Industriestrasse: Genossenschaften erzielen Deal

«Die Verhandlung war zäh und verhärtet»

Hätte mehr Entgegenkommen erwartet: Pascal Hofer, Präsident der Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse. (Bild: jwy)

Der gemeinnützigen Überbauung bei der Industriestrasse steht (fast) nichts mehr im Weg: Die Stadt Luzern und die Kooperation aus fünf Genossenschaften haben sich auf einen Baurechtsvertrag geeinigt – das Parlament muss noch zustimmen. Die Zufriedenheit überwiegt, auch wenn die Verhandlungen nicht einfach waren. Genossenschafter Pascal Hofer erklärt wieso.

Die letzten Differenzen sind bereinigt – ein Baurechtsvertrag ist ausgehandelt. Das gaben die Stadt und die Kooperation Industriestrasse am Dienstag bekannt (zentralplus berichtete). Der Deal sieht so aus: Für 80 Jahre Nutzung des Areals zahlen die Genossenschaften 11,02 Millionen Franken, die Stadt forderte ursprünglich 13 Millionen.

Zankapfel war bis zuletzt die Höhe des Baurechtszinses. Der Kompromiss sieht so aus: Die Stadt erhält die 11 Millionen Franken als Einmalzahlung auf einen Schlag statt als jährliche Rate – und kann damit dringende Investitionen in die Schulinfrastruktur decken.

Genossenschaften gründen neuen Verband

Die GWI ging aus der IG Industriestrasse hervor und wurde 2013 gegründet. Zusammen mit der abl, der Baugenossenschaft Wohnwerk, der Liberalen Baugenossenschaft und der Wogeno realisiert sie auf dem Areal bei der Industriestrasse die neue Überbauung (zentralplus berichtete). Dazu gründet sie jetzt eine neue Dachgenossenschaft: einen Verband mit Geschäftsstelle, der künftig als Ansprechpartner der Stadt fungiert und das Bauprojekt vorantreibt. Jede Genossenschaft bringt für die Projektorganisation 100'000 Franken in den neuen Verband ein und hat ein Stimmrecht.

Im April entscheidet noch das Parlament über den Vertrag – dann soll 2017 ein Architekturwettbewerb starten. Der Verbund aus den fünf Genossenschaften Allgemeine Baugenossenschaft Luzern (ABL), die Baugenossenschaft Wohnwerk Luzern, die Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse Luzern (GWI), die Liberale Baugenossenschaft Luzern (LBG) sowie die WOGENO Luzern wird darauf eine innovative Bebauung für Wohnen, Arbeiten und Kultur realisieren.

Pascal Hofer ist Präsident der Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse (GWI) und Mitglied der IG Industriestrasse. Der gelernte Bootbauer wohnt seit 2012 in der Industriestrasse. Wir wollten von ihm wissen, was die Verhandlungen so kompliziert machten.

zentralplus: Der Vertrag ist ausgehandelt, ein Meilenstein erreicht, auch für euch? Wie ist die Stimmung in der Kooperation?

Pascal Hofer: Gut! Trotz der unterschiedlichen genossenschaftlichen Hintergründe verlief die Zusammenarbeit bis jetzt und hoffentlich auch in Zukunft sehr konstruktiv. Ich denke, diese heterogene Zusammensetzung hat dazu geführt, dass wir mit der Stadt zu diesem guten Ergebnis bezüglich Baurechtsvertrag gekommen sind.

«Manchmal habe ich mich gefragt, ob bei der Stadt das Verständnis für den gemeinnützigen Wohnungsbau überhaupt vorhanden ist.»

zentralplus: Und ihr von der GWI seid der Garant dafür, dass die Anliegen der Abstimmung von 2012 nicht verwässert werden?

Hofer: Viele dieser Anliegen sind direkt in die Ausschreibung eingeflossen. Jedoch ist die Kooperation der Garant dafür …

zentralplus: … aber ihr seid am stärksten verbunden mit der Bewegung?

Hofer: Ja, wir sind als Genossenschaft schon am nahesten dran an der Industriestrasse. Aber letztlich sind wir alle gleich verantwortlich, dass es gut kommt.

Dieses Gebäude bleibt stehen und soll eine Beiz erhalten: Die Industriestrasse 9 mit dem Figurentheater.

Dieses Gebäude bleibt stehen und soll eine Beiz erhalten: Die Industriestrasse 9 mit dem Figurentheater.

(Bild: jwy)

zentralplus: Man hört, die Verhandlungen seien fair gewesen, aber auch hart.

Hofer: Ja, sie waren zäh (lacht).

zentralplus: Was haben sie zäh gemacht? Der fehlende Verhandlungsspielraum?

Hofer: Ja, der Verhandlungsspielraum. Und manchmal habe ich mich gefragt, ob bei der Stadt das Verständnis für den gemeinnützigen Wohnungsbau überhaupt vorhanden ist. Ich glaube, wenn wir in Zürich gewesen wären, wäre es wohl anders gelaufen. Weil es die Genossenschaftshauptstadt ist, und im Vergleich zu Zürich stehen wir halt in der Innovation des genossenschaftlichen Wohnungsbaus im Rückstand.

«Und dann kam dieser Kompromiss-Vorschlag – es war ein Lichtblick, der vieles öffnete.»

zentralplus: Ihr bringt der Stadt bezahlbaren Wohnraum, helft, den Volkswillen umzusetzen. Hättet ihr mehr Entgegenkommen erwartet?

