Müllers Kampf mit den Zuger Ergänzungsleistungen

Wenn das Geld nirgends hin reicht

Herr Müller* schaut aus dem Fenster der Büroräumlichkeiten unseres Treffpunktes. (Bild: zentralplus)

Wenn die einen sparen, bluten die anderen. Gestern wurden im Kantonsrat Kürzungen bei den Ergänzungsleistungen beschlossen. «Es reicht schon jetzt nicht», sagt ein Betroffener. Im Gespräch erzählt er, worauf er jetzt schon verzichten muss und welch drastische Folgen es für ihn hat, wenn er mit noch weniger durchs Leben kommen muss.

Sein Leben war kein Zuckerschlecken. Anmerken tut man das Hans Müller (*) aber nicht. Der 61-jährige wirkt wach, offen und neugierig. Und von sich selbst sagt er: «Ich bin humorvoll. Und ich singe gerne lüpfige Lieder.» Über zehn Jahre sei er ohne Ausbildung bei der LEGO in Baar tätig gewesen und habe sich hochgearbeitet, erzählt er. Wenn er erzählt, dass er zum Schluss sogar ein paar Lageristen geführt habe, tut er das nicht ohne Stolz.

Doch dann folgte die Scheidung von seiner damaligen Frau und anschliessend eine starke Depression. Über fünf Jahre war Müller in einer Klinik. «Ganz tief unten im Tal», wie er heute sagt. Es folgten viele Jahre in verschiedenen Heimen ausserhalb des Kantons. Seit kurzem wohnt er im «Chlösterli» in Unterägeri. Er ist zurück in seiner Heimat, in Zug. Mit all den Bergen, die man sehe, dem See und der Natur, da fühle er sich wohl.

Die Sache mit dem Geld

Etwas nervös ist er zu Beginn des Gespräches dann aber schon. Man kann es ihm aber auch nicht übel nehmen. Schliesslich geht es ums Geld. Und da werden manchmal sogar gute Freunde schweigsam. Aber Müller sagt offen: «Ohne die Ergänzungsleistungen (EL) könnte ich nicht leben.»

Fast zur gleichen Zeit wird im Kantonsratsaal des Kantons Zug über diese gestritten. Anders kann man dem wohl nicht sagen: Mit 33 Stimmen für und 33 gegen die Kürzung der EL ist man sich so gar nicht einig im Parlament (zentralplus berichtete).

Sparen, sparen und nochmals sparen

Worum geht es? Im Rahmen des Entlastungsprogramms muss der Kanton Zug sparen. Und zwar nicht wenig. Von den Sparmassnahmen des aktuellen Pakets sind auch die Ergänzungsleistungen betroffen.

Ergänzungsleistungenwerden an Personen mit einer AHV- oder IV-Rente ausgerichtet, wenn sie in der Schweiz wohnen und ihr Einkommen die minimalen Lebenskosten nicht decken kann. Übersetzt man das, bedeutet dies: EL sind dazu da, Ausgaben für existenzielle Bedürfnisse zu decken. Zum Beispiel müssen damit ÖV-Kosten gedeckt werden, Shampoo gekauft oder eine neue Hose finanziert werden. Eine mögliche Aufstellung der Ausgaben ist am Schluss des Artikels zu finden.

Und von diesen Leistungen sollen die Bezüger in Zukunft nur noch einen Teil bekommen. Weil sich das Zuger Parlament nicht einig worden ist, hat der Kantonsratspräsident Moritz Schmid entschieden: Die EL werden gekürzt. Zwar nicht um fast die Hälfte, wie vom Regierungsrat vorgeschlagen, sondern um etwa ein Viertel. Das bedeutet: Neu gibt es noch ungefähr 400 Franken pro Person und Monat.

«Dann muss ich auf der Strasse singen»

Was wäre denn, wenn Herr Müller plötzlich weniger Geld bekommen würde? «Dann müsste ich auf der Strasse singen gehen», kommt es wie aus der Pistole geschossen. Es reiche ja heute schon nirgends hin, klagt Müller. Und auch die anderen im Heim würden sich sicher auch grauenhaft über einen solchen Entscheid aufregen, sagt er. «Das wäre ein Schlag für uns alle.»

«Manchmal reicht das Geld nicht, um meine Tochter besuchen zu gehen.»
Herr Müller bezieht Ergänzungsleistungen

«Ich musste in meinem Leben schon auf sehr vieles verzichten», gibt Müller zu bedenken. Manchmal reichte es nicht für das Zugbillet, wenn er seine Freunde besuchen wollte. Oder seine Tochter, die bald auch eine Tochter bekommen werde. Das schmerze schon, sagt er. Dann müsse er zu Hause bleiben und warten, bis er wieder Geld habe. Oder seine Freunde müssten zu ihm kommen.

«Ich bin es gewohnt, mit wenig auszukommen», sagt Müller. Aber nur noch die Hälfte? «Dann muss ich mich aus der Gesellschaft zurückziehen. In ein Kloster zum Beispiel.» Denn mit so wenig Geld pro Monat reiche es einfach nicht, ein soziales Leben zu führen. Dann ziehe er sich lieber gleich ganz aus der Gesellschaft zurück, meint er. Und für einen wie ihn wäre das nicht schön. Er mag seine Mitmenschen, und es liegt ihm viel am zwischenmenschlichen Kontakt.

Wenn die einen sparen, müssen die anderen verzichten

Mit den gut 400 Franken fallen die Zuger im schweizweiten Vergleich weit zurück: Nur noch in den Kantonen Jura und Uri gibt es weniger Ergänzungsleistungen. Durchschnittlich erhält man in der Schweiz pro Monat 515 Franken pro Monat. Mit den 536 Franken war man in Zug also gut dabei.

Es folgt noch eine zweite Lesung des Pakets. Die Zuger SP-Fraktion und die Alternative – die Grünen haben bereits angekündigt, dass sie mit dem Sparpaket in der jetzigen Form nicht zufrieden sind (zentralplus berichtete hier und hier). Sie behalten es sich vor, nach der zweiten Lesung das Referendum zu ergreifen.

Es sieht ganz so aus, als bekomme Herr Müllers Zukunft in der Gesellschaft noch eine zweite Chance.

(*) Name von der Redaktion geändert

Beispiel für die Kürzung der Ergänzungsleistung.

Beispiel für die Kürzung der Ergänzungsleistung.

(Bild: IG NPO)

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