Neue Serie, Teil 1: Zuger Kulturvereine

Colonia Italiana Zug: Hier hält der Süden Einzug

Barkeeper Sandro verbreitet gute Stimmung.

(Bild: pze)

In Zug gibt es eine Reihe unterschiedlichster Kulturvereine, in denen Sitten und Traditionen anderer Länder hochgehalten werden. In der «Colonia Italiana Zug» diskutiert man zu Pizza und Spaghetti über die Lage in der alten Heimat. Und auch die kommende Weltmeisterschaft 2018 führt zu Diskussionsstoff.

«Dolce Vita!» Wie viel öfter sollten wir nach dem italienischen Ausspruch leben? Wir wollen es uns also zu Herzen nehmen und verbringen einen Abend im «Colonia Italiana Zug». Der Kulturverein ist seit 60 Jahren der Treffpunkt für die Zuger Bevölkerung mit italienischen Wurzeln. Das Vereinslokal an der Zugerbergstrasse beherbergt ein Restaurant, das öffentlich zugänglich ist. Also nichts wie hin!

Mit dem Schritt durch die Türe betritt man eine Parallelwelt. Hinter dem Tresen grüsst der Barkeeper auf Italienisch. Dass wir auf Deutsch antworten, lässt sein Lächeln keinesfalls verschwinden. Er ruft, ziemlich laut, nach jemandem, der Schweizerdeutsch versteht – sein Deutsch sei limitiert. Sandro (so sein Name) wendet sich wieder singend seinen Gläsern zu. Die herbeigerufene Bedienung fragt, ob wir reserviert hätten. Ohne Voranmeldung braucht ein Abendessen in der Colonia Italiana eine grössere Portion Glück.

Stammgast seit dreissig Jahren

«Es ist alles grossartig hier, bestes italienisches Essen», sagt Jan. Er kommt seit den 90er-Jahren regelmässig in die Colonia. Er habe keinen besonderen Bezug zum südlichen Nachbarn der Schweiz, ausser als Feriendestination. Obwohl er seit fast dreissig Jahren hier einkehrt, ist er erst seit diesem Jahr Mitglied im Verein. «Anfang des Jahres lud man mich ein, dem Verein beizutreten», sagt er. Dieser Bitte sei er gerne nachgekommen.

Die Karte mit den Spezialitäten lässt sich sehen.

Die Karte mit den Spezialitäten lässt sich sehen.

(Bild: pze)

Die Kellnerin bringt die Karte. Diese kann sich sehen lassen: traditionell italienisch zu angenehmen Preisen. Gerüchte sagen, hier gebe es die beste Pizza der Stadt, entsprechend die Wahl, logisch: Pizza Strana mit italienischer Gewürzwurst, zu finden unter der Rubrik «Specialità». 

Was für eine Pizza!

Die Gäste in der Colonia sind durchmischt. Aus der Ecke klingt amerikanisches Englisch, am Nebentisch wird über italienische Cartoons gelacht, am grossen Tisch in der Mitte hört man Schweizerdeutsch. Ein typisches Zuger Restaurant, könnte man denken.

Die beste Pizza der Stadt Zug?

Die beste Pizza der Stadt Zug?

(Bild: pze)

Die Pizza kommt und ihr Anblick ist überwältigend. Das Teigrund ragt über den Tellerrand hinaus, die Form natürlich, nicht klinisch rund, und der Boden ist grosszügig mit Käse und Zutaten belegt, gleichzeitig nicht überfüllt. Man munkelt also nicht grundlos über die Pizzas des Kulturvereins. Zusammen mit einem Glas Wein werden die Gespräche automatisch leiser, man wendet seine ganze Aufmerksamkeit dem italienischen Nationalgericht zu.

Espresso und Limoncello 

Zu schnell ist aufgegessen. Der Raum lichtet sich nach und nach, zufriedene und gut genährte Gäste ziehen sich langsam ihre Jacken an. Auch wir machen uns auf – aber noch nicht nach Hause. Mit vollem Bauch wechseln wir an die Bar.

