerissen als anderswo? zentralplus sprach mit Stefan Hochuli und Franziska Kaiser vom kantonalen Amt für Denkmalschutz und Archäologie – wie sie diese Entwicklung wahrnehmen.

«Der Wechsel geht rasant vonstatten. In einer Geschwindigkeit, die viele überfordert.»

Stefan Hochuli, Leiter des Zuger Amts für Denkmalschutz

«Das lässt sich nicht so einfach sagen», differenziert Stefan Hochuli. Das älteste Haus in der Stadt Zug sei die Burg Zug, deren Ursprung bis ins 12. Jahrhundert zurückreiche. Und zahlreiche Häuser aus der Zuger Altstadt stammten aus dem 14. Jahrhundert – «genauer gesagt von anno 1371».

Ältere Holzbauten seien in der Stadt Zug nicht nachweisbar, sie müssten alle vorher einem verheerenden Stadtbrand zum Opfer gefallen sein. Auch seien die heutige Gartenstadt und andere Quartiere wie St. Michael baulich noch ziemlich intakt.

Machen sich Sorgen um die historische Bausubstanz in Zug: Franziska Kaiser und Stefan Hochuli vom Amt für Denkmalschutz und Archäologie.

Machen sich Sorgen um die historische Bausubstanz in Zug: Franziska Kaiser und Stefan Hochuli vom Amt für Denkmalschutz und Archäologie.

(Bild: woz)

Es sei aber nicht wegzudiskutieren, so Hochuli, dass der Investitions- und Baudruck in Zug mittlerweile so gewaltig sei, dass nicht nur Häuser aus den 50er- und 60er-, sondern mittlerweile auch aus den 80er- und 90er-Jahren abgerissen und neu gebaut würden. «Der Wechsel geht rasant vonstatten. In einer Geschwindigkeit, die viele überfordert.»

Zug als Laboratorium für die Schweiz

Und: Trotz der Knappheit von Bauland werde Zug nie fertig gebaut sein, ist Hochuli überzeugt. Das Auffüllen von Baulücken und Zwischenräumen und die höhere Ausnutzung von Wohngebäuden seien Herausforderungen der Zukunft. «Der wirtschaftliche Boom beflügelt die innerstädtische Verdichtung und generell die Bautätigkeit in Zug.»

«Der Wert eines historischen Gebäudes steht oftmals in keiner Relation zum Wert des Bodens.»

Stefan Hochuli

Wobei das beliebte Prozedere aus Abriss und Neubau aus der Sicht von Hochuli vor allem etwas mit den teuren Bodenpreisen in Zug zu tun hat.

«Der ökonomische Wert eines historischen Gebäudes steht oftmals in keiner Relation zum Wert des Bodens.» Deshalb, und weil auch die Material- und Transportkosten sehr günstig seien, komme es am Ende tatsächlich häufig billiger, ein altes Haus durch einen Neubau zu ersetzen, als dieses zu sanieren.

«Nur» 2,2 Prozent der Zuger Häuser stehen unter Schutz

Wie das kantonale Zuger Amt für Denkmalschutz und Archäologie ausweist, stehen derzeit 540 Gebäude von insgesamt 24'998 Häusern im Kanton Zug unter Denkmalschutz (Stand: 16. Mai 2018). Das entspricht 2,2 Prozent aller Gebäude. Als schützenswert erachtet die Behörde insgesamt 5,9 Prozent aller Gebäude im Kanton Zug – das sind 1478 Objekte. Diese Zahlen erscheinen auf den ersten Blick als sehr niedrig. Doch die kantonale Denkmalpflegerin Franziska Kaiser relativiert: «Mit diesen Zahlen liegt Zug schweizweit im Schnitt.»

«Der ideelle Wert eines Denkmals hat gegenüber der finanziellen Rendite eines Neubaus einen schweren Stand», sagt Hochuli. Zudem seien die Ansprüche an den Ausbaustandard von Häusern enorm gewachsen. Sprich: Faktoren wie Wärmedämmung und Minergiestandards kommen dem Denkmalschutz in Zug auch immer öfter in die Quere.

Denkmalschutz plus Minergie

Doch auch bei Baudenkmälern sind energetische Verbesserungen in einem gewissen Umfang durchaus möglich. Es gebe beispielsweise in der Zuger Altstadt ein denkmalgeschütztes Haus mit Minergiestandard, sagt die kantonale Denkmalpflegerin Franziska Kaiser.

Da und dort werde behauptet, dass die rund zwei Prozent an denkmalgeschützten Häusern in Zug für den Klimawandel mitverantwortlich seien. «Das ist natürlich Unsinn. Sonnenkollektoren sind auf Dächern in der Ortsbildschutzzone oder je nach Situation auch an geschützten Objekten absolut möglich. Wichtig ist, dass sie gestalterisch gut eingepasst sind.»

