Fall Malters: CVP-Nationalrätin Gmür teilt aus

Bürgerliche kritisieren Anklage gegen Polizeikader

Auf Twitter erbost sich Nationalrätin Andrea Gmür ob der Anklage gegen die Polizeikader.

(Bild: Montage les)

Bürgerliche Politiker schütteln ob der Anklage im «Fall Malters» gegen den Polizeikommandanten und den Kripo-Chef den Kopf. Die Polizei habe nur ihre Pflicht erfüllt. Dass der Staatsanwalt Fehler moniere, sei unangebracht. Ein fragwürdiges Rechtsverständnis, so Experten.

Der «Fall Malters» sorgt für heisse Köpfe. Diesen Dienstag wurde bekannt, dass gegen Polizeikommandant Adi Achermann und Kripo-Chef Daniel Bussmann offiziell Anklage wegen Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung eingereicht wurde (zentralplus berichtete). Nun entbrennt eine Diskussion, was die Polizei überhaupt noch darf oder was nicht.

Die Luzerner CVP-Nationalrätin Andrea Gmür hat dazu eine klare Meinung, die sie auf Twitter immer wieder kundtut. Sie empfindet das laufende Verfahren als Hetzjagd auf die Polizeikader.

Diesen Dienstag schrieb sie:


 

Als im November bekannt wurde, dass es wohl eine Anklage geben wird, schrieb sie:


 

Und als die «SRF Rundschau» rund drei Wochen nach dem Einsatz kritisch über den «Fall Malters» berichtete, liess Gmür verlauten:

 

«Polizei hat Pflicht erfüllt»

Der Tenor ist klar: Die Polizei muss in Schutz genommen werden, der Einsatz war gerechtfertigt und verhältnismässig. Auf Anfrage erklärt die CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Stadtluzerner CVP: «Die Polizei hat sich in einer ausserordentlich gefährlichen Situation befunden.» Es sei ein schwieriger Entscheid gefällt worden, der tragische Konsequenzen mit sich zog. Gemeint ist der Tod der 65-jährigen Frau, die sich bei der Intervention durch die Polizei selbst richtete, was sie zuvor so angekündigt hatte (siehe Box am Ende des Artikels). «Aber grundsätzlich hat die Polizei ihre Aufgabe wahrgenommen und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt», fasst Gmür zusammen.

Sehr viele Leute würden nur den Kopf darüber schütteln, dass nun die Polizeikader dafür belangt würden. «Hier wird die Polizei zum Täter und die Täter zum Opfer gemacht.» Man müsse einfach festhalten, dass die ganze Intervention erst aufgrund einer Hanfindoor-Anlage stattfand und sich der Sohn der Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt bereits in Untersuchungshaft befand. «Die Polizei hat bei diesem Einsatz ihre Pflicht erfüllt.»

Diese Aussagen decken sich mit der Sicht der Angeklagten Adi Achermann und Daniel Bussmann: «Wir haben den Einsatz in Malters nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt und sehen es als unsere Aufgabe, in einer analogen Situation wieder gleich vorzugehen. Die Reaktionen aus der Bevölkerung bestärken uns in dieser Haltung», teilen sie mit.

«Künftig wird die Polizei so in heiklen Fällen aus Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen einfach zuschauen.»

Andrea Gmür, CVP-Nationalrätin

Dass eine Untersuchung stattgefunden hat, ist für Gmür in Ordnung, die Anklage durch die Staatsanwaltschaft gehe aber zu weit. «Der Staatsanwalt hat sicher keinen schlechten Job gemacht, aber er richtet sich zu stark nach den Paragrafen.» Man müsse den Fall breiter betrachten: «Künftig wird die Polizei so in heiklen Fällen aus Angst vor möglichen juristischen Konsequenzen einfach zuschauen.»

Für die CVP-Nationalrätin sind die beiden Polizeikader weiterhin tragbar. Auch wenn es zu einer Geldbusse kommen würde. «Ich habe das Vertrauen in die Polizei nicht verloren. Eher zweifle ich an unseren Gesetzen, die solchen Täterschutz zulassen», lässt sie verlauten.

