Ein plastischer Chirurg redet aus dem Nähkästchen

«Wenn Jugendliche ihre Eltern unter Druck setzen, unterschreiben sie das»

Botulinum, besser bekannt als Botox, ist nur eine von vielen Varianten der ästhetischen Chirurgie.

(Bild: Fotolia/Microgen)

Eine Luzerner Klinik gibt für Brustvergrösserungen im Doppelpack Rabatt, Jugendliche lassen an sich herumschnipseln, Menschen verändern ihr Gesicht in eine Kunstfigur: Schönheitschirurgen sorgen immer wieder für negative Schlagzeilen. Wir sprachen mit dem Meggener Urs Bösch über seinen Berufsstand. Und er sagt, wieso er manchmal auch Psychologe und Philosoph ist.

Urs Bösch empfängt uns in seiner sonnendurchfluteten Praxis in Meggen. Hier betreibt er sein Zentrum für Plastische Chirurgie, in Luzern zudem eine eigene Klinik an der Haldenstrasse.

Bösch antwortet schnell und präzise, keine Frage aus der Welt der Schönheit scheint ihn zu überraschen. Er hat wohl schon alles zum Thema Botox, Brustvergrösserungen und Falten beantwortet. Etwas überraschend steht ein Kontrabass mitten im Büro. Für den ästhetischen Chirurgen ist das Instrument ein «formvollendetes Objekt».

zentralplus: Als wir uns vor ein paar Jahren einmal getroffen hatten, redeten wir über Michael Jackson. Ist er acht Jahre nach seinem Tod noch ein Anschauungsbeispiel in Ihrer Branche?

Urs Bösch: Insbesondere in der Nasenchirurgie. Diese vielen Eingriffe waren nicht vernünftig.

zentralplus: Also gilt er als abschreckendes Beispiel?

Bösch: Ja, er hatte zu viel Chirurgie. Natürliches Gewebe kann nicht beliebig bearbeitet werden.

zentralplus: Sie äusserten sich in einem Artikel einmal zu den Schneewittchen-Typen. Können Sie das erklären?

Bösch: Ja, es ging um Trägerinnen und Träger von Fasnachtsmasken, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen. Zum einen in die Schneewittchen-Typen, zum anderen in solche mit Mut zur Hässlichkeit.

zentralplus: Und was hat das mit Ihrer täglichen Arbeit zu tun?

Bösch: Es gibt Leute mit der Tendenz, sich immer optimal darstellen zu wollen. Und solche, die den Mut haben, auch eine andere Seite zu zeigen …

zentralplus: … aber jene sind wohl kaum Ihre Kunden.

Bösch: Die meisten unserer Patienten haben ein spezifisches Problem, das sie stört. Sei es eine angeborene Fehlbildung oder eine Körperveränderung, die sich mit den Jahren entwickelt hat.

zentralplus: Darf man Sie «Schönheitschirurg» nennen?

Bösch: Ich höre die Bezeichnung nicht gern, aber ich habe mich daran gewöhnt.

zentralplus: Wieso?

Bösch: Schönheitschirurg ist kein geschützter Titel, «Facharzt für Plastisch-Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie» jedoch schon. Wir haben sechs Jahre Medizin studiert und uns danach im Schnitt zehn Jahre lang spezialisiert.

Zur Person

Urs Bösch (54) ist Facharzt für Plastisch-Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie – die Bezeichnung «Schönheitschirurg» hört er nicht gerne. Er präsidiert zudem die Schweizerische Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie (SGAC), einen Verband von Fachärzten.

Bevor er 1999 das «Zentrum für Plastische Chirurgie» in Meggen eröffnete, arbeitete Bösch in grossen Kliniken wie dem Inselspital Bern sowie in Kanada und den USA. 2012 kam zur Praxis in Meggen noch die «Meon Clinic» in Luzern dazu: eine kleine Privatklinik, wo Patienten ambulant und stationär behandelt werden.

zentralplus: Bei Ihrem Beruf denke ich zuerst an Brustvergrösserungen, Fettabsaugung, Nasen-OPs und Liftings. Entspricht das der Realität?

Bösch: Sie sprechen die häufigsten Eingriffe an, haben aber die Lidplastik vergessen. Im Gesichtsbereich sind Lidplastik, Nasenkorrektur und Facelift am häufigsten, im Brustbereich Vergrösserung, Verkleinerung und Straffung – auch in Kombination.

zentralplus: Und was ist neu dazugekommen?

