Wie schlimm es im Kanton Luzern wirklich war

Wauwilermoos: Hungern im «Schweizer Konzentrationslager»

Schweizer Soldaten bewachten die beiden Tore ins Straflager, Tag und Nacht.

(Bild: zvg)

Fast wäre das Straflager Wauwilermoos in Vergessenheit geraten. Ein Dokumentarfilm verhinderte dies und schockierte gleichzeitig mit grauenvollen Berichten über die Behandlung der geflüchteten ausländischen Soldaten. Private Briefe, die nie verschickt wurden, zeugen vom Leid im «Konzentrationslager». Wir bringen erstmals Auszüge daraus.

Unmenschlich, unhaltbar, katastrophal sollen die Zustände im Straflager Wauwilermoos gewesen sein. Die Schweizer Armee brachte während des Zweiten Weltkriegs in der Gemeinde Egolzwil internierte ausländische Soldaten unter, die sich hier strafbar machten oder einen Fluchtversuch unternahmen. Archivakten, Augenzeugenberichte und private – teilweise zensurierte – Briefe zeigen, dass die Internierten oft nicht nur mehrere Monate auf ein Gerichtsverfahren warten mussten. Die Insassen im Wauwilermoos hungerten, ihre Kleidung sowie die Räumlichkeiten waren ständig feucht, die Internierten daher krank und zudem kaum beschäftigt – ein Albtraum (zentralplus berichtete).

Das Straflager bestand aus 22 einstöckigen Holzbaracken und bot Platz für gegen 1000 Inhaftierte. Bewaffnete Schweizer Soldaten bewachten es, begleitet von aggressiven Wachhunden. Erst im letzten Betriebsjahr wurde das «Casino de Wauwilermoos», eine Baracke zur Unterhaltung ausgestattet für Theater- und Musikaufführungen, erstellt. Der Tagesablauf im Lager wird in den Aufzeichnungen denn auch als eintönig beschrieben.

Bis auf wenige Arbeitseinsätze hatten die Internierten kaum eine Beschäftigung. Und anständiges Essen gab es auch kaum. So vertrieben sich die ausländischen Insassen ihre Zeit mit Spielen. Gegen den Hunger rauchten sie Zigaretten.

Der Bewegungsradius der Internierten beschränkte sich auf das mit Stacheldraht umzäunte Areal. Gelegenheiten, die nahe gelegenen Dörfer mit ihren Wirtschaften aufzusuchen und dem strengen Regime des umstrittenen Lagerkommandanten André Béguin zu entkommen, boten sich selten.

Eine doppelte Palisaden-Reihe und Stacheldraht umgaben das Straflager.

Eine doppelte Palisaden-Reihe und Stacheldraht umgaben das Straflager.

(Bild: zvg)

Imageschaden für die Schweiz befürchtet

Als die «Luzerner Neuesten Nachrichten» am 3. September 1945 einen Bericht über «untragbare Vorgänge im Straflager Wauwilermoos» veröffentlichten und von einem drohenden «unheimlichen Schaden» für das Ansehen der Schweiz schrieben, reagierte auch der damalige Luzerner Regierungsrat. Er erkundigte sich beim zuständigen Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung über die «angeblich unhaltbaren Zustände» im Straflager.

Allerdings gingen bereits kurz nach dessen Eröffnung 1941 beim Kanton Beschwerden von Gemeinden und Privaten über die hygienische und sanitarische Betreuung der Internierten im Straflager ein. Zudem gibt es einen Bericht darüber, dass der amerikanische Insasse Dan Culler nach seiner Ankunft 1944 mehrmals von anderen Internierten vergewaltigt wurde, ohne dass Lagerkommandant Béguin einschritt.

Auf jeden Fall ordnete das Militärdepartement Ende 1945 eine Untersuchung über die Vorgänge im Wauwilermoos an, auch weil Béguin zusätzlich in der «Berner Tagwacht» der «unmenschlichen Behandlung von Internierten» sowie der Tötung eines sowjetischen Insassen – dieser wurde bei einer Auseinandersetzung von einem Wachsoldaten angeschossen und verstarb später im Spital – beschuldigt wurde. Das Divisionsgericht sprach Béguin, der im Juli 1945 suspendiert wurde, aber frei.