SVP-Präsident unterstützt Gmür

Das sieht auch der Luzerner SVP-Präsident und Nationalrat Franz Grüter so. «In diesem Fall muss man die Umstände würdigen. Eine Grobfahrlässigkeit der Polizeikader lässt sich nicht feststellen, deshalb wären sie auch im Falle einer Verurteilung weiter tragbar.» Grüter ist über die Anklage ebenfalls irritiert: «Ich habe den Eindruck, man versucht die Polizei zu Schuldigen zu machen.» Gemäss Grüter zeugt dies von einem komischen Rechtsverständnis: «Der Täter in diesem Fall ist der Betreiber der Hanfplantage. Und es fielen Schüsse, als die Polizei vor Ort auftauchte.» Das war allerdings beim Eintreffen der Polizei, 20 Stunden vor dem Zugriff, der Fall.

«Offenbar gilt das Menschenleben für die beiden Politiker wenig.»

Oskar Gysler, Anwalt des Sohnes des Opfers

 

Zu wenig gewürdigt wird aus Grüters Sicht die schwierige Situation der Polizei: «Ein Psychologe hat vor dem Eingriff gewarnt. Aber in dieser Vorbesprechung sagt jeder seine Meinung. Da wird zwischen Chancen und Risiken abgewogen und die Einsatzleiter mussten letztendlich einen Entscheid fällen. Von der Frau ging eine ernsthafte Gefahr aus.» Es könne nicht sein, dass die Verantwortlichen nun bei jedem Einsatz Rechenschaft ablegen müssen und sich womöglich jahrelangen Verfahren ausgesetzt sehen. «Bald stellt sich niemand mehr für diese Jobs zur Verfügung», so Grüter. 

SVP-Nationalrat Franz Grüter und CVP-Nationalrätin Andrea Gmür haben kein Verständnis für die Anklage wegen fahrlässiger Tötung.

SVP-Nationalrat Franz Grüter und CVP-Nationalrätin Andrea Gmür haben kein Verständnis für die Anklage wegen fahrlässiger Tötung.

(Bild: parl.ch)

 

Mit dieser Haltung sind die beiden Nationalräte nicht allein. Dutzende Beiträge in Kommentarspalten von diversen Medien gehen in dieselbe Richtung. «Das Ganze ist ein Witz», «Das kann nur in der Schweiz passieren» oder von «Kuscheljustiz» ist die Rede. Und nicht selten wird die Schizophrenie der Frau als Ursache des Suizids geltend gemacht. Dass der zum Zeitpunkt der Tat in Untersuchungshaft sitzende Sohn nun gar als Privatkläger gegen die Polizei auftreten kann, können viele nicht verstehen. Diese Haltung ist möglicherweise sogar mehrheitsfähig und dennoch ist sie höchst problematisch.

Kritik an Staatsanwalt stösst auf wenig Verständnis

«Die beiden bürgerlichen Politiker offenbaren ein Rechtsverständnis, das einem Polizeistaat Tür und Tor öffnet», so Hans Stutz, Kantonsrat der Grünen und Mitglied der Justiz- und Sicherheitskommission JSK. Zwar könnten Polizisten Zwangsmittel wie auch Gewalt anwenden, «aber deren Einsatz muss zwingend verhältnismässig sein».

«Es ist elementar, dass niemand über dem Recht steht.»

Markus Schefer, Staatsrechtler

 

Auch die Kritik am ausserordentlichen Staatsanwalt kann Stutz nicht nachvollziehen: «Der Mann hat nichts anderes als seine Aufgabe getan. Und er ist offenbar zum Schluss gekommen, dass eine Verurteilung durch das Gericht nicht auszuschliessen ist. Also muss er auch Anklage erheben.» Stutz ist auf jeden Fall gespannt auf die Verhandlung. Es könne auch der Fall eintreten, dass die beiden Polizeikader – selbst nach einem Freispruch – wohl besser ihren Posten zu Verfügung stellen würden, sagt er.

