Einachsertreffen zwischen Neuheimer Hügeln

Von verlorenen Rädern und abgewürgten Motoren

Je länger das Rennen, desto schlammiger die Strecke. Und auch die Zuschauer.

 

(Bild: Laura Livers)

Einachserrennen? Das ist ein Haufen Leute, die mit kleinen Traktoren um die Wette fahren, während das Publikum mit Bier in der Hand Ländlermusik hört, möchte man meinen. Oder steckt da doch mehr dahinter? Wir haben’s herausgefunden.

Wir befinden uns mitten in der pittoresken Zuger Hügellandschaft. Einachsertreffen ist angesagt, wofür auf zwei Privatgrundstücken bei der Bushaltestelle Hinterburg extra eine Rennstrecke gebaut wurde. Morgens um 9 Uhr beginnt das Rennen, die meisten Zuschauer trudeln aber erst am Nachmittag ein. Das dafür in Scharen. «So, wie die Küche heute gerannt ist, gehen wir von sicher 2500 Besuchern aus», sagt Claudia Meier vom Club Edelwiis am frühen Abend.

Dieser ist seit drei Jahren für die Durchführung des Neuheimer Einachserrennens zuständig. «Wir sind eine Gruppe von Jugendfreunden aus der Gegend, die immer Spass hatten an solchen Anlässen. Und da zwei von uns auch selber Einachser fahren, haben wir gleich die Organisation übernommen», erzählt sie, bevor sie per Funk ans andere Ende des Platzes gerufen wird.

Die Stimmung vor Ort ist ausgelassen. Praktisch ununterbrochen rasen die Einachser über die Strecke. Bei 126 gemeldeten Fahrern und drei Durchgängen dauert es seine Zeit, bis alle durch sind. Entlang der Absperrung drängen sich die Zuschauer und applaudieren, wenn ein Fahrer besonders schnell um die Kurve kommt. Auf dem Hügel befindet sich ein grosses Festzelt, in dem unermüdlich eine junge Ländlerkapelle spielt und Serviertöchter unentwegt Pommes frites servieren, auch um den Bierwagen daneben tummeln sich die Leute.

Einachser-Sport from zentralplus on Vimeo.

Ein Schweizer Original

Einachserrennen sind vor allem in der Schweiz verbreitet. Wurden die Rennen früher noch ausschliesslich mit Modellen der Kategorie Standard bestritten, also mit originalen Einachsern mit Ladebrücke, wie sie heute noch auf der Alp benutzt werden, gibt es heute vier Kategorien:

Standard (mit Ladebrücke), Sport (Standard mit frisiertem Motor), Prototyp (Standard mit Originalgetriebe, aber Fremdmotor) und Eigenbau (Frontmotor ohne Federung, Heckmotor oder Allradantrieb mit Vollfederung). Eigenbau-Einachser können laut einem anwesenden Mechaniker eine Motorleistung von fast 200 PS erreichen, aber das sei dann extrem schwierig zu fahren.

Und gefährlich. Deswegen müssen alle Prototyp- und Eigenbaumodelle mit einer Abrissleine ausgestattet sein – ein roter Draht, der dem Fahrer ums Handgelenk gelegt wird und der über den Lenker mit dem Motor verbunden ist. So lässt sich im Falle eines Unfalls mit einem Ruck der Motor ausschalten. Zudem gilt für die Fahrer eine Helmpflicht.

Kreativ und pragmatisch zugleich

Kleinere Unfälle passieren tatsächlich immer wieder während des Rennens. Die meisten sind harmlos, ein verlorenes Rad hier, ein abgewürgter Motor da. Einmal überschlägt es einen Fahrer tatsächlich. Und da zeigt sich, dass die Konstruktionen nicht nur kreativ, sondern auch durchwegs pragmatisch sind: Schon in der Luft reisst der Fahrer an der Abrissleine, zieht die Beine hoch, damit er nicht seitlich eingeklemmt wird, und lässt sich von seinem Gefährt begraben. Gefühlte fünf Sekunden später sind auch schon sieben Helfer bei ihm und hieven den Einachser von ihm weg. Der Fahrer kommt unbeschadet davon.

Nichts passiert, gibt der Rennkommentator Entwarnung und der nächste Teilnehmer steht bereits in den Startlöchern.

Bei so viel Eigenbau streikt manchmal der Motor.

Bei so viel Eigenbau streikt manchmal der Motor.

(Bild: Laura Livers)

Eine pure Männerdomäne?

Der durchschnittliche Einachserrennfahrer ist männlich, um die 20 Jahre alt und kommt vom Land. So ganz stimmt das natürlich nicht. Unter den 126 gemeldeten Fahrern befinden sich auch vier Frauen. Eine davon ist Fabienne von Flüe aus dem Entlebuech. Sie besucht schon seit Jahren Einachserrennen als Assistentin ihres Bruders Lukas von Flüe. «Wir haben sie nach dem letzten Rennen zum Spass angemeldet, und ihr am Donnerstag davon erzählt», erzählt ihr Bruder augenzwinkernd. «Damit sie auch ja die richtigen Schuhe mitbringt.»

