Hünenbergs katholischer Gemeindeleiter zur WM

Christian Kelter: «Ich glaube, dass Gott den Fussball liebt»

Manche Verbindungen zwischen Religion und Fussball sind laut Hünenbergs Gemeindeleiter Christian Kelter offensichtlich: Der Heilige Wolfgang hält für einmal das runde Leder in der Hand.

(Bild: woz)

Die Hand Gottes war offenbar im Spiel, als Maradona einmal ein Tor schoss. Der Fussballgott wird regelmässig verantwortlich gemacht für den Ausgang von Matches. Christian Kelter, der katholische Gemeindeleiter von Hünenberg und leidenschaftlicher Fussballfan, kennt die Gemeinsamkeiten von Religion und Sport und sagt, was die Kirche vom Fussball lernen kann.

zentralplus: Herr Kelter, wie erleben Sie derzeit als Geistlicher und Fussballfan die WM in Russland?

Christian Kelter: Ich habe immer viel Freude, wenn kleine Mannschaften sich gegen grosse Teams durchsetzen. Ich freue mich auch über die Erfolge der Schweizer Nati. Aber da fussballerisch mein Herz immer ein deutsches sein wird, leide ich derzeit mit der deutschen Nationalelf.

zentralplus: Offenbar kriselt Deutschland derzeit nicht nur auf dem Fussballplatz, sondern es gibt auch atmosphärische Verstimmungen in der Mannschaft. Wie wichtig ist denn die Stimmung in einem Team, um Erfolg zu haben?

«Das Team ist alles!»

Kelter: Das Team ist alles! Das müssen auch Superstars wie Messi, Neymar und Ronaldo verstehen. Nur wenn sie sich in die jeweilige Mannschaft integrieren können, haben sie Erfolg. Bei Ronaldo hat’s in dieser Beziehung bei der letzten Europameisterschaft klick gemacht – nur deshalb konnten die Portugiesen den Titel holen.

zentralplus: Fussball begeistert wieder mal die Massen an der WM. Was ist das Erfolgsrezept?

Kelter: Seit den Römern wissen wir, dass Brot und Spiele bestens funktionieren. Ich glaube, jede Gesellschaft, auch heute, braucht solche Spiele, weil sie uns ablenken. Fussball hat etwas Zweckfreies. Das tut gut und fasziniert.

zentralplus: Aber laut Marx ist ja eigentlich die Religion das Opium für das Volk …

Kelter: Meines Erachtens hat Marx Unrecht. Opium betäubt die Menschen. Religion dagegen will die Menschen auf das Wesentliche im Leben fokussieren. Dazu braucht es klare Sinne.

zentralplus: Und trotzdem sind die Fussballstadien brechend voll, die Kirchen dagegen immer leerer. Gibt es etwas, was die Kirche vom Fussball als Massenritual lernen könnte?

«Fussball ist die Inszenierung des Sinnlosen.»

Kelter: Also für mich haben Fussball und Religion zunächst einmal nichts miteinander zu tun. Denn, wie gesagt, Fussball ist die Inszenierung des Sinnlosen. Aber Religion fragt nach dem Sinn schlechthin. Hier geht es um die grossen Fragen des Lebens: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und was macht Sinn dazwischen? Allerdings – es gibt sicher Parallelen zwischen Fussball und Religion.

zentralplus: Die da wären?

Er sprintete schon in 10,6 Sekunden die 100 Meter

Christian Kelter stammt aus dem Rheinland und ist treuer Fussballfan des 1. FC Köln. Der 49-Jährige, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, wirkt bereits seit 13 Jahren als Gemeindeleiter der katholischen Kirchgemeinde Heiliggeist in Hünenberg. Kelter spielte früher selbst bis im Alter von 16 Jahren Fussball, dann wechselte er in die Leichtathletik. Als Sprinter war er sehr schnell und erfolgreich. Seine Bestzeit über 100 Meter liegt bei 10,6 Sekunden. Und bei der Deutschen Meisterschaft 1992 wurde er über 200 Meter sogar Sechster.

Kelter: Auch in der katholischen Kirche kennen wir Inszenierungen. Jede Liturgie ist «heiliges Spiel». Wobei die Liturgie – also der Gottesdienst – hinweisen will auf Gott. Hinter der Inszenierung gibt es eine Metaebene: Gott. Die Liturgie beabsichtigt, den Menschen mit Gott in Berührung zu bringen. Vielleicht gelingt das mal mehr und mal weniger. Fussball hat aber per se keine Metaebene. Er ist blosses Spiel. Aber ok, für manche ist er sogar heilig.

zentralplus: Siehe zum Beispiel Mohamed Salah, der neulich nach seinem verwandelten Elfmeter gegen die Russen auf den Rasen gesunken ist und Gott sofort für sein Tor gedankt hat. Ist es nicht erstaunlich, wie viel religiöse Symbolik beim Fussball eine Rolle spielt, wenn sich etwa Stars vor dem Match bekreuzigen?

Kelter: Für mich ist es nachvollziehbar und auch schön, dass Menschen sich in ihrem Glauben so verhaftet fühlen. Der Glaube an Gott möchte ja Leitmotiv unseres Lebens sein. Gott möchte uns helfen, unser alltägliches Leben zu meistern. Wenn Fussballspielern ihre Verbindung zu Gott offenbar so wichtig ist, dass sie beim Spiel auf ihn vertrauen und ihm danken, wenn sie erfolgreich sind, dann finde ich das grossartig.

