Fall vor Luzerner Kantonsgericht weitergezogen

Schinkenmesser-Killer von Kriens beharrt auf Auftragsmord

Der bestialische Mord in Kriens 2014 warf hohe Wellen. Ein Syrer enthauptete beinahe seine mit ihm zwangsverheiratete Cousine. Nach wie vor spricht er von Rettung der Ehre seiner Familie. Seine in Syrien lebenden Onkel sollen ihn zur Tat gedrängt haben.

In Handschellen wird der 43-jährige gebürtige Syrer an diesem Dienstag in den Gerichtssaal des Luzerner Kantonsgerichts geführt. Er ist ein kleiner Mann mit auffällig kleinen Händen.

Als er von den Handschellen befreit wird, reibt er sich nachdenklich am Kinn, macht sich Notizen.

Schaut man dem Beschuldigten in die Augen, lässt nichts darauf schliessen, dass er vor vier Jahren mit «säbelnden und sägenden Schnitten vom Nacken links bis zur rechten Seite des Halses» sämtliche Venen und Adern am Hals seiner Frau durchtrennt hat …

Mit «säbelnden, sägenden Schnitten» …

Aufmerksam hört der Beschuldigte den Worten des Richters zu. Sein Blick ist mürrisch, seine Gesichtszüge deutlich angespannt. Stoisch hört er zu, als seine Tat gemäss der Anklageschrift vorgelesen wird. Es erfolgt auch dann keine Regung, als das Wort auf besagtes Schinkenmesser fällt.

Am 20. Januar 2014 griff der Beschuldigte in einem Haus in Kriens, der damals 39-jährige Ibrahim*, zu einem Schinkenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge. Er zerrte seine von ihm getrennt lebende Frau Akilah* ins Kinderzimmer. Akilah war seine Cousine, die 2008 mit ihm zwangsverheiratet wurde. Mit mehreren Messerstichen setzte er dem Leben der 21-Jährigen ein Ende. Es glich einer Enthauptung, einem «Schlachten» – wie der Mörder selbst nach der blutroten Tat gesagt haben soll (zentralplus berichtete).

Der Beschuldigte ist geständig, dass er seine Frau getötet hat. Im August 2017 fand die Verhandlung vor dem Luzerner Kriminalgericht statt – die Verteidigung legte Berufung ein, weshalb der Fall nun vor das Luzerner Kantonsgericht weitergezogen wurde (zentralplus berichtete).

«Ich habe sie nicht abgeschlachtet»

«Ich muss etwas Dringendes sagen», sagt der Beschuldigte ein wenig aufgebracht. «Das Wort ‹geschlachtet› habe ich so nie gesagt.»

«Als ich das Messer gesehen habe, sah ich nicht das Messer, sondern meine beiden Onkel.»

Der Beschuldigte

Er hält einen Moment inne. Er erinnere sich nur ungern an den Tag. Es sei zu Beginn alles «ganz normal» gewesen. «Als ich das Messer gesehen habe, sah ich nicht das Messer, sondern meine beiden Onkel», so die Worte des Beschuldigten.

Seine beiden in Syrien lebenden Onkel hätten stets Druck auf ihn ausgeübt. Akilah flüchtete von Griechenland in die Schweiz, dem Beschuldigten gelang die Flucht erst zwei Jahre später. Akilah verliebte sich in einen anderen, ging mit ihm eine Beziehung ein.

Er sei kein Mann, wenn seine Frau ein intimes Verhältnis mit einem anderen eingehe, sollen die Onkel ihm gesagt haben. Und: «Die Ehre der Familie liegt in deinen Händen.» So sollen sie ihm geraten haben, seine Frau «fertig zu machen».

Erinnerungslücken, doch er habe geweint

Der Beschuldigte sucht am Tag der Tat das Gespräch mit Akilah. Er sagt, dass seine Onkel eine Lösung für ihre Ehekrise gefunden hätten. Er nahm Akilah an der Hand, «das Messer nahm ich heimlich, ohne dass sie es sah», und führte sie ins Kinderzimmer.

Die Kinder haben geweint, er habe sie fortgeschickt. Was dann geschehen sei, wisse er nicht mehr. Wie die Verteidigung jedoch betont, soll er während der Tat geweint haben.

Blutroter «Ehrenmord»

Der gebürtige Syrer wuchs nach kurdischer Tradition auf. Es entspreche der Norm, dass eine Frau nicht fremdgehen dürfe. Wenn eine Frau ihren Mann nicht achte, sei das sehr verletzend. Durch die Tötung seiner Frau habe sich der Beschuldigte die Ehre seiner Familie «sauber gemacht», wie die Verteidigung sagt – indem sich der Beschuldigte zugleich die Hände mit dem Blut seiner ermordeten Frau beschmutzte.

