Zug: Knausrige Sozialversicherung im Plus

Nirgends ist es so schwer, eine IV-Rente zu bekommen

Die Luzernerin Heidi Schwander ist Abteilungsleiterin der IV-Stelle Zug und Rechtsanwältin.

Die Ausgleichskasse und IV-Stelle Zug ist eine der reichsten Sozialversicherungen der Schweiz, 2016 machte sie 379 Millionen Gewinn. Gespart wird zum Beispiel bei den IV-Renten. IV-Abteilungsleiterin Heidi Schwander erklärt, warum ihre Mitarbeiter robust sein müssen im Umgang mit sehr fordernden Personen.

zentralplus: Frau Schwander, die Anwältin eines IV-Versicherten hat der IV Zug kürzlich «Trödelei» vorgeworfen und dies über die Lokalzeitung publik gemacht. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf, warum gehen IV-Entscheide generell so lange?

Heidi Schwander: Ein IV-Fall führt ganz unterschiedliche Aspekte zusammen: Der eine betrifft die wirtschaftliche Situation des Versicherten, seine Arbeitssituation. Dann stellt sich die Frage, ob sein Gesundheitszustand stabil oder volatil ist, ob ein Heilungsprozess im Gang ist oder nicht. Das alles kann dazu führen, dass wir unterschiedliche Vorgehensweisen und Massnahmen aussprechen. Bei einer Umschulung oder Eingliederung vergehen rasch ein bis vier Jahre, in dieser Zeit werden sicher keine Rentenentscheide getroffen. Von daher ist es schwierig, die Frage nach der Dauer generell zu beantworten. Wenn Leute sich neu anmelden und fragen, wie lange sie rechnen müssen bis zu einem Entscheid, machen wir deshalb keine Prognose. Uns ist aber wichtig, dass wir seriöse und gute Abklärungen treffen und wir einen Entscheid treffen, hinter dem wir stehen können.

«Viele Anmeldungen enden mit einem negativen Rentenentscheid.»
Heidi Schwander

zentralplus: Die IV Zug lehnte im letzten Jahr 59,3 Prozent aller neuen Rentengesuche ab. Was ist der Grund für diese Strenge?

Schwander: Wir prüfen jedes Gesuch sehr genau, fördern in erster Linie die Eingliederung und stellen bei Rentenentscheiden konsequent auf den ausgeglichenen Arbeitsmarkt ab. Viele Anmeldungen enden deshalb mit einem negativen Rentenentscheid. Ein negativer Rentenentscheid schliesst nicht aus, dass vorgängig Eingliederungsleistungen zugesprochen wurden. Ebensowenig lässt sich aber der Schluss daraus ziehen, dass die Anmeldungen zu Unrecht oder gar in missbräuchlicher Art eingereicht wurden.

Die Ausgleichskasse und IV-Stelle Zug hat ihren Sitz an der Baarerstrasse 11 in Zug.

zentralplus: Laut Ihrem Chef Rolf Lindenmann sind Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung oft ganz oder teilweise berufstätig. Probleme bereiteten die psychischen Erkrankungen. Entstehen für Ihre Mitarbeiter manchmal schwierige Situationen mit solchen Personen, und wie gehen Sie damit um?

Schwander: Ich sage immer: Wer bei der IV arbeiten will, muss ziemlich gut geerdet sein und eine gewisse Robustheit mitbringen. Es ist ein schwieriges Umfeld. Die Vorwürfe lauten oft: Wir geben zu viel, wir geben zu wenig oder wir geben es den Falschen. Es gibt immer Kritik. In diesem Spannungsfeld bewegen sich unsere Mitarbeiter. Das auszuhalten, ist nicht immer ganz einfach.

zentralplus: Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

Schwander: Es arbeiten deshalb Personen aus unterschiedlichen Berufsgruppen bei der IV. Leute in der Eingliederung haben oft einen psychologischen Hintergrund. Wir haben auch einen regen internen Austausch, um schwierige Situationen zu diskutieren und dennoch weiterarbeiten zu können. Die grosse Herausforderung auf einer IV-Stelle besteht darin, den unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Arbeitgeber erwarten, dass wir handeln. Der Arzt desselben Versicherten findet, dieser müsse möglichst geschont werden. Der Versicherte seinerseits möchte rasch Leistungen. In einem solchen Fall zu merken, was zielführend ist – aus Sicht der IV –, ist herausfordernd. Neue IV-Mitarbeiter brauchen deshalb ein grosses Fachwissen, das sie sich in der zweijährigen Einarbeitungszeit aneignen.

zentralplus: Haben gewisse Personen ein Hausverbot?

Schwander: Es gibt natürlich Personen, die im Umgang sehr schwierig sind. Da müssen wir uns schützen und tun das auch. Aber es sind absolute Ausnahmefälle, und sie stehen für uns in der täglichen Arbeit nicht im Zentrum.

