Stiftung will mit umstrittenem Modell wachsen

Immer mehr Private müssen Luzerner Studenten finanzieren

Vorlesung der Universität Luzern: Ab September kann man hier auch Wirtschaft studieren.  (Bild: zvg)

(Bild: zvg)

Wer keine Stipendien erhält, kann für seine Ausbildung einen privaten Geldgeber suchen. Der Kanton Luzern hat dieses umstrittene Modell 2014 im Stipendiengesetz verankert. Nach einem turbulenten Start hat die zuständige Stelle immer mehr Zulauf – doch der Widerstand bleibt. Besonders gefährdet ist laut Kritikern der untere Mittelstand.

Studieren braucht Geld. Wer weder gut betuchte Eltern noch einen gut bezahlten Job hat, kann beim Kanton ein Stipendium beantragen. Seit 2014 zahlt Luzern allerdings weniger Personen Geld für die Ausbildung. Mit dem neuen Stipendiengesetz sind die Löcher der Giesskanne zwar grösser geworden, doch sie treffen weniger Durstige (siehe Grafik).

Der Systemwechsel war heiss umstritten. Der kontroverseste Punkt damals betraf die private Finanzierung, die der Kanton fördern will: Statt des Kantons sollen Investoren den Studierenden Darlehen geben – und am Ende des Studiums im Gegenzug eine Rendite erhalten. Ein Modell, das auf linker Seite für rote Köpfe sorgte. Zu Recht, dachten sie bald: Das Unternehmen zur Betreuung von Studenten und Investoren, das seinen Auftrag vom Verein Studienaktie erhielt, ging kurz vor der Abstimmung Konkurs. Dennoch nahmen die Stimmbürger das Stipendiengesetz an.

Inzwischen ist der Verein Studienaktie gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Nicht aber die privaten Darlehen. Seit Herbst 2016 werden sie von Educa Swiss vermittelt. Die Stiftung mit Sitz in Luzern ist an die Stelle des Vereins Studienaktie getreten und hat dessen Kernidee aufgegriffen. «Wir haben das ursprüngliche Modell hinterfragt und überarbeitet», sagt der heutige Geschäftsführer Claude Siegenthaler.

Beratung im Vordergrund

Ein Darlehen zu vermitteln hat für die gemeinnützige Stiftung nicht oberste Priorität. Im Gegenteil: «Unser Ziel ist, dass möglichst wenige Darlehen nötig werden», sagt Claude Siegenthaler. Im Vordergrund steht die Beratung. Studierende erhalten einen Coach zugewiesen, mit dem sie zusammensitzen und ein Budget erstellen. Und in einigen Fällen zeige sich, dass man zum Beispiel die Ausgaben senken kann, ein Nebenjob machbar ist «oder die Grossmutter oder eine Tante finanziell einspringt, wenn sie die professionell erstellte Budgetplanung sieht».

So haben sich die Stipendien des Kantons Luzern, die Studierende nicht zurückzahlen müssen, entwickelt:

 

 

 

Die Nachfrage aus Luzern sei gross, sagt Siegenthaler. Seit dem operativen Start von Educa Swiss im Herbst 2016 seien rund 60 Anmeldungen aus Luzern eingegangen. Ein privates Darlehen haben inzwischen 16 Luzerner abgeschlossen, einige fanden eine Alternative oder sind mitten im Prozess. Die Luzerner machen von allen Darlehensnehmern mit rund 15 Prozent einen beachtlichen Anteil aus (siehe Box).

«Derart Schulden zu machen, ist nicht vernünftig.»

Andrea Fischer, Leiterin Budgetberatung Frauenzentrale Luzern

Der Grund für das hohe Interesse aus Luzern liegt laut Siegenthaler zum einen darin, dass bereits der Vorgängerverein Studienaktie seinen Sitz in Luzern hatte und es deswegen eine Vernetzung gibt in der Region. Zum anderen erwähnt der Kanton Educa Swiss als Möglichkeit für jene, die keine Stipendien bekommen.

Die Neuausrichtung mit dem Fokus auf die Beratung wird vom Kanton begrüsst. «Es zeigt sich immer wieder, dass Gesuchsteller ohne Anspruch auf Finanzierung durch den Kanton zum Beispiel durch eine kostenlose Budgetberatung bei Educa Swiss eine Lösung für die Finanzierung der Ausbildung finden», sagt Christoph Spöring, Leiter der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung. «In diesem Sinne ist das ein guter Weg.»

