Jeder tausendste Luzerner ist registriert

Luzerner Behörden haben 352 «Gefährder» auf dem Radar

Ist mit den bisherigen Erfahrungen mit dem Bedrohungsmanagement zufrieden: Kripo-Chef Daniel Bussmann an der Jahresmedienkonferenz der Luzerner Polizei.

(Bild: les)

Seit 2017 kann der Kanton Luzern gezielt Daten von Personen sammeln, die eine potenzielle Gefahr für Dritte darstellen. Nun zeigt eine erste Erhebung, dass Luzern bereits im ersten Jahr eine hohe Anzahl solcher Fälle aufweist. Fast einer von tausend Luzernern ist registriert. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Polizei Daten auf Vorrat sammelt.

Was tun, wenn man das Gefühl hat, dass jemand einem übel mitspielen will? Wie reagieren, wenn man glaubt, dass man an Leib und Leben bedroht wird? Gewiss, solche Fragen stellt man sich nur ungern.

Und trotzdem: Sie scheinen in unserem Alltag so oft präsent zu sein, dass sie seit einigen Jahren auch die Politiker in diversen Kantonen beschäftigen. Vielerorts wurden deshalb neue Instrumente geschaffen, die sich explizit mit solchen Bedrohungssituationen befassen. Seit 2017 auch im Kanton Luzern. Der Grundsatz: Schwere zielgerichtete Gewalttaten sollen verhindert werden, bevor sie geschehen.

Luzern: 352 Meldungen überprüft

Diese Präventionsarbeit wird allgemein unter dem Begriff «Bedrohungsmanagement» zusammengefasst. Mittlerweile haben die Behörden in 13 Kantonen erste Erfahrungen gesammelt.

Seit dem 1. Januar 2017 ist im Kanton Luzern das kantonale Bedrohungsmanagement (KBM) aktiv. Es besteht aus einer Anlaufstelle beim Justiz- und Sicherheitsdepartment und einer Fachgruppe der Kriminalpolizei.

Ermöglicht wurde es durch eine Anpassung des Polizeigesetzes. Seither ist es erlaubt, dass Meldungen zu potenziell gefährlichen Personen aus Behörden, Verwaltungen sowie von Institutionen und Direktbetroffenen – zum Beispiel bei häuslicher Gewalt – durch das KBM bearbeitet werden können.   

Die Zahlen des KBM nach dem ersten Jahr lassen aufhorchen: 352 Meldungen wurden bearbeitet. Dies berichtete die SRF-Sendung «Schweiz aktuell». Also fast einer von tausend Luzernern ist derzeit auf dem Radar der Behörden.

KMB in Luzern weit fortgeschritten

Dies tönt nach viel. Doch bei den Behörden will man deswegen nicht in Alarmismus verfallen. Ein Vergleich zeigt, dass andere Kantone bezogen auf ihre Bevölkerungszahl ähnliche Werte ausweisen. 

Dennoch kann sich die Frage aufdrängen, ob es angezeigt ist, in Luzern derart viele Daten zu erheben und entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Denn es gibt auch Kantone mit deutlich kleineren Fallzahlen bezogen auf die Einwohnerzahl, wie zum Beispiel Glarus oder sogar die Grossstadt Winterthur.

Daniel Bussmann, Chef der Luzerner Kriminalpolizei, erklärt sich die hiesigen Zahlen wie folgt: «Im Gegensatz zu Luzern kennen viele Kantone bis heute noch kein eigentliches Bedrohungsmanagement und weisen deshalb tiefe Fallzahlen aus.»

«Luzern unterscheidet sich aber grundsätzlich nicht von anderen Kantonen. Wir haben gegenüber SRF sämtliche Vorfälle gemeldet, die in einem Zusammenhang mit dem KMB erfasst wurden.» Dabei handle es sich nicht nur um substanzielle Bedrohungen, sondern auch um diffuse und schlecht fassbare Fälle, sagt Bussmann.

352 Fälle: Der Kanton Luzern steht im landesweiten Vergleich weit oben.

352 Fälle: Der Kanton Luzern steht im landesweiten Vergleich weit oben.

(Bild: Schweizer Radio und Fernsehen SRF)

Es braucht immer detaillierte Abklärungen

Dennoch müsse jeder Meldung nachgegangen werden, um das Gefährdungspotenzial abschätzen zu können. «Es gibt auch Fälle, welche sich nach diesen Abklärungen stark relativieren oder an denen offensichtlich nichts dran ist. Letztere werden gar nicht erst in die Datenbank aufgenommen», sagt Bussmann.

«Es ist zu vermuten, dass andere Kantone nur Fälle von substanziellen Drohungen gemeldet haben, wo sich der Verdacht erhärtete. Deshalb sind die Zahlen dort wohl tiefer», so Bussmann. «In jedem einzelnen Fall gibt es umfangreiche Abklärungen, um den Grad der Gefährdung, die von einer Person ausgeht, zu eruieren und geeignete Massnahmen treffen zu können.»

Eine einheitliche juristische Begriffsdefinition, was unter einem «Gefährder» zu verstehen ist, gibt es in der Schweiz bisher allerdings nicht. Ebenso ist nicht verbindlich geregelt, was als Fall zählt. Ein Vergleich der Fallzahlen sei folglich problematisch, sagt der Chef der Kriminalpolizei.

