Markus Petrig – ein Luzerner Original

«Schweizer haben furchtbare Angst, aufzufallen»

«Ein Original ist jeder», sagt das Luzerner «Neo-Original» Markus Petrig.

(Bild: jav)

Emil Manser, Radio Müsli, Blueme-Bürgi – einige Luzerner Stadtoriginale haben es zu grosser Berühmtheit gebracht. Doch die Liste der Originale ist länger, als man vermuten würde. Das will Neo-Original Markus Petrig der Öffentlichkeit zeigen. Er plädiert für mehr Offenheit. Und Mut.

Markus Petrig ist ein «Neo-Original». Er ist «rein physisch» 61 Jahre alt, das fünfte Mal verheiratet und hat aus früherer Ehe zwei erwachsene Kinder. 15 Jahre lang fuhr er VBL-Busse, davor Lastwagen und Postautos, heute Reisecars. Petrig hat beruflich so einiges gemacht und weniges davon würde man auf einem einzigen Lebenslauf vermuten, vom Transportgeschäft über den Indianerladen ist alles dabei.

Er ist ein Macher mit immer neuen Ideen und einer Sonnenbrillensammlung von über 120 Stück. Tendenz steigend. Er war Standardtänzer, Turmspringer, ist noch immer passionierter Reiter und läuft dieses Jahr den Strongmanrun. Mindestens vier Monate pro Jahre verbringt der Ur-Luzerner in Costa Rica, wo seine Frau mittlerweile fest lebt und wo die beiden gemeinsam ein Resort aufgebaut haben.

zentralplus: Seit zwei Jahren sind Sie «offiziell» ein Luzerner Original (siehe Box unten). Ein ziemlich aktives, wenn man sich auf den sozialen Medien umschaut. Die Gruppe «Freunde der Luzerner Originale» auf Facebook bewirtschaften Sie fast täglich. Wie das?

Petrig: Viele der Originale sind nicht online, ich hingegen nutze die sozialen Medien häufig. Ich fand es wichtig, dass die Originale nicht nur intern die Verbindungen pflegen, sondern auch die Kontakte zur Öffentlichkeit. Ich möchte, dass die Luzerner «ihre» Originale nicht erst nach deren Ableben kennenlernen. Dass sie wissen, wer alles dabei ist und welche Gesichter sich hinter den Namen verstecken. Ich würde mir da auch mehr Inputs wünschen, dass die Leute aktiv ihre Begegnungen mit Originalen in der Gruppe teilen. Etwas, das ich mir auch im täglichen Leben wünschen würde: nicht nur schauen und hinterher darüber reden und spekulieren, sondern ansprechen und austauschen. Doch da existieren wohl oft Hemmungen.

«Heute ist man in der Schweiz schnell ein Original.»

zentralplus: Was macht ein Original aus?

Petrig: Es muss eine Person sein, die auffällt, präsent ist und in Luzern einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Vor allem braucht ein Luzerner Original einen Wiedererkennungswert. Es geht jedoch nicht nur um die Optik, auch bestimmte Tätigkeiten und das Verhalten können ausschlaggebend sein.

zentralplus: Wir leben in einer Welt, in welcher sich alle für sehr individuell und originell halten. Sind wir nicht alle ein Original?

Petrig: So ist es: Ein Original ist jeder. Ich bin ehrlicherweise über die Bezeichnung auch nicht ganz glücklich, aber die ist traditionell verankert. Die Auffälligkeit und der Wiedererkennungswert fehlen jedoch bei den meisten. Ich habe in der Schweiz, eigentlich in ganz Zentraleuropa, das Gefühl, alle seien maskiert. Die Leute haben furchtbare Angst, aufzufallen, Gott behüte – gar anzuecken – und drehen täglich in ihrem Hamsterrad. Es ist so einfach, ein Original zu sein. (Lacht.) Man muss bloss zu sich und seinen Eigenheiten stehen, authentisch sein und so leben, wie es guttut. Heute ist man in der Schweiz schnell ein Original. Es braucht bloss Mut.

zentralplus: Ist diese Angst begründet? Hat «Original-Sein» auch negative Aspekte?

Petrig: Die Öffentlichkeit hat oft ein falsches Bild, hält die Originale für Randständige und Sozialfälle. Die gibt es unter den Originalen auch, aber es ist ein ganz kleiner Teil. Unter den Originalen haben wir einen Polizisten, Unternehmer – Grossstadtrat Bürgi oder Kripochef Linder waren Originale. Viele sind bereits pensioniert. Eine Gefahr kann sein, dass das Gefühl aufkommt, als Original einem gewissen Bild entsprechen zu müssen: so herumlaufen und reden, wie es die Leute erwarten. Zudem ist es ein Spagat, im Beruf ernst genommen zu werden, wenn man als Original in der Öffentlichkeit steht.

Anita Bucher mit Juli.

Sie führt den Secondhand-Laden «Ziitlos» an der Mythenstrasse – Anita Bucher mit ihrer Hündin Juli.

(Bild: Charlie Bösch)

zentralplus: Was verbindet die Luzerner Originale?

Petrig: Wir sind alle ein bisschen anders als die anderen. Die einen gewollt, die anderen ungewollt.

zentralplus: Was schätzen Sie an der Gemeinschaft der Luzerner Originale besonders?

