Eine Luzernerin erforscht die Welt der Meze

Gabi Kopp ist der Häppchenkultur auf der Spur

Will die Vielfalt der Esskultur aufzeigen: Illustratorin Gabi Kopp in ihrem Atelier.

(Bild: jwy)

Meze – die kleinen Happen – sind auch bei uns äusserst beliebt. Aber woher kommen eigentlich Humus, Falafel und Co.? Und wie kommt man dazu, ein ganzes Buch darüber zu schreiben und zu zeichnen? Wir haben uns mit Gabi Kopp darüber unterhalten.

Eine Platte mit allerlei Leckereien wird in die Tischmitte gestellt. Zwischen Falafel, Baba Ganoush und einem Börek kommt unweigerlich die Frage: Woher kommen eigentlich diese Meze genau? Respektive diese Mezze? Oder doch Mese?

Die kleinen, frischen Happen werden immer beliebter und man verortet sie irgendwo zwischen Marokko und dem Libanon. Womit man gar nicht so falsch liegt, findet man Meze doch im ganzen östlichen Mittelmeerraum.

Die Luzerner Illustratorin Gabi Kopp, die sich für Essen und Kultur gleichermassen interessiert, ist auf eine mehrjährige Spurensuche gegangen: Sie hat den Libanon, die Türkei, Zypern und Griechenland bereist, in Küchen geschaut, Rezepte gesammelt und Köchinnen porträtiert.

Ob vegetarisch oder vegan – mit Fisch, Fleisch oder als Süssspeise: Sie zeigt mit 175 Rezepten und Geschichten, dass Meze weit mehr ist, als Baba Ghanoush oder Falafel.

zentralplus: Beginnen wir mit der zentralen Frage: Was heisst Meze, Mezze, Mese – oder gar Maze?

Gabi Kopp: Das Wort kommt aus dem Persischen und bedeutet «Geschmack» oder «Bissen». Die Verwendung «Meze» für die kleinen Speisen kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Je nach Land und Region gibt es verschiedene Schreibweisen.

zentralplus: Kann man denn sagen, woher Meze ursprünglich kommen?

Kopp: Die heutigen Grenzen in diesen Gebieten sind ja noch nicht alt, im osmanischen Reich waren sie noch anders. Es gab immer Migrationsströme und die Rezepte haben sich verbreitet. Was man sagen kann: Die Griechen haben mehr Fischgerichte, weil sie traditionell Schiffer waren. Die Türken waren Nomaden, also haben sie mehr Milchprodukte und Fleisch.

«Man kann lange sitzen bleiben und wird immer wieder überrascht mit neuen Farben und Geschmäckern.»

zentralplus: Erstaunlich ist, dass man Meze selbst auf dem Balkan oder im Kaukasus findet.

Kopp: Ja, das ehemalige osmanische Reich war riesig, es erstreckte sich von Ungarn bis nach Persien. Auf dem Balkan stammen viele Wörter aus dem Türkischen. Umgekehrt flossen viele griechische und arabische Wörter ins Türkische. Darum sage ich auch «Meze ohne Grenzen»: Es geht mir mehr um eine Region mit einer gemeinsamen Esskultur als um Länder.

Kochen in Foça (Türkische Ägäis) mit Vedia Türün in Zusammenarbeit mit Foça Slowfood.Gabi Kopp ist ganz rechts zu sehen.

Gabi Kopp (ganz rechts) unterwegs: Eine Küche in Foça (Türkische Ägäis) mit Köchin Vedia Türün (Zweite von rechts).

(Bild: zvg)

zentralplus: Gab es eine Ursprungsform der heutigen Meze?

Kopp: Ursprünglich war es viel bescheidener, etwa Oliven, Nüsschen oder eingelegte Sardellen, die man in der Kneipe zu Wein oder Schnaps ass. Die Christen – Armenier und Griechen – hatten die Lokale mit Alkoholausschank. Was aber nicht heisst, dass die Muslime keinen Alkohol tranken … Ab den 50er-Jahren haben gekochte Speisen, sogenannte Hausfrauengerichte, in Meyhane oder Tavernen Einzug gehalten. Die heutige Kultur mit den vielen verschiedenen Plättchen ist noch nicht alt.

zentralplus: Was reizt Sie denn an der Meze-Kultur?

