Erster Einblick in die neue Viscosistadt

Fabrikcharme statt Prunk: Das ist die neue «Kunsti» in Emmenbrücke

Hell und zweckmässig: Atelier im künftigen Kunsti-Gebäude in Emmen.  (Bild: zvg/Randy Tischler)

Die älteste Kunsthochschule der Schweiz nimmt bald ihr neues Gebäude in Beschlag. Erstmals konnte man den Bau 745 in der Emmer Industrie betrachten. Ganz zweckmässig und alles andere als ein Prunkbau – aber doch ein wenig historisch: Die zuvor abgeriegelte Viscosistadt wird erstmals öffentlich.

Immer wieder fiel an diesem Nachmittag der Vergleich mit dem Toni-Areal in Zürich. Auch dort wurde vor zwei Jahren die Kunsthochschule in einem alten Industriebau zentralisiert – der Vergleich liegt also nahe.

Und so ein Zufall aber auch: Just am selben Dienstag, als in Emmen erstmals die Räume der zukünftigen «Kunsti» präsentiert wurden, brachte der «Tages-Anzeiger» eine ernüchternde Bilanz des Zürcher Prunkbaus: Das «Haus des Unbehagens» im Toni-Areal sorge für Ärger, die Luft sei zu trocken, die Akustik im Konzertsaal mies.

Alles andere als ein Prunkbau

Mehr als ein Schmunzeln entlockte der Vergleich den Verantwortlichen für die Kunsti in Emmen nicht – sie hatten wohl mit dieser Frage gerechnet. Das Toni-Areal sei mit dem Bau 745 in der Viscosistadt überhaupt nicht vergleichbar. Erstens hat der Umbau in Emmen nur 24 Millionen Franken gekostet, im Vergleich zu über 500 Millionen in Zürich. Und es werden in Emmen zehnmal weniger Studierende sein, nämlich 300 (plus 110 Mitarbeiter).

«Das Haus ist sehr wenig technologisiert und daher sehr sympathisch, heute versteht man ja Gebäude kaum mehr.»

Architekt Daniel Niggli

Alles andere als ein Prunkbau also, sondern eher ein Umbau aus der Finanznot heraus, denn er musste für die Schule nahezu kostenneutral geschehen.

Und so sieht der Bau 745 aus, vor dem Gebäude entsteht der neue Park.  (Bild: zvg/Randy Tischler)

Und so sieht der Bau 745 aus, vor dem Gebäude entsteht der neue Park.  (Bild: zvg/Randy Tischler)

«Es ist ein viel weniger komplizierteres und kleineres Gebäude als das Toni-Areal», sagt Gabriela Christen, Direktorin des Departement Design & Kunst der Hochschule Luzern. «Ein extremes Low-Tech-Gebäude, wir brauchen nicht den höchsten Standard, sondern gute Räume», ergänzt Daniel Niggli vom Architekturbüro EM2N, der für den Umbau verantwortlich war.

«Das Haus ist sehr wenig technologisiert und daher sehr sympathisch, heute versteht man ja Gebäude kaum mehr», so Niggli. Das zeigt sich etwa darin, dass der Bau 745 keine komplizierte Lüftung hat wie bei heutigen Neubauten. Mit der Folge, dass es im Sommer halt mal etwas heisser wird. «Aber wir schwitzen gern», sagt Gabriela Christen.

Bibliothek, Ausstellungsräume und ein Kinosaal

Eröffnung im September

Seit September 2014 wird der Bau 745 in der Viscosistadt umgebaut – zwei Jahre später zügeln nun 110 Mitarbeiter und 300 Studenten in das Gebäude, rund zwei Drittel der gesamten Hochschule Luzern – Design & Kunst. Die Geschossfläche des fünfstöckigen Hauses misst 13’000 Quadratmeter. Die Viscosistadt AG, die das Gelände 2014 übernommen hat, investiert 24 Millionen Franken in den Umbau des Bau 745.

Die Eröffnungsfeier des neuen Standorts findet am Freitag, 23. und Samstag, 24. September statt. Es gibt Führungen, Filme, Kinderprogramm, Konzerte und Streetfood im angrenzenden Park.

Die Zweckmässigkeit offenbart sich auf dem Rundgang durch die hohen und hellen Räume, in denen im Moment noch fleissig gearbeitet wird: Es entstehen Werkstätten, Schulungsräume und Ateliers – und keine Repräsentationsräume. Dazu kommen moderne technische Infrastruktur mit Film- und Tonstudios. Möglichst vieles am Industriebau hat man belassen. Architekt Niggli bezeichnet die Eingriffe als «so direkt und zurückhaltend wie möglich.»

Die Kunststudenten sollen dort arbeiten können, ohne dauernde Angst, etwas könne kaputtgehen. «Man sieht die industrielle Vergangenheit und darf wirken und auch mal Nägel in die Wände schlagen», fasst es Gabriela Christen zusammen.

Das Gebäude bietet über 10’000 Quadratmeter Fläche. Im Erdgeschoss gibt es eine Bibliothek, Ausstellungsräume und eine Cafeteria. Zudem ein Kinosaal mit 77 Plätzen, der in erster Linie Übungs- und Schulungsraum für die Videostudenten ist, der aber auch öffentlich genutzt werden kann.

