Vorwurf: Reiche und Firmen werden bevorzugt

Pilatusplatz bis Bodum-Villa: Luzerner Ex-Denkmalpfleger teilt aus

Die Villa links soll abgerissen werden, das Häuschen rechts verschoben – beides kritisiert der ehemalige Denkmalpfleger André Meyer scharf.

(Bild: zvg / Montage zentralplus)

Eine alte Villa abreissen an der Obergrundstrasse? Ein Hochhaus am Pilatusplatz? Absolute No-Gos, findet der ehemalige Luzerner Denkmalpfleger. André Meyer kritisiert, Stadt und Kanton hätten kein Bewusstsein für historische Bauten, wirtschaftliche Interessen würden in Luzern bevorzugt. Und er nimmt die Denkmalpflege in die Pflicht.

Seit der Hausbesetzung Gundula 2.0 diskutiert man in Luzern eifrig über Denkmalschutz. Die Hausbesetzer haben im April aufgedeckt, dass Liegenschaftsbesitzer Jørgen Bodum die geschützte Villa an der Obergrundstrasse 99 dem Zerfall überlässt. Trotzdem hat er von der Stadt Luzern eine Abrissbewilligung erhalten (unsere bisherigen Artikel dazu).

Politiker und Architekten kritisieren das Vorgehen – so werde der Ortsbildschutz obsolet. Die städtische Baudirektion gerät unter Beschuss, bei der kantonalen Denkmalpflege hält man sich raus und verweist auf die Stadt.

Anders der ehemalige Luzerner Denkmalpfleger André Meyer: Er mischt sich mit Leidenschaft in Diskussionen ein. Das tat er bereits energisch, als es um die Salle Modulable auf dem Inseli ging, und er tut es wieder. Er wirft den Behörden mangelndes Bewusstsein für historische Bauten vor.

zentralplus: Der Besitzer einer geschützten Villa an der Obergrundstrasse darf diese abreissen. Hätten Sie als Denkmalpfleger interveniert?

André Meyer: Ja! Es ist ein Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man Macht hat. Jemand mit weniger Einfluss als Bodum könnte die Villa sicher nicht einfach so abbrechen.

zentralplus: Gewichtet die Stadt also die wirtschaftlichen Interessen höher als den Ortsbildschutz?

Meyer: Es heisst jetzt einfach, eine Sanierung sei nicht mehr verhältnismässig. Aber man kann nur von Verhältnismässigkeit reden, wenn eine Sanierung wesentlich teurer wäre als ein Ersatzbau in der jetzigen Grösse – also wenn man die Villa wieder gleich aufbauen würde. Aber der Besitzer will ja einen Neubau, der grösser ist. Das kann man nicht mit Verhältnismässigkeit begründen. Wenn man so argumentiert, wurde meiner Meinung nach die Abwägung nicht seriös gemacht.

«Es ist überhaupt kein kulturelles Verantwortungsbewusstsein vorhanden, weder beim Kanton noch bei der Stadt.»

zentralplus: Wie bedeutend ist denn das Ensemble dieser Villen?

Meyer: Sehr bedeutsam, die Villen sind alle im gleichen Stil und liegen in der Schutzzone B und sind im Bundesinventars der schützenswerten Objekte. Eigentlich haben hier alle versagt.

So sah die Villa an der Obergrundstrasse aus, bevor sie besetzt wurde und bevor Gerüste aufgestellt wurden.

So sah die Villa an der Obergrundstrasse aus, bevor sie besetzt wurde und bevor Gerüste aufgestellt wurden.

(Bild: jav)

zentralplus: Müsste man den Ortsbildschutz strenger auslegen?

Meyer: Ja, sonst kann man ja alles machen und begründen, wenn es der Stadt oder einem einflussreichen Unternehmer gehört. Luzern steckt in einem Dilemma, es ist überhaupt kein kulturelles Verantwortungsbewusstsein vorhanden, weder beim Kanton noch bei der Stadt.