Bösch: Es sind die nichtchirurgischen Möglichkeiten, zum Beispiel die Behandlungen von Falten und Furchen mit Botulinum und Hyaluron, auch Volumenkorrekturen und Behandlungen zur Verbesserung der Hautqualität mit Hyaluron oder mit Eigenfett nehmen zu. Daneben gibt es apparative Möglichkeiten wie MiraDry zur Behandlung von übermässigem Schwitzen.

zentralplus: Eine Behandlung gegen Achselschweiss?

Bösch: Ja, vorher hat man das häufig mit Botox behandelt. Heute haben wir die Möglichkeit, die Schweissdrüsen mit Mikrowellenenergie zu zerstören. Bis jetzt gibt es nur eine Zulassung für die Achselhöhlen.

zentralplus: Sie arbeiten seit 23 Jahren in der Branche, was sind die offensichtlichsten Veränderungen?

Bösch: Die Patienten sind heute sehr gut informiert über Eingriffe. Ein wichtiger Teil des Gesprächs ist das Einordnen von Internetwissen.

zentralplus: Und nimmt die Zahl der Eingriffe zu?

Bösch: Ja, das Thema ist überall präsent.

«Wissen Sie, dass Sie mein Leben verändert haben?» – Diese Frage hört Urs Bösch, plastischer Chirurg, öfters.

«Wissen Sie, dass Sie mein Leben verändert haben?» – Diese Frage hört Urs Bösch, plastischer Chirurg, öfters.

(Bild: zvg)

zentralplus: Kommen mehrheitlich Kundinnen zu Ihnen?

Bösch: Ja, 80 Prozent sind Patientinnen.

zentralplus: Und was wünschen Männer?

Bösch: Vorwiegend Lidplastik, Faltenkorrekturen, Nasenkorrekturen und die Abtragung von übermässigen Fettpolstern. Daneben sehen wir häufig Männer zur Korrektur der Brustbildung.

zentralplus: Kommt es vor, dass Jugendliche zu Ihnen kommen, die Sie abweisen müssen?

Bösch: Ich hatte vor einem Jahr eine 16-jährige Patientin. Das ganze Gespräch war darauf konzentriert, ihr zu sagen, dass es nicht sinnvoll ist, diese Operation schon jetzt durchzuführen. Die Patientin war nicht reif dafür. Ein paar Wochen später bei einer Nachfrage sagte die Patientin, das Problem bestehe nicht mehr, sie sei schon lange operiert.

«Wir sagen Nein, wenn jemand nicht klar sagen kann, was ihn stört.»

zentralplus: Wie lautet hier die Regel?

Bösch: Minderjährige Patienten oder solche, die in der persönlichen Entwicklung noch nicht reif sind, operieren wir nicht. Aber leider werden diese Regeln von gewissen Leuten verletzt, das ist keine gute Entwicklung.

zentralplus: Aber ist es gesetzlich erlaubt?

Bösch: Nein, Minderjährige brauchen das Einverständnis der Eltern. Aber wenn Jugendliche ihre Eltern unter Druck setzen, unterschreiben sie das.

zentralplus: Wann lehnen Sie einen Eingriff ab?

Bösch: Wenn die persönliche Selbstentwicklung nicht ausgereift ist oder wenn jemand eine verzerrte Selbstwahrnehmung hat, eine sogenannte Dysmorphophobie. Das trifft auf etwa sechs Prozent unserer Patienten zu, sie würden auch das Resultat verzerrt wahrnehmen. Nein sagen wir auch, wenn jemand im Gespräch nicht klar sagen kann, was ihn stört, wenn ein Patient ein allgemein überlagertes Problem hat oder in einer schwierigen Lebenssituation ist. Im Gespräch werden diese Fragen geklärt.

zentralplus: Wie läuft so ein Gespräch ab?

Bösch: Sie kommen als Patient und beschnuppern mich: Kann er das, was ich will, versteht er mich? Ich auf der anderen Seite schaue Sie an und frage mich: Ist es vernünftig, was Sie wollen? Können Sie die Veränderung und den Eingriff einordnen? Wird der Verlauf aufgrund der Persönlichkeitsstruktur schwierig werden? Dann wird entschieden, ob operiert wird oder nicht.

Eine Klinik auf Instagram: Wieso nicht?


 

zentralplus: Kann ein äusserer Makel ein Grund sein, wieso es jemandem nicht gut geht?

