Chauffeure müssen oft brüsk bremsen

Wenn Touristen für Buspassagiere gefährlich werden

Hier kommt es oft zu heiklen Situationen: Asiatische Touristen überqueren beim Schwanenplatz die Strasse.

(Bild: bic)

Immer wieder müssen Busse wegen unachtsamer Verkehrsteilnehmer akut bremsen. Erst kürzlich verletzte sich eine Frau dabei schwer. Vor zwei Jahren kam sogar eine Person ums Leben. Vor allem Touristen sorgen immer wieder für Gefahr.

Ein SBB-Bus fährt durch Altbüron. Plötzlich kommt ein Auto aus einer Nebenstrasse, was den Chauffeur des Busses zu einer brüsken Bremsung zwingt.

Durch den akuten Stopp wird im Bus eine Frau umgerissen. Sie verletzt sich dabei so schwer, dass sie ins Spital muss. Der Autolenker fährt einfach weiter. Dieser Vorfall ereignete sich Mitte November (zentralplus berichtete).

Frau starb in Luzern

Trotz der Verletzungen kam die Frau vergleichsweise glimpflich davon. Denn noch schlimmer erwischte es im März 2015 eine Seniorin in der Stadt Luzern, wie Christian Bertschi, Mediensprecher der VBL, auf Anfrage sagt. Die Frau starb an den Folgen von Kopfverletzungen, die sie sich im Bus aufgrund eines Sturzes nach einer akuten Bremsung des Chauffeurs zugezogen hatte. 

Generell war 2015 laut Bertschi ein schlechtes Jahr, was die Unfälle mit Verletzungsfolgen betrifft. Ganze 67 Verletzte waren allein auf dem Netz der VBL zu beklagen. Erfasst werden alle Unfälle, bei denen Personen in ärztliche Behandlung mussten. 217 sind es seit 2013.

Insgesamt neun Vorfälle hatte Postauto Schweiz im Kanton Luzern in den letzten vier Jahren zu beklagen. Schweizweit erfasse man monatlich etwa zwei Fälle, sagt Karin Merkle von Postauto Schweiz. Keine konkreten Zahlen kann die Auto AG Rothenburg angeben.

«Es kommt auch oft zu heiklen Situationen mit Touristen.»

Christian Bertschi, Sprecher VBL

«Wie viele Personen aber tatsächlich behandelt werden mussten, können wir nicht sagen», so Bertschi. Denn viele Personen würden nicht unmittelbar nach dem Vorfall zum Arzt gehen, weshalb sie in der Statistik nicht erfasst würden. «Es könnte hier also eine Dunkelziffer geben», sagt er.

Auch das Luzerner Kantonsspital konnte auf Anfrage keine entsprechenden Zahlen nennen, da solche Fälle nicht separat erfasst würden.

Die Busspur auf der Pilatusstrasse in Luzern: hier kam es 2015 zum tödlichen Unfall.

Die Busspur auf der Pilatusstrasse in Luzern: hier kam es 2015 zum tödlichen Unfall.

Touristen als Gefahr

Besonders neuralgische Punkte sind laut Christian Bertschi der Schwanenplatz und die Seebrücke in Luzern. «Hier kommt es oft zu heiklen Situationen. Auch mit Touristen», sagt er. Diese würden oft unverhofft die Strasse überqueren. Oft auch an Orten, wo es keinen Zebrastreifen gibt.

Auch erlebe man immer wieder Personen, die mit dem Selfiestick in der Hand, ohne nach links oder rechts zu schauen, über die Strasse laufen. «Schnellbremsungen von Bussen sind hier deshalb leider keine Seltenheit», so Bertschi.

«Der Umgang mit aussergewöhnlichen Situationen ist eines der Schwerpunktthemen in der Aus- und Weiterbildung unserer Chauffeure.»

Florine Schmidt, Auto AG Rothenburg

Eine Touristengruppe war es auch, die 2015 das brüske Bremsen mit Todesfolge verursachte. Der Vorfall ereignete sich auf der Pilatusstrasse. Da der Bus auf der Busspur parallel zu einer stehenden Autokolonne fuhr, sah der Chauffeur die plötzlich vor seiner Frontscheibe auftauchenden Personen erst im allerletzten Moment, schildert Christian Bertschi den Vorfall.

Vor allem die Stadt ist betroffen

Dass es gerade bei den VBL zu vielen solchen Vorfällen kommt, erstaunt nur bedingt. Denn der grösste Teil ihres Streckennetzes liegt innerhalb der Stadt und der Agglomeration Luzern.