Zur Person

André Meyer war von 1973 bis 1991 Denkmalpfleger des Kantons Luzern und sass zwischen 1979 und 1991 im Kantonsrat. Von 1991 bis 1996 war er Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege. Bis 2007 dozierte er zudem an der Hochschule für Technik und Architektur. Seit 1999 führt Meyer ein selbstständiges Büro für Architektur und Denkmalpflege. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu Denkmalpflege, Architektur und Städtebau.

zentralplus: Das sind heftige Vorwürfe.

Meyer: Eigentlich ist es klar, dass in der Schutzzone B das Äussere geschützt ist. Klar braucht jedes Gesetz eine Ausnahme, aber hier wurde es einfach missbraucht. Der Staat argumentiert immer mit dem öffentlichen Interesse, das muss man hinterfragen, denn der Staat hat schliesslich auch eine Verantwortung.

zentralplus: Es gibt durchaus Widerstand gegen den Abriss der Villa. Wird es einen Gerichtsfall geben?

Meyer: Man hat kaum eine Handhabe. Ein Nachbar müsste Einsprache erheben und bis ans Bundesgericht gelangen, aber suchen Sie den mal (lacht).

zentralplus: Es waren Hausbesetzer, die auf den Missstand und schlechten Zustand der Villa hingewiesen haben. Haben sie richtig gehandelt?

Meyer: Eigentlich finde ich diese Hausbesetzerei eine Sauerei, das geht auch nicht. Man müsste das Thema sachlich angehen, sonst wird es in eine parteipolitische Ecke getrieben. Das hätte eigentlich die Denkmalpflege machen müssen.

zentralplus: Die Verantwortung liegt aber bei der Stadt. Von der Denkmalpflege hört man diesbezüglich nichts.

Meyer: Überhaupt nichts, die sind nicht existent. Das war früher anders, wir waren immer in der Presse.

«Alles wird einfach verschoben und neu arrangiert.»

zentralplus: Ist die Denkmalpflege heute zu zahnlos?

Meyer: Ja, das würde ich sagen, sie ist zu schwach. So bräuchte es eigentlich keine Denkmalpflege mehr, das Baugesetz würde ausreichen.

zentralplus: Wären Sie auf die Barrikade gegangen?

Meyer: Ja, ich hätte auch meinem Chef gesagt, dass das nicht geht. So etwas kann man nicht machen. Aus meiner Sicht läuft es in Luzern momentan nicht gut.

zentralplus: Woran fehlt es denn? An der Wertschätzung für historische Bauten?

Meyer: Das Bewusstsein fehlt bei den Behörden von Stadt und Kanton, aber auch bei der Denkmalpflege, die einfach zuschaut und alles absegnet, was von der öffentlichen Hand kommt.

zentralplus: Sie werfen der Stadt vor, unsorgfältig mit der historischen Bausubstanz umzugehen. Haben Sie weitere Beispiele?

Meyer: Ja, etwa am Pilatusplatz, wo das Hochhaus geplant ist. Das Hochhaus selbst wäre mir ja noch egal. Viel wichtiger ist: Erstens steht vis-à-vis der Grundhof, ein denkmalgeschütztes Objekt und eines der bedeutendsten Herrenhäuser aus dieser Zeit. Davon redet kaum jemand. Ein 35 Meter hoher Bau ist da völlig fehl am Platz. Aber er ist trotzdem genehmigt worden.

Es geht noch weiter: Da steht das Riegelhäuschen, das sie verschieben wollen, und die Denkmalpflege sagt dazu Ja (zentralplus berichtete). Das erstaunt mich, denn die Denkmalpflege müsste zumindest den Umgebungsschutz sichern. Alles wird einfach verschoben und neu arrangiert.

Das hintere kleinere Riegelhaus beim Pilatusplatz würde wegen des Hochhauses versetzt – für André Meyer eine falsche Lösung.

Das hintere kleinere Riegelhaus beim Pilatusplatz würde wegen des Hochhauses versetzt – für André Meyer eine falsche Lösung.

