Eritreische Kaffeezeremonie in Kriens

«Ihr Schweizer habt ja nie Zeit»

Selam schöpft Essen in der improvisierten Küche des Pfarreizentrums Bruder Klaus in Kriens.

Man kennt sie nicht, man weiss wenig über ihr Land und die Luzerner Politiker wollen sie nicht: Die Eritreer haben einen schwierigen Stand in Luzern. An einer traditionellen eritreischen Kaffeezeremonie versucht zentralplus Menschen aus Eritrea kennenzulernen. Keiner weiss, was uns erwartet.

Neben ihr sehen wir alle so lieblos gekleidet aus. In ihrem traditionellen Sonntags- und Feiertagskleid in Weiss, Gelb und Gold wirkt Selam Okube ein wenig prinzessinnenhaft. Die junge Eritreerin begrüsst uns mit einem strahlenden Lächeln und umarmt gleich jede – schliesslich sind wir Freundinnen von einer Freundin. Somit sei auch klar, dass wir auch ihre Freundinnen sind. 

Schweizer Pünktlichkeit

Es ist Samstagabend und wir stehen vor dem eher langweiligen Gebäude des Pfarreizentrums Bruder Klaus in Kriens. Bald schlägt die nahe Kirchenglocke halb sechs und wir sind noch fast die einzigen Anwesenden. Ein paar Kinder rennen herum, und zwei andere Eritreerinnen stehen in der improvisierten Küche am Herd. Auf der Einladung stand ab 17 Uhr. Egal, wir setzen uns vor das Zentrum, geniessen den alkoholfreien Drink, den uns Selam angeboten hat, und warten noch ein wenig.

Selam vor einem gewobenen Tisch. Hebt man den Deckel ab, hat es darauf Platz für eine Platte mit Essen.

Selam vor einem gewobenen Tisch. Hebt man den Deckel ab, hat es darauf Platz für eine Platte mit Essen.

Eritreer in Luzern

Die Diskussion über die Lage in Eritrea und die Ausrichtung der Schweizer Asylpolitik nahm 2015 neu Fahrt auf, nachdem eine fünfköpfige Gruppe von Politikern das Land bereist hatte. Einer von ihnen, der Waadtländer CVP-Nationalrat Claude Béglé, fordert in einer Motion, die Schweiz solle ihre Bemühungen für eine «gewisse Normalisierung» des eritre­ischen Regimes verstärken. Das Ziel: Eritrea soll seine geflüchteten Bürger wieder aufnehmen. Heute schickt die Schweiz aufgrund der Menschenrechtslage keine Flüchtlinge nach Eritrea zurück.

Im Jahr 2014 lebten insgesamt 1101 Eritreer in Luzern. Fast 90 Prozent der Eritreer, die hier wohnen, sind zwischen 0 und 39 Jahre alt. Sie stellten 2014 die grösste Gruppe Asylsuchender im Kanton Luzern (total 577), vor den Syriern (total 455).

Der Luzerner Regierungsrat Guido Graf verurteilt dies scharf: Mit einem Schreiben an Bundesrätin Sommaruga hat er gefordert, dass Eritreer nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden, da das Land nicht unsicher sei. Damit hat er grosse mediale Resonanz erzeugt. Beim Ständerat ist der Luzerner mit seiner Forderung dann abgeblitzt (zentralplus berichtete). Graf lässt aber nicht locker. So hat er das Thema jüngst im «Sonntagsblick» wieder aufgenommen (zentralplus berichtete).

Wir sind alle gespannt – keiner weiss, was uns an dem traditionellen eritreischen Essen mit anschliessender Kaffeezeremonie erwartet. 35 Leute sollen kommen, etwa zur Hälfte Eritreer, zur Hälfte Arbeitskolleginnen von Selam aus der Schweiz.

«Ich organisiere ab und zu mal ein Essen für viele Leute», sagt uns Selam. Sie mag es, viele Leute um sich herum zu haben und die Geschichten der Menschen zu hören, das findet sie interessant.

