Luzern Tourismus diskutiert über seine Zukunft

Eine «gfürchige» Vision: 14 Millionen Touristen in Luzern

Die Hälfte der Diskussionsrunde: Stadträtin Franziska Bitzi, Grossstadtrat Christian Hochstrasser (Mitte) und Tourismusdirektor Marcel Perren.

(Bild: jwy)

Wie viel Tourismus verträgt Luzern? Diese Frage wurde am Mittwochabend im Hotel Palace mit einem Monsterprogramm diskutiert. Luzern Tourismus mache es zwar «verdammt gut», aber eine Vision für den Ansturm der Zukunft hat die Tourismusstadt noch nicht. Und leider wurde eine wichtige Frage ausgeklammert.

Der Zeitpunkt ist perfekt, um über Tourismus zu diskutieren: Mit der Inseli-Abstimmung steht in Luzern am Sonntag ein wegweisender Entscheid bevor, das Bürgenstock-Resort hat jüngst eröffnet und in verschiedenen europäischen Touri-Metropolen gehen Einwohner gegen Massentourismus auf die Barrikaden. Tourismusdebatten sind en vogue, das weiss auch Luzern Tourismus. Darum hat man zum grossen Stelldichein ins Hotel Palace geladen. «Welchen Tourismus wollen wir?», stand als grosse Frage im Raum.

Auch der Ort war nicht zufällig gewählt, wird das Hotel doch ab 7. November rundum erneuert: 100 Millionen Franken aus China werden in die Zukunft des Palasts gesteckt. «Luzern und Tourismus, das ist ein Traumpaar», eröffnete Jörg Lienert, Präsident des Tourismus Forum Luzern, den Abend.

Blick zurück und nach vorne

Bevor die Bühne für die Elefantenrunde hergerichtet wurde – sechs Teilnehmer! –, schaute man zurück und nach vorne. Hotelhistoriker Peter Omachen führte anhand vieler hübscher Bilder vom Anfang des Fremdenverkehrs in Luzern zum «Dammbruch für den Tourismus» im 19. Jahrhundert.

Und es war Jürg Stettler vom Institut für Tourismuswirtschaft der Hochschule Luzern, der die Zuhörerschaft im vollen Saal in die Gegenwart und Zukunft katapultierte. Es lohnt sich, hier etwas auszuholen, weil es der Höhepunkt des Abends war. Stettler lieferte einen eindrücklichen «Zahlensalat», warnte vor Bequemlichkeit und wagte einen unbequemen Blick auf 2030.

Die versteckten US-Touristen

Man muss sich das vor Augen führen: In den 50er-Jahren gab es weltweit 25 Millionen Touristen, bis 2030 rechnet man weltweit mit 1,8 Milliarden Reisenden. Was heisst das für die Tourismusregion Luzern? Für eine Stadt Luzern mit 81’000 Einwohnern und rund 9,4 Millionen Touristen im Jahr?

«Ich empfehle dringendst, eine Vorstellung der Zukunft von Luzern zu entwickeln – und zwar mit der Bevölkerung.»

Jürg Stettler, Tourismusprofessor

Zuerst einmal: Dem hiesigen Tourismus geht es laut Stettler sehr gut, das Wachstum der Logiernächte war in den letzten zehn Jahren mit 44 Prozent phänomenal – und was kaum einem auffällt: Der Tourismus aus Amerika hat um 80 Prozent zugenommen. Laut Stettler ist das «hoch erstaunlich», weil alle nur von den Asiaten reden.

Auch die Tagesgäste nehmen frappant zu, plus 24 Prozent in den letzten fünf Jahren, auch wenn diese Zahlen schwer messbar seien. Erstaunlich hier: 83 Prozent der rund 8,2 Millionen Tagesgäste jährlich sind Schweizer. «Das hätte ich nie erwartet», so Stettler.

Luzern hat Luxusprobleme

Stettlers Fazit: «Luzern ist einfach verdammt gut.» Andere würden uns um unsere «Luxusprobleme» beneiden. Doch dann wurde es «gfürchig», wie es Stettler publikumswirksam ankündete: Verdrängungseffekte, austrocknender Detailhandel, steigende Mietpreise und somit sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung. «Das ist nicht zu unterschätzen», mahnte Stettler.

Stettler wagte eine Prognose. Die Anzahl Tagesgäste könnte jährlich auf 14 Millionen zunehmen, doch Luzern habe nicht die nötigen Kapazitäten, um das zu bewältigen. Er führte zur entscheidenden Frage: «Wie lenken wir den Tourismus in Zukunft?»

«Die Folgenprobleme des Tourismus kommen auch bei uns, die Frage ist nur wann.»

Jürg Stettler

Stettler appellierte an alle Tourismus-Verantwortlichen im Raum: Es braucht einen Masterplan «Luzern 2030». Jürg Stettler: «Ich empfehle dringendst, eine Vorstellung der Zukunft von Luzern zu entwickeln, und zwar miteinander, man muss die Bevölkerung miteinbeziehen.» Denn Luzern sei nicht nur ein Wirtschafts-, sondern auch ein Lebensraum. «Das Tourismusbewusstsein der Bevölkerung ist das Fundament, die Folgenprobleme des Tourismus kommen auch bei uns, die Frage ist nur wann.»

Stefan Eiholzer (ganz links) moderierte die Runde: Guido Zumbühl (CEO Bucherer), Markus Schulthess (Quartierverein Hirschmatt-Neustadt), Franziska Bitzi (Stadträtin) und Christian Hochstrasser (Grossstadtrat).

