Fast doppelt so viele Straffälle in fünf Jahren

Luzerner Gerichte: «Wir sind wie die Autobahn – am Limit»

Marius Wiegandt, Anton Bühlmann und Yvonne Zwyssig zeigen auf, was die Gerichte zu tun haben.

(Bild: jal)

Immer mehr mutmassliche Straftäter kommen in Luzern vor Gericht. Seit 2011 ist die Zahl der Strafprozesse an den Bezirksgerichten und am Kriminalgericht um 84 Prozent gestiegen. Wurde Luzern so viel krimineller?

Die Luzerner Gerichte führten im letzten Jahr mehr Strafprozesse als in den letzten Jahren. Das geht aus dem Geschäftsbericht 2016 hervor, der diesen Dienstagvormittag präsentiert wurde. Am Kriminalgericht und an den Bezirksgerichten stieg die Zahl der Strafprozesse von 230 auf 423 – ein Plus von 84 Prozent.

Auch bei der nächsthöheren Instanz, dem Kantonsgericht, kommen mehr verdächtige Straftäter auf die Anklagebank: Doch nicht nur die Zahl steigt, die Fälle werden zudem immer komplexer – und damit langwieriger. So konnten nur noch knapp 92 Prozent aller Fälle innert Jahresfrist erledigt werden. In den Vorjahren waren es jeweils zwischen 95 und 99 Prozent.

Strengere Auflagen

Ist Luzern krimineller geworden? Nein, nicht unbedingt, erklärt Yvonne Zwyssig, Vizepräsidentin der erstinstanzlichen Gerichte. Der Anstieg der Strafprozesse sei mitunter auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Zudem seien die Verfahren im Allgemeinen aufwendiger geworden, weil die Strafprozessordnung und das Bundesgericht strengere Vorgaben machten, indem beispielsweise den Parteien mehr Rechte eingeräumt werden. «Die Gerichte müssen ihre Urteile tendenziell auch sorgfältiger und ausführlicher begründen – was gut ist, aber mehr Aufwand bedeutet.»

 

 

 

Wie bereits im Rahmen der Kriminalstatistik 2016 publik wurde, beschäftigt zudem die Wirtschaftskriminalität die Luzerner Justiz immer stärker. «Da kommen in der Regel ganze Aktenberge zusammen, denn oft sind Profis am Werk, die wissen, wie sie ihre Taten vertuschen müssen», sagt Zwyssig. Die Luzerner Staatsanwaltschaft führt seit Mitte 2016 eine eigene Abteilung für Wirtschaftsdelikte. Nicht zuletzt führt die technische Entwicklung in Sachen Internet und Datenverarbeitung dazu, dass die Fälle komplexer werden.

Vermeintlicher Widerspruch

Trotzdem: Dass die Gerichte mehr Strafprozesse führen, erstaunt auf den ersten Blick. Denn die Staatsanwaltschaft erledigt inzwischen den grössten Teil ihrer Fälle mittels Strafbefehl – das heisst, ohne Gericht. Ist ein Täter geständig oder die Beweislast klar, macht ihm die Staatsanwaltschaft quasi eine «Offerte», meist in Form einer Busse oder einer Strafe bis zu sechs Monaten. Nimmt der Beschuldigte sie an, ist der Fall abgeschlossen. Nur wenn der Verdächtige nicht zustimmt, kommt es zu einem Gerichtsverfahren. Die Luzerner Behörden haben letztes Jahr knapp 40’000 Strafbefehle ausgestellt – bei insgesamt knapp 50’000 neuen Fällen.

Bundesgericht gibt Luzerner Richtern meist Recht

Abgesehen von dem Plus bei den Strafprozessen ging die Zahl der neuen Fälle letztes Jahr insgesamt zurück, insbesondere sind weniger sozialrechtliche Fälle eingegangen. Die Luzerner Gerichte haben im letzten Jahr mehr als 13’000 Verfahren erledigt. Die erstinstanzlichen Gerichte verzeichneten im vergangenen Jahr 9006 Eingänge, 2,4 Prozent weniger als im Durchschnitt der Vorjahre. Über 95 Prozent der Entscheide blieben unangefochten und wurden von den Betroffenen akzeptiert. Auch beim Kantonsgericht, das letztes Jahr 2499 Fälle abschloss, erwuchs die Mehrheit der Urteile in Rechtskraft.

305 Urteile wurden ans Bundesgericht weitergezogen – rund 60 mehr als im Vorjahr. In 36 Fällen urteilte das höchste Gericht des Landes anders als die Luzerner Richter.

«Mehr Strafbefehle bedeuten auch mehr Einsprachen dagegen – und diese Fälle landen bei uns», erklärt Yvonne Zwyssig den vermeintlichen Widerspruch. Da die Staatsanwaltschaft zudem mehr Mittel für Untersuchungen zur Verfügung habe und damit schneller arbeite, gebe es für die Gerichte zwangsläufig mehr zu tun. «Wir sind wie die Autobahn: am Limit. Wenn etwas Ungewöhnliches dazwischenkommt, staut es.»

Eine Million «gespart»

Es ist das erste Mal seit über zehn Jahren, dass die Luzerner Gerichte wieder ausführlicher über ihre Tätigkeit berichten. Aus Kostengründen war ihr Geschäftsjahr zuletzt jeweils Teil des Berichts der Regierung, doch aufgrund einer Motion der kantonsrätlichen Aufsichts- und Kontrollkommission gibt es für 2016 eine separate Dokumentation der Gerichte.

Diese nutzen diese Möglichkeit, um für ihre Arbeit – und die dafür benötigten Mittel – zu werben. «Trotz dem enormen Spardruck müssen wir einen verlässlichen Rechtsstaat gewährleisten», sagt Kantonsgerichtspräsident Marius Wiegandt und erteilt möglichen Sparmassnahmen eine vorsorgliche Abfuhr. Auch angesichts neuer Gesetze – Stichworte: Ausschaffungs-Initiative oder neues Betreuungsrecht – bräuchten die Gerichte genügend Ressourcen. «Die Arbeit der Justiz wird nicht kleiner, sondern grösser.»

Erledigte letztes Jahr 2500 Fälle: Das Luzerner Kantonsgericht am Hirschengraben.

Erledigte letztes Jahr 2500 Fälle: Das Luzerner Kantonsgericht am Hirschengraben.

(Bild: jal)

Den grössten Teil des 55-Millionen-Franken-Budgets verwenden die Gerichte für das Personal, namentlich knapp 39 Millionen. Die Luzerner Gerichte beschäftigten im letzten Jahr 314 Mitarbeitende, verteilt auf 262 Vollzeitstellen. Man arbeite sehr effizient, betonte Wiegandt und verwies darauf, dass die Luzerner Gerichte das letzte Jahr rund eine Million Franken besser abschlossen als budgetiert.

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