Warum gehen so viele an ein Mittelalterfest?

Zug in der Hand von Narren, Gauklern und Halsabschneidern

Stelldichein der Freaks.

(Bild: mam)

Ritter und Prinzessinnen rufen sentimentale Erinnerungen an die Kindheit wach. Das Mittelalterfest in Zug ist ausserdem noch Mampfbude, Geschichtsmuseum und Freilichtzoo. Wir gehen auf Spurensuche.

Ein Schwert wie Braveheart kaufen, oder sich von einer Wahrsagerin für 25 Franken die Zukunft erzählen lassen. Spanferkel vom Spiess essen, oder die Kinder den ersten Schuss mit der Armbrust tun lassen – so wie Willhelm Tell. Das kann man am Mittelalterfest in Zug, welches am Wochenende zum zweiten Mal in der äussern Altstadt stattfindet.

Ein Gaukler schlägt die Zuger Kinder in seinen Bann.

Ein Gaukler schlägt die Zuger Kinder in seinen Bann.

(Bild: mam)

Was treibt Hunderte, wenn nicht gar Tausende auf die Gassen, um sich ein halbes Jahr nach der Fasnacht verkleidete Freaks anzuschauen? Das Heerlager im Daheim-Park gibt Aufschluss: Es ist nämlich eine Art interaktiver Freilichtzoo.

Falken sind «Boden-Luft-Waffe»

Gruppen von Reenactors sitzen verkleidet – Pardon, «gewandet» – vor ihren Zelten und trinken ihren Morgenkaffee. Hinter ihnen ist sorgsam das Interieur aus geschnitzten Truhen, Teppichen, Fellen und polierten Rüstungsteilen aufgestapelt.

Betreten ist hier verboten – die Zelte sind mit einem Strick von den Besuchern abgegrenzt. Aber fragen kann man jederzeit: Ulrich Lüthi, ein Berner Falkner, der mehrere seiner Jagdvögel mitgebracht hat, erklärt einem Besucher, dass die Tiere eine «Boden-Luft-Waffe seien». Und welche Jagdscheine und Ausbildungen er machen musste, um sie halten zu dürfen.

Camping im Daheimpark.

Camping im Daheimpark.

(Bild: mam)

Wie bringe ich jemanden mit einer Hellebarde um?

Vor der Burg Zug erfahren wir, dass Mittelalter-Fans nicht einfach Mittelalter-Fans sind: «Reenactors, die Schlachten nachspielen, bleiben eher unter sich und sind oft Leute von der Uni», sagt Danny Steindorfer, der Chef des Söldnertrupps Wyland. Der Verbund besteht aus 30-Jährigen aus der ganzen Deutschschweiz.

Sie bewachen während des Fests die Burg. An Mittelalterevents lassen die Wyländer das Söldnerwesen der alten Eidgenossen wieder aufleben. Im Gepäck reisen zahrreiche Mordinstrumente  – darunter auch historische Hellebarden. «Wir erklären den Besuchern ihren Hintergrund und Gebrauch», sagt Steindörfer.

Der Urknall fand in Zug 2015 statt

Mittelalterfeste sind in den letzten Jahren in der Deutschschweiz aus dem Boden geschossen, wie Pilze nach einem warmen Herbstregen. Das kriegt gar nicht mit, wer dauernd auf Snapshat postet oder nur Browser-Games spielt.

In Zug fand der Startschuss ins dunkle Zeitalter anlässlich der 700-Jahrfeier der Schlacht von Morgarten statt – vorher hatten sich jeweils nur ein paar Unentwegte vor dem Museum für Urgeschichte getroffen, Pfeilbogen geschossen und pädagogisch wertvolle History-Parcours absolviert.

Erbe eines Saubannerzugs

Seit 2015 aber taumelt die Stadt zwei Tage lang im Mittelalter-Fieber. Solange die Sonne scheint, ist der Markt voll – ebenso wie die Verpflegungsstände, die Burg Zug und das Heerlager. Organisiert wird das Fest von einem Verein, der aus einem höchst seltsamen Gremium hervorgegangen ist: dem Gaur. So heisst die grösste Rindvieh-Art der Welt, die in Südostasien lebt, aber so lautet eben auch die Abkürzung für den Grossen, Allmächtigen und Unüberwindlichen Rat von Zug.

