50 Fragen an … Schauspieler Samuel Streiff

Der Mann, der als Reto Dörig freundlich, aber ratlos angelächelt wird

Der Zuger Schauspieler Samuel Streiff bei unserem Treffen in Zürich.

(Bild: lob)

Theaterspielen, für die «Tagesschau» sprechen oder den Kriminalfahnder mimen: Der Zuger Samuel Streiff ist ein vielfältiger Künstler. Und wenn er als Reto Dörig nicht gerade Verbrecher jagt, ist er auch Schwafli, leidenschaftlicher Besteiger von Hochhäusern – und ein «erstklassiger Scheiterer».

Gut gelaunt schlendert der Schauspieler uns entgegen, das Outfit hell und sommerlich. Kein Wunder, gibt der Frühling an unserem Treffen doch eine beeindruckende Sommer-Vorstellung ab, um im Jargon zu bleiben. Wir setzen uns in ein Café am Limmatquai in Zürich. Kurz grüsst er noch eine Bekannte am Tisch vor uns. Bevor es für den 42-Jährigen zur Theaterprobe weitergeht, stellt er sich verwegen unseren 50 Fragen.

1. Herr Streiff, mit der Rolle des Reto Dörig beim «Bestatter» kennt das breite Publikum nun nicht mehr nur Ihre Stimme, sondern auch Ihr Gesicht. Sehen wir Sie nun noch öfter vor der Kamera?

Sie sehen mich ja im Moment für Schweizer Verhältnisse schon recht oft. Aber an mir soll’s nicht liegen. Wie ungefähr jeder andere Schauspieler auch, drehe ich für mein Leben gern. Also immer her mit den Drehbüchern!

«Eine gesunde Distanz zu den Dingen – den schönen und den schlimmen – ist hilfreich.»

2. Momentan widmen Sie sich wieder einem Theater-Projekt – bleibt uns der Kripo-Assistent noch etwas erhalten?

Ich glaube schon. Das Autorenteam schreibt im Moment die Drehbücher zur siebten Staffel. Und wenn der Dörig nicht gleich in der ersten Folge erschossen wird oder eine Treppe runterfällt, sollte er ebenfalls wieder einen Sommer lang dabei sein. Das erfahren wir dann im Juni…

3. Sie sagten einmal in einem Interview, Sie mögen Reto Dörig, weil er immer auch an sich selber scheitert. In welchen Situationen trifft das auf Sie zu?

Ich bin ein erstklassiger Scheiterer. Das Leben hat seine charmanten Mittel und Wege, einen wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen. Eine gesunde Distanz zu den Dingen – den schönen und den schlimmen – ist hilfreich. Und ich weiss jetzt schon, dass ich wohl an dieser richtigen Distanz herumknobeln werde, bis ich den Löffel abgebe.

4. Wie viel vom Aargauer Bünzli steckt sonst in Ihnen?

Lassen wir doch mal die Aargauer in Ruhe und reden lieber über unsere typisch schweizerischen Seiten: Ich würd mal sagen, ich mag es gerne aufgeräumt, hab’s nicht gerne zu laut, finde Steuern zahlen prima und habe eher Mühe damit, meine Meinung laut und deutlich zu sagen. Bünzlig genug?

5. Trifft man auch Sie im Fussballstadion an?

Nein.

Zur Person

Samuel Streiff wurde 1975 in Zug geboren und ist in Walchwil und London aufgewachsen. Die Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Zürich absolviert, erhielt er 1999 den Förderpreis für Nachwuchsschauspieler der Armin-Ziegler-Stiftung Zürich. Seit 2004 ist er freischaffender Schauspieler und Sprecher. Unter anderem spielt Streiff bei der SRF-Serie «Der Bestatter» mit und ist Off-Sprecher für «10vor10» und die «Tagesschau». Mit dem Theaterstück «Girl from the fog machine factory» steht er bald auf der Bühne.

6. Wie verbringen Sie sonst Ihre Freizeit?

Ich lese, wandere, koche, esse, plaudere viel mit Freunden, liege auf dem Sofa. Und ich mag es, von Hochhäusern und Berggipfeln herunterzuschauen. Immer auf der Suche nach der gesunden Distanz.

7. Sie spielen seit Ihrer Jugend Theater. Ein Jahr vor der Matur haben Sie das Gymnasium geschmissen, weil sie die Zulassung für die Schauspielschule Zürich bekamen. Haben Sie den Entscheid je bereut?

Nein.