Kopp: Das Schöne sind die vielen Häppchen. Man tischt nicht von Anfang an alles auf, sondern nach und nach. Man kann lange sitzen bleiben und wird immer wieder überrascht mit neuen Farben und Geschmäckern. Es ist nicht einfach ein grosses Buffet, bei dem man sich den Teller füllt. Ein Koch hat mal gesagt, Meze sei für ADHS-Leute, weil man immer von einem zum anderen hüpft (lacht).

Gabi Kopp über die Meze-Esskultur:

 

zentralplus: Wie haben Sie die vier Länder für Ihre Reisen ausgewählt?

Kopp: Ich wollte die wichtigsten Gerichte abdecken. Nach Syrien kam ich wegen des Kriegs leider nicht mehr, auch in der Südtürkei wurde mir von gewissen Gegenden abgeraten. Der Libanon war für mich von Anfang an klar und ich habe einen Fokus auf die Ägäis gelegt, weil da das Frische und Grüne eine grosse Rolle spielt. Spannend sind auch die grossen Inseln wie Kreta oder Zypern.

«Es ist mir ein Anliegen, Brücken zu bauen in eine unruhige Region.»

zentralplus: Aber ohne Unterstützung hätten Sie die aufwändige Recherche nicht machen können?

Kopp: Für meine vorherigen Bücher bin ich in einzelne Länder gereist. Diesmal wollte ich etwas «Grenzhüpferisches» machen. Die Landys-&-Gyr-Stiftung hat 2013 ein Reisestipendium ausgeschrieben, das gut zu meiner Idee im Kopf passte. Ich erhielt das grosszügige Stipendium und konnte damit die Reisen und Übersetzer bezahlen. Die eineinhalb Jahre Arbeit am Buch danach waren dann mein eigenes Risiko.

zentralplus: Hatten Sie in den Ländern bereits Kontakte oder klopften Sie einfach in Küchen an?

Kopp: Verschieden. Ich recherchierte viel im Voraus und musste für jedes Land eine landessprachliche Begleitperson finden für das Übersetzen und Organisieren unterwegs. Wenn man ein Thema hat und weiss, was man will, bekommt man nach meiner Erfahrung immer Hilfe.

Illustratorin und Kochbuchautorin

Gabi Kopp, geboren 1958 in Luzern, arbeitet seit 30 Jahren als Illustratorin, Cartoonistin und Kochbuchautorin. Sie war Mitbegründerin und Köchin des Genossenschaftsrestaurant «Widder» und hat bereits das «Istanbul Kochbuch» und das «Persische Kochbuch» herausgegeben. Nun ist ihr neustes Werk erschienen: «Meze ohne Grenzen. Rezepte – Geschichten – Menschen.» Rotpunktverlag 2017. Darin findet man 175 Rezepte, aber auch Hintergründe und Porträts von Köchinnen.

zentralplus: Und Sie haben auch spontan Leute getroffen?

Kopp: Ja, das Spontane funktioniert häufig am besten. Im Libanon beispielsweise traf ich ein junges Paar, einen Italiener und eine Libanesin. Sie reisen für ihren Foodblog «The Recipe Hunters» durch die Welt und haben mir eine tolle Köchin in Zypern vermittelt. In Beirut traf ich die Kochbuchautorin und «Slow Food»-Präsidentin Barbara Abdeni Massaad, die mir in der Türkei Kontakte vermittelte.

zentralplus: Dann haben Sie mit den Leuten gekocht, ihre Geschichten aufgeschrieben und sie gezeichnet?

Kopp: Ja, wir haben zusammen gekocht, ich hatte immer den Laptop und Notizhefte dabei und machte fortlaufend Notizen und stellte meine Fragen: Wie heiss ist der Herd? Wie lange sprudelt es? Was sind die genauen Mengen? Danach hab ich Interviews geführt und schliesslich haben wir zusammen gegessen, auch das war wichtig.

zentralplus: Und wann haben Sie gezeichnet?

