Besuch einer Zuger Ausstellung mit Virginia Köpfli

#MeToo: Wie gefährdet sind diese erotischen Darstellungen?

Ein Akt von Egon Schiele im Zuger Kunsthaus.

(Bild: woz)

Die gute Nachricht vorweg – die erotischen Zeichnungen von Klimt und Schiele, die zur Zeit im Zuger Kunsthaus gezeigt werden, müssen nicht abgehängt werden. So lautet das Urteil der 23-jährigen Feministin und Juso-Politikerin Virginia Köpfli aus Hünenberg. Wir haben sie auf einem Rundgang begleitet. Doch sie hat Forderungen.

Tatort erstes Untergeschoss. Die junge Hünenbergerin Virginia Köpfli taucht in die Bilderwelt Klimts ein, die im Zuger Kunsthaus bei der Schau «Wien zu Europa» gezeigt wird. Sie betrachtet die zahlreichen erotischen Zeichnungen von Frauenakten, die mit dünnem Strich auf vergilbtem Papier zu sehen sind. Frauen, die sich auf dem Boden in verschiedenen sinnlichen Posen räkeln. Frauen, die fast in Trance scheinen und ihren nackten Körper zur Schau stellen.

«Schwach und passiv»

Es ist erstaunlich, wie schnell die junge Frau psychologisch die Mimik und die Posen der von Klimt Gezeichneten erfasst. «Die Frauen machen einen schwachen und passiven Eindruck», sagt sie nüchtern. Ihre Begründung: Viele Frauen auf Klimts Bildern schauen weg. Haben die Augen geschlossen. Sie wirkt dabei ganz reflektiert. Völlig in sich ruhend.

Eine von Klimts erotischen Zeichnungen, die derzeit im Zuger Kunsthaus zu sehen sind.

Eine von Klimts erotischen Zeichnungen, die derzeit im Zuger Kunsthaus zu sehen sind.

(Bild: zvg)

An zwei Bildern der Klimt-Serie bleibt sie hängen. «Das ist eine selbstbewusste Frau», sagt sie plötzlich und zeigt auf eine Dame der Wiener Gesellschaft mlt Hut und Frontalblick auf den Betrachter – ihr restlicher Torso ist abstrahiert.

Das andere Bild, das ihr gefällt – «Liegender Halbakt» (1912/1913) – wirkt schon fast pornographisch: Ein Aktmodell befriedigt sich vaginal. «Sie blickt den Betrachter ebenfalls direkt an. Man weiss zwar nicht, ob es hier mehr um die weibliche oder um die männliche Lust geht – aber es ist ein starkes Bild.»

«Ich habe nichts gegen die Rolle der Mutter, aber oftmals werden die Frauen darauf reduziert.»

Virginia Köpfli, Zuger Feministin

Lust, Sinnlichkeit, Erotik, Existenzialität, Verletzlichkeit. Das sind Sujets in den Aktzeichnungen von Klimt und Schiele. «Ich finde es generell nicht schlecht, wenn Sexualität auf Bildern dargestellt wird – aber bei diesen Bildern hat man das Gefühl, dass es primär um die männliche Lust geht», bedauert Virginia Köpfli, die in Bern Geschichte und Islamwissenschaften studiert.

Ein Bild einer nackten Mutter, die sich mit ihren säugenden Brüsten über ihr Baby beugt, gefällt ihr gar nicht. «Ich habe nichts gegen die Rolle der Mutter, aber oftmals werden die Frauen darauf reduziert.»

Virginia Köpfli hat schon als Kind mit ihren Eltern oft das Zuger Kunsthaus besucht.

Virginia Köpfli hat schon als Kind mit ihren Eltern oft das Zuger Kunsthaus besucht.

(Bild: woz)

«Man muss diese Bilder natürlich nicht abhängen», sagt die 23-Jährige souverän nach dem Rundgang durch Klimts Akt-Welten. Sie ist keine Bilderstümerin à la Femen-Aktionismus – obwohl sie auch schon ihren Büstenhalter als Bekenntnis zur Befreiung der Frau bei einer Feministen-Aktion verbrannt hat. Aber sie findet, man hätte schon noch andere Frauen zeigen können. Nicht nur schwache.

Organisierte «Women’s March» mit

«Es hat in jedem Jahrhundert auch starke Frauen gegeben. Und Frauen, die anders waren, die andere Rollen hatten – und die könnte man als Kontrast dazu hängen.» Dabei ist sie sich bewusst, dass es eben eine Ausstellung über Klimt & Co. zu Zeiten vor und nach dem Ersten Weltkrieg ist. Über Wiens Rolle in der europäischen Kunst. «Dann hätte man zumindest, wie in New York, erklärende Kommentare zu den gezeigten Frauenbildern hinhängen können.» 

«Auch die Welt der bildenden Kunst ist noch immer von männlichen Herrschaftsstrukturen durchzogen.»