Stefan Eiholzer (ganz links) moderierte die Runde: Guido Zumbühl (CEO Bucherer), Markus Schulthess (Quartierverein Hirschmatt-Neustadt), Franziska Bitzi (Stadträtin) und Christian Hochstrasser (Grossstadtrat).

(Bild: jwy)

Die Elefantenrunde

Diese Lenkung, mögliche Zielwerte in Zukunft und das Klumpenrisiko der asiatischen Touristen – das waren auch die wichtigsten Fragen der anschliessenden Diskussion. Moderator Stefan Eiholzer, Leiter des SRF-«Regionaljournal» Luzern, bat sechs Personen auf die Bühne:

  • CVP-Stadträtin Franziska Bitzi Staub (von Amtes wegen auch Verwaltungsrätin Luzern Tourismus)
  • Grünen-Stadtparlamentarier Christian Hochstrasser
  • Barbara Kopp Döös, Miteigentümerin Hotel Hermitage
  • Markus Schulthess, Co-Präsident des Quartiervereins Hirschmatt–Neustadt
  • Guido Zumbühl, CEO der Bucherer AG
  • Marcel Perren, Luzerner Tourismusdirektor

Das war zwar ein beeindruckend breites Spektrum, aber eine lebhafte Diskussion war so von Anfang an kaum möglich. Trotzdem gab es einige spannende Voten. Franziska Bitzi gab zu: «Die Wachstumsprognosen der Tagesgäste hat mich schockiert.» Und auch Hotelinhaberin Barbara Kopp forderte eine Steuerung des Tourismus – «der Rückhalt in der Bevölkerung ist entscheidend.» Und Markus Schulthess sagte: «Die Bevölkerung teilt ihre Stadt gern mit der Welt, aber die Party kann überborden.»

Einig war man sich, dass der Unmut in Luzern gegenüber dem Tourismus (noch) nicht stark spürbar ist – Luzern ist nicht Venedig oder Dubrovnik.

Ausgesperrte Luzerner

Dann redete man über die Konzentration des Tourismus auf den Grendel und Schwanenplatz, was überraschenderweise nicht nur den Bucherer-Chef freut. «Man wird ausgesperrt, darum kommen so viele Einheimische in die Neustadt», so Schulthess. Und Christian Hochstrasser sagte: «Ich will nicht, dass sich der Tourismus besser verteilt, dann wären alle von der Aufwertung betroffen.» Guido Zumbühl könne zwar ein Missbehagen nachvollziehen, aber es habe auch Vorteile, dass der Tourismus örtlich so konzentriert ist.

«Der Tourismus bringt Steuererträge, davon profitieren alle.»

Franziska Bitzi, Stadträtin

Viel Einigkeit, man war nett miteinander. Etwas kontroverser wurde es bei der Frage, wer von der milliardenstarken Wertschöpfung des Tourismus profitiere. Hochstrasser hielt fest, dass das Verständnis in der Bevölkerung nicht gefördert werde, wenn man nur die Arbeitsplätze und Wertschöpfung betone. Ein Seitenhieb gegen Marcel Perren neben ihm. Und er löste bei der Stadträtin ein Kopfschütteln aus: «Der Tourismus bringt Steuererträge, davon profitieren alle, das ist ein Mehrwert für die Lebensqualität.»

Bucherer-Chef Guido Zumbühl und neben ihm Markus Schulthess (Quartierverein Hirschmatt-Neustadt) und Stadträtin Franziska Bitzi.

Bucherer-Chef Guido Zumbühl und neben ihm Markus Schulthess (Quartierverein Hirschmatt-Neustadt) und Stadträtin Franziska Bitzi.

(Bild: jwy)

Der liquide Bucherer

Barbara Kopp sorgte für etwas Abwechslung mit der provokativen Frage an Guido Zumbühl, wieso man nicht ein Shopping-Center für die Uhrengeschäfte unter einem Dach baue, wo alle Cars hinfahren könnten? «Asiaten wollen keinen Fake, Shopping gehört bei ihnen einfach dazu», entgegnete Zumbühl. «Was machen sie sonst bei schlechtem Wetter?»

«Luzern Tourismus ist eine Marketingorganisation, das Lenken und Begrenzen ist nicht unsere Aufgabe.»

Marcel Perren, Tourismusdirektor

Als Zumbühl noch erwähnte, dass Bucherer schon 9/11 und die Asienkrise gemeistert habe, «sehr liquid» sei und keine Fremdschulden habe, entlockte das Hochstrasser ein Lachen: «Jetzt geben Sie das erste Mal in Ansätzen Zahlen bekannt.» Gelächter im Raum, denn der private Bucherer ist bekannt dafür, keine Bilanzen zu kommunizieren.

Und eben: die Vision!

Die Diskussion flatterte etwas aus, der Bürgenstock bereitet niemandem Kummer – im Gegenteil! Aber wie man den Tourismus der Zukunft steuern will, ob man das überhaupt soll und kann, da hatte niemand eine plausible Antwort. Soll man das Angebot dem wachsenden Markt anpassen oder künstlich tief halten?

Dass man aber eine Vision 2030 brauche, da gaben Vorredner Jürg Stettler alle Recht. Und Marcel Perren spielte den Ball elegant an Franziska Bitzi weiter, indem er sagte: «Luzern Tourismus ist eine Marketingorganisation, das Lenken und Begrenzen ist nicht unsere Aufgabe.»

Es war ein langer Abend, der leider eine der aktuellsten und kontroversesten Fragen ausklammerte: die Inseli-Abstimmung vom Sonntag. Denn das wäre ein Paradebeispiel dafür, wie man den Dialog zwischen Bevölkerung und Tourismus suchen muss.

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