Eine «Milchbar» für die Luzerner Jugend

«Anderssexuelle» und Gleichgesinnte stranden im Treibhaus

Zieht gerne das Glitzer-Pailetten-Kleid über und steigt in High Heels: die Dragqueen «Mona Gamie».

(Bild: ida)

Die «Milchbar» eröffnete diesen Mittwoch im Treibhaus als Treffpunkt für homo- und bisexuelle Jugendliche, Transgender und «für alle dazwischen und ausserhalb». In der «Milchbar» kann jeder sein, wie er will.

«Es ist ein Ort, der frei von jeder Diskriminierung ist. Ein Ort, an dem Jugendliche keine Angst haben müssen, zu zeigen, wer sie wirklich sind», sagt Claudio Näf, der die «Milchbar» in Luzern mit aufbaute.

Am Mittwochabend eröffnete die Milchbar im Treibhaus in Luzern. Rund 70 Jugendliche fanden zusammen, um sich auszutauschen. Viele gehören selbst der Organisation «Milchjugend» an. Die Jugendlichen untereinander sind sich vertraut, schliessen sich in die Arme. Es wird herzhaft gelacht und angeregte Gespräche entstehen. Alle zwei Wochen sollen im Treibhaus nun «Anderssexuelle», wie sie sich selbst nennen, also lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Jugendliche und «alle dazwischen» aufeinander treffen (zentralplus berichtete).

«Queere erleben nach wie vor Arten von Entfremdung und Ablehnung», fährt der 24-jährige Näf fort. Es seien besonders die kleinen Dinge im Alltag, die sich anstauen würden. Mit der Milchbar möchte man einen sicheren Raum für alle «anderssexuellen» Jugendlichen schaffen und den Zusammenhalt fördern. «Wir wollen die Gemeinschaft der ‹Anderssexuellen› zelebrieren», so Näf.

Bei einer Stange Bier über Sexualität und Geschlecht diskutieren

In erster Linie sei die Milchbar als Treffpunkt wie jede andere Bar gedacht. In Luzern gäbe es aber momentan speziell für Jugendliche keinen Ort, um «einfach sein zu können». Denn im «Uferlos» ging 2014 der Treffpunkt für die homosexuelle Szene verloren. Im Neubad findet jeden Dienstag ein Treffpunkt für alle Queers statt (zentralplus berichtete), jedoch seien da eher Ältere vertreten, so Näf.

«Die Milchbar richtet sich primär an Jugendliche, die sich in einer heteronormativen Gesellschaft nicht zurechtfinden.»

Claudio Näf, Mitgründer der Milchbar Luzern

Jeder solle für sich selbst entscheiden, ob er in die Milchbar passe. Es gebe auf jeden Fall keinen Türsteher, der die Besucher auf ihre Sexualität überprüfe. «Die Milchbar richtet sich primär an Jugendliche, die sich in einer heteronormativen Gesellschaft nicht zurechtfinden», so Näf.

Die Dauerschleife des Coming-Outs

Laut Näf hat sich in den letzten Jahren die Sichtbarkeit «Anderssexueller» vergrössert. Es sei in der Öffentlichkeit angekommen, dass es Akzeptanz brauche. Dennoch gäbe es besonders in der Aufklärung an Schulen Nachholbedarf, so Näf.

«In bestimmten Situationen wird man als ‹Anderssexueller› wie dazu gezwungen, sich laufend definieren und outen zu müssen.»

Claudio Näf

«Noch immer müssen wir uns als anderssexuelle Menschen dauernd erklären und outen», sagt Näf. Es sei eine Endlosschleife. Die eigene Sexualität sei persönlich und jeder solle selber darüber entscheiden, was er anderen darüber erzählen möchte – ohne dabei Druck von aussen zu spüren.

Als Homosexueller sei man froh, seine Sexualität nicht allen preisgeben zu müssen, so Näf. Auch der 24-jährige Dario aus Schwyz stimmt Näf zu, dass ein permanentes Coming-Out stattfinden würde. Ihm gehe es darum, neue Leute in der Milchbar kennenzulernen. Auch er kennt den inneren Kampf mit sich selbst. Die aufkommenden Fragen, die man sich stelle, wenn man merke, dass man «anders» sei.

