Ein Besuch in Zugs Notwohnungen

Selbst in der Klosterzelle ist’s gemütlicher

Heimelig ist sie nicht, die Küche, die den Bewohnern zur Verfügung steht.

(Bild: wia)

Die Stadt Zug stellt der Bevölkerung insgesamt 21 Notzimmer zur Verfügung. Noch jedenfalls. zentralplus hat sich in den Notzimmern umgesehen. Wie wird hier gelebt, und weshalb landen Menschen dort?

Das blassgraue Haus an der Zeughausgasse 11 ist kein auffälliges, und geht neben hübsch verzierten Giebelbauten und ornamentierten Brunnen fast unter. Dennoch ist es ein wichtiges Haus, das da steht. Das Gebäude bietet Menschen, die in der Klemme stecken, ein temporäres Zuhause. Auf drei Etagen verteilen sich hier sieben Notzimmer. Jedenfalls momentan noch. Aber dazu später mehr.

Erst einmal können wir unseren «Gwunder» nicht mehr länger zügeln und lassen uns von der Mitarbeiterin der Sozialen Dienste, Irène Elsener durch die Notzimmer-Landschaft führen. Wir nehmen die erste Treppe in den ersten Stock in Angriff. Sie knarzt. Oben angekommen stehen wir direkt vor dem Badezimmer. «Pro Etage gibt es je ein WC und eine Dusche oder ein Bad», erklärt sie. Ein Blick hinein verrät, dass eine Sanierung hier nicht verkehrt wäre. Die hellgelben Platten sind teilweise beschädigt, die Farbe blättert von der Wand ab. Sauber ist es dennoch.

Eine Sanierung wäre hier nicht fehl am Platz.

Eine Sanierung wäre hier nicht fehl am Platz.

(Bild: wia)

Alles Nötige – und nicht mehr

Es wird bereits jetzt deutlich. Der Begriff Notzimmer ist nicht übertrieben. Hier findet man alles Nötige. Und nicht mehr. Der Anblick der Küche bestärkt diesen Eindruck.  

Auch hier wäre eine Renovation fällig. Der kleine Tisch mit den zwei klobigen Holzstühlen lädt nicht zum Verweilen ein. Umgebaut soll zwar in einigen Jahren werden, doch nicht zugunsten der Notzimmer. Zu tun hat das viel mehr mit dem Umzug der Zuger Stadtverwaltung ins Landis&Gyr-Gebäude an der Gubelstrasse, der voraussichtlich Ende 2019 passieren soll.

Kurz darauf soll das Haus Zentrum an der Zeughausgasse 9 – wo heute Teile der Stadtverwaltung ansässig sind – dem Erdboden gleichgemacht werden. Und das hat auch für den danebenliegenden Bau Konsequenzen, in dem wir uns aktuell befinden.

Wenn das Haus Zentrum fällt, fallen auch die Notzimmer weg

Denn sobald die Stadtverwaltung ausgezogen ist, will die Korporation Zug, die das Haus Nummer 11 derzeit an die Stadt vermietet, das Gebäude voraussichtlich sanieren. Damit verliert die Stadt auch die Räumlichkeiten an der Zeughausgasse 11. Die Stadt ist bereits jetzt intensiv auf der Suche nach einem Ersatzstandort für diese Notzimmer.

«Viele der Bewohner sind Sozialhilfebezüger. Es sind sowohl Schweizer als auch Ausländer.»

Irène Elsener, Mitarbeiterin Soziale Dienste

Nun sind sie jedoch noch da, die karg eingerichteten Räume. Wir werfen einen Blick in eines der Zimmer. Da steht ein schmales Bett. Ein Einbauschrank. Kein Tisch, kein Stuhl, keine Bilder. Eine Klosterzelle wäre einladender. «Die Regale, die man in manchen Zimmern sieht, haben die Bewohner selber eingebaut», erklärt Elsener.

In solchen Notzimmern hausen Menschen in einer Notlage. Wie lange? Zwischen ein paar Tagen bis zu über einem Jahr.

In solchen Notzimmern hausen Menschen in einer Notlage. Wie lange? Zwischen ein paar Tagen bis zu über einem Jahr.

(Bild: wia)

Und wie lange bleiben die Bewohner? «Das ist sehr unterschiedlich», erklärt Irène Elsener. Einige Leute kämen für einige Tage, andere seien während mehrerer Jahre in solchen Notwohnungen einquartiert. Auch, wenn die Zimmer eigentlich nur für maximal sechs Monate zu mieten gewesen seien. Einige Bewohner hätten sich laut Elsener an die Lebensweise gewöhnt und seien mit dieser Situation ganz zufrieden, auch wenn das grundsätzlich nicht Sinn und Zweck der Notzimmer sei.

Unterschlupf für Menschen in Schwierigkeiten

Die Palette an Menschen, die hier Unterschlupf finde, sei sehr breit, erklärt Elsener: «Es sind Menschen mit verschiedenen Schwierigkeiten, die sich vorübergehend oder länger in einer problematischen Situation befinden und darum eine Bleibe brauchen. Viele der Bewohner sind Sozialhilfebezüger. Es sind sowohl Schweizer als auch Ausländer.»