Kritik an Dauer und Schuldenberg

Obwohl die private Finanzierung auf neue Beine gestellt wurde: Die Kritik am Luzerner Modell bleibt. Ein privates Darlehen sei für viele keine Option, sagt Andrea Schmid, Leiterin Budgetberatung bei der Frauenzentrale Luzern, wo jährlich zwischen 50 und 80 Beratungen zum Thema Ausbildungsfinanzierung stattfinden. «Bei Studiengängen mit einkommensstarken Berufen ist das eine Möglichkeit, allen anderen raten wir aus Sicht der Budgetberatung davon ab. Derart Schulden zu machen, ist nicht vernünftig und kann die Lebensplanung nach der Ausbildung nachhaltig einschränken.»

«Durch unseren Prozess sollen nur jene, die genügend Ausdauer und Eigenmotivation haben, um dranzubleiben.»

Claude Siegenthaler, Geschäftsführer Educa Swiss

Wer sich darauf einlässt, braucht Geduld. Alleine der Coaching-Prozess, in dem man seine Ausbildung bis und mit dem Berufseinstieg plant, mindestens einen und durchschnittlich drei Monate. Das sieht Claude Siegenthaler allerdings nicht als Nachteil an, im Gegenteil: Die Hürden sind bewusst hoch angesetzt. «Wer diese Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit seiner beruflichen Zukunft nicht mitbringt, dürfte die falsche Person sein, um die Verbindlichkeit einer Rückzahlung einzugehen.»

Entsprechend gross sei auch der Anteil jener, die nach dem ersten Gespräch auf das Coaching verzichten. Weil es ihnen zu aufwendig erscheint, weil sie nicht wissen, ob sie den Plan einhalten können oder weil sie überfordert sind. «Das ist legitim und richtig. Durch unseren Prozess sollen nur jene, die genügend Ausdauer und Eigenmotivation haben, um dranzubleiben», sagt Siegenthaler. Auch der Kanton weist darauf hin, dass es nicht um einen schnellen Privatkredit gehe, sondern um eine Abklärung aller Möglichkeiten. «Dies erfordert richtigerweise seine Zeit», sagt Spöring.

So haben sich die staatlichen Darlehen, die Studierende dem Kanton Luzern zurückzahlen müssen, entwickelt:

 

 

 

Der Coach soll zudem auch zur Vertrauensperson werden – nicht zuletzt für den Fall, dass es im Studium mal nicht läuft. «Rund jeder vierte Student in der Schweiz bricht sein Studium ab, hauptsächlich, weil er keine klare Vorstellung davon hatte oder weil die sozialen Ressourcen, also Ermutigung oder Unterstützung, fehlen – genau da können unsere Coaches helfen», sagt Siegenthaler.

Betreffend Schuldenberg macht sich Siegenthaler indes keine Illusionen. Angesichts der Abbruchquote von Studierenden gäbe es auch unter denjenigen mit privaten Darlehen solche, die ihre Ausbildung nicht beenden. «Wir haben zurzeit drei Kandidaten, für die wir eine Lösung suchen, weil der Weg nicht so verlief wie erwartet.» Möglich sei zum Beispiel, das Darlehen über einige Jahre auszusetzen. Einen Schuldschein ausstellen oder Privatkonkurs anmelden musste aber noch keiner der Studierenden von Educa Swiss.

Beim Kanton hat man keine Angst vor verschuldeten Studenten. Grundsätzlich würden Darlehen nur sehr vorsichtig bezogen, sagt Christoph Spöring. Bei Educa Swiss werde die Rückzahlung zudem von Anfang an geplant. «In diesem Rahmen sehe ich keine Gefahr. Wir sind weit weg von amerikanischen Verhältnissen.»

Hürden bewusst hoch

Doch nicht nur das Prozedere gibt Anlass zu Kritik. Mit der Ausbildung von Jugendlichen Geld verdienen – hinter diese Idee stellen viele ein Fragezeichen. Der Zins, den Studierende auf ihr Darlehen von Educa Swiss berappen, beläuft sich im Durchschnitt auf rund 2,7 Prozent – eine Zahl, die im heutigen Tiefzinsumfeld nicht viele mit ihrem Geld machen.

Claude Siegenthaler weist aber darauf hin, dass die Zahl nicht der effektiven Rendite entspricht. Denn die Stiftung verlangt eine Transaktionsgebühr, um ihre Kosten für die Darlehensvermittlung zu decken, dazu kommt ein jährlicher Mitgliederbeitrag. «Die Rendite bewegt sich letztlich zwischen 1 und 1,5 Prozent – das ist nicht ausserordentlich lukrativ.» Auf anderen Plattformen, wo der meistbietende Investor den Zuschlag erhalte, seien bis zu sieben Prozent Rendite zu ergattern. «Wir sind kein Kreditinstitut, sondern eine Beratungsstelle für die Finanzierung von Bildungsprojekten.»

