Fabian Biasio auf fotografischer Suche

Der Tod – mal würdevoll, mal pervertiert

Kurz nach der Exekution von James Colburn #999169 am 26. März 2003 darf ihn seine Schwester Tina erstmals seit zehn Jahren berühren. Gefangenen im texanischen Todestrakt ist der Körperkontakt zu ihren Angehörigen untersagt.

(Bild: zvg / Fabian Biasio)

Seinen ersten Toten hat Fabian Biasio (41) im Kosovo-Krieg fotografiert. Später hat der Luzerner Fotojournalist eine Reportage zum Thema Todesstrafe in den USA gemacht. Im neusten Projekt stand der Sterbeprozess seines Vaters im Fokus. Die Bilder werden nun in einer besonderen Umgebung gezeigt.

Vor elf Jahren wurde bei Fabian Biasios Vater Krebs diagnostiziert. Die Ärzte gaben ihm noch ein paar Monate. «Doch mein Vater wollte leben. Drei Jahre nach der Diagnose zügelte er in die Karibik und lebte dort bis Mai 2015. Seit Weihnachten 2014 ging es ihm immer schlechter, im Mai holten wir ihn nach Hause», erzählt er. Als er sah, wie sein Vater sich kaum auf den Beinen halten konnte und am Gate in einen Rollstuhl gesetzt wurde, war ihm klar: Der Vater kommt heim zum Sterben.

Fotografiert wie für ein Tagebuch

Kurz nach seiner Ankunft muss Fabian Biasios Vater schon ins Spital. «Mein Vater war immer sehr stolz auf meine Arbeit. Im Juni sagte er mir: ‹Wenn du das, was passiert, für deine Arbeit brauchen kannst, dann mach es›», erinnert sich der Fotograf. Darüber musste er zwei Wochen nachdenken. «Dann habe ich bei meinen Besuchen meine Kamera mitgenommen und habe geknipst, nicht fotografiert. Ich habe passiv fotografiert, wie eine Art Tagebuch. Bis zum Tag, an dem er starb, am 19. Juli», erzählt er.

«Mir war klar, dass ich andere Leute daran teilhaben lassen wollte, dass Sterben friedlich und würdevoll sein kann.»

Da der Vater schon lange von seiner Krankheit wusste und nach seiner Rückkehr in die Schweiz klar war, dass er sterben würde, konnte Fabian Biasio sich verabschieden. «Der Abschiedsprozess ging über eine lange Zeit. Als ich am Tag nach seinem Tod eine lange Wanderung unternahm, fühlte ich mich zwar traurig, aber auch auf eine Art glücklich», verrät er.

Fabian Biasio arbeitet seit 15 Jahren als freischaffender Fotograf.

Fabian Biasio arbeitet seit 15 Jahren als freischaffender Fotograf.

(Bild: zvg)

«Ich habe den Tod als Fotograf oft in der pervertierten Version kennengelernt. Als mein Vater starb, war ich dankbar, dass er so friedlich sterben konnte. Auf dieser Wanderung fiel mir der Titel der Ausstellung ein. Mir war klar, dass ich andere Leute daran teilhaben lassen wollte, dass Sterben friedlich und würdevoll sein kann», betont er.

Bestattungsplaner im Web

Aus diesem Bedürfnis heraus hat Fabian Biasio auch seit letztem Sommer mit einem Webentwickler an einem Webportal gearbeitet (siehe weiterführende Links). «Wir realisieren einen Bestattungsplaner, der durch die schwierige Zeit nach einem Tod helfen soll», erläutert er. Dazu gibt es zum Beispiel verschiedene Interviews zum Thema Tod oder eine Multimediareportage über Särge in Ghana. Geplant ist auch ein Palliative-Care-Planer mit einer interaktiven Karte.

«Die Asche sah aus wie schneeweisser Korallensand.»

Auf der Wanderung am Tag nach dem Tod seines Vaters war Fabian Biasio klar: Der Abschiedsprozess ist jetzt vorbei, jetzt beginnt eine neue Phase: die Trauer. Das Fotoprojekt, seinen Vater beim Sterben zu begleiten, fand seinen natürlichen Schluss an der Flussabdankung. In der Nähe des Maiensäss, in dem sie oft in den Ferien waren als Kinder, hat die Familie die Asche in einen Bach gestreut. «Es sah aus wie schneeweisser Korallensand», erinnert sich Biasio. Dort entstand das letzte Foto. Am Abend ging ein heftiges Gewitter mit Platzregen los, die Flut spülte die Asche davon. «Wir sassen alle im Restaurant und prosteten uns zu. Das wäre ganz nach dem Geschmack meines Vaters gewesen.»

Der Tod kann würdevoll sein

Das Projekt hat den Fotografen in eine neue Situation gebracht. «Ich hatte schon oft beruflich mit dem Tod zu tun. Doch ich habe immer anderer Leute Geschichten erzählt. Diesmal erzählte ich meine eigene Geschichte – ohne selber auf dem Bild zu sein», sagt der gebürtige Zürcher. «Ich war verblüfft, wie schön, das heisst friedlich, mein Vater sterben durfte. Dafür war ich sehr dankbar. Der Tod kann würdevoll sein», betont der Fotograf.

«Die Energie meines Vaters ist also noch da, einfach in anderer Form.»

Die Verblüffung hat aber nicht dazu geführt, dass er zu einer religiösen Sichtweise auf das Leben und den Tod kam. «Energie lässt sich nicht vernichten. Die Energie meines Vaters ist also noch da, einfach in anderer Form», ist Fabian Biasio überzeugt. So hat er seinen Trost nicht in einer Religion gefunden, sondern in der Natur. «Mein Vater war da ähnlich. Er fand es zum Beispiel schön, in einem Wald zu sein und alte Bäume vermodern zu sehen. Die Grundlage für ein neues Leben.»

Ausstellung in Luzern

«So ein schöner Tod?», Vernissage: Freitag, 28. Oktober, 18.00 Uhr, Heiliggeistkapelle Luzern, Ausstellung bis 5. November, täglich 16.00–21.00 Uhr.

Im Rahmen der Ausstellung zeigt der Theologe und Kabarettist Wolfgang Weigand am 31. Oktober um 19.00 Uhr sein Programm «Der Tod ist doch das Letzte».

In der Heiliggeistkapelle zeigt Fabian Biasio die verschiedenen Aspekte des Sterbens (siehe Box), denen er in seinem Schaffen begegnet ist: Bilder aus dem Kosovo, von seiner Fotoreportage über die Todesstrafe (Tagebuch einer Exekution) und natürlich von seinem Vater: «Die Auswahl der Bilder vom Sterbeprozess meines Vaters war schmerzlich. Ich musste mich fragen, was ich zeigen will», erzählt er. Und er zeigte die Bilder seiner Familie, von der nicht alle glücklich sind mit seiner Ausstellung.

Bilder als Projektion

Nach nur gut einem Jahr gehen auch dem in Luzern lebenden Fotografen die Bilder noch sehr nah. So will er sie – noch? – nicht drucken, sondern zeigt sie als Projektion. «Die Heiliggeistkapelle eignet sich für die Ausstellung sehr gut. Die sakrale Architektur erzeugt eine ganz spezielle Atmosphäre, man spürt das», sagt Fabian Biasio. «Die katholische Kirche unterstützt mich für diese Ausstellung sehr grosszügig. Eine Einflussnahme auf den Inhalt der Ausstellung hätte ich nicht akzeptiert. Doch die Kirchenleute waren total undogmatisch und offen.»

Bilder zur Ausstellung sehen Sie in der nachfolgenden Slideshow.

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