Drei Jahre Asylunterkunft Menzingen – was bleibt

«Wir hatten keine Duschen oder Handys. Die Gubel-Bewohner haben das alles»

Nicht alle Gemeinden richten sich nach dem Verteilschlüssel bezüglich der zur Verfügung gestellten Asylplätze. (Bild: Fabian Duss)

Nach drei Jahren wird die Asylunterkunft Gubel Ende April geschlossen. Für die Gemeinde Menzingen endet damit eine Zeit, die einiges im Dorf bewegt hat. Jahre, vor denen man sich gefürchtet hatte. Jahre aber auch, die für weit weniger Zwischenfälle sorgten als angenommen. Nachbarn, Seelsorger und Bund ziehen Bilanz.

Vor bald drei Jahren eröffnete auf dem Gubel ein Bundesasylzentrum. So wurde das überschaubare Hügeldorf Menzingen plötzlich zum temporären Zuhause für Menschen aus allen Teilen der Welt. Ende April ziehen die Letzten von ihnen weiter. Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration (SEM) zieht Bilanz: «Das Fazit fällt sehr positiv aus, nicht zuletzt dank der guten Zusammenarbeit mit dem Kanton Zug, der Gemeinde und der Bevölkerung von Menzingen. Dass über die drei Jahre hinweg auch ein paar Probleme zu überwinden waren, ist klar.» Zusammen mit der Kontaktgruppe hätten aber immer pragmatische Lösungen gefunden werden können.

Das Problem mit dem Feueralarm

Er spricht unter anderem die anfänglich ständigen Feueralarme an, die im Asylzentrum ausgelöst wurden. Einige wenige Asylsuchende hätten es offenbar recht lustig gefunden, dass bei jedem Alarm die freiwillige Feuerwehr Menzingen ausrücken musste. Der Ärger der Menzinger Feuerwehrleute über diesen Unfug war verständlich. «Glücklicherweise wurde dafür relativ schnell eine Lösung gefunden», sagt Reichlin. «Die Alarme mussten fortan vom Sicherheitsdienst nochmals bestätigt werden, bevor es bei der Feuerwehr im Dorf wirklich ‹geschellt› hat. Das hat den Spuk beendet.»

Bei anderen Zwischenfällen sei nicht immer klar gewesen, dass Asylsuchende vom Gubel beteiligt waren. Ein Diebstahl konnte einem Bewohner des Gubels zu Last gelegt werden. Die Täterschaft eines Vandalenakts in einer Wegkapelle blieb dagegen ungeklärt. Dass es insgesamt gut verlaufen sei, sei auch den engagierten Freiwilligen der IG Gubel und den gemeinnützigen Beschäftigungsprogrammen im ganzen Kanton Zug zu verdanken, so Reichlin.

Werden die Asylbewohner verwöhnt?

Bei weitem nicht alle Einwohner von Menzingen waren einverstanden mit dem Asylzentrum. Insbesondere einige direkte Nachbarn des Asylzentrums verspürten Angst und wehrten sich im Voraus aktiv. Eine direkte Nachbarin der Asylunterkunft blickt mit gemischten Gefühlen zurück auf die Zeit. «Mich stören die Asylsuchenden überhaupt nicht. Was mich einfach aufregt, ist, dass sie nicht aus dem Weg gehen, wenn man mit dem Auto ins Dorf fährt. Manche denken sogar, sie könnten mitfahren», so die Menzingerin.

«Alle haben ein Handy. Und das zahlen schlussendlich wir Steuerzahler.»

Eine Anwohnerin

Und weiter: «Ausserdem glaube ich, dass die Asylbewerber, die auf dem Gubel wohnen, verwöhnt werden. Alle haben ein Handy. Und das zahlen schliesslich wir Steuerzahler.» Ausserdem hält sie die Infrastruktur im Asylzentrum für übertrieben. «Ich bin in einer Familie mit zehn Geschwistern aufgewachsen und wir hatten keine Duschen. Die Einwohner des Zentrums haben das alles.» Das störe sie etwas. Dennoch beteuert die Frau, dass ansonsten auf ihrem Hof nie etwas Unschönes vorgefallen sei, was im Zusammenhang mit dem Asylzentrum stehe.