8. Muss die Jugend heute wieder mutiger sein, um sich ihre Träume zu erfüllen?

Wenn Sie meinen, dass mein Entscheid, die Kanti zu schmeissen, besonders mutig war, muss ich Sie leider enttäuschen. Ich hatte Eltern an meiner Seite, die gespürt haben, wie ernst mir das mit der Schauspielerei war. Und der damalige Rektor der Kanti hat mir angeboten, dass es einen Weg zurück gibt, sollte mein Entscheid ein Irrtum sein. Ich wurde also getragen von ziemlich viel Verständnis und Goodwill. Insofern erlebe ich die Jugend von heute als sehr mutig. In dieser kompetitiven, durchökonomisierten und politisch ziemlich unruhigen Welt seinen Weg zu gehen, braucht eine Menge Mut.

«Ich habe manchmal sehr schweigsame Ehrfurchtsattacken.»

9. In einem Kommentar über Ihre Figur Reto Dörig stand, er sei «das i-Tüpfelchen auf dem Nein zur No-Billag-Initiative». Wie haben Sie die Debatte erlebt?

Wie alle: als ungewöhnlich aufgeheizt und gehässig sowie latent unsachlich. Aber eben auch als sehr lehrreich. Dass die Entscheidung am Ende so klar ausgefallen ist, war für mich überhaupt nicht selbstverständlich – dafür umso erfreulicher.

Beim «Bestatter» spielt Streiff den Kriminalfahnder Reto Dörig (vorne Mitte).

Beim «Bestatter» spielt Streiff den Kriminalfahnder Reto Dörig (vorne Mitte).

(Bild: SRF/Sava Hlavacek)

10. Wo stehen Sie politisch?

Links der Mitte.

11. Samuel Streiff hat einen Tag lang in der Schweiz das Sagen. Welche bleibende Änderung würden Sie einführen?

Dass es ab dem nächsten Tag für immer verboten ist, dass eine Person ganz alleine in der Schweiz das Sagen hat.

12. Was macht Sie wütend?

Paternalismus sowie einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Und Dauerempörung.

13. Was bringt Sie zum Schweigen?

Mein Freund würde ja sagen, praktisch nichts. Aber das stimmt nicht! Ich habe manchmal sehr schweigsame Ehrfurchtsattacken, wenn ich auf Bergen, in steinalten Kirchen oder gegenüber von Menschen stehe, die ich sehr bewundere. Und wenn morgens oder abends die Amseln singen, halte ich ebenfalls problemlos die Klappe.

«Und dann steht man da, schwitzt wie ein Ochse und kichert bei jedem neuen Take sofort wieder los wie ein Teenager.»

14. Was zum Weinen?

Musik, Geschichten aus dem Krieg. Menschen, die auch unter widrigsten Umständen Menschen bleiben und helfen. Oder die schlimmen Geschichten aus dem Krieg. Eltern, die ihre Kinder verlieren – da erwischt es mich jedes Mal.

15. Was bringt Sie zum Lachen?

Tina Fey, Kristen Wiig, John Oliver und Barbara Terpoorten, wenn sie ältere Damen imitiert.

16. Apropos Lachen: Erzählen Sie uns einen Witz?

Tut mir leid. Witze kann ich nicht. Das hier finde ich aber sehr lustig. Dieser Hund ist ein Vollprofi!

Zu sehen gibt’s nach kurzer Suche ein Youtube-Video aus «Saturday Night Live»:

17. Bleiben wir beim Thema lustig: Wie ist die Arbeit mit Mike Müller? Gibt’s Momente, bei denen es schwer ist, am Set ernst zu bleiben?

Ja, und nicht nur mit Mike. Diese Momente sind meistens dem Zeitdruck und der Müdigkeit geschuldet. Diesem einen blöden Spruch kurz vor dem Take. Und dann steht man da, schwitzt wie ein Ochse und kichert bei jedem neuen Take sofort wieder los wie ein Teenager.

18. Sind private Freundschaften zu Mitgliedern der «Bestatter»-Crew entstanden?

Ja, wir essen alle sehr gerne. Das verbindet.

19. Werden Sie auf der Strasse oft erkannt?

Nein. Aber ich glaube, ich komme den Menschen manchmal entfernt bekannt vor und werde dann freundlich, doch etwas ratlos angelächelt. Dann lächle ich freundlich zurück.

20. Schauspielerei oder Sprecherstimme – wofür gab’s bisher die meisten Komplimente?  

Für die Schauspielerei.