Hofer: Am Anfang ja. Aber irgendwann ist auch bei mir die Einsicht gewachsen, dass die Stadt Luzern den gemeinnützigen Wohnungsbau nicht mittels Landwertreduktion fördern will. Und zusätzlich kommt auch Druck vom Parlament in diese Richtung.

zentralplus: Die Einmalzahlung von 11 Millionen brachte den Durchbruch, wer brachte diesen Vorschlag ein?

Hofer: Das waren wir als Kooperation. Als in der Verhandlungsrunde dieser Vorschlag kam, waren die Fronten schon recht verhärtet, und man verhandelte über Details, die nicht wirklich konstruktiv waren. Und dann kam dieser Kompromiss-Vorschlag – es war ein Lichtblick, der vieles öffnete. Man sagte sich, ok, wir rechnen aus, auf welche Summe man da kommt. Es wurde auch extern geprüft, damit die Summe für beide Parteien stimmt.

zentralplus: Für euch als junge Genossenschaft ist die Einmalzahlung ein grosser Brocken.

Hofer: Ja, es ist ein grosser Brocken. Aber einer, den wir mit grosser Freude angehen.

zentralplus: Möglich ist die Zahlung aber nur dank der Garantie der anderen Genossenschaften?

Hofer: Das ist ganz klar, nur durch diese Zusammenarbeit mit den anderen Genossenschaften können wir das wirklich so angehen. Alleine wäre es definitiv schwieriger gewesen, diese Garantie bei den Banken auf einmal zu bekommen. Dann hätten wir eine andere Absicherung gebraucht.

zentralplus: Und jetzt muss es möglichst schnell gehen, dass bald die Mieterträge reinkommen?

Hofer: Also, wir müssen uns an den Zeitplan halten und schauen, dass wir mit den bestehenden Mieterinnen und Mietern in einem guten Austausch bleiben und dass das Areal wirklich so entwickelt wird, dass es dem Konzept entspricht, wie wir das als Genossenschaft und Kooperation wollen.

zentralplus: Die GWI wird rund 50 von insgesamt 160 bis 200 Wohnungen bauen.

Hofer: Ja circa, das würden wir gerne realisieren. Es ist angedacht, dass wir im Chäslager, also im Figurentheater, eine Genossenschaftsbeiz realisieren, im Keller wenn möglich Konzerte durchführen, im ersten Stock soll es Ateliers und Wohnungen geben und im Estrich möchten wir eine Gross-WG realisieren. Und bei den anderen Wohnungen soll es unter anderem Cluster-Wohnungen, aber auch normale Wohnungen geben. Auch in einem Neubau soll es Platz für eine Gross-WG haben. Wir als Genossenschaft haben eher junge Mitglieder, daher soll es auch die Möglichkeiten geben für generationenübergreifendes Zusammenleben.

zentralplus: Und wann feiert ihr den Durchbruch der Verhandlungen?

Hofer: Wenns im Parlament durchkommt, werden wir sicher anstossen. Und ganz offiziell feiern wir dann am Strassenfest am 27. August.

Industriestrasse: Was bisher geschah – und wie es weitergeht

Was bisher geschah:

2012: Die Stimmberechtigten der Stadt Luzern fällen zwei wichtige Entscheide zur künftigen Stadtentwicklung: Das Volk hat im Juni 2012 die Volksinitiative «Für zahlbaren Wohnraum» angenommen. Sie verlangt, den Anteil gemeinnütziger Wohnungen am gesamtstädtischen Wohnungsbestand bis 2037 von 13 auf 16 Prozent zu erhöhen – also etwa 2300 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen zu bauen.

Am 23. September 2012 haben die Stimmberechtigten der Stadt Luzern die Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse» der IG Industriestrasse angenommen – und damit einen Verkauf des Areals verhindert. Der Initiativtext besagt, dass die Stadt ihr Areal an der Industriestrasse einem gemeinnützigen Wohnbauträger im Baurecht abgeben muss.

September 2014: Der Stadtrat hat eine Ausschreibung für das Industriestrassenareal gestartet, an der die Kooperation Industriestrasse trotz der schweizweiten Ausschreibung als einzige Bewerberin teilnimmt.

April 2015: Entscheid des Stadtrates für eine Zusammenarbeit mit der Kooperation Industriestrasse: Der Verbund aus fünf Wohnbaugenossenschaften sei «innovativ und schweizweit» einzigartig, schreibt die Stadt.

Juni bis Dezember 2015: Zähe Verhandlung des Baurechtsvertrags.

März/April 2016: Die Stadt und die Kooperation haben die letzten Differenzen ausgehandelt und einen Baurechtsvertrag ausgearbeitet. Der Vertrag kommt vor das Stadtparlament, voraussichtlich entscheidet dieses am 21. April. Die Frist für ein fakultatives Referendum beträgt 60 Tage, allenfalls gibt es eine erneute Volksabstimmung.

So geht’s weiter:

März 2016: Die fünf Genossenschaften gründen einen Genossenschaftsverbund als übergeordneten Bauträger und künftigen Ansprechpartner gegenüber der Stadt. Der Verbund organisiert die weitere Entwicklung, vergibt die Baufelder und ist verantwortlich für Infrastruktur- und Kultureinrichtungen.

Juli 2016: Eintrag im Grundbuch, die Kooperation muss der Stadt 11 Millionen Franken Einmalzahlung überweisen und innert eines Jahres ein Baugesuch einreichen.

2017: Die Baurechtsnehmerin (Kooperation) muss nun für das Bauprojekt ein Planungsverfahren und einen Wettbewerb lancieren sowie eine Fachjury besetzen. In der Jury sitzen auch eine Fachperson sowie ein Mitglied des Stadtrates.

2019/2020: Baubeginn erste Etappe

2021/2022: Bezug erste Etappe

zentralplus hat schon mehrfach über die Industriestrasse berichtet:

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