Fabienne lacht. «Ich war ja immer dabei bei den Rennen und habe das Tanken überwacht und mitgeholfen. Beim letzten Mal bin ich dann während der Ehrenrunde zum ersten Mal gefahren.»

«Mir war richtiggehend schlecht.»

Eine Rennfahrerin über ihren Start beim Rennen

Am Samstagmorgen sei sie schon brutal nervös gewesen. «Mir war richtiggehend schlecht. Aber nach dem Probelauf konnte ich meine Nerven wieder beruhigen und mit jedem Durchgang lief es besser und besser. Ich werde auf jeden Fall wieder Rennen fahren.»

Fabienne fährt mit dem Einachser Kategorie Eigenbau Heckmotor ihres Bruders. Sein Wagen sei eher ein schwächeres Model. Knapp 42 PS Motorleistung bringt er zustande, erklärt Lukas von Flüe. «Dafür ist er komplett selbst gebaut und läuft seit 13 Jahren wie geschmiert.» Da schwingt schon eine grosse Portion Stolz mit.

Auch jüngere Rennfahrer sind dabei

Ein paar Meter weiter oben findet sich das wohl jüngste Team dieses Rennens. Die drei Schulkollegen Chris Steiner (13), Sven Rohrer (11) und Joel Strickler (12) aus Neuheim sind schon seit drei Jahren mit dabei. Der Einachser gehört Chris Steiner, dem Fahrer. «Mein Vater hat mir beim Bau geholfen. Alleine wäre es ein bisschen schwierig gewesen. Etwa 100 Stunden hat es gedauert, bis der Einachser fahrbar war.» Die anderen zwei sind zuständig für dessen Instandhaltung. «Es muss immer etwas geflickt werden. Der Motor will geputzt sein und Schrauben angezogen», erzählt Joel.

«Mitten auf der Strecke ist die Abrissleine abgefallen, da hab ich natürlich wertvolle Zeit verloren.»

Chris Steiner über seinen ersten Lauf

Die zwei Jungmechaniker seien aber noch nie damit gefahren. «Die Gelegenheit dafür kommt schon noch», sagt Sven.

Das jüngste Team beim Neuheimer Rennen: Joel Strickler, Chris Steiner, Sven Rohrer (v.l.n.r.) mit ihrem Einachser.

Das jüngste Team beim Neuheimer Rennen: Joel Strickler, Chris Steiner, Sven Rohrer (v.l.n.r.) mit ihrem Einachser.

(Bild: Laura Livers)

Im Rennen ist es dem Team gut gelaufen. Einzig den ersten Lauf habe er ein wenig verpatzt, erzählt Chris. «Mitten auf der Strecke ist die Abrissleine abgefallen, da hab ich natürlich wertvolle Zeit verloren.»

Ein zeitintensives Hobby

An diesem Tag steht aber nicht nur das Rennen im Vordergrund. Entlang der Hinterburgstrasse stehen über hundert Einachser in Reih und Glied, umsorgt von Mechanikern, bestaunt von zahlreichen Besuchern. Manche der Wagen sehen optisch ihrem Ursprungsmodell schon lange nicht mehr ähnlich. In allen Formen und Farben lackiert, sorgfältig zusammengeschweisst und mit Rennfahrersitzen ausgestattet, könnte man die Eigenbaumodelle fast für Gokarts halten.

Einzig die Steuerung ist noch original. Anstelle eines im Rennsport üblichen Lenkrades muss ein Einachser, wie bei einem Fahrrad, einen fest verankerten Lenker haben. Das macht das Steuern zwar intuitiv, aber auch extrem anstrengend, da die Vorderräder mit blosser Muskelkraft gedreht werden müssen.

Es ist nicht zu übersehen: Die Einachser sind der ganze Stolz der anwesenden Fahrer und Mechaniker. Die meisten haben mehrere Jahre in ihren Wagen investiert und tauschen sich fleissig mit anderen Teams aus, die aus der ganzen Schweiz angereist sind. Nicht wenige Besucher nutzen die Gelegenheit, um das Einachserfahren selbst einmal auszuprobieren.

Ein letztes Mal tüchtig Gas geben

Um 18 Uhr ist das Rennen vorbei, die beteiligten Teams drehen eine Ehrenrunde. Manche mit Kindern auf dem Schoss, andere mit ihren Mechanikern hinten drauf, und einige nutzen die Gelegenheit noch einmal, in der Kurve richtig Gas zu geben und die Zuschauer damit unter einer Dreckfontäne zu begraben. Das Publikum nimmt’s gelassen und winkt unermüdlich.

Es folgt die Siegerehrung im Festzelt. Bei so vielen Kategorien ist es unmöglich, sich alle Namen zu merken. Das Gewinnen an sich scheint sowieso nebensächlich zu sein. Die Sieger werden mit Champagner begossen, die Stimmung bleibt herzlich. Gefeiert wird hier zweifellos bis spät in die Nacht.

 

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