Das erste Mal – ein Jobexperiment

Mein Seitensprung in der Restaurantküche

Ab Mittag stehe ich mit Koch Robin Bühlmann (hinten) an der Essensausgabe.

(Bild: jwy)

Zmittag schöpfen, statt in die Tastatur zu hauen: Ein Redaktor hat das Experiment gewagt und einen Tag lang den Job getauscht. Im Luzerner Restaurant Quai4, wo geschützte Arbeitsplätze angeboten werden, hat er in der Küche mit angepackt. Ob er was taugt?

Nach zwei Wochen Ferien zurück auf der Arbeit. Ich schäle Randen, viertle sie und werfe sie zusammen mit Äpfeln in diese Maschine, die daraus tipptoppe kleine Einheiten schneidet, raffelt oder hobelt. Dann noch Dressing druntermischen und fertig ist der Salat. Der Maissalat war einfacher, der steht mit Sauce und ordentlich Mayo angereichert bereits in der Kühle, wie es mir der Koch Robin Bühlmann aufgetragen hat.

Es hat hier im Restaurant Quai4 am Alpenquai für Schmunzeln gesorgt, als ich die Salate im «Kühlschrank» versorgen wollte. «Frigo» nennen sie das hier – kein Schrank, sondern ein Raum. Und als ich ins Office geschickt werde, ist damit nicht das Büro gemeint, sondern der Anrichteraum mit den Abwaschmaschinen.

Ich kann die meisten Geräte und Maschinen nicht adäquat bezeichnen. Und wo bei den anderen jeder Handgriff sitzt, bin ich schon überfragt, wie ich das Olivenöl vom Kanister sauber auf den Salat bringe. Aber ich stehe schliesslich nur einen Tag hier in der Küche, und es gibt gerade Dringenderes als das korrekte Küchen-ABC. In zwei Stunden kommen die ersten hungrigen Gäste.

Äpfel und Randen rein – und raus kommt ein Salat.

Äpfel und Randen rein – und raus kommt ein Salat.

(Bild: jwy)

Bunter Couscous oder Rindsgeschnetzeltes

Diesen «Seitensprung» im Job verdanke ich den Impulswochen. So heisst das Programm, bei dem man einen oder zwei Tage in einem sozialen Betrieb verbringen kann (siehe Box). So wie hier im Restaurant Quai4, wo mehrheitlich Menschen mit psychischer Beeinträchtigung beschäftigt werden. Ein Telefon mit dem neuen Restaurantleiter Christian Göttler genügte, und so werde ich Bürogummi hier äusserst unkompliziert im Neuland eines Restaurantbetriebs empfangen. 

Ich trage das Buffet auf und ab 11.30 stehe ich für zwei Stunden hinter der Teke und gebe Menüs raus. Entweder bunter Couscous mit frittierten Pilzen und dem äussersten schmackhaften Rhabarber-Chutney. Oder Rindsgeschnetzeltes an Calvados-Senf-Sauce mit Tagliatelle.

Der Andrang hält sich an diesem Montag noch in Grenzen. Es gebe Tage, an denen hier einiges mehr laufe, versichert mir Robin Bühlmann. Für mich ist das ganz in Ordnung so.

Auf der anderen Seite

Es tut gut, für einmal auf der anderen Seite zu stehen. Nicht nur hier am Buffet, sondern in einem Teil der Arbeitswelt, die oft verborgen ist. Ich werde hier nach einer kurzen Einführung regelrecht hineingespuckt, und ich kann sogleich loslegen.

Ein ganz normales, eingespieltes Team geht hier der Arbeit nach, begrüsst sich am Montag, plaudert über den deutschen WM-Sieg in extremis und witzelt über dies und jenes. Völlig unkompliziert werde ich aufgenommen. Und nicht nur, weil ich das gleiche T-Shirt und die gleiche Schürze trage, fühle ich mich auf Anhieb Teil dieses KMU. Dass das hier aber kein normales KMU ist, sondern eine Arbeitsstätte, wo Menschen wieder auf das Arbeitsleben vorbereitet werden – das ist eigentlich gar kein Thema, sondern wird hier mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit gelebt.

Ein Tag in der Küche: Für Fleischnachschub ist im Restaurant Quai4 gesorgt.

Ein Tag in der Küche: Für Fleischnachschub ist im Restaurant Quai4 gesorgt.

(Bild: jwy)

Allerhand gelernt

Ich lerne einiges in diesen wenigen Stunden: Wie man effizienter schnetzelt (zumindest in der Theorie) oder dass die Farben der Schneideunterlagen kein Zufall sind, sondern exakt geregelt. Geflügel gehört auf die weissen und Gemüse auf die grünen. Ich verbrauche etliche schwarze Latexhandschuhe, lieber etwas zu viel Hygiene als zu wenig. Und das Chutney von Mitarbeiter «Hörby» ist der Hammer. Ich habe leider vergessen, nach dem Rezept zu fragen.

Viel wichtiger ist eh: Hier wird vorgelebt, dass es keine Hexerei ist, Menschen in einen Betrieb zu integrieren, die von einem Burn-out, einem schweren Unfall oder einem anderen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen wurden.

Die Impulswochen

Organisiert werden die «Seitensprünge» vom Netzwerk «Unternehmen Luzern», einem Zusammenschluss von Unternehmerinnen, Managern, Idealistinnen, Machern und Pionieren. Sie streben eine neue Form der Zusammenarbeit und Vernetzung von Wirtschaft und Sozialem an. Jedes Jahr können berufstätige Menschen im Juni einen oder zwei Tage die Seite wechseln und in einem komplett anderen Job schnuppern. Auswählen kann man unter 34 mehrheitlich sozialen Projekten (mehr dazu).

Das Restaurant wird von der Institution «Wärchbrogg» betrieben. Ziel ist, dass sie für diese Menschen nicht Endstation ist, sondern eine Schnittstelle. Eine Starthilfe zurück ins Arbeitsleben. Gleich neben dem Restaurant ist der Einkaufsladen für die unverpackten Produkte (zentralplus berichtete).

Natürlich kommen nicht alle Beschäftigten für den Einsatz in Restaurant und Küche infrage, darum gibt’s weiter oben im Haus am Alpenquai 4 geschützte Arbeitsplätze für andere Tätigkeiten – etwa das Abpacken von Stimmcouverts. Repetitive Arbeiten, die in vielen mittleren und grösseren Betrieben anfallen. Rund 100 Menschen arbeiten hier.

Zum Schluss ins Office

Der Seitenwechsel öffnet die Augen, auch wenn ich merke: Ich bin ein äusserst langsamer «Schnetzler» und nur mittelmässig talentierter Küchengehilfe. Aber ich werde als temporäre Hilfskraft mit einer grossen Selbstverständlichkeit aufgenommen. Ich werde gefragt, ob ich diesen Witz schon kenne und ob ich jenes WM-Goal gesehen hätte – und ob ich eigentlich schon einen Kaffee hatte.

Kurzum: Ein Tag ist nichts, aber trotzdem ist dieser soziale Seitensprung zu empfehlen. Ich erhalte eine Ahnung, dass es gar nicht so viel bräuchte für die Integration von Menschen im Arbeitsprozess, die aus verschiedenen Gründen nicht mithalten können. Gründe, die jeden von uns unvermittelt treffen können. Mit mehr Verständnis und Offenheit wäre schon viel gedient.

Bevor für mich Feierabend ist, werde ich noch ins Office geschickt. Keine Büroarbeit, sondern ein Berg aus dreckigem Geschirr vor der imposanten Abwaschmaschine.

Weitere Eindrücke aus der Restaurantküche in der Galerie:

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