Regeln gelten auch für die Polizei

«Es ist selbstverständlich, dass eine Anklage erhoben wird, wenn der Staatsanwalt einen rechtlich genügenden Verdacht hegt», sagt Staatsrechtler Markus Schefer von der Universität Basel auf Anfrage. «Die Sache muss nun vor Gericht objektiv und vernünftig angeschaut werden.» Die Polizei habe keine Immunität vor Strafverfolgung. Schefer geht noch weiter: «Es ist elementar, dass niemand über dem Recht steht.» Die Polizei werde, falls sie gegen ein Gesetz verstosse, genau gleich behandelt wie alle anderen auch.

Dass sich die beiden bürgerlichen Politiker anmassen, sich bereits vor dem Prozess ein Urteil über den Fall zu machen, findet Schäfer irritierend. «Wie können sie wissen, was genau wie vorgefallen ist?» Die Realität sei häufig viel komplizierter, als man denkt. Und der Sorge, dass die Polizei aus Angst vor Klagen bald nicht mehr eingreife, kann er auch nichts abgewinnen. «Die Polizei wird weiterhin im Rahmen des Zulässigen eingreifen – ohne sich strafbar zu machen. Es ist für den Rechtsstaat elementar, dass erhärtete Verdachtsmomente auf strafbare Handlungen der Polizei gerichtlich geklärt werden», sagt er abschliessend. Heisst: Die Polizei kann auch nicht willkürlich schalten und walten, wie sie will.

Untersuchung fördert Vertrauensbildung

Der Luzerner Politologe Olivier Dolder von Interface Politikstudien versuchte auf Twitter die Hintergründe für Andrea Gmürs Tweets zu erfahren. Gelungen ist ihm dies mässig. «Ich verstehe Frau Gmür nicht.» Der Rechtsstaat funktioniere doch genau so – der Staatsanwalt klagt an, die Gerichte entscheiden. «Gerade bei der Polizei, die das Gewaltmonopol innehat, ist die Kontrolle wichtig, damit es nicht zu Missbrauch kommt.» Dolder attestiert den beiden Politikern ein «problematisches Rechtsverständnis». Falls die Polizei tatsächlich falsch gehandelt hätte, würden diese Massnahmen zur Vertrauensbildung in die Staatsgewalten beitragen, da sie eben zeigen, dass auch die Polizei nicht über dem Gesetz steht.

«Die Politiker argumentieren doch sehr verkürzt mit dem Gut-Böse-Schema.»

Olivier Dolder, Politologe

Genau wie Schefer findet es Dolder merkwürdig, dass die Politiker die Verhältnismässigkeit des Einsatzes beurteilen. Warum sie das tun, erklärt Dolder wie folgt: «Sie machen Politik.» Dass die Polizei nun künftig Angst vor juristischen Nachspielen hat, findet er eine schwierige Folgerung. «Dafür fehlen momentan schlicht die empirischen Grundlagen.» Verhalten sich denn die beiden Politiker im vorliegenden Fall einfach populistisch? «Das Verhalten hat zumindest populistische Züge. So argumentieren die Politiker doch sehr verkürzt mit dem Gut-Böse-Schema», antwortet Dolder.

Noch deutlicher wird der Anwalt des Sohnes, Oskar Gysler: «Offenbar gilt das Menschenleben für die beiden Politiker wenig.» Er stellt in Abrede, dass die Situation so gefährlich war, wie sie nun dargestellt wird. «Die Schüsse fielen auf Provokation hin. Das Gelände war abgesperrt, die Anwohner evakuiert. Eine akute Gefahr bestand zum Zeitpunkt des Eingriffs nicht.» Aus seiner Sicht ist der Schutz des Lebens die oberste Prämisse für die Polizei. 

Schwieriger Einsatz endete im Debakel

Am Dienstag, 8. März 2016, hatte die Luzerner Polizei im Rahmen eines ausserkantonalen Strafverfahrens den Auftrag, in Malters eine Wohnung zu durchsuchen. Aus Zürich kam der Hinweis, dass dort eine Hanfplantage betrieben werde (was sich als korrekt erwies). Denn der Besitzer der Wohnung wurde in Zürich wegen entsprechender Delikte verhaftet.

