Im Gefängnis Wauwilermoos züchten Mörder Tomaten

«Manche verstecken sich auch, um nicht arbeiten zu müssen»

Hatte in 37 Jahren nur einmal Angst: Alois Dubach im Tomatengewächshaus im Gefängnis Wauwilermoos.

(Bild: jal)

Als Jugendlicher sagte er zum Vater: «Mit Sträflingen könnte ich nicht zusammenarbeiten.» Nun leitet Alois Dubach seit über 30 Jahren die Gefängnisgärtnerei im Wauwilermoos, die Teil des grössten Biobetriebs der Zentralschweiz ist. Trotz der Arbeit mit Mördern, Betrügern und Vergewaltigern: Angst hatte der 64-Jährige nur einmal.

Silvan M.* kniet zwischen den Peperonistauden und zieht Unkraut aus der Erde. Ein seichter Popsong dröhnt durch das Gewächshaus, ansonsten ist es ruhig.

Silvan M. ist kein gelernter Gemüsegärtner, sondern ehemaliger Junkie und verurteilter Drogendealer. In der Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos sitzt er seine Haftstrafe ab – und gehört zu jenen acht bis zwölf Gefangenen, die in der Gärtnerei des Gefängnisses arbeiten.

Salat rüsten, Tomaten ernten, Kräuter umtopfen: Die Arbeit mit den Pflanzen gibt Silvan und seinen Mitgefangenen eine Tagesstruktur. Aber es handelt sich nicht einfach um ein Beschäftigungsprogramm, sondern spielt auch ökonomisch eine wichtige Rolle: Der Betrieb produziert sowohl für Grossverteiler wie Migros und Coop als auch für private Abnehmer.

«Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Betrieben, produzieren aber unter ganz anderen Bedingungen», sagt Alois Dubach. Der 64-Jährige leitet die Gärtnerei mit den vier Angestellten, in der er seit 37 Jahren arbeitet und die er zu dem aufgebaut hat, was sie heute ist: Teil des grössten Biobetriebs in der Zentralschweiz.

Wie er mit Querulanten umgeht

Für Alois Dubach ist es oft ein Spagat, die Bedürfnisse der Strafanstalt als Vollzugseinrichtung für Gefangene und die Anforderungen der Privatwirtschaft unter einen Hut zu bringen. Denn die meisten der Verurteilten, die bei ihm im Grünzeug tätig sind, haben vorher nie oder nur sporadisch gearbeitet, sagt Dubach. «In einem privatwirtschaftlichen Betrieb kann der Chef sagen: Wem es nicht passt, der kann gehen. Das kann ich hier nicht – die Gefangenen hätten ja Freude, dürften sie weg», sagt er und lacht.

Ein Mitarbeiter pflegt die Tomaten.

Ein Mitarbeiter pflegt die Tomaten.

(Bild: jal)

Um 7.30 Uhr müssen die Häftlinge antraben, vormittags eine Viertelstunde Pause, am Mittag anderthalb, am Nachmittag nochmals eine Viertelstunde, dazu eine stündliche Rauchpause, um 17.15 Uhr ist Feierabend. «Sie sollen sich daran gewöhnen, klare Regeln zu befolgen, Verantwortung zu übernehmen und Leistung zu erbringen.» Parallel zu ihrer täglichen Arbeit werden die Insassen mit ihrem Verhalten und ihren Delikten konfrontiert. Sie müssen lernen, neue Wege zu gehen, um künftig ein deliktfreies Leben führen zu können.

Die meisten Insassen verbringen zwischen einem halben und zwei Jahren im Wauwilermoos. Dass sie, einmal in Freiheit, im Gemüsebau Fuss fassen können, sei aber eine Illusion, sagt Dubach. Denn in der Branche sind 55-Stunden-Wochen während der Saison üblich, der Lohn hingegen tief. «Wir haben mehrmals probiert, Leute von uns draussen in einem Landwirtschaftsbetrieb unterzubringen, erfolglos, leider.»

Alois Dubach bei seiner Arbeit im Gewächshaus:

 

Dubach versucht, ein Vorbild zu sein. Und das heisst für ihn, die traditionellen Tugenden zu verkörpern: fleissig sein, freundlich, ehrlich, pünktlich und ehrgeizig. Dass er nicht jeden Verurteilten auf den richtigen Weg bringen kann, das ist ihm seit Anfang bewusst – und die Grenzen werden ihm immer wieder aufgezeigt. «Es gibt topmotivierte Häftlinge. Es gibt aber auch Häftlinge, die wollen schlicht nicht arbeiten, die verstecken sich manchmal extra, um nichts tun zu müssen.»

«Diese Drohung ist mir damals wahnsinnig eingefahren.»

Alois Dubach, Leiter Gärtnerei Wauwilermoos

Dank seiner langjährigen Erfahrung wisse er, wie mit Querulanten umzugehen sei. Wenn Motivation nichts bringt, greift er auf ein Mittel zurück, das «wehtut»: das Geld. Pro Tag erhalten die Insassen für die Arbeit zwischen 18 und 29 Franken – wer sich den Regeln widersetzt, muss einen Abzug in Kauf nehmen.