Unterschiede sind kleiner, als man denkt

Selam Okube ist 29 und hat drei Kinder. Sie ist mit einem Schweizer verheiratet. Ob das denn nicht zu kulturellen Spannungen führe? Ihr Ehemann Florian lächelt und sagt: «Klar, ab und zu schon. Selam lässt jeden Fünfer grade sein, nimmt immer alles sehr gelassen. Manchmal fast zu gelassen. Wir Schweizer sind viel verkorkster.»

Aber am Ende des Tages seien die Unterscheide doch kleiner, als man zu glauben meine. «Wenn man als Aussenstehender eine Kultur sieht, hat man immer das Gefühl, das sei alles so fremd, dabei zählen oft dieselben Werte», so Florian. Familie und Freunde, das sei für uns wie auch für die Eritreer sehr wichtig. Den grössten Unterschied zu Selams Kultur sieht er im Essen.

Eritreisch gleich äthiopisch?

Und wir staunen dann auch nicht schlecht, als Selam die Deckel der vielen Töpfe in der Küche einzeln hochhebt und uns einen Blick auf das Essen werfen lässt. Es erinnert mich stark an äthiopisch, das ich vor Längerem mal gegessen habe. «Das stimmt», sagt Selam. Die äthiopische Kultur sei quasi identisch mit jener von Eritrea.

«Wir haben dasselbe Essen, die gleiche Sprache. Und sogar die Kaffeezeremonie ist die gleiche.» Die beiden Länder gehörten mal zusammen. Selam erklärt: «Jetzt sind es zwei Länder und jetzt gibt es immer Ärger an der Grenze.» Sie zuckt die Schultern, lächelt aber gleich wieder und gibt nicht ohne Stolz das Menü des Abends bekannt. Mittlerweile sind auch ein paar andere eingetroffen.

Injeras, die eritreische Omelette.

Injeras, die eritreische Omelette.

Sprache als grösste Barriere

Selam spricht gut Deutsch. Es ist nicht perfekt, aber sie kann alles sagen und hat keine Scheu, einen Fehler zu machen. Das ist aber fast die Ausnahme der Regel. Viele der ankommenden Eritreer sprechen nur sehr wenig oder noch gar kein Deutsch.

Das macht es auch schwer, sich unter sie zu mischen. Die Sprachbarriere, das ist an dem Abend die grösste Herausforderung. Immer wieder springt Selams ältester Sohn, Hannibal, ein und übersetzt. Ansonsten ist es unmöglich, ein Gespräch zu führen.

Aber wo nicht gesprochen werden kann, gibt man sich durch Lächeln oder Gestik zu verstehen, dass man sich freut, den anderen kennenzulernen. Die Stimmung ist gelöst und sehr friedlich.

«Ihr Schweizer habt ja nie Zeit.»

Selam Okube, Eritreerin

Die Zeit, ein dehnbarer Begriff

Schon bevor wir mit dem Essen loslegen, fragt uns Selam, wie lange wir Zeit hätten. Und lacht: «Ihr Schweizer habt ja nie Zeit.» Mein Impuls ist, ihr zu widersprechen. Aber dann erklärt sie, dass sie unbedingt will, dass wir die Kaffeezeremonie sehen. Und da wir ja sicher noch andere Pläne hätten an einem Samstagabend, will sie genug früh damit beginnen.

«Am Morgen wird gearbeitet, am Nachmittag trinken wir Kaffee.»
Selam Okube

Ob denn das so lange gehe, einen Kaffee zu trinken, fragen wir. Wieder beginnt Selam zu lachen. «Klar, bei uns geht das jeweils etwa drei bis vier Stunden.» Den ganzen Nachmittag lang daure das, denn am Nachmittag hätten sie dafür Zeit, erklärt Selam. «Am Morgen wird gearbeitet, am Nachmittag trinken wir Kaffee.»