«Die frühere breite Streuung der Gelder war ein zu korrigierender Schwachpunkt des alten Gesetzes.»

Christoph Spöring, Leiter Dienststellen Berufs- und Weiterbildung Kanton Luzern

Für Siegenthaler ist darum klar: «Unsere Darlehensgeber kommen nicht, weil das eine gute Finanzanlage ist, sondern weil sie mit ihrem Geld etwas Sinnvolles unterstützen wollen.» Als Beweis führt er an, dass 95 Prozent aller Projekte eine Finanzierung finden würden – und nicht nur jene von lukrativen Studiengängen. «Von Regisseuren, Fotografen, Musikstudenten über Pflegeausbildungen und Wirtschaft ist alles dabei.»

Wer fällt durch die Maschen?

Dennoch gibt man sich bei Educa Swiss keinen Illusionen hin: «Wir gehen davon aus, dass schweizweit rund 10’000 Menschen durch das Raster fallen, das die bestehende Bildungsfinanzierung bietet», sagt Claude Siegenthaler. Die Stiftung will bis ins Jahr 2020 jährlich rund 500 Personen coachen – fünf Mal mehr als im letzten Jahr. «Wir sind eine Lösung in einer Nische, aber einer relevanten Nische.»

1,25 Millionen Franken vermittelt
  • Im Durchschnitt beträgt ein Darlehen bei Educa Swiss rund 17'000 Franken und wird von zwei oder drei Darlehensgebern gemeinsam getragen.
  • Zurückgezahlt werden muss es nach rund 5 bis 6 Jahren, wenn der Student seine erste Arbeitsstelle angetreten hat.
  • Zurzeit haben laut Geschäftsführer Claude Siegenthaler rund 110 Personen ein Darlehen, die Gesamtsumme beträgt rund 1,25 Millionen Franken.
  • Personen aus Luzern machen rund 15 Prozent davon aus.
  • Der Kanton hat mit der Stiftung eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, wonach er in einzelnen Fällen 20 Prozent der über Educa Swiss vermittelten Darlehenssumme übernimmt.

Auch bei der Frauenzentrale Luzern ist man überzeugt, dass sich im System Lücken auftun – gerade auch aufgrund der 2014 durchgewunkenen Änderungen im Kanton Luzern. «Das neue Stipendiengesetz ist aus unserer Sicht einschneidend», sagt Andrea Schmid, Leiterin der Budgetberatung. «Wir haben seither erheblich mehr Beratungen und das dürfte nur die Spitze des Eisberges sein.»

Besonders betroffen vom neuen Gesetz ist laut Schmid der untere Mittelstand. «Für diese Familien ist die neue Situation einschneidend. Sie können ihre Rechnungen kaum mehr fristgereicht bezahlen.» Diese Familien müssen die Ausbildung ihrer Kinder nun vollständig selber bezahlen und leben darum nahe am Existenzminimum. «Einem Student ist das vielleicht zumutbar, aber einem ganzen Familiensystem – über Jahre hinweg? », fragt Schmid rhetorisch.

Die unschönen Folgen einer Abstimmung

Der Kanton Luzern ist hingegen zufrieden mit den Anpassungen. «Ziel des Gesetzes ist, Ausbildungsbeiträge gezielter an Personen mit besonders hohem Bedarf auszuzahlen», sagt Christoph Spöring von der Bildungsdirektion. «Die frühere breite Streuung der Gelder war ein zu korrigierender Schwachpunkt des alten Gesetzes.»

Allerdings räumt er ein, dass gerade im letzten Jahr nicht alles optimal lief. Aufgrund der abgelehnten Steuererhöhung 2017 musste der Kanton nämlich das Stipendien-Budget stark kürzen. So sank – wie bei den Prämienverbilligungen – die Grenze weiter nach unten, «so dass auch bedürftige Personen weniger oder keine Stipendien mehr erhalten haben», sagt Spöring. «Dies hat verständlicherweise zu Reaktionen geführt.» Dass Jugendliche deswegen ihre Ausbildung abbrechen mussten oder sie, beziehungsweise ihre Eltern, in die wirtschaftliche Sozialhilfe abrutschten, sei aber nicht der Fall.

Und Spöring verspricht Besserung: Die Situation werde sich 2018 wieder etwas entspannen, da während des ganzen Jahres ein leicht höheres Budget zur Verfügung steht als 2017.

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