Joghurt verkaufen, Kühe ausmisten oder Pferde striegeln

Die Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos ist ein offenes Männergefängnis mit 64 Plätzen für den Vollzug von Freiheitsstrafen. Gleichzeitig bewirtschaftet die Anstalt einen Landwirtschaftsbetrieb mit über 150 Hektaren Fläche. Rund 20 Gefangene arbeiten im Futter-, Acker- und Obstbau oder in der Tierhaltung, zwischen acht und zwölf Gefangene in der Gärtnerei. Seit 1996 produziert der Betrieb nach biologischen Richtlinien und gehört damit in der Zentralschweiz zu den Pionieren. In Kürze wird zudem eine Fleischverarbeitung im Wauwilermoos seinen Betrieb aufnehmen.

Ihm sei es allerdings weitaus lieber, wenn er auf positive Art zur Arbeit anspornen kann. Das Echo der Gefangenen bestätigt Dubach darin. «Schon mehr als ein Häftling sagte zu mir: Einen solchen Vater hätte ich gerne gehabt», sagt er nicht ohne Stolz. Alois Dubach fügt gleichzeitig an, dass er immer Distanz wahren muss. «Eine private Beziehung aufbauen mit den Insassen, das ist im Vollzug sehr verpönt.» 

Während Chefs anderswo mit ihren Angestellten auch mal über das Erlebte am Wochenende oder ihre Hobbys plaudern, gibt es im Gärtnereibetrieb in der Regel nur Einbahnkommunikation. «Ich höre den Insassen zu, wenn sie reden wollen. Aber aus meinem Privatleben erzähle ich nie etwas», sagt Alois Dubach.

Was man nicht tun sollte

Betrüger, Vergewaltiger, Mörder – seine Erntehelfer seien keineswegs Unschuldslämmer, sagt Alois Dubach. Wie gefährlich ist sein Job? Die Antwort des Luzerners kommt schnell: «Überhaupt nicht.» Gemeingefährliche und Fluchtgefährdete werden im offenen Vollzug gar nicht erst aufgenommen. Zwar komme es trotzdem hin und wieder zu Konfrontationen mit Häftlingen. Doch er sei psychologisch und im Umgang mit schwierigen Gefangenen geschult.

«In diesen 37 Jahren hatte ich nur ein einziges Mal Angst», erzählt Alois Dubach. Das sei allerdings schon lange her. Damals forderte er einen Doppelmörder auf, seine Schuhe zu putzen, bevor er seine aus dem Kiosk bestellten Waren erhielt. «Er wurde unglaublich zornig und sagte mir: ‹Ich weiss, wo du wohnst, ich mache deine ganze Familie kaputt.› Das ist mir damals wahnsinnig eingefahren.» 

Der Stacheldraht beim Hauptgebäude deutet an, dass es sich nicht um einen normalen Betrieb handelt.

Der Stacheldraht beim Hauptgebäude deutet an, dass es sich nicht um einen normalen Betrieb handelt.

(Bild: jal)

Dass er gelassener geworden ist, hat auch mit etwas anderem zu tun. Früher las Alois Dubach jeweils die Gerichtsakten über seine «Mitarbeiter». «Es gab da einmal einen Mann, der seine Frau auf bestialische Art und Weise misshandelt hatte. In der Gärtnerei sah ich immer das Bild der gepeinigten Frau vor mir – ich konnte nicht mit ihm zusammenarbeiten.» Der damalige Anstaltsdirektor riet ihm in solchen Fällen, keine Akten mehr zu lesen – und das hat er seither befolgt.

Heute weiss Alois Dubach, ob einer wegen Drogenhandel, Erpressung oder einer Sexualstraftat im Wauwilermoos ist – die Details aber, die interessieren ihn nicht. «Bei der Arbeit darf ich ohnehin keine Vorurteile haben – ich muss den Menschen nehmen, wie er ist. Und messe ihn an seinem Verhalten im Arbeitsalltag.»

Was von den Vorurteilen übrig blieb

Vorurteile sind ihm heute also fremd. Das war allerdings nicht immer so. Als Jugendlicher habe er eine Abneigung gegenüber der Strafanstalt verspürt, an der er mit seinem Vater, ebenfalls Gärtner, regelmässig vorbeikam. «Ich sagte meinem Vater früh: ‹Mit Sträflingen könnte ich nicht zusammenarbeiten.›» 

Dass er fast sein ganzes Berufsleben mit ihnen verbringen wird, hätte er damals nicht geglaubt. Nach einer Lehre als Gemüsegärtner arbeitete er zuerst im elterlichen Betrieb und zog später nach Grindelwald, wo er als Hotelgärtner arbeitete. Doch seine Frau litt in der Höhe an Asthma, sodass sie nach Luzern zurückkehren mussten. Die Strafanstalt suchte genau dann einen Gärtner – Dubach einen Job. Und so überwand er seine Vorurteile – und blieb. Bis zu seiner Pensionierung im nächsten Jahr. 

«Ich habe keine Minute bereut. Wenn mir die Arbeit mit den Gefangenen nicht passen würde, wäre ich nicht seit 37 Jahren hier.» Sagt es und hilft einem Sträfling mit nacktem, tätowiertem Oberkörper, Cherrytomaten in Plastikschalen zu packen.

* Name von der Redaktion geändert.

Zwei Ziegen wohnen ebenfalls auf dem Gefängnisgelände.

Zwei Ziegen wohnen ebenfalls auf dem Gefängnisgelände.

(Bild: jal)

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