«Als Gotteslästerung habe ich diese Aktion Maradonas noch nie gesehen.»

zentralplus: Wobei Maradona ja schon die «Hand Gottes» bemüht hat, um zu kaschieren, dass er selbst mit illegalen Mitteln beim Tor im Spiel Argentinien gegen England vor Jahren nachgeholfen hat. Ist das nicht schon Gotteslästerung?

Kelter: Als Gotteslästerung habe ich diese Aktion Maradonas noch nie gesehen. Ich habe seine Erklärung eher sympathisch und pfiffig gefunden. Nochmal: Ich finde es schön, wenn Fussballspieler ihre Religiosität derart nach aussen zeigen. Dass die Brasilianer sich neuerdings nicht mehr auf dem Fussballplatz bekreuzigen dürfen, um andere Glaubensrichtungen nicht zu brüskieren, finde ich schade und im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich. Fussball an sich ist ja nie neutral.

Zwischen Papst Franziskus und Deutschland-Schal: Der katholische Gemeindeleiter Christian Kelter von der Pfarrei Heiliggeist in Hünenberg.

Zwischen Papst Franziskus und Deutschland-Schal: Der katholische Gemeindeleiter Christian Kelter von der Pfarrei Heiliggeist in Hünenberg.

(Bild: woz)

zentralplus: Wenn Fussballer sich so religiös auf dem Platz verhalten, ist das ja schon fast Werbung für die Kirche und die Religion. Gibt es denn noch andere Dinge, die die Kirche von der Massenwirkung des Fussballs lernen kann?

«Der Fussball verfügt über eine enorme Emotionalität.»

Kelter: Der Fussball verfügt über eine enorme Emotionalität. Die entsteht im Stadion, wenn 60’000 oder mehr Fans einem Spiel folgen. Auch das Abspielen der Nationalhymnen berührt die Menschen. Fussball schafft damit eine hohe Identifikation. Menschen identifizieren sich mit einem Verein oder ihrer Nation.

zentralplus: Was heisst das für die Kirche?

Kelter: Das heisst, auch die Kirche muss vielleicht noch mehr versuchen, die Menschen emotional zu berühren. Denn man kann Gott und den Glauben nicht nur rational begreifen. Die Liebe und das Herz sind da genauso gefragt. In der Schweiz besteht sicher etwas die Tendenz, Religion viel zu sehr zu einer Kopfsache zu machen.

zentralplus: Ist das anderswo anders?

«Emotionen entstehen in der Kirche viel zu selten.»

Kelter: Ich war neulich in Tansania – da ging’s gar nicht so rational zu. Dort waren das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gläubigen und die Musik viel wichtiger als eine intellektuelle Predigt. Religion muss den Menschen direkt berühren. Emotionen entstehen in der Kirche viel zu selten. Vielleicht in Genf, als der Papst zu Tausenden von Menschen sprach. Ein weiteres Phänomen des Fussballs ist es, unberechenbar zu sein. Vielleicht muss auch die Kirche unberechenbarer werden.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

«Schalke 04 und Borussia Dortmund spielen dasselbe Spiel – und doch sind es zwei ganz verschiedene Welten. Da lebt es!»

Kelter: Damit meine ich zum Beispiel, dass die Kirche in Hünenberg nicht die gleiche sein muss wie die in Baar oder in Zug. Es muss nicht alles gleichgeschaltet sein. Kirchliche Gemeinden sollen sich voneinander unterscheiden dürfen, auch wenn sie regional eng beieinanderliegen. Das können wir vom Fussball lernen. Schalke 04 und Borussia Dortmund spielen dasselbe Spiel, sind örtlich im Ruhrgebiet nur wenige Kilometer entfernt – und doch sind es zwei ganz verschiedene Welten. Das sorgt für Identifikation. Da lebt es!

zentralplus: Wenn Fussball so viele Menschen begeistert, warum zelebrieren Sie nicht einmal eine Messe im Hünenberger Stadion, um die Gläubigen dort abzuholen, wo sie sich wohlfühlen?

Kelter: Ich bin dafür, die Dinge nicht miteinander zu vermischen. Die Fussballfans gehen ins Stadion, weil sie Fussball sehen wollen. Und die Gläubigen kommen zu uns in die Kirche, weil sie den Kontakt zu Gott suchen. Übrigens mal ganz frech …

zentralplus: Hört, hört …

«Segnungen – privat und im öffentlichen Raum – erleben derzeit einen grossen Boom.»

Kelter: … ja, denn die Kirchen werden gar nicht unbedingt leerer. Ich habe in Hünenberg um ein Vielfaches mehr Menschen im Sonntagsgottesdienst als die meisten Zuger Fussballclubs bei ihren Heimspielen. Aber es gibt ja auch Synergien der anderen Art. Vor Jahren war ich eingeladen, um das neue Kunstrasenfussballfeld zu segnen. Das ist doch Ehrensache. Auch segnen wir seit drei Jahren die Velos des örtlichen Veloclubs. Segnungen – privat und im öffentlichen Raum – erleben derzeit einen grossen Boom.

zentralplus: Das heisst, Sie würden gegebenenfalls auch die Hockeyschläger des EVZ vor der Saison segnen.

Kelter: Klar, wenn der EVZ dies wünscht. Vielleicht würde das endlich den entscheidenderen Schritt zur Meisterschaft bedeuten.

zentralplus: Womit es dann vielleicht auch einen Eishockeygott neben dem viel zitierten Fussballgott gäbe. Was hat denn der Fussballgott mit Gott überhaupt zu tun? Sind die beiden etwa identisch?

Kelter: Ich bin überzeugt, dass der christliche Gott das Leben der Menschen in allen seinen Facetten liebt. Ich glaube deshalb auch, dass Gott den Fussball liebt.

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