Virginia Köpfli

Köpfli, die auch den «Women’s March» vor zwei Jahren in Zürich mitorganisierte, fordert auch, dass das Zuger Kunsthaus mal eine Ausstellung von aktuellen jungen Zuger Künstlerinnen organisieren könnte, um der Öffentlichkeit den weiblichen Blick als Alternative zu zeigen. Um Frauen als Künstlerinnen mehr zu fördern. «Auch die Welt der bildenden Kunst ist noch immer von männlichen Herrschaftsstrukturen durchzogen. Dabei ändert sich die Gesellschaft laufend, und damit auch die Sichtweise auf die Kunst und ihre Werke.»

Zurück zur Ausstellung. Schiele. Erst bei zweiter Betrachtung fällt Köpfli auf, dass der bereits mit 28 Jahren an der Spanischen Grippe gestorbene Künstler seine Akte etwas anders porträtiert. Viele von ihnen wirken geschunden, ausgezehrt – nackt und bloss im eigentlichen Sinn des Wortes. «Diese Frauen machen einen stärkeren Eindruck auf mich», sagt Köpfli.

Die Zuger Feministin Virginia Köpfli schaut sich Klimts und Schieles erotische Zeichnungen im Zuger Kunsthaus an.

Die Zuger Feministin Virginia Köpfli schaut sich Klimts und Schieles erotische Zeichnungen im Zuger Kunsthaus an.

(Bild: woz)

«Sie sehen selbstbewusster aus, wirken nuancierter und weichen teilweise von Normen ab.» Und doch, findet die Feministin, die einst die Juso in Zug gründete, deren Präsidentin war und diesen Herbst für den Zuger Kantonsrat kandidieren möchte: «Letztlich ist Schiele aber auch nur eine Variante des männlichen Blickwinkels auf die Frau.» So manche Schiele-Zeichnung erinnert sie an orientalische Darstellungen von Frauen – Prostituierten –, die «passiv in den Palästen herumhängen.»

Andererseits findet sie, dass es schon etwas gebracht hätte, wenn man Schieles und Klimts erotische Zeichnungen wenigstens in einem Raum nebeneinander aufgehängt hätte – «das hätte zumindest für einen gewissen Kontrast gesorgt.»

Diskussion über Frauenbilder in der Kunst wäre nötig

Entscheidend ist für Virginia Köpfli jedoch, dass man auch über Kunst und Bilder im Zusammenhang mit Feminismus diskutiert. Das könnte man ihrer Meinung auch ruhig im Zuger Kunsthaus tun – über den männlichen Blick und die ihrer Meinung nach unterwürfigen Frauenbilder von Klimt und Schiele.

Denn die Kunst, wie sie war, sei nicht gesetzt für den sich wandelnden gesellschaftlichen Blick. «Dabei sollte gerade die Kunst eine fortschrittliche Rolle in unserer Gesellschaft einnehmen.»

Verbannte Nymphen: #MeToo und die Freiheit der Kunst

Die #MeToo-Bewegung ist voll im Gang. Nach den Skandalen um Hollywood-Filmproduzenten und -schauspielern hat die öffentliche Kampagne von Frauen gegen sexuelle Misshandlungen und Übergriffe durch Männer längst auch die Welt der bildenden Kunst erfasst.

Bild abgehängt, um zu diskutieren

In Manchester hängte bekanntlich vor einigen Wochen die Kuratorin eines Museums das viktorianische Riesengemälde von John William Waterhouse «Hylas und die Nymphen» (1896) eine Woche lang ab, um die gesellschaftliche Debatte über Sichtweisen auf Frauen in der Kunst zu thematisieren.

«Hylas und die Nymphen» von John William Waterhouse – wurde in Manchester kurzfristig abgehängt.

«Hylas und die Nymphen» von John William Waterhouse – wurde in Manchester kurzfristig abgehängt.

(Bild: zvg)

Auf dem Ölbild ist zu sehen, wie junge, nackte Frauen Hylas, einen der Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies und Waffenträger des Herakles, verführen und zu sich herunter in den Sumpf ziehen – eine sehr anschauliche und ästhetische Darstellung eines antiken Mythos.

«Thérèse dreaming», 1938, von Balthus.

«Thérèse dreaming», 1938, von Balthus.

(Bild: zvg)

Im New Yorker Metropolitan Museum of Art wurde jüngst heftigst über ein Ölgemälde von Balthus (kurz für: Balthasar Klossowski) gestritten, der ein kleines Mädchen so porträtierte, dass seine Unterwäsche zu sehen ist – «Thérèse Dreaming» aus dem Jahr 1938. Ein irritierendes Bild über ein Tabu und gleichzeitig ein weltbekanntes Kunstwerk. In einer Online-Petition wurde argumentiert, das Bild mache Kinder zum Sexobjekt.

Klimt und Feminismus: ein Thema?

In Zug gibt es bisher nichts annähernd Skandalöses zu beklagen. Und doch hängen derzeit im Zuger Kunsthaus im Rahmen der Ausstellung «Wien zu Europa» zahlreiche erotische Zeichnungen von Gustav Klimt und Egon Schiele, die nicht unbedingt auf Gegenliebe von Feministinnnen stossen.

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