«Das mit der Liebe kann funktionieren. Es hat mit Respekt, Geduld und Autonomie zu tun.»

21. Sind Sie eitel?

Ach herrje. Je älter ich werde, umso mehr. Und es bringt immer weniger. Ich hoffe, das hört dann irgendwann auch wieder auf.

22. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie gerne lesen Sie in den Medien über sich?

Wenn sich die Journalisten Zeit nehmen und sich wirklich ein wenig für mich und meine Arbeit interessieren: 7. Wenn sie die Berichterstattung über Krimiserien oder Theaterstücke eine Strafe und mich eine Dumpfbacke finden: 1.

Gibt es ein Rezept, um eine Acht zu bekommen?

Nein, tut mir leid (lacht). Auch bei Artikeln von interessierten Journalistinnen schau ich immer etwas angespannt nach, ob da jetzt wirklich steht, was ich gesagt habe. Oder ob irgendein Redaktor nachträglich noch an meinen Antworten rumgeschraubt hat.

23. Sie sind schwul und leben in einer langjährigen Partnerschaft. Finden Sie, als prominenter Mensch haben Sie diesbezüglich einen Botschafter-Auftrag?

Ich glaube schon. Aber was ist ein guter Botschafter? Ich bin zurückhaltend, wenn Medien über mein Privatleben Bescheid wissen wollen. Meistens geht’s dort ja eh nur um den Glitzer: Wie leben die? Was ist ihr Geheimnis? Wo trinken sie am liebsten ihr Glas guten Wein? Als Teenager haben mich diese superentspannten Home-Stories wahnsinnig gemacht. Das war so weit weg von meiner Realität.

Ich hatte keine Ahnung, wohin meine Reise als junger, schwuler Mensch gehen sollte. Aber sogar ich habe am Ende meinen Weg gefunden. Falls ich heute also einen Botschafter-Auftrag haben sollte, dann findet er im Alltag statt, und er lautet: Das mit der Liebe kann funktionieren. Es hat mit Respekt, Geduld und Autonomie zu tun. Egal, welches Geschlecht euch interessiert, mutig voran! Verliebt euch! Und nicht verzweifeln! Misserfolge schärfen das Profil.

24. Wie würde Ihr Partner Sie beschrieben?

Grosszügig. Grossherzig. Manchmal ein Schwafli. Aber offenbar trotzdem liebenswürdig.

25. Was geben Sie von sich nicht preis?

Wo ich am liebsten dieses blöde Glas guten Wein trinke.

Zeichnen Sie ein Selbstportät für uns?

Darf ich von einem Foto abzeichnen?

Ist erlaubt, finden wir – und hier ist das Kunstwerk:

Das obligate 50-Fragen-Selbstportät: gelungen, wie wir finden.

Das obligate 50-Fragen-Selbstportät: gelungen, wie wir finden.

(Bild: lob)

26. Erzählen Sie uns Ihr schlimmstes Bühnenerlebnis.

In einem Stück, das in einer psychiatrischen Klinik spielt, hatte meine Figur einen Wutanfall. Dabei kickte ich einer Dame in der ersten Reihe versehentlich ein metallenes Zigarettenetui an den Kopf. Volles Rohr. Sie hat’s überlebt.

Hat sie es Ihnen übelgenommen?

Ich weiss es nicht! Ich habe ihr in der Pause eine Entschuldigung auf ein Zettelchen geschrieben und auf den Sessel gelegt. Aber es gab keine Gelegenheit, persönlich mit ihr zu sprechen.

27. Sie sind in Zug aufgewachsen – was haben Sie für Erinnerungen daran?

Sommer im Wald. Super-8-Filme. Das Nebelmeer über dem Zugersee, Kastanien, Schlitteln auf dem Zugerberg. Eine sehr behütete Kindheit am Ende einer Sackgasse in Walchwil. Philosophische Gespräche mit den Nachbarskindern unter dem Sternenhimmel und cholerische Primarlehrer.

28. Fühlen Sie sich noch als Zuger?

Ich fühle mich als Schweizer. Mit dem Kantönligeist hab ich’s nicht so.

29. Was hat Zug, das Zürich nicht hat?

Glencore.

30. Was hat Zürich, das Zug nicht hat?

Ein phänomenales Kulturangebot.

31. Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt mal spielen wollen?

Die hab ich schon gespielt. Das Stück hiess «Gift» und ist von Lot Vekemans. Die Rolle hiess Er. Wir haben an der Winkelwiese in Zürich die Schweizer Première gespielt. Das ist eine meiner liebsten Arbeiten.