Der Männertrakt im Asylzentrum Gubel.

Der Männertrakt im Asylzentrum Gubel.

(Bild: zvg)

 

500 Mal auf dem Gubel in drei Jahren

«Von Verwöhnen kann keine Rede sein», gibt Ferdinand Amsler zu bedenken. Der ehemalige Jugendarbeiter hat die Asylsuchenden auf dem Gubel während der letzten drei Jahre als Seelsorger begleitet. Er sagt: «Was die Bewohner an Kleidern und Hygieneartikeln erhalten, ist rudimentär. Alles, was sie sonst bei sich haben, so auch Mobiltelefone, müssen sie selber berappen», erklärt er.

Er wird es wissen. 500 Mal sei er in den letzten Jahren im Zentrum gewesen, jeweils über mehrere Stunden. Insgesamt hatte das Seelsorgerteam ein 85-Prozent-Pensum inne. Weiter gebe es ein Team von katholischen Seelsorgerinnen, die religiöse Seelsorge für Frauen und Mädchen anbieten.

Struktur schaffen als Hauptziel

Amsler erzählt über seinen Einsatz im Bundesasylzentrum: Die Menschen, mit denen er zu tun gehabt habe, hätten alle eine Flucht hinter sich. Seien etwa übers Mittelmeer nach Lampedusa gekommen, von da an nach Chiasso, von wo aus sie an verschiedene Standorte, auch auf den Gubel, verteilt wurden. «Da ging es erst einmal darum, dass diese Leute wieder einigermassen zu einer Struktur kommen. Dass sie in Ruhe schlafen, regelmässig essen und vielleicht sogar etwas arbeiten konnten. Und auch unsere Anwesenheit konnte ein Stück weit Struktur bringen», sagt der ehemalige Jugendarbeiter.

«Die Situation ist vergleichbar mit jener eines Langzeitarbeitslosen, der schon hundert Bewerbungen geschrieben hat und als unvermittelbar gilt.»

Ferdinand Amsler, Seelsorger im Bundesasylzentrum Gubel

So habe man etwa für eine rudimentäre Freizeitbeschäftigung gesorgt, mit einer Kaffeestunde am Morgen und mit einer Anlaufstelle, wo Kinder auch spielen konnten. «Die Situation ist vergleichbar mit jener eines Langzeitarbeitslosen, der schon hundert Bewerbungen geschrieben hat und als unvermittelbar gilt. Man wird antriebslos, beginnt, ganze Tage im Bett zu verbringen», gibt der Mann zu bedenken. Keiner der Bewohner weiss, wo er als nächstes hinkommen, geschweige denn, wann er abreisen wird.

2'377 Personen gingen ein und aus

Auf dem Menzinger Hausberg wohnten insbesondere sogenannte Dublin-Fälle. Personen also, die auf ihren Asylentscheid oder auf ihre Weiterreise warteten. Total sind 2’377 Asylsuchende im Bundeszentrum ein- und wieder ausgezogen – vom Baby, das auf dem Gubel zur Welt kam, bis zum knapp 85-jährigen Mann. Die meisten waren allerdings erst Anfang bis Mitte 20. Den grössten Anteil machten Asylbewerber aus Afghanistan, Eritrea und dem Irak aus, mehr als drei Viertel waren Männer.

Oft waren die Abschiede abrupt

«Als Seelsorger kam ich sehr schnell in Kontakt mit den Menschen, nach zwei Wochen kannte man bereits die Namen und es entstanden vertraute Begegnungen, die in einem weniger intensiven Kontext wohl viel weniger entstanden wären. Wenn ich dann nach dreitägiger Abwesenheit wieder auf den Gubel kam, kam es vor, dass einige schon weg waren. Oder dass man sich, kaum kam man an, ganz abrupt an den Toren verabschieden musste, sich dort ein letztes Mal umarmte, bevor die Leute weiterzogen. Und dann kamen gleich wieder Neue.»

Nicht immer sei es einfach gewesen, mit den Asylbewerbern zu kommunizieren. «Einer von uns sprach gut Englisch, ein anderer Französisch und ich kann Portugiesisch. Ausserdem hatten die Asylbewerber ja häufig eine ganze Odyssee hinter sich und hatten bereits Sprachbrocken anderer Sprachen aufgeschnappt, etwa in Dänemark oder Deutschland», so Amsler. Auch gäbe es bei den Betreuern Leute mit Migrationshintergrund, die bei der Kommunikation helfen konnten. «Doch die Situation war nicht ideal.»