«Hausbesitzer haben gegenüber der Öffentlichkeit eine Verantwortung.»

Franziska Kaiser, kantonale Denkmalpflegerin

Kaiser will es grundsätzlich nicht als «Gier» verstanden haben, wenn Zuger Hauseigentümer ihre Immobilien in ihrem Sinne vergolden wollen.

Auch hier wohnen Zuger: Im 1423 erbauten Haus in der Hauptstrasse 6 in Menzingen.

Auch hier wohnen Zuger: Im 1423 erbauten Haus in der Hauptstrasse 6 in Menzingen.

(Bild: Google Streetview)

«Das ist legitim und nachvollziehbar», sagt sie. Nicht zuletzt seien auch, vor allem, wenn eine Liegenschaft innerhalb der Familie vererbt werde, viele Emotionen im Spiel.

«Dennoch haben Hausbesitzer gegenüber der Öffentlichkeit eben auch eine Verantwortung», so Kaiser. Will heissen: Manche Häuser, die im Besitz von Einzelpersonen sind, prägen das Ortsbild von Gemeinden und Städten mit.

Balance zwischen alter und neuer Bausubstanz fehlt

Doch für die gemeindlichen Ortsbilder ist das Denkmalschutzamt eben nur noch beratend zuständig – die Verantwortung tragen die Zuger Gemeinden. Und die sind natürlich froh um jeden neuen sprudelnden Steuerzahler. Da sind stilistische Architekturfragen erst mal zweitrangig.

Leider sei immer wieder zu beobachten, so Kaiser, dass die von Liegenschaftsbesitzern versprochene Qualität von Neubauten zu wünschen übrig lasse.

Ein Besuch aus Bern habe neulich zu ihr auf der Fahrt von Cham nach Zug mit Blick auf den Zugerhang bemerkt: «Das sieht ja alles gleich aus.» Es fehle inzwischen in Zug die Balance zwischen neuer und alter Bausubstanz.

«Es ist doch eine erstaunliche Tatsache, dass sich Bauten auch nach 600 Jahren noch gut gebrauchen lassen.»

Stefan Hochuli

Dabei lasse sich alte Bausubstanz durchaus nach modernen Ansprüchen nutzen. Es gebe zahlreiche Eigentümerschaften, welche ihre historischen Gebäude pflegten, weil sie den speziellen Wert ihrer Denkmäler schätzten: Tradition, Nachhaltigkeit und Einzigartigkeit. 

Ausserhalb der Stadt Zug dürfte laut Hochuli die Liegenschaft in der Hauptstrasse 6 in Menzingen das älteste noch bewohnte Haus sein – es wurde im Jahre 1423 erbaut. «Vor dem Hintergrund der Schnelllebigkeit unserer Zeit ist es doch eine bemerkenswerte Tatsache, dass sich Bauten auch nach 600 Jahren noch gut gebrauchen lassen.»

Das kantonale Denkmalschutzamt wünscht sich, zwischen der Behörde und den privaten Besitzern mehr Vermittlungsarbeit praktizieren zu können – gerade im Vorfeld von geplanten Unterschutzstellungen von Gebäuden. «Aber die Mittel dafür sind nach einer 30-prozentigen Budgetkürzung knapp», sagt Hochuli.

Hoffnungen liegen auf Teilrevision des Denkmalschutzgesetzes

Das Denkmalschutzamt erhofft sich derweil mehr Kooperation zwischen Hauseigentümern und der Behörde sowie mehr gesellschaftliche Akzeptanz für den Denkmalschutz – durch die geplante Teilrevision des kantonalen Denkmalschutzgesetzes.

«Die Gesetzesvorlage des Regierungsrates sieht vor, den Eigentümern mehr Rechte einzuräumen und die Zusammenarbeit der Eigentümer mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie auf eine vertragliche Basis zu stellen. Gleichzeitig kann dadurch der gegenseitige Dialog verbessert werden», verspricht sich Hochuli.

Ortsbildschutz und Denkmalschutz besser koordinieren

Denn die Zusammenarbeit zwischen Hauseigentümern und dem Denkmalschutz, ist sie einmal in Fahrt gekommen, kann durchaus reiche Früchte tragen. Franziska Kaiser: «So mancher Eigentümer zeigt sich nach einer Unterschutzstellung erfreut und ist stolz, weil sein historisches Haus denkmalgeschützt wurde und er es nach einer Sanierung trotzdem hervorragend weiter nutzen kann.»

Ausserdem beabsichtigt die Teilrevision des Denkmalschutzgesetzes, die Politik im Unterschutzstellungsverfahren zu stärken. Nicht zuletzt ist geplant, regelmässig das Inventar der schützenswerten Denkmäler zu aktualisieren und den gemeindlichen Ortsbildschutz besser mit dem kantonalen Denkmalschutz zu koordinieren.

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