Bösch: Ich habe gestern eine Patientin zehn Jahre nach einer Nasen-Operation getroffen. Sie hat mir gesagt: «Wissen Sie, dass Sie mein Leben verändert haben?» Solche Aussagen hören wir immer wieder, unser Business ist nicht oberflächlich.

zentralplus: Angenommen, ich würde zu Ihnen kommen und sagen: Meine abstehenden Ohren stören mich. Was sagen Sie?

Bösch: Ich würde sie detailliert fragen, was Sie genau an Ihren Ohren stört. Aber auch: Wieso kommen Sie erst jetzt? Denn die meisten kommen früher, wenn es sie wirklich stört. Mit dieser Frage finde ich heraus, ob ein bestimmter Lebensumstand der Auslöser für Ihren Besuch war.

zentralplus: Gibt es denn noch Stellen am Körper, die von Schönheitschirurgie ausgenommen sind?

Bösch: Es gibt Regionen, wo Korrekturen schwieriger sind. Zum Beispiel überstehende Haut am Brustkorb seitlich oder an den Unterschenkeln.

«Mit vielen Patienten analysiere ich ihre Körperhaltung, diese hat einen enormen Einfluss.»

zentralplus: «Ihre Körperhülle ist entscheidend für Ihre Erscheinung», heisst es auf Ihrer Website. Würden Sie also jeder und jedem raten, etwas an sich zu ändern?

Bösch: Nein, nur, wenn’s einen stört. Es gibt viele Leute mit Makel, die sie nicht stören. Darum finde ich es nicht angebracht, wenn Patienten im Gespräch auf etwas hingewiesen werden, das sie nicht stört.

zentralplus: Also würden Sie unterschreiben, dass für die Erscheinung die innere Zufriedenheit genauso wichtig ist wie die Körperhülle?

Bösch: Absolut! Das sage ich täglich, und das wissen die Patienten auch. Ich kann an der Hülle etwas verändern, aber für ihren Auftritt sind sie selber verantwortlich. Mit vielen Patienten analysiere ich ihre Körperhaltung, diese hat einen enormen Einfluss auf die Gesamterscheinung.

zentralplus: Aber daran verdienen Sie ja nichts?

Bösch: Es gibt äussere Zeichen wie hängende Brauen, die einen traurig und müde aussehen lassen, obwohl man sich  nicht so fühlt. Gegen diese Diskrepanz kann ich etwas machen.

zentralplus: Kürzlich hat man im «Tages-Anzeiger» gelesen, dass Coiffeure den Schönheitschirurgen Kunden zuhalten. Bei Ihnen auch?

Bösch: Im Schönheitsbereich sind Gespräche zum Thema und gegenseitige Empfehlungen häufig. Coiffeure, Kosmetikerinnen, Fotografen und auch Leute in der Modebranche sind alle an Schönheit interessiert. Es ist alltäglich, sich darüber auszutauschen.

zentralplus: Wann wird es zum Problem?

Bösch: Wichtig bei bestehenden Verbindungen oder Abhängigkeiten ist, diese dem Patienten zu kommunizieren. Es gilt die Transparenzklausel: Man muss die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen oder der Industrie transparent machen.

zentralplus: Es gibt in der Beauty-Branche und unter Schönheitschirurgen schwarze Schafe. Was sind die Probleme?

Bösch: Auf gewissen jungen Kollegen lastet ein hoher wirtschaftlicher Druck. Weil sie viel investiert haben, müssen sie ihre Strukturen am Laufen halten, werben aktiv und verstossen damit gegen allgemeine Regeln.

zentralplus: Es gibt Kliniken, die bewerben ihre Angebote offensiv. Ist denn Werbung für Ärzte nicht verboten?

Bösch: Doch, es gibt das Medizinalberufegesetz, die Standesordnung der Ärztegesellschaften und das Heilmittelgesetz, wo geregelt ist, was man machen darf und was nicht.

«Diese Werbung ist auf verschiedenen Ebenen nicht zulässig.»

zentralplus: Und dann gibt es Ärzte, die sich um diese Regeln foutieren?

Bösch: Ja, aber diese müssen mit Konsequenzen rechnen. Schwarze Schafe werden beispielsweise nicht Mitglied bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie (SGAC).

zentralplus: Von einer Luzerner Klinik gibt’s konkret die «Aktion Busenfreundin»: Wenn Frauen zu zweit kommen, gibt’s 1000 Franken Rabatt (zentralplus berichtete). Ist das zulässig?