Ein Haus im Haus

Im ersten Stock gibt es Fotostudios und Räume für die Video und Animation, im zweiten Stock stehen die grossen Ateliers – sozusagen das Herzstück des Gebäudes. Mit ganz profanen Wänden und Böden, die bewusst nicht zu schön sein sollen. «Der Kern von Design und Kunst ist die Arbeit im Atelier», sagt Christen, deshalb seien die Räume so grosszügig.

Gabriela Christen, Direktorin der «Kunsti» und Architekt Daniel Niggli beim Rundgang durch die neuen Räume.  (Bild: jwy)

Gabriela Christen, Direktorin der «Kunsti» und Architekt Daniel Niggli beim Rundgang durch die neuen Räume.  (Bild: jwy)

Im Untergeschoss schliesslich sind die ganzen dunklen Räume für Videoschnitt und Sound, mit der entsprechenden akustischen Ausstattung, sowie eine Blackbox für Animationen. Hier war mehr Arbeit nötig: Zum Beispiel musste für das Tonstudio ein «Haus im Haus» gebaut werden, um es gegen Aussenlärm abzuschirmen. Man darf nicht vergessen: In Emmen starten und landen Kampfflugzeuge.

Von sechs auf zwei Standorte

Im Sommer zügeln zwei Drittel der Abteilung Design & Kunst in den fünfstöckigen Bau 745. Es ist das erste Mal, dass die Studienrichtungen unter ein gemeinsames Dach kommen. Die Masterstudiengänge Design, Film und Kunst erhalten ab September zusammen mit den Ausbildungen in Animation, Video, Camera Arts, Digital Ideation und Kunst & Vermittlung eine neue Heimat in der Viscosistadt. Von heute sechs reduziert die Kunsti ihre Standorte auf künftig zwei: Die Standorte Lädelistrasse 12, Grossmatte 28/30, Rössligasse 12 und Baselstrasse werden aufgegeben, nur die Sentimatt bleibt.

«Für Kunst und Design ist das Haus sehr inspirierend.»

Gabriela Christen, Direktorin Abteilung Design & Kunst

Der Bau 745 diente früher der Fadenindustrie, wovon die neue Adresse zeugt: «Nylsuisseplatz 1». Viscosuisse war eine der europaweit grössten Herstellerinnen von Nylon. 745 war übrigens die Gebäudeversicherungsnummer. Das Haus war ein Entwicklungsgebäude mit Labors, Ingenieuren und Technikern, rund 250 Arbeiter waren hier tätig.

Die neuen Ateliers im zweiten Stock.  (Bild: zvg/Randy Tischler)

Die neuen Ateliers im zweiten Stock.  (Bild: zvg/Randy Tischler)

Der 50-jährige Bau stand einige Jahre leer, ist aber in gutem Zustand. «Mit seinem kräftigen, expressiven Ausdruck ist der Bau 745 ein Zeuge des industriellen Erbes der ehemaligen Viscosuisse und prägt das Areal massgeblich», sagt Architekt Daniel Niggli. Die hohen und hellen Räume, die angrenzende Industrie (wo Monosuisse immer noch produziert) seien eine ideale Umgebung für die Kreativabteilung. «Für Kunst und Design ist das sehr inspirierend», sagt Gabriela Christen.

Bescheiden, trotzdem historisch

Der Bau 745 mag zwar in Grösse und Kosten bescheiden sein – trotzdem hat der Umzug der Kunsti im September historischen Charakter: Es ist der erste Schritt für eine belebte Viscosistadt. Das erste Mal öffnet sich ein zuvor der Öffentlichkeit nahezu unbekanntes Industrie-Areal. Eine graue, irgendwie verbotene Zone von der Grösse der Luzerner Altstadt wird zu einem neuen Stadtteil. Zäune verschwinden und Studentenvelos teilen sich die Strasse künftig mit den Lastern, der angrenzenden Fabriken. Und gleich neben dem Bau 745 entsteht für die Bevölkerung ein neuer grüner Park, der Emmenpark. Bald werden Verpflegungsmöglichkeiten dazukommen, Wohnbauten, Infrastruktur – was eben zu einer Stadt gehört.

Es wird noch an allen Ecken und Enden gearbeitet im Bau 745.  (Bild: jwy)

Es wird noch an allen Ecken und Enden gearbeitet im Bau 745.  (Bild: jwy)

Auch Gemeinderat Urs Dickerhof ist voll des Lobes über die neue Hochschule in seiner Stadt: «Das ist ein Meilenstein auf dem Weg vom Industrie- zum Hochschulstandort», sagt er. Und klopft sich kräftig selbst auf die Schultern, weil Emmen die Vision schon vor 13 Jahren hatte, die nun Realität wird. Mit der Idee der Luzerner Uni am Seetalplatz konnte sich Emmen nicht durchsetzen, jetzt kommt dafür die Kunsti. «Das ist ein Imagegewinn für die Gemeinde, das wird eine starke Wirkung auch auf die Wirtschaft haben.»

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