Es geht um Alltagssituationen

Doch um welche Arten von Bedrohung dreht sich die Arbeit beim KBM konkret? «Die meisten Bedrohungssituationen entstehen im sozialen Umfeld der bedrohten Personen», sagt Bussmann. Also bei häuslicher Gewalt, gescheiterten Beziehungen, Konflikten in Familien oder Stalking. Dazu kommen Konflikte am Arbeitsplatz oder mit Behörden. «Das KBM befasst sich immer mit Fällen, wo ein Mensch an Leib und Leben bedroht ist», präzisiert der Kripo-Chef.

Wie funktioniert der Umgang mit Personen, welche schliesslich auf dem Radar der Anlaufstelle des KBM und danach bei der Fachgruppe Gewaltschutz der Polizei landen? Ein Instrument ist die so genannte «Gefährderansprache». Dabei werden die betroffenen Personen von der Fachgruppe Gewaltschutz direkt kontaktiert. Es geht darum, sie damit zu konfrontieren, dass nach Ansicht der Behörden von ihnen eine Gefahr ausgehen könnte.

Prävention statt Reaktion

«Die Erfahrung aus den bisherigen Kontakten mit allfälligen Gefährdern zeigt, dass beispielsweise eine Gefährderansprache die Situation vielfach, zumindest kurzfristig, entschärfen kann», zeigt sich Kripochef Bussmann zufrieden. 111 solcher Ansprachen fanden im letzten Jahr statt.

«Das Hauptziel ist es aber, potenziell gefährliche Personen auch langfristig mit geeigneten Massnahmen zu unterstützen. Dies soll ihnen die Möglichkeit geben, mit Krisensituationen so umgehen zu können, dass Gewalt gegen Dritte keine Option mehr darstellt», ergänzt Renate Gisler von der Anlaufstelle KBM.

Wie viele Delikte seit der Einführung des KMB in Luzern konkret verhindert werden konnten, könne statistisch nicht erfasst werden. «Genau so, wie eine Aussage darüber unmöglich ist, wie viele Kinder dank Verkehrserziehung und Präventionskampagnen nicht im Strassenverkehr verunfallen», sagt Bussmann. 

Behörde sucht keine Fälle, sondern reagiert auf Hinweise

Die Anlaufstelle wird jedoch nur aktiv, wenn Bedrohungssituationen von eigens dafür vorgesehenen Personen an sie herangetragen werden und Hinweise auf mögliche Bedrohungen eingehen. «Es ist nicht die Idee, dass das KBM proaktiv handelt», betont Bussmann.

Insgesamt liesse sich bislang feststellen, dass sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit der involvierten Stellen seit dem Start des KBM weiter intensiviert und professionalisiert hat.

Ressourcen gezielt eingesetzt

Es stellt sich also noch die Frage, welche Ressourcen der Kanton für das KBM aufwendet. Bei der Fachgruppe Gewaltschutz werden seitens der Polizei sechs Personen für das KBM Luzern eingesetzt. Diese sechs Personen übernähmen jedoch auch noch andere allgemeine Arbeiten der Kriminalpolizei, sagt Kripo-Chef Bussmann.

Die Anlaufstelle KBM ist mit 90 Stellenprozent besetzt. Auch diese Person nehme im Rahmen ihrer Tätigkeit weitere Aufgaben wahr. Mangels Vergleich könnten aktuell indes weder spezielle Entwicklungen festgemacht noch Prognosen erstellt werden. Wohin der Weg in den nächsten Jahren gehen wird, wird sich weisen müssen, so Bussmann.

Politisch nicht unbestritten

Bezüglich der Prävention von Gefahren war sich das Parlament beim revidierten Polizeigesetz nicht ganz einig. Von linker Seite wurden einige Bedenken bezüglich des Datenschutzes geäussert und Anpassungen verlangt. Die Linke lehnte das Gesetz in der Folge mehrheitlich ab. Die Bürgerlichen stimmten der Vorlage zu. Auch der Regierungsrat erachtete die Einrichtung eines entsprechenden Instrumentes als angemessen und bezog sich bei seiner Begründung folglich auf «regelmässig auftretende Bedrohungssituationen und Gewalttaten».

«Die Hauptziele sind die Erhöhung von Schutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, die Regelung des Umgangs mit schwierigen und gefährlichen Situationen sowie die Bereitstellung eines Angebotes zur Unterstützung und Beratung bei bedrohlichem Verhalten von Personen», führte die Regierung in ihrer Botschaft zur Anpassung des Gesetzes damals aus.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von estermap
    estermap, 30.04.2018, 15:14 Uhr

    Schweizweit ist die Bedrohung bei 3000. Wie SRF vor 3 Wochen meldete. Im Kanton Luzern müsste sie also bei etwa 150 liegen. Herr Bussmann versucht sich denn auch diesbezüglich zu rechtfertigen, warum Luzern mehr als doppelt so gefährlich sei.
    Vielleicht kommt es daher: zum einen war im KBM des Kantons die Kesb federführend; zum anderen sehen sich auch Behörden bedroht. Diese missbrauchen möglicherweise das Instrument, um sich Kritiker vom Hals zu halten. Was ist der Unterschied zwischen bedrohend und lästig?

    Neben dem KBM pflegt die Kantonale Verwaltung auch noch eine Schwarze Liste, deren Telefonanrufe sie die Beamten nicht entgegen nehmen.

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