«Wir wollen am Puls der Gewaltentwicklung bleiben»

Die Zuger Polizei macht sich fitter für Twitter

Karl Walker sprach über das Attentat von Zug.

(Bild: giw)

Social Media und Internet verändern die Polizeiarbeit grundlegend. Neben zusätzlichen Möglichkeiten zur Überwachung und Information bergen neue Technologien auch Gefahren. Der Zuger Polizeikommandant Karl Walker erklärt, wie er Terror und Cyberkriminalität entgegentreten will.

Krisenkommunikation bei Terror und Cyberattacken in Zeiten von Social Media und digitaler Revolution verändern die Polizeiarbeit grundlegend. Karl Walker, Zuger Polizeikommandant, kann ein Lied davon singen: Nach dem Attentat auf das Zuger Parlament 2001 wurden er und seine Kollegen für die schnelle und professionelle Informationsarbeit gerühmt (zentralplus berichtete). Heute sähe die Sache anders aus: Die Polizei hätte gegen die rasende Geschwindigkeit von Social-Media-Plattformen keine Chance mit den damaligen Standards. Deshalb will Walker aufrüsten. Im Interview erklärt er wie.

zentralplus: Was bedeutet Social Media für die Arbeit der Zuger Polizei?

Karl Walker: Nach dem Attentat auf das Zuger Parlament im Jahr 2001 konnten wir innerhalb von einer Stunde und 25 Minuten die Öffentlichkeit mit einer Medienkonferenz erstmals orientieren. Das war für damalige Zeit eine rasche Reaktion, dafür erhielt die Polizei viel Lob. Heute würden wir für zu langsames Orientieren kritisiert.

zentralplus: Was hat sich seither verändert?

Die Informationen gelangen viel schneller und ausserhalb der Fakten der Behörden an die Öffentlichkeit. Deshalb müssen wir neue Instrumente nutzen, um schneller an die Bevölkerung zu gelangen. Bei Grossereignissen ergeben sich Informationsbedürfnisse und die Behörden müssen rasch Verhaltensanweisungen verbreiten können. Dadurch können wir Unsicherheiten und Panikreaktionen vermeiden.

zentralplus: Sie planen, einen Twitteraccount einführen.

Walker: Twitter ist ein Instrument, um die Bevölkerung bei Krisen unmittelbar zu orientieren. Das macht aber nur dann Sinn, wenn wir genügend Follower haben. Für kleinere und mittlere Polizeikorps stellt es eine Herausforderung dar, solche zeitgemässen Instrumente zu betreiben. Um die Kommunikation bei Katastrophen und in Krisenlagen mit einem Twitter-Kanal nutzbringend aus dem Stand heraus einsetzen und über mehrere Tage betreiben zu können, müssen mindestens acht bis zehn Personen ausgebildet und – Ablösungen inklusive – eingesetzt werden können.

zentralplus: Was ist der Vorteil von Twitter?

Walker: Mit Twitter können die Polizei, der Katastrophenstab oder der kantonale Führungsstab die Bevölkerung rasch und direkt informieren, Verhaltensanweisungen vermitteln und sie auch zur Mitwirkung einladen, beispielsweise bei Fahndungen oder der Suche nach Vermissten. Auch Bild- oder Videoaufzeichnungen können vermittelt werden.

Die Münchner Polizei ist bekannt für ihren ungewöhnlichen Umgang mit Twitter, auch während dem Oktoberfest:

zentralplus: Weshalb braucht es dafür acht bis zehn Mitarbeiter?

Walker: Die Informationstätigkeit erfolgt in enger Absprache mit der Einsatzleitung. Es müssen Meldungen über Twitter abgesetzt und eingehende Meldungen gesichtet und ausgewertet werden. Um dies im Ereignisfall mit einer hohen Intensität auch über Tage tun zu können, braucht es pro Schicht mindestens zwei bis drei Personen. Weil solche Ereignisse ohne Vorwarnung eintreten und das «Twitter-Personal» alarmiert und später im Einsatz abgelöst werden muss, braucht es einen Pool von mindestens acht bis zehn Personen.

Twitter und Co bei der Luzerner Polizei

Die Luzerner Polizei hat derzeit keinen eigenen Social-Media-Account. «Bei wichtigen Informationen greifen wir jedoch auf die Kanäle des Kantons Luzern zurück», erklärt Mediensprecher Kurt Graf. So geschehen sei das im Fall Emmen. Ein eigener Account sei durchaus eine Möglichkeit, einen genauen Fahrplan bis zum offiziellen Twitterprofil der Luzerner Polizei gibt es jedoch noch nicht: «Zuerst braucht man dafür die nötige Manpower», sagt Kurt Graf.