Limoncello und Espresso gehören zum Essen.

Limoncello und Espresso gehören zum Essen.

(Bild: pze)

Kaum am Tresen angekommen, stehen dort unaufgefordert Espresso und Limoncello bereit. «Das hier ist Italien», sagt Sandro mit breitem Grinsen, «das gehört zu jedem Essen.» Dagegen will man sich nicht wirklich wehren. Der Barkeeper wendet sich bereits mit lautem Gruss den nächsten Gästen zu. Der Eindruck des typischen Restaurants hat getäuscht – je länger der Abend, desto familiärer wird die Atmosphäre im Raum.

Der Präsident ist vor Ort

Am Stammtisch sitzen der Vereinspräsident Stefano Romeo und Vorstandsmitglied Carmine Verta. Ersterer wuchs in Zug auf, Letzterer wanderte dereinst selber in die Schweiz ein. Das war vor rund vier Jahrzehnten.

Vereinspräsident Stefano Romeo (links) und Vorstandsmitglied Carmine Ventra.

Vereinspräsident Stefano Romeo (links) und Vorstandsmitglied Carmine Ventra.

(Bild: pze)

Stefano Romeo sagt, er sei abends so oft in der Colonia Italiana, wie das neben der Arbeit eben möglich sei. Pro Tag investiere er rund zwei bis drei Stunden Arbeit für den Verein – ehrenamtlich. «Es gibt immer irgendetwas zu tun», sagt er. Verta hingegen ist jeden Abend im Lokal. Oder besser: Er isst jeden Abend im Lokal. Seine Frau ist Teil der Küchen-Crew. Auch nach rund vierzig Jahren ist ihm das italienische Essen scheinbar nicht verleidet worden.

Die Aufgaben des Vereins verändern sich

Die Colonia Italiana sei ein Ort, wo sich die italienische Gemeinschaft Zugs treffe, um zu diskutieren, zu politisieren, sich auszutauschen und die Traditionen hochzuhalten. Dabei sei der Verein politisch neutral, so Romeo.

Italien: Exodus des Know-hows

Laut dem «Tagesspiegel» ist die Zahl der Auswanderer in Italien aktuell so hoch wie in den 60er- und 70er-Jahren. Laut dem italienischen Aussenministerium stieg die Zahl der Auslanditaliener zwischen 2006 und 2016 von etwas mehr als drei Millionen auf fast fünf Millionen an. Und das seien nur die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer sei wohl noch viel höher, so die Zeitung. Die Folgen sind enorm: Zwischen 2008 und 2015 wanderten laut einer Studie rund 23 Milliarden Euro an Ausbildungskosten von Italien ins Ausland aus.

Die Unternehmen der Zentralschweiz hätten das Potenzial der jungen Italiener inzwischen erkannt, sagt Stefano Romeo. «Die Italiener lösen auch in Zug langsam die Deutschen als günstige Fachkräfte ab», so der Vereinspräsident.

Doch das Colonia-Klientel habe sich gewandelt, sagt er. «Am Anfang fanden sich hier ausschliesslich die Italiener zusammen, um Erfahrungen auszutauschen.» Heute mit dem Restaurant trifft man hier auf ein sehr diverses Publikum.

Die Aufgaben des Vereins hätten sich verändert: «Wir wollen den Nachkommen italienischer Einwanderer, die in dritter oder vierter Generation in der Schweiz leben, zeigen, wo sie herkommen. Sie sollen die italienische Kultur nicht vergessen», sagt Präsident Romeo. 

Weiter hätten sie viele Anfragen von Italienern, die gerne in die Schweiz immigrieren möchten. «Wir zeigen ihnen den korrekten Weg und verweisen sie an die Stellen, bei denen sie sich melden müssen», so Romeo.

Zurück nach Italien?