Keine Gurtenpflicht in Linienbussen

Seit 2006 müssen Reisecars mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sein. Diese Vorschrift gilt allerdings nicht für Linienbusse. Auch wenn diese auf der Autobahn unterwegs sind. Allein die Post befährt schweizweit mit 18 Linien Autobahnabschnitte.

Die VBL betreibt jedoch eine Busverbindung, wo Sicherheitsgurten zur Anwendung kommen. Die Tellbusse zwischen Luzern und Altdorf sind entsprechend ausgerüstet. Dies obwohl es sich beim Tellbus um einen Linienbus handelt. 

«Es kam zwar auch schon ausserhalb der Stadt zu solchen Unfällen, die überwiegende Mehrheit geschieht allerdings in der Stadt», so Christian Bertschi. Diesen Punkt bestätigt auch Postauto Schweiz. «Sturzunfälle geschehen praktisch nur innerorts, also im Stadtbereich», sagt Karin Merkle.

Die Auto AG Rothenburg kann hingegen keine Unterschiede zwischen Land und Stadt feststellen, wie sie schreibt.

Wer haftet bei Unfällen?

Wie bei allen Unfällen mit Material- oder Personenschäden stellt sich natürlich auch bei Verletzungen aufgrund brüsker Stopps die Frage nach der Haftung. «Wir sind für die Sicherheit unserer Kunden verantwortlich», sagt VBL-Sprecher Bertschi. Daher hafte man grundsätzlich für Verletzungen der Fahrgäste.

Alle Vorfälle würden zusammen mit der Polizei und Zeugen systematisch erfasst und anschliessend analysiert, sagt Florine Schmidt von der Auto AG Rothenburg.

Gemäss Strassenverkehrsgesetz liegt die Haftung bei der fehlbaren Person, welche die Bremsung verursacht hat. Doch leider könne der Unfallverursacher meistens nur dann belangt werden, wenn es auch zu einer Kollision kommt und die Polizei involviert ist, erklärt Bertschi.

«Viele Leute spielen lieber mit dem Smartphone, anstatt sich festzuhalten.»

Christian Bertschi, Sprecher VBL

In den meisten Fällen würde man deshalb die anfallenden Behandlungskosten übernehmen. Die VBL sind für solche Situationen versichert. Um welche Summen es sich dabei handelt, kann Christian Bertschi indes nicht sagen. «Wir lassen aber oftmals Kulanz walten. Dazu fühlen wir uns gegenüber unseren Kunden verpflichtet», sagt er.

Etwas anders werden die Vorfälle von Postauto Schweiz gehandhabt. «Die Sturzunfälle sind praktisch alles sogenannte Bagetellunfälle, die keine Haftpflichtforderungen nach sich ziehen», sagt Karin Merkle. Falls die Personen sich anschliessend doch in ärztliche Behandlung begeben, rechnen sie dies mit dem privaten Krankenversicherer ab.

Vorfälle gehören zum Alltag

Die angefragten Transportunternehmen sind unisono der Meinung, dass der Umgang mit solchen Situationen zum Betriebsalltag gehört. Deshalb haben alle spezielle Schulungen und Strategien entwickelt.

«Bei Notbremsungen hat Priorität, einen Zusammenstoss zu verhindern.»

Katharina Merkle, Postauto Schweiz

«Die Kurse werden von unserem Fahrpersonal intensiv besucht», so Christian Bertschi von den VBL. Auch bei der Auto AG Rothenburg ist der Umgang mit aussergewöhnlichen Situationen eines der Schwerpunktthemen in der Aus- und Weiterbildung der Chauffeure.

Bei Postauto Schweiz wird das Fahrpersonal entsprechend geschult. «Bei Notbremsungen hat allerdings Priorität, einen Zusammenstoss zu verhindern», sagt Karin Merkle.

Fahrgäste haben Mitverantwortung

Für Christian Bertschi ist allerdings klar, dass auch die Fahrgäste ihren Teil zu einem unfallfreien Betrieb beitragen können. Man weise die Kunden deshalb sowohl auf Bildschirmen in den Bussen sowie regelmässig in der Kundenzeitung darauf hin. Die Zahl der Verletzten ist seit dem letzten Höhepunkt im Jahr 2015 zurückgegangen. Inwiefern dies auf die Kampagne zurückzuführen sein, kann Bertschi allerdings nicht sagen.

«Viele Leute spielen lieber mit dem Smartphone, anstatt sich festzuhalten», sagt Bertschi. Insbesondere diese Leute versuche man mit der Kampagne zu sensibilisieren. Bei den verletzten Personen handle es sich zwar meistens um Senioren. Gefährdet seien aber natürlich alle Fahrgäste.

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