«Es gab schon Personen, die aufs Attentat von Zug Bezug nahmen, was ein absolutes No-Go ist im Kanton Zug. Manchmal sind es auch Hilfeschreie.»
Heidi Schwander, Abteilungsleiterin IV-Stelle Zug

zentralplus: Haben Sie eine Zahl?

Schwander: Nein. Es ist für mich ähnlich wie beim Versicherungsbetrug. Wir müssen die Sensibilität behalten, aber wir dürfen uns nicht lähmen lassen. Sonst machen wir uns selbst handlungsunfähig. Man muss dies ernst nehmen und die Mitarbeiter als Vorgesetzter so weit entlasten, dass sie wieder produktiv sein können. Es wäre das Schlimmste, wenn wir uns von Missbräuchen und Menschen, die – nett gesagt – sehr fordernd auftreten, einengen lassen, dass wir nicht handlungsunfähig werden. Manchmal sind es auch Hilfeschreie. Es gab schon Personen, die aufs Attentat von Zug Bezug nahmen, was ein absolutes No-Go ist im Kanton Zug, man nimmt keinen Bezug auf diesen Fall. Aber man hat dann gemerkt, dass diese Äusserungen keine Angst auslösten.

zentralplus: Bei wem?

Schwander: Bei unseren Mitarbeitern. Wir merkten, dass diese Person zu einem absoluten Notmittel griff. Als man mit ihr sprach und sie darauf aufmerksam machte, dass das ein No-Go ist, brach der ganze Wall zusammen und wir kamen auf das wirkliche Problem zu sprechen. Das herauszufinden, braucht manchmal ein gewisses Fingerspitzengefühl: Sind wir in Gefahr? Oder haben wir es mit einem Hilfeschrei zu tun?

zentralplus: Die IV-Fälle in Zug nehmen immer mehr ab. Was sind die Gründe dafür?

Schwander: Wir sind auf einem tiefem Niveau stabil und haben das Gefühl, den Sockel erreicht zu haben. Das ist unser politischer Auftrag. Die IV ist ein Sanierungsfall. In den 2000er-Jahren überbordeten die IV-Renten und man musste Gegensteuer geben. Die IV-Rentner aus den Boom-Jahren kommen im Übrigen langsam ins Rentenalter und fallen deshalb heraus. Ausserdem war es früher gang und gäbe, dass Arbeitgeber ältere Arbeitnehmer über die IV in Frühpension schickten. Diese Zeiten sind vorbei.

Überschuss wegen «boomender Zuger Wirtschaft»

Die Ausgleichskasse und IV-Stelle Zug ist reich. Ihr «Hauptgeschäft» sind die Beiträge für AHV, IV und Erwerbsersatz. 2016 überwies die Zuger Sozialversicherung 782 Millionen Franken an die zentrale Ausgleichskasse in Genf und erhielt im Gegenzug 403 Millionen Franken an Leistungen. Dazwischen liegt ein Überschuss von 379 Millionen Franken. Dieser zeuge von der «boomenden Zuger Wirtschaft», sagt Leiter Rolf Lindenmann, der den Geschäftsbericht 2016 präsentierte.

Rentenauszahlung als letztes Mittel

Aus dem Bericht geht hervor, wie die Kasse auf diese Zahlen kommt: durch Knausrigkeit bei den IV-Renten. Die Rentenauszahlung sei das allerletzte Mittel, sagt Heidi Schwander, Abteilungsleiterin der IV-Stelle Zug (siehe Interview). 2016 seien 110 Personen erfolgreich im Arbeitsmarkt integriert worden. «Wenn man eine Person im Erwerbsleben eingliedert oder einen Arbeitsplatz erhält, hat die IV 250’000 Franken eingespart», so Schwander.

Die Zahl der IV-Rentner in Zug hat seit zwölf Jahren kontinuierlich abgenommen. Gab es im Jahr 2005 noch 2’565 Bezüger, waren es Ende 2015 2’277 Personen.

Im Jahr 2016 lehnte die Zuger IV-Stelle 59,3 Prozent der Rentengesuche ab (2015: 60,4 Prozent). Ausserdem werden laufende Renten «konsequent und regelmässig» überprüft. 2016 wurden 325 Fälle neu beurteilt. 20 Renten wurden herabgesetzt oder aufgehoben.

Dabei greift die Stelle laut Rolf Lindenmann manchmal auch zu ungewöhnlichen Mitteln. Der Chef der Sozialversicherung: «Wir dürfen Observationen machen und tun dies auch.» Er spricht von «unter 10 Fällen im Jahr». Dann folgt immerhin ein Satz zugunsten der Betroffenen: «Nicht jeder, der sich bei der IV anmeldet, ist ein Betrüger», so Lindenmann.

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