«Ein Notzimmer, das bewohnt ist, ist ja kein Notzimmer mehr.»

Irène Elsener

Leute, die zuvor «normal» gewohnt hätten, träfe man hier kaum an. Für sie sei es einfacher, etwas anderes zu finden. Pro Zimmer an der Zeughausgasse zahlen die Mieter 300 bis 600 Franken. «In diesem Haus haben wir ein Zimmer, das wir an Paare vermieten. Daher diese Preisdiskrepanz», so Elsener.

Zwei der sieben Zimmer sind zurzeit nicht besetzt. Das sei auch gut so. Es braucht leere Zimmer, damit auch kurzfristig reagiert werden kann. «Ein Notzimmer, das bewohnt ist, ist ja kein Notzimmer mehr. Dann ist ja schon jemand drin», sagt Elsener, als sie die hölzernen Stufen in den zweiten Stock erklimmt. Dennoch komme es nicht selten vor, dass alle der 21 Zimmer in der Stadt besetzt seien.

Lust auf ein Interview?

Wir klopfen an eine Türe. Denn gerne hätten wir ein paar Worte mit den Bewohnern gewechselt. Doch hinter der ersten Türe bleibt es still. Ein anderer Bewohner gibt durch die Türe hindurch zur Antwort, er sei krank, habe die Grippe und möchte uns deshalb kein Interview geben.

Hinter der nächsten Türe mag zwar jemand zuhause sein, doch der Bewohner rede nur Serbisch. Wir gehen also vorbei und klopfen am nächsten Ort. Ein Herr öffnet und sagt zu. Fotografiert werden wolle er jedoch nicht. Wir warten in der Küche.

«Im September hätte ich eine neue Wohnung gehabt, wurde dann aber plötzlich sehr krank und konnte sie nicht antreten.»

Ein Bewohner eines Notzimmers

Der scheue Herr, der sich nach ein paar Minuten zu uns setzt, kommt aus Eritrea. Er sei schon seit neun Jahren in der Schweiz, erzählt er uns. «Früher habe ich mit meiner Frau und meinen sechs Kindern in Neuägeri gewohnt. Dann haben wir uns getrennt», erzählt er. Danach habe er an der Gubelstrasse gewohnt. Das Haus sei jedoch abgerissen worden.

Quo vadis, Notzimmer?

«Und nun bin ich schon seit einem Jahr hier», erklärt er. Es sei eine etwas unglückliche Geschichte. «Im September hätte ich eine neue Wohnung gehabt, wurde dann aber plötzlich sehr krank und konnte sie nicht antreten», sagt er. Eine Blutvergiftung habe ihn heimgesucht. So heftig, dass er während über einer Woche auf der Intensivstation liegen musste, gefolgt von mehreren Monaten in der Klinik Adelheid. «Jetzt geht es mir aber wieder gut», sagt der Mann erleichtert.

Arbeit hat der Mann immer mal wieder. In einer Reinigungsfirma. Als Saisonier bei Bauern, bei der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug. Aktuell sei er jedoch auf Arbeitssuche. Die aktuelle Wohnsituation sei zwar nicht schlimm, so erklärt der Mann: «Aber letzte Woche waren meine Kinder hier, und da war das Zimmer plötzlich sehr klein.»

Wie ersetzt die Stadt auf die Schnelle 17 Notzimmer?

Aktuell gibt es 21 Notzimmer und acht Notwohnungen in der Stadt Zug. 17 davon, jene im alten Kantonsspital und eben jene an der Zeughausgasse, müssen jedoch in absehbarer Zeit weichen. Deshalb muss die Stadt in nützlicher Frist darum besorgt sein, Ersatz für die wegfallenden Zimmer zu gewähren. Zur Debatte steht aktuell, dass die Stadt an der Zugerbergstrasse 10, wo heute noch eine Brandlücke klafft, 27 neue Notzimmer realisiert (zentralplus berichtete). Verschiedene bürgerliche Parteien haben sich bereits kritisch gegen diesen Vorschlag ausgesprochen.

Nach der Besichtigung verlassen wir das unscheinbare Haus etwas zermürbt. Und haben das leise Bedürfnis, mit einigen Kesseln bunter Farbe und ein paar schönen Bildern wieder zu kommen.

 

 

Eigentlich wäre vom Stadtrat angedacht gewesen, dass hier, an der Zugerbergstrasse 10, einst neue Notzimmer gebaut werden. Dagegen wehren sich jedoch mehrere Parteien.

Eigentlich wäre vom Stadtrat angedacht gewesen, dass hier, an der Zugerbergstrasse 10, einst neue Notzimmer gebaut werden. Dagegen wehren sich jedoch mehrere Parteien.

(Bild: zentralplus)

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1 Kommentar
  • Profilfoto von daniel.wehner
    daniel.wehner, 31.03.2017, 11:34 Uhr

    So lässt die reiche Stadt Zug also Menschen in Not leben. Versteckt in einer sanierungsbedürftigen Liegenschaft mit munzigen Zimmern. Und die Korporation Zug profitiert noch als Vermieterin. Fragezeichen tauchen auf. Wieviel Miete zahlt die Stadt der Korporation im Jahr?

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