Kopp: Anfangs habe ich direkt in der Küche skizziert, aber das hat mich absorbiert. Ich merkte, dass ich den Leuten Aufmerksamkeit schenken muss. Darum haben wir diesmal vor allem fotografiert. Die Zeichnungen sind ein Mix aus all den Fotos.

Türkische Favapaste mit Dill – illustriert von Gabi Kopp.

Türkische Favapaste mit Dill – illustriert von Gabi Kopp.

(Bild: zvg)

zentralplus: Sie hätten es auch einfacher machen können: nur Rezepte ohne Hintergründe und Porträts?

Kopp: Es ist mir ein Anliegen, Brücken zu bauen in eine unruhige Region. Man wirft die Leute oder Religionen gern in einen Topf. Mit meinen Geschichten will ich zeigen, dass diese Leute so unterschiedlich sind wie wir. Und über die Esskultur will ich die Vielfalt zeigen, vom traditionellen bis zum innovativen Koch.

«Von den Marathonsitzungen im ‹Widder› habe ich immer noch ein Trauma.»

zentralplus: Welche Meze würden Sie jemandem empfehlen, der kein geübter Koch ist?

Kopp: Es kommt drauf an, ob man Fleischtiger, Vegi oder Veganer ist. Ich habe bei jedem Rezept den Aufwand angegeben von 1 bis 4 – ich würde also mit etwas Einfachem anfangen. Sonst empfehle ich einfach, das Buch durchzublättern, die Zeichnungen der Gerichte sollen einen anspringen und «gluschtig» machen.

zentralplus: Was haben Sie zuhause immer im Kühlschrank?

Kopp: Viele eingemachte Sachen, Nüsse und Dörrfrüchte, damit sie nicht von Motten befallen werden. Sonst immer Gemüse frisch vom Markt.

Die Mezekultur hat sie gepackt: Illustratorin Gabi Kopp.

Die Mezekultur hat sie gepackt: Illustratorin Gabi Kopp.

(Bild: jwy)

zentralplus: Verraten Sie uns einen Geheimtipp für ein schnelles Menü?

Kopp: Ich habe momentan Freude an Kichererbsen. Ich lege sie am Abend ins Wasser, am Morgen kochen sie vor sich hin, während ich einen Kaffee trinken. Und am Abend, wenn ich wieder nach Hause komme, koche ich sie nochmals auf und zerstampfe sie. Mit etwas gutem Olivenöl, Salz und je nachdem Knoblauch oder Zitronensaft ist das ein feines, einfaches Essen, ein Meze oder eine Beilage.

zentralplus: Sie hatten 1981 in Luzern das Genossenschafts-Restaurant Widder mitbegründet, davon spricht man heute noch. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Kopp: Ja, ich habe dort vier Jahre gekocht – als Learning-by-doing-Köchin, wir waren alles Do-it-yourself-Leute. Wir waren innovativ und hatten viele Ideen, die später von anderen übernommen wurden. Wir machten etwa Kunst-Koch-Anlässe und hatten immer wieder Gastköche. Zudem arbeiteten wir mit Bauern, die für uns Bio anpflanzten. Das machte anfangs der 80er sonst noch niemand. Darauf bin ich stolz.

zentralplus: Woran ist es gescheitert?

Kopp: Zum Beispiel an unseren Wahnsinns-Sitzungen. Ideen wurden blockiert, weil nicht alle einverstanden waren. Jeder sollte alles machen und alle hatten die gleichen Löhne. Das Konzept war sehr anspruchsvoll. Von diesen Marathonsitzungen habe ich immer noch ein Trauma (lacht).

zentralplus: Letzte Frage: Wo isst man in Luzern gute Meze, wenn man sie nicht selber machen will?

Kopp: Zwei sind leider zugegangen: das «Istanbul» (heute als Take-away im Bahnhof, Anm. d. Red.) und das «Barcode». Es gibt das «Barbès», die machen das sehr gut. Und das «Mardi Gras» serviert auch feine Meze. In Zürich gibt es neue Restaurants, die sich zwar nicht als Meze-Restaurants bezeichnen, aber das Prinzip des Teilens kennen. Du bestellst nicht für dich alleine, sondern man teilt. Darum geht es in der Meze-Kultur.

Noch mehr Meze gibt’s in der Bildgalerie:

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