Die Menzinger und Ägerer erschienen in Scharen, um sich die Asylunterkunft in der Bloodhound-Stellung der Schweizer Armee aus der Nähe anzuschauen.

Die Menzinger und Ägerer erschienen in Scharen, um sich die Asylunterkunft in der Bloodhound-Stellung der Schweizer Armee aus der Nähe anzuschauen.

(Bild: Fabian Duss)

Die meisten der Asylbewerber vom Gubel werden zurückgeschickt in ihre Herkunftsländer. «Das gibt einem schon zu denken: Wenn man etwa junge Leute sieht, die bedürftig sind und fast keine Zähne mehr haben. Da fragt man sich schon, was mit denen passiert», sagt Amsler nachdenklich.

Probleme mit Littering und Alkohol

Auch die Menzinger Gemeinderätin Barbara Beck-Iselin blickt zurück auf die letzten drei Jahre. Sie erklärt: «Die Verwaltung hatte während dieser Zeit kaum Kontakt mit dem Bundesasylzentrum und nahm auch kaum Probleme wahr», erklärt sie. Einzig der Abfall, den Asylbewerber auf die Strasse warfen, sei anfangs ein Problem gewesen. «Wir konnten das jedoch gut lösen, indem der Werkhof neue Papierkörbe montierte. Ausserdem gab es dreimal in der Woche Arbeitseinsätze, bei denen die Asylsuchenden Abfall im ganzen Gemeindegebiet aufsammelten. Das hat der Gemeinde sehr genützt», so Beck-Iselin.

Weiter habe es auf Gemeindegebiet einige Zwischenfälle gegeben, meist wegen alkoholisierten Menschen. «Das waren aber viel weniger Probleme, als anfänglich angenommen. Die Arbeit der Mitarbeitenden auf dem Gubel, sprich, das Konzept mit Betreuung, Security und Freiwilligen war sehr erfolgreich», sagt die Gemeinderätin weiter. Unter anderem hätten die Dorfführungen, welche von Freiwilligen durchgeführt worden waren, die Situation zusätzlich entschärft.

Sie schätzt, dass das Bundesasylzentrum Gubel auch der Wirtschaft viel gebracht haben dürfte während der letzten drei Jahre. «Da haben einige Leute vom SEM, von der Securitas und der Asylorganisation Zürich (AOZ), die vor Ort im Einsatz waren, gute Arbeit geleistet. Ausserdem wurde die Küche des Asylzentrums vom Hotel Ochsen in Menzingen betrieben.»

Rentabel aber herausfordernd

Tatsächlich stellte der Restaurantbesitzer Peter Hegglin ein ganzes Küchenteam, das im Asylzentrum kochte (zentralplus berichtete). Er blickt zurück: «Für uns war klar, dass sich eine Produktionsküche vor Ort bei rund 100 Mittag- und Abendessen pro Tag rechnen lässt. Nachdem sich die Belegung in der zweiten Hälfte 2015 vorübergehend bis auf 150 Asylsuchende erhöht hat, war es sicher rentabel aber auch eine grosse Belastung für den ganzen Betrieb.» Ab Mitte der dreijährigen Vertragsdauer habe die Belegung jedoch wieder kontinuierlich abgenommen. Entsprechend sei der Betrieb auf dem Gubel zu einer Herausforderung geworden, weil zwischenzeitlich niemand gewusst habe, in welche Richtung die Belegungs-Tendenzen gehen würden. «Vor einem Jahr haben wir uns richtigerweise entschieden, bereits eine Stelle abzubauen. Über alles gesehen können wir eine positive Bilanz ziehen», so Hegglin.

Ende April wird es hier wieder stiller. Dann nämlich ziehen die letzten Asylbewerber von der Bundesunterkunft Gubel weg.

Ende April wird es hier wieder stiller. Dann nämlich ziehen die letzten Asylbewerber von der Bundesunterkunft Gubel weg.

(Bild: wia)

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