Die sozialste Art des Essens

Und dann geht es los: Selam bringt ein Serviertablett voll Essen. Wortwörtlich. Auf einem grossen runden Tablett hat sie eine Art Sauerteig-Omeletten, sogenannte Injeras (sprich Intscheras), ausgelegt. Darauf verteilt liegen die verschiedenen Currys, Pasten und Spinat. Dazu gibt es aufgekochtes Naturejogurt, um die Schärfe zu neutralisieren.

Mit einem Stück Injera nimmt man eine mundgerechte Portion Essen in die Hand.

Mit einem Stück Injera nimmt man eine mundgerechte Portion Essen in die Hand.

Zu fünft teilen wir uns die Platte. Gegessen wird von Hand, indem man sich ein Stück Injera abreisst und damit Essen aufnimmt. Wir sitzen im Kreis um die Platte, jeder sieht dem anderen ins Gesicht: Es ist eine sehr soziale Art des Essens. Und wir sind erstaunt, wie ruhig es im Saal ist. Da man so nahe zusammensitzt, muss man nicht laut sprechen, um sich gegenseitig zu hören. Das ist sehr angenehm und entspannt. Weniger entspannt geht es in der Mundhöhle zu und her: Die intensiven Geschmäcker sind Neuland für uns. Was für uns Käse oder Rahm ist, ist in Eritrea eben Curry, Chili oder Pfeffer.

Einmal Kaffee mit vier Zucker, bitte

Nach dem Essen bereitet Selams Schwester den Kaffee zu. «Normalerweise macht das die älteste Frau der Familie», erklärt Hannibal. Aber seine eritreische Oma sitzt mit seiner Schweizer Oma und den beiden Opas an einem Tisch und begrüsst immer wieder Neuankömmlinge. Diese steuern zuerst jeweils direkt an den Tisch der Ältesten zu und setzen sich dort kurz. Erst danach gehen sie an den Tisch zu den anderen, jüngeren Leuten.

Der Kaffee wird zuerst geröstet. Zum Kaffee gibt es eine Art Hefekuchen.

Der Kaffee wird zuerst geröstet. Zum Kaffee gibt es eine Art Hefekuchen.

Die Kaffeezeremonie hat nichts Religiöses, aber es ist dennoch eine Zeremonie im Sinne einer langen Abhandlung. Zuerst werden die Kaffeebohnen in einer kleinen Pfanne geröstet. Anschliessend werden sie gemahlen und dann in einen Holzkrug gefüllt. Dort kommt auch Wasser rein und beides wird aufgekocht.

Selams Schwester beim Zubereiten des Kaffees.

Selams Schwester beim Zubereiten des Kaffees.

Damit der Kaffeesatz nicht in den kleinen Tässchen landet, platziert Selams Schwester vorne am Krug eine Art Filter aus Baumwollfäden. «Mögt ihr Zucker? Es gehört Zucker rein», fragt Selam. Wir nicken und in den Kaffee der Grösse eines Espressos kommt ein Kaffeelöffel rein. «Das ist extra wenig für euch. Wir trinken den Kaffee mit drei bis vier Löffel Zucker.» Der erste Schluck erstaunt: Der Kaffee ist süss und angenehm mild, aber dennoch schmeckt der Kaffee viel würziger als unsere Nespresso-Brühe. So bleibt es auch nicht bei einer Runde Kaffee und bald ist klar, warum in Eritrea den ganzen Nachmittag Kaffee getrunken werden kann.

Aromatischer Kaffee nach typisch eritreischer Machart.

Aromatischer Kaffee nach typisch eritreischer Machart.

Die Verabschiedung ist genau so herzlich wie die Begrüssung. Rundherum werden wir gedrückt und angelächelt. Es ist 21 Uhr, und jetzt sind auch mehr Leute da. Etwa 20 Personen sitzen in Grüppchen an Tischen oder im Kreis. Aber noch immer sind nicht alle da. Selam nimmt es gelassen. «Jetzt kommen dann gleich nochmals etwa zehn Personen.»

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