(Bild: jwy)

zentralplus: Aber das von der Musikschule genutzte Haus ist ja offenbar nicht denkmalgeschützt und wurde bereits im 19. Jahrhundert einmal verschoben.

Meyer: Man hat bis in die 60er- und 70er-Jahre oft Häuser verschoben, da war eine ganze Industrie dahinter. Das wurde zu Recht stark kritisiert, weil der Grund ja auch zur Bausubstanz gehört.

zentralplus: Aber die Denkmalpflege hat nichts gegen die Verschiebung des Riegelhäuschens.

Meyer: Sobald ein Bauprojekt kantonal oder von der Stadt ist, kann man anscheinend alles machen und verschieben. Bei Privaten will man bei jeder Hausfarbe mitreden, geht bis ins Detail und blockt ab. Das ist einfach nicht richtig, es regt mich auf, dass da nicht für alle der gleiche Massstab gilt.

zentralplus: Also dürfte man am Pilatusplatz Ihrer Meinung nach kein Hochhaus hinstellen?

Meyer: Es erstaunt mich schon, dass man sagt: Wir verschieben das und ordnen es neu an. So macht man auf Heimatstil, sozusagen Ballenberg. Und das nur, damit die Stadt hier 35 Meter hoch bauen kann und dafür einen Investor findet.

«Solange ich da bin, werde ich meine Meinung sagen.»

zentralplus: Es ist ein Abwägen von Interessen.

Meyer: Klar muss die öffentliche Hand auf die Steuergelder und die Finanzen schauen, aber sie hat auch eine Verantwortung für das kulturelle Gut. Das muss man abwägen und dafür wäre die Denkmalpflege da. Dafür haben wir eine Fachbehörde.

zentralplus: Hätte man das ganze Ensemble mit der «Schmitte» erhalten müssen?

Meyer: Im Prinzip schon, ja. Schon mit diesem Hotz-Bau, dem Glas-Neubau, ist man mit einer Brandmauer viel zu nahe an den Grundhof herangefahren, dass er jetzt «verlochet» ist. Schon das war falsch, es ist eine Katastrophe. Der ganze Pilatusplatz ist «verkachelt».

Zu nahe? Neubau und Altbau am Pilatusplatz.

Zu nahe? Neubau und Altbau am Pilatusplatz.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

zentralplus: Wieso ist der Pilatusplatz denn schützenswert? Er gehört ja nicht zur Altstadt.

Meyer: Zu lange hat man die Altstadt nur als mittelalterlichen Kern genommen. Was man immer verkennt: Es gab schon im Mittelalter eine Stadt vor der Stadt. Man hat bewusst gewisse Infrastrukturbauten ausserhalb der Stadt angesiedelt, etwa das einstige Heiliggeist-Spital wegen der Seuchen oder den Richtplatz. Auch die Spitalmühle gehörte dazu – also das zweite Riegelhaus am Pilatusplatz, das nicht verschoben wird und unter Schutz steht.

zentralplus: Dürfte man am Pilatusplatz also gar nichts neu bauen?

André Meyer auf einer älteren Aufnahme – der ehemalige Denkmalpfleger wollte sich nicht fotografieren lassen.

André Meyer auf einer älteren Aufnahme – der ehemalige Denkmalpfleger wollte sich nicht fotografieren lassen.

(Bild: zvg)

Meyer: So hoch sicher nicht, nein. Man hat einen Zonenplan gemacht, der dort ein Hochhaus vorsieht. Jetzt hat man gemerkt, dass man den Abstand nicht hat, also verschiebt man das Haus – das geht einfach nicht! Einen Privaten hätte man mit dieser Idee nach Hause geschickt.

zentralplus: Wo wurde Ihrer Ansicht nach noch gepfuscht?

Meyer: Beim Neubau des Reusswehrs war es dasselbe, das ist heute ein «Faux-vieux», man hat einfach das alte imitiert. Es tut so, als wäre es alt, ist es aber nicht mehr. Es war ein Hochwasserprojekt des Kantons, also hat man nichts gesagt.