Bösch: Diese Art von Werbung ist auf verschiedenen Ebenen nicht zulässig: Zum einen dürfen Patienten nicht aktiv beworben werden, zum anderen dürfen sie nicht durch Rabattierungen zur einer Operation verleitet werden.

zentralplus: Aber Folgen hat es ja keine.

Bösch: Die Regeln sind da, die Behörden und die Standesorganisationen müssten die Einhaltung eigentlich überprüfen.

zentralplus: Also ist es ein Ressourcenproblem?

Bösch: Wahrscheinlich, weil die Regelüberschreitung nur für eine kleine Gruppe von Ärzten relevant ist.

zentralplus: Sind konkrete Preisofferten auf der Website seriös?

Bösch: Das machen wir nicht. Selbstverständlich sind unsere Kosten transparent, aber erst, wenn wir mit dem Patienten gesprochen und genau vereinbart haben, was durchgeführt wird. Zu jedem Eingriff gibt es einen Kostenvoranschlag, das ist Teil der Aufklärung.

zentralplus: Werden wir noch etwas philosophisch, sie haben ja ein Nachdiplomstudium in Philosophie und Management: Ist es wünschenswert, wenn man immer mehr Makel beseitigen kann? Fragen Sie sich das auch?

Bösch: Häufig (überlegt). Ich erkläre diese Gegebenheit mit Bedürfnisebenen: Wir funktionieren alle mit Befriedigung von Bedürfnissen. Wenn bestimmte fundamentale Bedürfnisebenen gedeckt sind, kommen neue Begehrlichkeiten, etwa jene, die wir befriedigen. Es ist also ein Zeichen von Luxus, wenn eine Gesellschaft so viel in einen solchen Bereich investieren kann.

zentralplus: Und man kann fragen, ob es moralisch zulässig ist.

Bösch: Ja, man kann auch religiös argumentieren: Ist es zulässig, ins göttliche Handwerk Einfluss zu nehmen? Aber diese Fragen lassen sich bei verschiedensten medizinischen Behandlungen stellen. Da müsste man vielen Krankheiten den Lauf der Natur lassen.

zentralplus: Sind Menschen heute so schön wie noch nie?

Bösch: Ich finde, es gibt sehr viele schöne Menschen. Aber ich finde, es hat auch sehr viele schöne Menschen in Regionen, die ärmer sind und mit weniger Möglichkeiten für Korrekturen. Ich würde die Schönheit der Menschen also nicht davon abhängig machen.

zentralplus: Werden Sie oft im privaten Rahmen nach Ihrer Meinung gefragt?

Bösch: Ja, aber manchmal verrate ich meinen Beruf bewusst nicht, damit ich Ruhe habe. Es gibt auch Situationen bei Anlässen, wo Patienten mich nicht kennen, aber am nächsten Tag anrufen und sich entschuldigen. Sie konnten mich nicht grüssen, weil dann andere bemerkt hätten, dass sie mich kennen. Das ergibt interessante Konstellationen.

zentralplus: Und welche Frage müssen Sie am häufigsten beantworten?

Bösch: Was würden Sie machen? Soll ich meine Lider korrigieren? Solche Fragen.

zentralplus: Und dann machen Sie einen Termin ab?

Bösch: Ich frage zurück: Was stört Sie? Wenn wir das tiefer besprechen wollen, müssen sie in meine Sprechstunde kommen.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Anna
    Anna, 14.01.2023, 10:27 Uhr

    Das ist die perfekte versteckte Werbung

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Heinz Gadient
    Heinz Gadient, 29.08.2017, 13:00 Uhr

    Ich weiss nicht mehr welche Sendung es war, jedenfalls ging eine etwa 20jährige, schöne Frau (ihres Zeichens Miss Aargau) mit versteckter Kamera zu 10 Plastischen Chirurgen, von wegen Fett absaugen an den Oberschenkeln, Brustvergrösserung, Nasenkorrektur etc. Ein Einziger!!! ,etwa 60 Jahre alt und eher bekannt für Wiederherstellungs-Chirurgie bei Unfallopfern meinte:»Junge Frau, sie sind sehr schön, da machen wir jetzt aber gar nichts.» 3 hätten gegen Barzahlung gleich losgelegt. Von wegen Gespräch und Abklärung.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon