Juristisches Nachspiel zur Hausbesetzung «Gundula»

Wie sich die Luzerner Polizei von Bodum einspannen lässt

So sah die Villa aus, bevor sich die Besetzer einquartierten und bevor anschliessend die Gerüste aufgestellt wurden. (Bild: jav)

 

Mehrere Dutzend Personen wurden nach der Hausbesetzung der «Gundula» als Beschuldigte bei der Polizei vorgeladen. Es reicht offenbar bereits, auf Facebook mit den Besetzern in Kontakt getreten zu sein, um einvernommen zu werden. Multimillionär Jörgen Bodum scheint mit Unterstützung der Luzerner Polizei ein Exempel statuieren zu wollen – auch gegen die Medien.

Sie war in aller Munde: Die Hausbesetzung an der Obergrundstrasse 99 in Luzern durch die Gruppe «Gundula» löste ganz unterschiedliche Reaktionen und Diskussionen aus. Viele Luzerner solidarisierten sich mit den Besetzern, besuchten Anlässe in der Villa und unterstützten «Gundula» auf Facebook.

Auf der anderen Seite wurde auch viel Kritik geübt, Parteien und Privatpersonen äusserten sich kritisch bis vollkommen empört über die «Belebung», wie die Besetzer es nannten, der alten Villa. Die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und der Presse war jedenfalls enorm.

Heute ist das ganze Hin und her im vergangenen April für die meisten Luzerner schon fast wieder vergessen. Nicht so für eine Reihe von Personen, welche wegen Hausfriedensbruch als Beschuldigte von der Luzerner Polizei vorgeladen wurden und nun auf einen Strafbefehl, Gerichtstermin oder ein Ende der Beschuldigung warten.

Vorgeladen wegen einem «Like»?

Gemäss Sachbearbeiter bei der Staatsanwaltschaft sind es 30, gemäss der linken Organisation AntiRep Luzern 40 Personen, welche bei der Polizei vorsprechen mussten.

«Es gibt Leute, die effektiv vorgeladen wurden, weil sie sich auf Facebook mit ‹Gundula› solidarisiert haben.»
AntiRep Luzern

Doch spannend ist vor allem, weshalb gewisse Personen vorgeladen wurden. «Unseres Wissens wurden alle Menschen vorgeladen, die im Zeitraum der Besetzung der Obergrundstrasse 99 in dessen Umgebung von der Polizei kontrolliert wurden. Dies auch ohne konkrete Verdachtsmomente», schreibt AntiRep Luzern auf unsere Nachfrage hin. Und: «Dann gibt es einzelne Leute, die effektiv vorgeladen wurden, weil sie sich auf Facebook mit ‹Gundula› solidarisiert haben.»

Die Staatsanwaltschaft erklärt, Ermittlungen würden in allen Richtungen geführt. Wie genau, das werde man aus taktischen Gründen aber nicht verraten. Facebook ist jedoch einer dieser Ermittlungsansätze, das wird bestätigt.

Gefährliche Berichterstattung

Unter den Beschuldigten sind auch Journalisten, welche aus der Besetzung berichteten. Neben einer Praktikantin des «Regionaljournals» von SRF wurde auch eine Redaktorin von zentralplus (die Autorin dieses Artikels) als Beschuldigte in Sachen Hausfriedensbruch vorgeladen. Dies wegen einem Artikel über den abendlichen Besuch der Villa (zum Artikel). Überraschend kamen diese Vorladungen, da Journalisten meist als Zeugen, aber nicht als Beschuldigte bei der Polizei vorsprechen müssen.

«Die Öffentlichkeit hat ein Recht, informiert zu werden.»
Jonas Krummenacher, Rechtsanwalt

Der Luzerner Rechtsanwalt Jonas Krummenacher wundert sich über das Vorgehen der Luzerner Polizei. Grundsätzlich könne natürlich auch ein Journalist Hausfriedensbruch begehen, der Job schütze ihn davor nicht.

Hartes Durchgreifen als Zeichen

Doch in der Funktion eines Reporters werde das Grundstück im öffentlichen Interesse im Rahmen der verfassungsrechtlichen Medienfreiheit sowie Meinungs- und Informationsfreiheit betreten. «Die Öffentlichkeit hat ein Recht, informiert zu werden», so Krummenacher, und ergänzt: «Der Journalist ist daher nicht an der Tat der Hausbesetzer und deren möglichem Hausfriedensbruch beteiligt.»