Sich anmelden und ein paar Kurztexte vom Stapel lassen ist zwar relativ schnell getan. Doch die Informationen der Polizei müssten im Notfall nicht nur akkurat, sondern zugleich schnell sein. Und dafür brauche es je nach Ereignis genügend Mitarbeiter, sagt Graf: «Während und nach der Schiesserei in München waren 30 Mitarbeiter im Hintergrund im Einsatz für die Kommunikation.» Bei der belgischen Polizei während den Terroranschlägen im vergangenen Jahr gar 50. «Das sind sehr viele Leute für ein Schweizer Polizeikorps.» Geprüft wird laut Graf auch eine interkantonale Zusammenarbeit der Polizeien bei den sozialen Medien.

zentralplus: Wie viele Follower möchten Sie erreichen?

Walker: Möglichst viele Zugerinnen und Zuger.

zentralplus: Können Sie ein Beispiel nennen, wo Hinweise über soziale Medien bei der Fahndung halfen?

Walker: Eigene Beispiele haben wir in Zug nicht, da wir Twitter noch nicht einsetzen. Es sind aber Vermisstenfälle und Suchaktionen bekannt, wo das Mittel eine wichtige Rolle gespielt hat.

Polizeikommandant Karl Walker von der Zuger Polizei.

Polizeikommandant Karl Walker von der Zuger Polizei.

(Bild: woz)

zentralplus: Ist die Zuger Polizei auf ein Attentat, wie es 2001 geschehen ist, vorbereitet?

Walker: Zwischenzeitlich haben sich verschiedene Amokläufe und «School Shootings» mit Schusswaffen, Äxten und Terrorereignissen unterschiedlicher Intensität ergeben. Wir haben bei der Zuger Polizei aufgrund der Auswertung solcher Ereignisse Erkenntnisse in unsere Einsatzdoktrin, Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung übernommen. Wir wollen am Puls der Gewaltentwicklung bleiben, damit wir für unsere Bevölkerung die nötige Sicherheit gewährleisten können.

zentralplus: Aber die Gesellschaft kann man nicht vor allem schützen?

Walker: Es sind sich wohl alle bewusst, dass ein solcher Anspruch nicht realistisch ist. Die Vielfalt krimineller Aktivitäten und Gewalttaten ist gross und verunmöglicht es, sich auf alles vorzubereiten. Im Bemühen, eine möglichst gute Sicherheit zu erhalten, dürfen die hierfür erforderlichen Massnahmen aber ein freiheitliches Zusammenleben nicht erdrücken.

zentralplus: Was heisst das?

Walker: Wenn Menschen sich nicht mehr frei fühlen können, im Alltag das Misstrauen und Ängste dominieren, erzielt der Terror seine Wirkung. Es muss deshalb auch bei den Schutzmassnahmen ein gesundes Augenmass bewahrt und situationsgerecht gehandelt werden.

zentralplus: Wie sieht es im Bereich der Cybersicherheit aus: Ist da Zug bereit?

Walker: Den virtuellen Raum muss man sich als eine Art un- oder schwachbewohnten Kontinent vorstellen, wo bezüglich der System- und Applikationsvielfalt wenig gesetzlich geregelt ist. Diese Freiräume laden Kriminelle ein, ihr Unwesen zu treiben. Die Zuger Polizei ist im virtuellen Raum mit Spezialisten präsent und bekämpft zusammen mit anderen Polizeikorps und dem Bund verschiedene Formen der Internet-Kriminalität, landläufig unter «Cybercrime» zusammengefasst.

Es sind dies vorab mit Hilfe des Internets begangene Straftaten wie Datendiebstahl, unerlaubte Pornografie, Betrug und so weiter. Auch Cyberattacken, also Angriffe auf für unsere Gesellschaft wichtige Infrastrukturen, gilt es aufzuklären. Unter «Cyberwar» werden Aktionen verstanden, welche in feindlicher Absicht den Staat und seine Institutionen gezielt angreifen und deren Handlungsfähigkeit einschränken.

zentralplus: Wurden denn konkrete Massnahmen ergriffen?

Walker: Wer die Entwicklung verfolgt, kann unschwer feststellen, dass die Behörden daran sind, sich den vorgenannten Herausforderungen zu stellen. Was die Zuger Polizei betrifft, haben wir personell, organisatorisch und ausbildungsmässig das Notwendige ergriffen. Konkret haben wir Kompetenzen aufgebaut in den Bereichen der IT-Forensik und der Cyberermittlung. Ferner arbeiten wir verstärkt mit der eidgenössischen Melde- und Analysestelle Informationssicherung «MELANI» zusammen.

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