Carmine Verta hört den Ausführungen seines Präsidenten ruhig zu. Er sagt zu Anfang nicht viel, erst mit fortlaufendem Gespräch äussert er sich ab und zu. Das Land sei in einer sehr schweren Lage, meint er. «Wenn man nach Italien fährt, ist es zuweilen, als ob man zwei Jahrzehnte in der Zeit zurückreist», so Verta. In der Post warte man zwei Stunden – nur um schlussendlich nicht bedient zu werden. «Ist man sich die Verhältnisse in der Schweiz gewohnt, empfindet man das schon als mühsam», sagt er.

Ob er eines Tages nach Italien zurückkehren will? Viele, die ins Ausland ziehen, um zu arbeiten, hegten diesen Traum, sagt Verta. Und bauten in Italien, um die Pension dort zu verbringen. «In Italien lebst du mit der Schweizer Pension wie ein König», sagt er schmunzelnd. Dennoch: Er wolle nicht zurückkehren – nicht ganz jedenfalls: «Vielleicht werde ich vier, fünf Monate im Jahr dort leben und den Rest der Zeit in Zug verbringen.»

«Ich bin überall ein Ausländer.»

Carmine Verta, Vorstandsmitglied

Dabei war Vertas Integration in der Zentralschweiz nicht gerade einfach. «Früher gab es Lokale, da wurde einem gesagt: Ihr Italiener dürft nicht rein.» Auch nach vier Jahrzehnten trägt Vertas Deutsch einen starken Akzent. Er gestikuliert viel, ab und zu fragt er bei Romeo auf Italienisch nach.

Doch auch in Italien fühlt sich Verta nicht mehr richtig zu Hause. Er sagt lakonisch: «Ich bin überall ein Ausländer.» Er fasst damit das Schicksal vieler Immigranten zusammen, die seit Jahren in der Schweiz leben.

WM ohne Italien – ein «Einschnitt»

Es ist 22 Uhr, das Lokal hat sich inzwischen fast geleert. Das sei nicht immer so: Vor allem während den Fussballspielen, die auf dem grossen Fernseher gezeigt werden, blieben die Leute länger im Lokal der Colonia. Der Fussball – in Italien eine Religion. Auch deshalb hängt gleich neben dem Bildschirm das grosse Plakat der Weltmeistermannschaft von 2006 mit dem grossen Schriftzug: «Campione del mondo». Auf der anderen Seite prangt ein obszöner Cartoon über den berühmten Kopfstoss Zinedine Zidanes gegen Marco Matterazzi, der jenen Final vor zwölf Jahren prägte. Carmine Verta muss heute noch schmunzeln, wenn er darauf hingewiesen wird.

An der nächsten WM werde es hingegen nicht einfach, sagt Vereinspräsident Romeo, jetzt, wo Italien nicht dabei ist. Es sei ein «Einschnitt» gewesen, als die «Azzurri» die Qualifikation verpassten – zum ersten Mal seit 1958 und damit erst zum zweiten Mal, seit es die Colonia Italiana gibt.

Zidanes Kopfstoss wird im Centro Italiano natürlich belächelt.

Zidanes Kopfstoss wird im Centro Italiano natürlich belächelt.

(Bild: pze)

«Zuerst dachten wir, natürlich sind wir jetzt für die Schweizer Nationalmannschaft», so Romeo. Doch natürlich fänden auch die Brasilianer um Neymar – die noch dazu in der Schweizer Gruppe sind – ihre Anhänger. Oder Spanien, Portugal oder Argentinien, die den Italienern ebenfalls nahestehen. Deshalb habe man sich entschieden, eine Art «Wahlfreigabe» zu erteilen. Die Colonia Italiana Zug geniesst die WM in diesem Jahr neutral. Aber eines ist klar: Auch ohne die Italiener am Turnier, diskutiert wird über die Spiele bis spät in die Nacht.

So endet der Abend im Vereinshaus der Colonia Italiana. Beim Verlassen rufen die verbliebenen Gäste ein lautes «Ciao» und Sandro winkt schelmisch hinter der Bar hervor. Man kann sich nicht so recht dagegen wehren, man fühlt sich an diesem Abend bereits ein kleines Stück als Italiener.

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