Verhältnismässig seien diese Vorladungen sicher nicht. «Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen», so Krummenacher. Er habe jedoch die Vermutung, die Luzerner Polizei wolle in diesem Fall Flagge zeigen. «Die Hausbesetzung war medial sehr präsent und ein grosses Thema in der Luzerner Bevölkerung. Die Strafverfolgungsbehörden wollen zeigen, dass sie auf Antrag eines Eigentümers durchgreifen.»

Will Bodum auch die Journalisten hängen sehen?

Und dieser, Jörgen Bodum, beziehungsweise sein Anwalt, welcher bei jeder Vernehmung anwesend war, reagiert nicht auf die Möglichkeit, «Nicht-Besetzer» von der Anzeige auszuschliessen. Obwohl dies durch eine Desinteresse-Erklärung möglich wäre. Ein Präzedenzfall zur Teilbarkeit des Strafantrages genau im Fall von Journalisten in einem besetzten Haus wurde in der Schweiz bereits vom Bundesgericht bestätigt (siehe Box).

Kurt Graf: «Es liegt in den Händen des Klägers, gegen wen er Antrag stellt.» Und dieser scheint ein Interesse daran zu haben, dass die Journalisten, welche über die Besetzung berichteten, verzeigt werden.

Desinteresse-Erklärung

Im Falle einer Strafverfolgung von zwei Journalisten bei einer Besetzung wurde entschieden:

«Nach einer Hausbesetzung reichte die Berechtigte Strafantrag gegen Unbekannt ein. Später erklärte die Antragstellerin ihr Desinteresse an der Strafverfolgung der Medienschaffenden C. und D. Diese hätten sich nicht gegen ihren Willen in der Liegenschaft aufgehalten. Der Strafantrag gegen Unbekannt sei vom Desinteresse an der Strafverfolgung der Journalisten nicht betroffen. Das Strafverfahren gegen die Journalisten wurde danach eingestellt, gegen die anderen Beschuldigten weitergeführt.»

Vor dem Bundesgericht wurde anschliessend bestätigt, dass dies rechtlich korrekt ist. Ein Strafantrag kann zwar nicht geteilt werden, doch kann der Antragsteller Desinteresse an der Strafverfolgung gewisser Personen erklären.

Gerne hätten wir gewusst, was Jörgen Bodum selbst dazu sagt. Der Däne, der es mit seinen Haushaltsartikeln gemäss «Bilanz» auf ein Vermögen von 175 Millionen Franken gebracht hat, reagierte jedoch nicht auf unsere Anfragen.

Offenes Ende

Darüber, wie es nun weitergeht, kann die Staatsanwaltschaft nicht viel sagen. Die Akten der Polizei seien bei der Staatsanwaltschaft angekommen und würden nun geprüft. Dann wird entschieden, ob weitere Befragungen durchgeführt werden und in welchen Fällen wie weiterverfahren wird. Entweder wird das Verfahren eingestellt, der Staatsanwalt stellt der beschuldigten Person einen Strafbefehl zu, oder es geht gar vor Gericht. zentralplus wird informieren, sobald sich etwas tut – wir sitzen ja direkt an der Quelle.

Und das Haus?

Doch was ist seit dem Ende der Hausbesetzung eigentlich mit der Villa geschehen? Um das Haus wurde gleich nach dem Verlassen der Besetzer am 30. April ein Gerüst aufgestellt. Seither steht dieses und bietet immer öfter Anlass zu Kommentaren. Man fragt sich doch, wofür die Gerüste seit Mai aufgestellt sind.

Baudirektorin Manuela Jost erklärt: «Die Obergrundstrasse 99 wird einer umfassenden Asbestsanierung unterzogen. Deshalb wurde auch das Gerüst aufgestellt.» Die Stadt stehe auch in Kontakt mit dem Besitzer, Jörgen Bodum, und seinem Architekten, um «für seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Liegenschaft eine geeignete Lösung zu finden». Auch hier bleiben wir dran.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von alex falafel
    alex falafel, 01.11.2016, 14:57 Uhr

    Mega guter Artikel! Sehr gut recherchiert, danke für die ausführliche Arbeit – ich fühle mich informiert 🙂

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 31.10.2016, 11:52 Uhr

    Peinlich, peinlich für die Luzerner Justiz! Äusserst ungewöhnlich erscheint mir die Teilnahme des Klägeranwalts bei den Verhören. Leben wir bereits in Erdoganistan?

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    • Profilfoto von Hans Meier
      Hans Meier, 31.10.2016, 23:09 Uhr

      Du kannst gerne in der StPo nach lesen wer bei einer delegierten einvernahme das recht hat dabei zu sein…
      DEin kommentar würde sich somit erübrigen!

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