Doch vor Ort drohte überraschend eine in der Wohnung anwesende Frau – die Mutter des Drogenhändlers –, auf die Polizei und andere Personen zu schiessen oder sich das Leben zu nehmen. Sie war mit einem Revolver (den sie wohl von ihrem Sohn hatte) bewaffnet und feuerte zwei Mal damit. Die Frau verlangte, mit ihrem Sohn sprechen zu können, was ihr aber verweigert wurde. Dafür konnte sie mit ihrem Anwalt telefonieren und teilte diesem mit, dass sie noch etwas Zeit zum Überlegen benötige. Sie könne sich der Polizei noch nicht stellen. Ansonsten werde sie sich erschiessen (nachzuhören im Originalton in dieser Rundschau-Sendung).

Frau machte Ankündigung wahr

Doch weder informierte der Anwalt die Polizei über diese Suiziddrohung noch erkundigte sich die Polizei beim Anwalt über den Inhalt des Gesprächs. Während des Einsatzes hat die Polizei zudem erfahren, dass die Frau psychisch krank war und sich vor einer erneuten Einweisung in eine Psychiatrie fürchtete.

Nach insgesamt 19 Stunden ergebnisloser Verhandlung beschloss die Einsatzleitung der Polizei am 9. März, die Wohnung durch die Sondereinheit Luchs aufzubrechen – obwohl der zugezogene Polizeipsychiater explizit vor diesem Schritt warnte. Er versuchte die Polizeichefs davon zu überzeugen, noch ein paar Stunden zu warten. Bis dann sei die Frau müde und werde aufgeben. Die Polizei hörte jedoch nicht auf den Experten, stürmte die Wohnung – und die Frau erschoss sich wie angekündigt.

In diesem Zusammenhang hat der Sohn der Frau Strafanzeige gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, eingereicht. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung sowie Amtsmissbrauchs. Die Untersuchung wurde dem ausserkantonalen, unabhängigen Staatsanwalt Christoph Rüedi übertragen. Dieser hat Anklage wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingereicht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Im «Fall Malters» gibt es einige ungeklärte Fragen, die ein merkwürdiges Licht auf die Polizei werfen. zentralplus hat diese hier zusammengefasst.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von PeterBrunschwiler
    PeterBrunschwiler, 12.01.2017, 17:32 Uhr

    Es ist erstaunlich, dass eine Nationalrätin das schweizerische Rechtssystem nicht kennt. Gerne gebe ich der CVP-Frau in einer Kurzfassung Auskunft. Unser Staat hat drei Ebenen: die Legeslative (z.B. Nationalrat, der gehört Frau Gmür an), die Exekutive (z.B. Bundesrat) und die Judikative (Staatsanwaltschaft, Gericht). Jede dieser Ebenen hat ihre Aufgaben. Im Fall Malters liegt der Ball im Moment bei der Justiz, da hat auch eine Nationalrätin nichts drein zureden. Die Staatsanwaltschaft ist anscheinend überzeugt, dass strafbare Handlungen vorliegen und erhebt Anklage. Das ist nichts als ihr Job. Aber das ist keine Verurteilung. Ein Gericht muss sich nun mit dem Fall befassen und Recht sprechen. Ich empfehle daher Frau Gmür dringend, sich nicht in die Arbeit der Justiz einzumischen und vor allem selber kein Recht zu sprechen.

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  • Profilfoto von esterhazy
    esterhazy, 12.01.2017, 10:59 Uhr

    Ich stimme dem Strafrechtler Markus Schefer zu: Was sich die beiden Politiker Andrea Gmür und Franz Grüter erlauben, ist anmassend und irritierend zugleich. Sie mischen sich (haben sie überhaupt Kenntnis der Sachlage?) in ein laufendes Verfahren ein und nehmen für sich in Anspruch, beurteilen zu können, was «gut» und «böse» ist. Populismus treibt auch in der Innerschweiz rechtsstaatlich gefährliche Blüten.

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