Mittelaltermarkt zu Luzern – «the real experience»

Wacker wagen wir die Zeitreise – bis zur Kapitulation

Ein holdes Weib auf dem Markt zu Luzern.

(Bild: jav)

Es klappert und klimpert und die Sonne treibt dem Minnesänger und der Beilwerferin den Schweiss auf die Stirn: Es ist Mittelaltermarkt auf dem Obergütsch. Doch wer das richtig authentische Erlebnis will, der braucht den ultimativen Tunnelblick. Wir zeigen’s vor.

Hoch zu Bus reisen wir an, erquickt und erfreut, uns unter das Volk am Mittelaltermarkt zu Luzern zu mischen. Der gerechten Sprache beinahe mächtig, dem Anlass ehrlicherweise nicht wirklich entsprechend gewandet, gehören wir zur Mehrheit des fröhlichen Volkes. Ein Irrsal, zu glauben, eine Zeitreise werd zu Luzern uns trefflich geboten.

Ein erster Blick auf die zu Hauf Anreisenden lässt klar werden, dass es schwierig werden wird, das vollkommen authentische Erlebnis zu bekommen. Nicht die eigene Einstellung unsere Hoffnung trübt, sondern erst mal das junge Burgfräulein in blauem Gewand, welches Hand in Hand mit einem Punk mit Irokesenschnitt und sportlichem Rucksack den Bus betritt.

Plastik, wohin das Auge blickt

Und selbst den holden Rittern ist nicht zu trauen: Blitzt bei dem einen das T-Shirt der letzten Mathematik-Olympiade unter dem Fellumhang hervor, hat der andere, kaum wird sein Gesicht von selten gespürten Sonnenstrahlen berührt, die blau-grün-verspiegelte Sport-Sonnenbrille aufgesetzt. Über das Plastikbeil hätten wir ja noch hinweggesehen, doch das ist schlicht zu viel.

Wir entscheiden uns in diesem Moment – fürwahr – für «the real experience»: Wir ignorieren gekonnt all die Zeitreise-Touristen und konzentrieren uns nur auf das, was tatsächlich und wirklich Mittelalter verkörpert.

An den Ständen des Marktes liess sich so manche Magd zum Kauf hinreissen.

An den Ständen des Marktes liess sich so manche Magd zum Kauf hinreissen.

(Bild: jav)

Ein gekonnter Tunnelblick rettet die Zeitreise

Wir weichen mit unseren Blicken geschickt all den sonnenbebrillten, knallig gefärbten und mit bedruckten Gewändern gekleideten Menschen aus. Wir lassen die Massen von Rollatoren, neumodischen Kinderwagen, Rollstühlen und neonfarbigen Veloanhängern ungeachtet vorbeirollen. Wir würdigen die Kindelein mit ihren Plastikrüstungen von der Fasnachtsbazar-Stange keines Blickes und auch ihre Freunde mit Asterix-Helmen, Feenstäben und regenbogenfarbenen Steckenpferden lassen uns kalt.

Geschwinde ziehen wir an all den Punks, Hippies, Goths, Emos, Steampunks und Nerds vorbei. Ebenfalls ignoriert werden die zwar richtig gewandeten Gesellen und Mägde, die sich scheinbar von Hals bis Fuss die grösste Mühe gaben, aber doch glatt den Kopf dabei vergassen. Denn hier scheint fast jeder Brillenträger zu sein und das zeigt man gerne in den ausgefallensten und farbigsten Variationen. Nicht sehr mittelalterlich – und deshalb fallen auch all diese Kontaktlinsen-Verweigerer unserm Tunnelblick zum Opfer.

Ein junger Gesell zieht seines Weges.

Ein junger Gesell zieht seines Weges.

(Bild: jav)

Die Zeit zurückgedreht

So lässt sich der Rummel unter strahlend blauem Himmel ganz gut aushalten. Trotz des Menschenauflaufs ist es ruhig und entspannt am Mittelaltermarkt. Ein kurzes Innehalten und Lauschen lässt bemerken: Es ist kaum Musik zu hören. Keine Dauerbeschallung aus Lautsprechern mit Programm-Highlights, gastronomischen Tipps und mottogerechtem Sound, wie man es sonst an den Märkten und Festivals um die Ohren gedudelt bekommt.

Es ist fast still, wenn man an den Marktständen vorbeiwandelt. Eine feine Mädchenstimme preist von Weitem ihre frisch gebackenen Brote an, irgendwo hinter Zelten spielt eine holde Jungfrau auf der Harfe. Ein Alchemist flüstert den Kindern seine alten Weisheiten zu, auf dem Feuer brutzeln die Fleischspiesse und ein Ritter aus einem fernen Land kämpft trefflich gegen eine wilde Kinderschar.

Ein ungleicher Kampf.

Ein ungleicher Kampf.

(Bild: jav)

Wie an einem rechten Mittelaltermarkt – fast

Man wähnt sich an einem schönen Feste der oft als so finster verschrieenen Zeit. Gaukler zeigen ihr Können bei Handwerk, Gesang und Kampf und voll sind die Becher und Schüsseln der Schaulustigen.

Wacker ziehen die Knechte ihre Rösser durch die Menge und ein kühner Recke frohlockt am Waldesrand. Drei junge Ritter geniessen einen erquickenden Trunk aus ihren Hörnern und unterhalten sich über die Kunst der Schmiede, da drängt sich schon wieder diese Maid mit grünen Haaren und Katzenohren in unser Gesichtsfeld. Und noch mehr Ungemach ereilet uns: Ein Kind zeigt uns stolz sein Plastikschwert, der Ritter zückt seine Kamera, die Maid tippt in ihr Smartphone … Das ist die Kapitulation.

Wir geben auf, gönnen uns ein Citro und lächeln dem kleinen Ritter mit dem Fussball-Shirt zu. Er kann ja wirklich nichts dafür.

Mehr Bilder vom Mittelaltermarkt zu Luzern finden Sie in der Slideshow. Und wer dort nicht genug bekommt – am Sonntag geht es auf dem Obergütsch weiter mit dem bunten Treiben.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 09.04.2017, 13:23 Uhr

    Ich denke über Brillen kann und sollte man grosszügig hinwegsehen. Nicht jeder hat halt das Geld um sich eine «fast» stilechte Nickelbrille zu kaufen. Zudem ist auch beim mittelalterlichen Handwerk wie Schmieden ein Sicherheitsaspekt zu berücksichtigen. Mir ist ein Schmied lieber der am Montag wieder mit gesunden Augen bei der Arbeit ist als einer der aus falsch verstandener Authentizität auf Sicherheitsbrille verzichtet und dann mit einem Funkenschlag im Auge am Montag halbblind im Spital liegt. Hier wird nämlich dann spätestens die Nichtbetriebsunfallversicherung hellhörig wenn es um die Arbeitssicherheit geht. Smartphones und Handys am Mittelaltermarkt, ja darüber lässt sich trefflich streiten und ja auch darüber, ob eine Elfe die eher an eine LARP-Convention (LARP= Large Action Role Play) gehört, an einem Mittelalterspektakel Sinn macht. Wer es dann wirklich zu engstirnig sieht der müsste ja im Prinzip auf die Anreise verzichten oder dann mit Ross und Wagen anreisen. Ob das in heutiger Zeit noch möglich ist bleibe dahingestellt.

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