Als «Queer» raus in die Realität

Auch andere «Queers» sprechen die aufbrausenden Gefühle vor einem Coming-Out an. Die 27-jährige Florina Diemer aus Luzern kennt das Gefühl des Alleinseins, wenn man sich als Homosexuelle oute.

«Die Vielfalt ‹anderssexueller› Jugendlicher ist etwas Schönes – und keine Bedrohung.»

Anna Rosenwasser, Besucherin

Der 27-jährigen Anna Rosenwasser aus Zürich ist es wichtig, die Vielfalt der «Anderssexuellen» aufzeigen zu können – und diese nicht als Bedrohung anzusehen. «Gerade in Zeiten von digitalen Medien ist es wichtig, in der realen Welt Treffpunkte zu schaffen.» Denn: «Die Vielfalt ‹anderssexueller› Jugendlicher ist etwas Schönes – und keine Bedrohung.»

Highlight der Eröffnung war die Show der Dragqueen «Mona Gamie» aus Zürich. Was sie so sehr in ihrer Rolle als Dragqueen schätze? «Ich bin gern mal jemand Anderes. Ich mag dieses Verwirrspiel mit den Geschlechterrollen», schwärmt sie. «Mal so sein, wie man nicht darf. In Stöckelschuhe und mein Glitzer-Kleid schlüpfen.» Ihr sei es wichtig, Jugendlichen eine Message überbringen zu können. Und: Die Message sei sie selbst.

Hohe Selbstmordrate bei Homosexuellen

Die Eröffnung der Milchbar ist nach den Gründern «dringend notwendig». Gerade nach einem Coming-Out sei es wichtig, einen Austausch mit Gleichgesinnten pflegen zu können. Daraus sollen einerseits neue Freundschaften entstehen, auch soll man von den Erfahrungen anderer profitieren können, so Näf. [box]

Näf meint, dass es zum einen Akzeptanz von aussen brauche, aber auch eine Bestimmtheit von innen. Mut-Schöpfen und das Fördern des eigenen Selbstbewusstseins soll mit der Milchbar als Treffpunkt unterstützt werden.

Nach wie vor ist die Anzahl verübter Suizidversuche bei homosexuellen Menschen fünf Mal höher als bei heterosexuellen. Die Hälfte all dieser Suizide wird vor dem 20. Lebensjahr verübt, öfters im Zusammenhang mit dem Coming-Out, wie eine veröffentlichte Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2013 zeigte.

Das Sich-Wohlfühlen unter Gleichgesinnten und «Anderen»

Doch auch Jugendliche, die sich nicht innerhalb dieser Szene bewegen, lockte die Eröffnung der Milchbar an. Lorena Stocker, Juso-Präsidentin des Kantons Luzern, sitzt mit ihren beiden Kolleginnen Priya Kumar und Neve Reglin an einem Tisch. Besonders für Jugendliche, die noch unsicher in ihrer Sexualität seien, sei der Austausch wichtig, sind sie sich einig. «Es ist gut, dass man diesen Menschen Raum gibt und den Austausch unter denjenigen ermöglicht, die gerade eine ähnliche Lebensphase durchleben», so Lorena Stocker. «Und dies innerhalb einer lockeren Atmosphäre in einer Bar.»

«Ich fühle mich hier wohl, auch wenn ich mich nicht in der Szene bewege.»

Neve Reglin, Besucherin

Die 17-jährige Priya aus Luzern schätzt es, dass zentral in der Stadt Luzern ein Treffpunkt für Homo- und Bisexuelle geschaffen wird. «Junge Menschen finden hier Mut, wenn sie mit ihrem Coming-Out zu kämpfen haben.»

«Ich fühle mich hier wohl, auch wenn ich mich nicht in der Szene bewege», so die 19-jährige Neve Reglin, die aus reiner Neugierde kam. «Ich fühle mich überhaupt nicht ausgeschlossen.» Nun: Wenn man sich als Heterosexueller hier inmitten «Anderssexueller» nicht ausgeschlossen fühlt – sollte dies nicht auch umgekehrt möglich sein?

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