Der umstrittene Hauptmann André Béguin inmitten von Lagerinsassen.

Der umstrittene Hauptmann André Béguin inmitten von Lagerinsassen.

(Bild: zvg)

Ein Schweizer Konzentrationslager?

Aufgrund dieser Zustände wird das Straflager Wauwilermoos von Insassen in den Akten verschiedentlich mit den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten in Deutschland verglichen. Ein italienischer Inhaftierter spricht in einem persönlichen Brief vom «Schweizerischen Buchenwalde», einem der grössten deutschen Konzentrationslager. Andere Internierte sprechen dagegen aufgrund der «unmenschlichen Zustände» von einem «Schweizer Konzentrationslager».

Auch der damalige Aargauer Nationalrat Eugen Bircher (Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei) sprach in Zusammenhang mit dem Wauwilermoos von einem «Konzentrationslager». Anlässlich einer Inspektion des Straflagers 1945 bedauerte er allerdings, dass es sich bei diesem nicht um ein «richtiges Konzentrationslager» handelte, sondern um ein «fideles Gefängnis». Er hielt fest, das Straflager mache einen «lächerlich friedlichen Eindruck».

Die meiste Zeit verbrachten die Internierten, darunter Italiener, Franzosen, Deutschen, Österreicher, Russen und Amerikaner, in diesen einfachen ungeheizten Holzbaracken. Sie schliefen besonders im Winter auf feuchtem Stroh.

Die meiste Zeit verbrachten die Internierten, darunter Italiener, Franzosen, Deutschen, Österreicher, Russen und Amerikaner, in diesen einfachen ungeheizten Holzbaracken. Sie schliefen besonders im Winter auf feuchtem Stroh.

(Bild: zvg)

«Willkürliche» Handlungen

In dieses von Bircher gezeichnete Bild passt das in den Akten überlieferte Verhalten von einzelnen Schweizer Soldaten, die im Straflager ihren Dienst leisteten. Henri Geiger wurde beispielsweise verurteilt, weil er sich auf Lagerkosten bei der Spezialverpflegung bereicherte. Andere Armeeangehörige wurden rund um die Beschaffung von Verpflegung Bestechung vorgeworfen.

Auch das Verhalten von Lagerkommandant André Béguin wird in den damaligen Medien als «willkürlich» beschrieben. Er hetzte die Wachhunde auf Internierte und schikanierte diese. Im Bundesarchiv in Bern sind darüber hinaus rund 400 Briefe registriert und teilweise auch einsehbar, die nicht zugestellt wurden.

Einige jener Briefe, die André Béguin zurückbehielt, sind im Bundesarchiv einsehbar.

Einige jener Briefe, die André Béguin zurückbehielt, sind im Bundesarchiv einsehbar.

(Bild: mag)

Weshalb Béguin diese Feldpost, adressiert ans Rote Kreuz, an Konsulate und Botschaften, ans Eidgenössische Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung und an Hilfswerke, zurückbehielt, ist nicht überliefert. Brisant: Es gibt darunter Briefe, in denen sich Internierte über die Länge ihrer Strafen, die nicht den damaligen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts entsprachen, beschweren wollten.

Quellen:

  • Hilmar Gernet (1995): Verbrechen und Leiden im Internierten-Straflager Wauwilermoos (1941–1945)
  • Peter Kamber (1993): Schüsse auf die Befreier
  • Akten des Staatsarchivs Luzern und des Schweizerischen Bundesarchivs

Heute steht auf dem Areal des ehemaligen Straflagers in Egolzwil die Jugendvollzugsanstalt des Kantons Luzern.

Heute steht auf dem Areal des ehemaligen Straflagers in Egolzwil die Jugendvollzugsanstalt des Kantons Luzern.

(Bild: zvg)

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