«Der Schluss, dass der Beschuldigte wie ein ferngesteuertes Werkzeug unter Druck seiner Onkel zur brutalen Tötung seiner Ehefrau schritt, gelingt nicht.»

Die Staatsanwaltschaft

Für die Staatsanwaltschaft ist dies sehr unglaubwürdig. «Der Schluss, dass der Beschuldigte wie ein ferngesteuertes Werkzeug unter Druck seiner Onkel im weit entfernten Syrien zur brutalen Tötung seiner Ehefrau schritt, gelingt nicht.» Die egoistische Haltung sei klar erkennbar: «Er stellte die Rettung seiner eigenen Ehre über das Leben seiner Frau und die Mutter seiner Kinder.»

Sämtliche Auswertungen von Mobiltelefonen beweisen, dass keine Kontakte mit den Onkeln stattgefunden haben. Verwandte des Beschuldigten, die ebenfalls kurdischer Herkunft sind und in der Schweiz leben, waren bestürzt über die Tötung von Akilah.

Seelenruhig Zigarette geraucht

«Der Beschuldigte kann sich nicht hinter einem Kulturkonflikt verstecken», sagt die Staatsanwältin. Er weise eine gute Ausbildung auf, zog 2005 nach Griechenland, wo er seither mit europäischen Werten vertraut gemacht worden sei. Dass ein Ehrenmord ein Tabu sei, sollte er wissen.

Er habe keineswegs in einem emotionalen Erregungszustand gehandelt, der das Denken beeinträchtigt hätte. Dies beweise auch ein psychiatrisches Gutachten – das jedoch von der Verteidigung kritisiert wurde.

Nach der Tat wusch sich der Mörder Hände und Gesicht, legte das blutverschmierte Messer in das Lavabo. Er setzte sich zu seinen Kindern und rauchte seelenruhig eine Zigarette. Von Panik und Hysterie keine Spur.

Verteidigung plädiert auf Totschlag

Das Motiv ist gemäss der Verteidigung vielschichtig. Der Beschuldigte kam Ende 2013 in die Schweiz, in ein fremdes Land, dessen Sprache er nicht beherrschte. Als er dann erfuhr, dass seine Frau einen Geliebten hat, und sich die wichtigste Bezugsperson von ihm abwendete, habe er sich verzweifelt und hilflos gefühlt.

Mit der Betreuung der Kinder sei er total überfordert gewesen. Und er habe Angst vor dem Gerede in der kurdischen Gemeinschaft gehabt. Angst gespürt, dass er verstossen werde. Auf Druck der Onkel hin habe er im Affekt das Schinkenmesser ergriffen und sei zur Tat geeilt.

Die Verteidigung plädiert auf Totschlag und beantragt eine maximale Freiheitsstrafe von sieben Jahren.

Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Freiheitsstrafe 

Die Staatsanwaltschaft spricht von einer «unfassbaren, höchst verwerflichen Gräueltat, die nach einer angemessenen Sanktionierung» rufe. Dem Beschuldigten liefen zwar Tränen über die Wangen, als man ihn fragte, wie er sich fühle, wenn er an seine Frau denke. Die Staatsanwaltschaft lässt dies kalt: «Auch wenn der Beschuldigte Reue zeigt, ist er auch heute nicht dazu bereit, die Verantwortung seines Handelns zu übernehmen.»

Der Beschuldigte habe auch dann nicht gestoppt, als sich Akilah mit Händen und einem Stuhl gewehrt habe. Unbeirrt machte er weiter. Auch, als er die weinenden Kinder hörte, die den Todesschreien ihrer Mutter zuhören mussten. Und Akilah ihn angefleht hat, ihr wegen der Kinder nichts anzutun. «Es kommt einer Exekution gleich», so die Staatsanwältin. Der Beschuldigte sei wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen.

Das Leben aller ruiniert

Das letzte Wort hat der Mörder. Er setzt die Brille ab. Er habe nicht nur das Leben von Akilah ruiniert, sondern sein eigenes Leben wie dasjenige seiner beiden Kinder. Er leide – jeden Tag, jede Sekunde: «Ich bereue die Tat nicht nur heute, sondern mein ganzes Leben lang.»

Die Familie sei ihm wichtig. Ein kurdisches Sprichwort besage, dass Blut nie Wasser werden würde. Dem Sprichwort dürfte sich der Beschuldigte jedoch auf krasseste Weise widersetzt haben, als er nach dem Mord an seiner Cousine und Frau seine blutverschmierten Hände im Wasser wusch.

Das Luzerner Kantonsgericht verzichtete am Dienstag auf eine mündliche Urteilseröffnung. Das Urteil wird schriftlich erfolgen.

* Zum Schutz der Betroffenen wurden die Namen geändert. Es handelt sich um zufällig gewählte arabische Vornamen.

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