Worum ging’s und wie sah Ihre Figur aus?

Es ist ein Zweipersonenstück. Darin geht es um einen Mann und eine Frau, deren kleiner Sohn bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. An der Trauer darüber ist ihre Beziehung zerbrochen. Zehn Jahre später – und hier geht das Stück los – begegnen sich die beiden zum ersten Mal wieder, weil das Grab ihres Sohnes verlegt werden soll. Und während sie in der Abdankungshalle warten müssen, geraten sie aneinander. Wahnsinnig intelligent geschrieben, sehr berührend, voller Weisheit und trockenem Humor. Ich habe es gelesen, musste heulen und wusste sofort: Das will ich spielen!

32. Lieber eine Figur spielen, die einen ähnlichen Charakter hat oder das exakte Gegenteil?

Beides hat seinen Reiz. Bei fremden Figuren sind eine klare Vision der Regie und eine saubere Vorbereitung hilfreich. Das Entscheidende bleibt aber das Stück oder das Drehbuch: die Klugheit der Dialoge, die Schönheit der Musik, das Zusammenspiel der Schauspieler.

33.  Mit wem wollen Sie unbedingt mal im Lift stecken bleiben?

Mit Pep Guardiola.

34. Und mit wem nie?

Wahrscheinlich auch mit Pep Guardiola. Ich hab keine Ahnung von Fussball. Ich finde den Herrn einfach wahnsinnig gutaussehend.

35. Wie sieht bei Ihnen ein typischer Sonntag aus?

Kaffee im Bett. Wandern, Spazieren oder Joggen gehen. Abendessen mit der Familie. Es sei denn, ich hab eine Vorstellung oder Tagesschau. Dann gehe ich halt arbeiten.

Samuel Streiff diesmal mit Brille und – passend zur Serienrolle – dem Polizeiposten im Hintergrund.

Samuel Streiff diesmal mit Brille und – passend zur Serienrolle – dem Polizeiposten im Hintergrund.

(Bild: lob)

36. Gemütlicher Abend auf dem Sofa: Fernsehen oder Netflix?

Netflix.

37.  Welche Serie oder Sendung wird garantiert weggezappt?

Fussball. Sorry, Pep.

38. Und nach welcher Serie waren Sie zuletzt richtig süchtig?

Diese Dokuserie über den Bhagwan: Wild, Wild Country. Die ist extrem gut gemacht.

39. Kochen Sie gerne?

Ja.

40. Ihr Paradegericht?

Ich mach einen anständigen Braten. Auch Suppen oder Voressen – alles, was aus einem Gusseisentopf kommt.

41. Wein oder Bier?

Wein.

42. Einen Lieblingswein oder -sorte?

Pinot Noir.  

43. Was steht bei Ihnen auf dem Nachttisch?

Eine Lampe, ein Bleistift und Bücher.

44. Welches war das letzte Buch, das Sie gelesen haben?

Im neuen Theaterstück werden Nebelmaschinen eine zentrale Rolle spielen, darum lese ich gerade ein Buch über die Geschichte der Unschärfe in der Kunst. Das letzte Buch, das mich restlos begeistert hat, ist Yuval Hararis› «Eine kurze Geschichte der Menschheit», beziehungsweise das Folgewerk «Homo Deus». Dieses verschenke ich mittlerweile mit der Schrotflinte jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

45. In Ihrem neuesten Theaterprojekt «Girl from the fog machine factory» geht es um die Frage, wie man etwas festhält, das sich ständig verändert. Was fasziniert Sie daran?

Die Tatsache, dass man es nicht kann. Dass es aber fast alle ein Leben lang versuchen. Wie lernt man, die Schönheit, die Liebe, das Leben vorbeiziehen zu lassen, ohne traurig zu werden, dass man das ganze Glück nicht konservieren kann.

46.Woran glauben Sie?

An die Liebe, die Freundlichkeit und die Bescheidenheit.

47. Was bereuen Sie?

Die Momente, in denen ich weder liebevoll, freundlich noch bescheiden war.

48. Und welches ist der schönste Fehler, den Sie je gemacht haben?

Das war kein Fehler, aber ein Irrtum: Dass ich für langjährige Beziehungen nicht geschaffen bin und alle Menschen unglücklich mache, die es mit mir versuchen.

49. In zehn Jahren…

…Drehe ich hoffentlich noch den einen oder anderen Film.

50. Welche Schlagzeile wollen Sie noch über sich lesen?

Samuel Streiff findet die abschliessende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.

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