Luzern lebt heute vom «Faux-vieux»: das Lessinskihaus in der Kramgasse, der Torbogen beim Bahnhof, den man verschoben hat, die wiederaufgebaute Kapellbrücke, die ohne Bilder und mit all diesen Lücken auch nicht mehr befriedigend ist. Jetzt macht man das Gleiche am Pilatusplatz, es ist eine Katastrophe.

zentralplus: Gut, den Torbogen hat man aufgrund des Brandes verschoben.

Meyer: Klar, aber man hat ihn trotzdem versetzt und hat einen Lüftungskanal hineingetan, das ist problematisch … es ist ein Disneyland, das wir haben.

zentralplus: Aber es gibt ja auch gute Beispiele – die Museggmauer hat man sorgfältig und gelungen restauriert.

Meyer: Ja, aber die Stadt hat das abgegeben an eine Stiftung, eigentlich gehört das in die Verantwortung der Stadt. Dafür bezahlen wir doch die Steuern, da gehört auch die Kultur dazu. Die Museggmauer ist doch das Beste, das diese Stadt hat.

zentralplus: Uneins ist man sich ja auch über das Luzerner Theater: Abreissen oder nicht?

Meyer: Das ist für mich ein Tabu. Wenn man das Geld und eine Vision für ein neues Theater hat, kann man das machen. Aber sicher nicht anstelle des alten, das muss erhalten bleiben.

zentralplus: Aber ein Abriss und Neubau am alten Ort ist eine Option.

Meyer: Ja, aber eine falsche. Innen ist es nicht mehr schutzwürdig, aber der Stellenwert dieses Baus ist gewaltig. Er liegt in einer Achse mit dem Rathaussteg und der Treppe, das ist Städtebau! Und er wurde vom Luzerner Architekten Louis Pfyffer gebaut, ebenso wie der Grundhof beim Pilatusplatz. Das Theater ist das beste klassizistische Gebäude der Stadt. Da müsste die Denkmalpflege ganz klar Stellung beziehen, und zwar jetzt schon, nicht erst, wenn es zu spät ist.

zentralplus: Wieso bringen Sie sich noch so engagiert in die Diskussionen ein? Sie könnten sich auch zurücklehnen.

Meyer: Könnte ich, aber ich bin zu engagiert, ich habe das zu lange gemacht. Solange ich da bin, werde ich meine Meinung sagen. Nur wenn man engagiert ist, kann man das seriös machen. Klar kann man sagen, es geht mich nichts mehr an, es betrifft eine andere Generation, aber dann wird alles fragwürdig.

«Es braucht Visionen, aber nicht auf Kosten des Alten.»

zentralplus: Die nächste Generation sieht es vielleicht anders.

Meyer: Klar, jede Zeit hat ihre Veränderung, Jüngere sehen gewisse Sachen anders. So bekommt es eine philosophische Richtung. Aber nur dank einigen wenigen ist die Kapellbrücke heute erhalten. Das sieht aber erst die nächste Generation, die aktuelle sagt: Wir haben eine Abwägung gemacht.

zentralplus: Sie setzen sich für mehr Denkmalschutz ein, fordern aber auch neue Visionen für die Stadt. Ist das kein Widerspruch?

Meyer: Nein, das ist kein Widerspruch, es braucht Visionen, aber nicht auf Kosten von Altem – oder sicher nicht von gutem Altem. Ich hatte auch nichts gegen das KKL, aber eigentlich hätte man es nicht anstelle des alten Kunstmuseums, eines tollen Meile-Baus, bauen dürfen. Das war ein Ensemble mit dem Brunnen, der Treppe und den Rösslein, die jetzt irgendwo am Quai völlig deplatziert stehen.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Heinz Gadient
    Heinz Gadient, 29.04.2017, 15:24 Uhr

    Auf der Webseite der Baudirektorin Manuela Jost steht geschrieben: «Für Städtebau und Arealentwicklung mit Weitsicht.» So, so, kann ich da nur sagen.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon