Junge Luzerner ergreifen die Initiative

Gemütliche WG statt tristes Asylzentrum

Drilon Bekiri (links), Fabian Benz und Fabienne Anliker haben gemeinsam das Projekt «Wegeleben» Luzern in Angriff genommen. (Bild: jav)

Platzmangel bei den Asylunterkünften, Integration von Flüchtlingen als Dauerthema – mit dem Projekt «wegeleben» wollen drei Luzerner junge Flüchtlinge in WGs unterbringen und damit gleich an beiden Baustellen mithelfen. In Bern hat man mit der Idee schon Erfahrungen gemacht.

In einer neuen Umgebung heimisch zu werden, ohne Freunde und Familie, ohne Job, mit kleinem Budget und ohne die lokale Sprache zu beherrschen, ist wohl eine der grössten Herausforderungen für viele Flüchtlinge.

In der Schweiz angekommen, leben die meisten geflüchteten Menschen zunächst in Asylunterkünften, bis sie je nach Asylstatus in ihre eigenen vier Wände einziehen können. Doch Kontakt zu Einheimischen zu knüpfen, ist auch dann oft nicht einfach, was die Integration in die Gesellschaft zusätzlich erschwert.

Eine Studentenlösung

Studierende ziehen als Neuankömmlinge in einer Stadt oft in eine Wohngemeinschaft ein. Dies bringt einige Vorteile mit sich: Miete und Fixkosten werden geteilt, man lernt neue Leute kennen und kann sich so in einer unbekannten Umgebung orientieren und im Idealfall Freundschaften knüpfen. «Warum soll dasselbe nicht für geflüchtete Menschen möglich sein, die in die Schweiz kommen und die hiesige Kultur kennenlernen möchten?», fragt der Luzerner Drilon Bekiri.

«Obwohl das Projekt hier noch in den Anfängen steckt, stösst es auf grosses Interesse.»
Drilon Bekiri, Mitgründer «wegeleben» Luzern

Der Soziokulturelle Animator und die zwei Sozialpolitik Studierenden Fabienne Anliker und Fabian Benz haben sich deshalb des Projekts «wegeleben» in Luzern angenommen. In Bern 2015 gegründet, sind die Erfolge des Projekts dort bereits sichtbar. Mehr als 34 WGs mit geflüchteten Menschen sind seither im Kanton Bern zustande gekommen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bezeichnete das Projekt öffentlich als «ausgezeichnete Idee» und die Caritas unterstützt es als Partnerorganisation. In Luzern ist die Vernetzungsarbeit nun im Gange. Mit den im Luzerner Asylbereich tätigen Institutionen «Hello Welcome», «Asylnetz» und dem «Sentitreff» steht Bekiri bereits in Kontakt.

Mit dem Kanton selbst wurden erste informelle Abklärungen getroffen. Silvia Bolliger, Leiterin Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen, bestätigt: «Grundsätzlich steht es anerkannten Flüchtlingen frei, die Art des Wohnens zu wählen.» Wie der Kanton grundsätzlich zur Idee steht, liess sich jedoch nicht entlocken.

Unterstützung bei Behördengängen

«Obwohl das Projekt hier noch in den Anfängen steckt, spricht sich das Engagement der Gruppe immer weiter herum und stösst auf grosses Interesse. Anfragen von WGs gibt es bereits und auch die ersten zwei Newcomer haben sich bei uns gemeldet», freut sich Bekiri, welcher die geflüchteten Menschen konsequent «Newcomer» nennt. «Nun suchen wir weitere interessierte WGs im Kanton.»

Das Zusammenleben mit «Einheimischen» soll hauptsächlich die sprachliche und soziale Integration der Geflüchteten fördern und einen Beitrag gegen die Wohnungsknappheit im Asylwesen leisten. Gleichzeitig soll es auch die WGs bereichern.

Die Idee

«Wegeleben» hat sich zum Ziel gesetzt, die WG-Kultur auch für geflüchtete Menschen zugänglich zu machen. WGs und Geflüchtete, die sich dafür interessieren, werden zu einem Treffen eingeladen und danach passend «verkuppelt». Für den Rest tragen sie selbst die Verantwortung. «Wegeleben» steht noch unterstützend zur Seite, doch organisieren müssen sich die WGs und die neuen Mitbewohner selbst.

Wer Interesse daran hat, «wegeleben» zu unterstützen, sei dies im Luzerner Team als Vermittler, als WG oder als Newcomer, findet Infos auf der Webseite des Projekts.

Wichtig ist dabei besonders am Anfang die Unterstützung: «Wir organisieren Treffen zwischen den interessierten Personen und stehen den WGs auch nach Zustandekommen des Zusammenlebens mit Rat und Tat zur Seite. Und natürlich helfen wir bei anfallenden administrativen Aufgaben weiter: beim Vertragsschluss und dem Kontakt zu den Behörden zum Beispiel», so Bekiri.

Fokus bei den Jungen

Aus rechtlichen Gründen werden vorderhand nur anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge in WGs wohnen können. Für Personen in laufenden Asylverfahren sei eine solche Wohnsituation noch nicht möglich. Doch etliche geflüchtete Menschen, die in der Schweiz bleiben dürfen, müssten mangels Wohnraums in den Asylzentren ausharren, obwohl diese eigentlich für Neuankömmlinge vorgesehen sind, erklärt Bekiri. Und auch sonst gestalte sich die Wohnungssuche für geflüchtete Menschen eher schwierig. «Vor allem junge Personen werden mit einigen Hürden konfrontiert», so Benz und ergänzt: «Hier kommen wir ins Spiel.»

«Das Bedürfnis ist da.»
Fabienne Anliker, Mitgründerin «wegeleben» Luzern

Die drei Freiwilligen sind überzeugt, dass die Zeit für das Projekt in Luzern definitiv reif ist. «Ich habe die vergangenen Monate immer wieder E-Mails von Interessenten erhalten, obwohl noch gar nichts öffentlich kommuniziert wurde. Das zeigt: Das Bedürfnis ist da», so Anliker. «Gerade in der aktuellen Situation und mit den Debatten, die sie mit sich bringt, brauchen wir solche Projekte – denn sie bieten langfristige und nachhaltige Lösungen.»

Probleme wie in jeder WG

In Bern kann man nach eineinhalb Jahren ein positives Fazit ziehen. Gian Andri Färber und Méline Ulrich hatten das Projekt zu zweit begonnen, kamen aber bald an ihre Grenzen. «Wir hatten schnell Anfragen aus der ganzen Schweiz», so Färber. Dass sich deshalb seither in den Kantonen Zürich, Basel, Aargau, Freiburg und nun auch in Solothurn und Luzern Gruppen gebildet haben, sei eine sehr schöne Entwicklung.

«Obwohl wir auch weiterhin Ansprechperson für die WGs bleiben, hören wir nach dem Einzug wenig von ihnen. Dies werten wir als positives Zeichen», so der Mitgründer. Selten hätten sie aufgrund von vertraglichen oder behördlichen Fragen nochmals Kontakt mit den WGs. «Manchmal entwickeln sich aber auch Freundschaften. Dann sind wir zum Beispiel zu einem Abendessen oder einem Fest in einer WG eingeladen. Gesprochen wird dort aber kaum über das WG-interne Zusammenleben, sondern über das, was unter Freundinnen und Freunden halt so geredet wird», sagt Färber lachend.

«Wie in jeder anderen WG auch ergeben sich die Herausforderungen beim Zusammenleben daraus, dass unterschiedliche Menschen auf engem Raum miteinander leben. Dieses Bewusstsein möchten wir fördern und nicht jenes, das jeden Konflikt auf kulturelle Differenzen zurückführt», betont Färber. Das Ziel von «wegeleben» sei eben genau, diese Trennung von «uns» und «ihnen» zu durchbrechen. Bei gewissen WGs seien am Anfang sprachliche Schwierigkeiten ein Thema. Doch auch das könne man nicht verallgemeinern, denn die sprachlichen Voraussetzungen und die Einstellungen diesen Schwierigkeiten gegenüber seien sehr unterschiedlich.

Eine künstlerische Umsetzung der Projekt-Idee. (Bild: wegeleben.ch)

Eine künstlerische Umsetzung der Projektidee. (Bild: wegeleben.ch)

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