Der Gaur existiert angeblich seit dem Jahr 950, ist aber vermutlich das Erbe eines Saubannerzugs aus den Burgunderkriegen. Die Vereinigung  – eine Mischung aus Fasnachtszunft, Korporationsausschuss und Geschichtsverein – hat für die Stadt Zug die Organisation des Festes übernommen.

Hübscher Kopfschmuck.

Hübscher Kopfschmuck.

(Bild: Oksana Mathis)

Max Landtwing ist alt Reichsschultheiss beim Gaur und Chef-Organisator des Mittelalterfestes. Die Marktfahrer kämen überwiegend aus Deutschland erzählt er. «Wir versuchen uns auf jene zu beschränken, die thematisch zum Spätmittelalter passen.»

Das richtige Feeling ist wichtig

Das Erfolgsrezept des Mittelalterfests ist aber, dass man es nicht allzu eng sieht. So gibt es auch einen Verpflegungsstand, der Kartoffelchips verkauft, obwohl die Pflanze erst von Christoph Kolumbus nach Europa gebracht wurde. Oder der Met, der an mehreren Ständen angeboten wird: In der Mittelaltergemeinde hat sich die Ansicht verbreitet, dass das Getränk aus vergorenem Honig das typische Getränk der Epoche darstelle. Obwohl man damals vor allem Bier trank – das war alkoholarm und keimfrei und deshalb sogar für Kinder geeignet.

Ein Bubentraum: Schwerter.

Ein Bubentraum: Schwerter.

(Bild: mam)

Aber was zählt, sind nicht die Details, sondern der Spass für die Schaulustigen aus Zug, die ihre Kinder von Gauklern unterhalten lassen und das richtige Mittelalter-Gefühl für die auswärtigen Besucher, die «gewandet» durch die Gassen spazieren. Dafür reicht ein Rock und ein Fell über der Schulter. Aber natürlich erregt am meisten Aufsehen, wer einen originellen Kopfputz trägt oder einen glänzenden Helm.

Tipp: Huttwil und Lenzburg sind schön

René Baumgartner aus dem Aargau ist mit Bekannten aus der Ostschweiz unterwegs. Er gehe nur auf Schweizer Mittlelalterfeste, sagt er. Jedes Jahr sei er auch in Huttwil, auf dem Schloss Lenzburg und in Beromünster unterwegs, dies seien für ihn die besten Anlässen in der Umgebung. «Rheineck und Wil sind aber auch ganz schön» fügt seine Begleiterin aus dem Kanton St. Gallen an.

Oder eben Zug, wenn es in einem oder zwei Jahren wieder in den Händen von Narren, Gauklern und Halsabschneidern ist.

Betrachten Sie die schönsten Pics vom Zuger Mittelalterfest in unserer Bildstrecke.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Astrid Iten
    Astrid Iten, 29.09.2017, 13:22 Uhr

    Absolut recht MEbinger. Aber an diesem Markt sehen wir nur die positiven Seiten des Mittelalters. Es fehlt der Dreck die Krankheiten (Pest!) das Ungeziefer und die Krüppel und Bettler. Es ist eine schöne Maskerade. Das Mittelalter existiert noch in Indien, in Afrika und sogar oft im reichen Amerika.

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 18.09.2017, 17:59 Uhr

    Die Verkaufsstände repräsentieren zwar nicht meine Konsumgewohnheiten, aber es war absolut erstaunlich, was man alles sah. wenn man dieses Fest besuchte . so viel Liebe zum Detail ist zu bewundern. Meine zweifel, an das scheinbar finstere Mittelalter wurden bestärkt und ob die Menschen heute glücklicher sind als damals bezweifle ich ebenfalls. Es war ein hartes kurzes Leben, aber die Gewissheit im Himmel belohnt zu werden, lies alles erträglich sein. Welchen Trost haben wir heute?

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