Petrig: Die offenen Begegnungen ohne Vorurteile. Man nimmt die anderen an, wie sie sind. Das schätze ich sehr. Es ist nicht so wie im Turnverein, wo erstmal gefragt wird: Was machst du so, bist du verheiratet, woher kommst du? Das ist bei uns kein Thema. Man ist sofort akzeptiert. «Du bist da, dann trinken wir eins.» Gerade so entstehen tolle Gespräche und man erfährt spannende Geschichten. Solche, die nicht jeder erleben kann oder muss. Und wenn man die Leute explizit fragt, dann erzählen sie einem ihre Lebensgeschichte. Ganz ehrlich und offen, ohne auszuschmücken und zu beschönigen.

«Im Ursprung wollte keiner von uns ein Original sein.»

zentralplus: Kein Ausschmücken und Ausholen? Erzählen und reden Originale nicht alle gerne?

Petrig: (Lacht.) Es gibt beides. Es gibt unter den Originalen sehr introvertierte und sehr extrovertierte Menschen. Solche, die durch Erfahrungen und Erlebnisse vorsichtiger geworden sind, oder auch solche wie der Bierpolizist (sein Porträt auf zentralplus), der Bücher und Bier macht, Anita Bucher mit ihrem Secondhand-Geschäft (ihr Porträt auf zentralplus) oder ich mit dem Resort, wir nutzen den «Titel» auch gerne ein bisschen für «Eigenwerbung». Einige haben oder hatten beruflich viel Kontakt mit Menschen und sind daher sehr kommunikativ. Ich bin zum Beispiel im Obergütsch jahrelang Quartierbus gefahren. Da bist du mit jedem Laternenpfahl per Du. Man sieht, ich gehöre zu denen, die gerne reden. (Lacht.)

Krügel Urs-Anton alias «Bierpolizist» und Zünftler «Lego».

Krügel Urs-Anton alias «Bierpolizist» und Zünftler «Lego».

(Bild: zvg)

zentralplus: Sind also nicht alle Originale Rampensäue und Selbstinszenierer?

Petrig: Bei gewissen ist es mit einem leichten Narzissmus verbunden. Bei mir zum Beispiel. (Lacht.) Aber Emil Manser oder Radio Müsli zum Beispiel, die haben das nicht so geplant. Sie haben erkannt, dass sie anders wahrgenommen werden, und gewissen Dinge deshalb beibehalten. Aber im Ursprung wollte keiner von uns ein Original sein. Das würde auch nicht funktionieren – da würde man zum Schauspieler, wäre nicht mehr sich selber. Man muss authentisch sein, man muss es leben. Da reicht es nicht, sich einen seltsamen Bart zuzulegen. (Grinst.)

Bieri Josef alias «Rottanndli» (1928 -2011) und Siegrid Weis (1954-2017).

Bieri Josef alias «Rottanndli» (1928–2011) und Siegrid Weis (1954–2017).

(Bild: zvg)

zentralplus: Von den Originalen ist der Grossteil Männer. Sind Frauen weniger originell?

Petrig: Tatsächlich sind es derzeit mehr Männer. Siegrid ist auch gerade erst verstorben. Aber über die Jahrzehnte hinweg ist es ziemlich ausgeglichen. Und wenn ich mir einen Grund vorstellen könnte, dann der, dass Frauen mit ihrem «Anderssein» vielleicht weniger in der Öffentlichkeit stehen wollen. Man ist schon sehr exponiert als Luzerner Original.

Güüggali Zunft

Diese Luzerner Zunft hat mit Fasnacht so gar nichts am Hut. Die 40-jährige Güüggali Zunft fördert und unterstützt Luzerner Originale und hält die Erinnerung an sie auch über den Tod hinaus aufrecht. Sie archiviert Zeugnisse aktuellen Geschehens um die Luzerner Originale und bemüht sich um die Erhaltung historischen Materials. Die Zünftler organisieren auch regelmässige Anlässe und führen die Liste der offiziellen «Originale» auf ihrer Webseite. Diese sind keine Zunftmitglieder. Zünftler oder auch Originale können Vorschläge für neue Mitglieder einbringen. «Eigentlich kann jeder eine Idee an die Zunft herantragen», so Petrig. Die Zunft entscheide dann, wer in die Liste aufgenommen wird.

zentralplus: Und warum sind fast alle im Rentenalter?

Petrig: Wir hätten gerne Jüngere dabei, aber man kann niemanden zum Original erziehen. Mit 20 Jahren ist auch kaum einer ein Original. Es braucht seine Zeit, in die eigene Andersartigkeit reinzuwachsen. Zu entscheiden, wer passt und wer nicht, ist eine Herausforderung. Philipp zum Beispiel, er in den Tüchern, ist sehr freundlich und anständig, und klar kennt ihn jeder, aber er ist halt leider ein Abgestürzter. Und mit Abhängigen und Obdachlosen wird es einfach schwierig. Original zu sein wird in Luzern doch als Auszeichnung wahrgenommen. Als Auszeichnung für was auch immer. (Lacht.)

zentralplus: Gibt es denn solche, die eigentlich gerne ein offizielles Original wären, oder solche, die auf Anfrage nicht wollten?

Petrig: Es gibt einige, die gerne dabei wären, aber nicht wirklich die Kriterien erfüllen. Die zu wenig auffällig sind. Angy Burri hingegen wurde zum Beispiel angefragt, wollte aber nicht. Wir sind ja nicht die Originale, sondern die, die von der Zunft angefragt wurden und auch wollten. 

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