Sursee/Roggwil: Geplantes Hirnzentrum ist Konkurs

Verein verlocht Millionen an Spendengeldern

So wie auf dieser Visualisierung hätte das in Roggwil geplante Hirnzentrum von innen aussehen sollen. Doch daraus wird wohl nichts. (Bild: zVg/Montage z+)

Er wollte Gutes tun und ein Zentrum für Hirnverletzte bauen. Doch jetzt steht die Vision von Michel Bätscher vor dem Aus. Spendengelder in Millionenhöhe sind futsch, der Schuldenberg ist riesig. Doch die Verantwortlichen von «Pro Integral» wollen das nicht wahrhaben.

Michel Bätscher war ein einfacher Versicherungsangestellter, als ihn eine grosse Idee ergriff. Anfang des neuen Jahrtausends betreute er den Fall eines jungen Pfadfinders mit einer Hirnverletzung. Weil hirnverletzte Menschen häufig mit sehr unterschiedlichen Leiden zu kämpfen haben, gibt es wenig auf sie zugeschnittene Angebote, wenn sie nicht mehr zu Hause leben können.

So auch im Fall des jungen Mannes, den Bätscher betreute. «Weil es keinen passenden Platz für ihn gab, musste er in einem Altersheim wohnen und zeitweise sogar in einem Zentrum für geistig Behinderte.» Das, so beschrieb er später in einem Fernsehinterview, brachte Bätscher vor elf Jahren auf die Idee, die sein Leben verändern sollte. Und das vieler anderer – allerdings nicht zum Besseren.

Was Guido A. Zäch für die Paraplegikerinnen erreicht hatte, wollte Michel Bätscher für Hirnverletzte leisten: Ein nationales Zentrum, wo Betroffene die Behandlung erhalten, die sie brauchen. Eine gute Idee, da sind sich auch heute noch die meisten Involvierten einig. «Es gibt zu wenig Plätze für hirnverletzte Menschen, das sehen wir auch so», sagt etwa Dominique Meier von Fragile Suisse, einer Vereinigung für Betroffene. Um die Vision zu erreichen, gründet Bätscher zusammen mit seiner Partnerin die Organisation Pro Integral.

Bätscher flüchtete nach Bern

So präsentierte sich Initiant Bätscher im Jahresbericht.

So präsentierte sich Initiant Bätscher im Jahresbericht.

(Bild: Geschäftsbericht Gönnervereinigung Pro Integral.)

Wir schreiben den 3. Februar 2016: Es ist der Tiefpunkt in Bätschers Kampf um ein Zentrum für Hirnverletzte. Am Bezirksgericht Willisau eröffnet die Einzelrichterin den Konkurs über den Verein Gönnervereinigung Pro Integral. Mindestens zwei Millionen Franken an Spendengeldern wurden in den Sand gesetzt. Diese Zahl erhält man, wenn man die Spenden in den Geschäftsberichten der Jahre 2008 bis 2011 zusammenzählt. Die neueren Geschäftsberichte nennen keine Zahlen. Es scheint jedoch plausibel, dass Pro Integral insgesamt mindestens drei bis vier Millionen Franken an Spenden erhalten hat. Davon ist nichts übrig. Bei verschiedenen Lieferanten und Dienstleistern in der Region Luzern hat die Organisation zudem hohe Schulden. Wie ist es dazu gekommen?

Wer eine soziale Institution wie etwa ein Heim eröffnen will, muss hohe Hürden erfüllen. Es braucht dafür viel Geld, aber auch ein überzeugendes Konzept. Bätschers erster Anlauf in Luzern scheiterte deshalb: Der Kanton Luzern sah diese Voraussetzungen nicht erfüllt und wollte Pro Integral keine Betriebsbewilligung für ein Hirnverletzten-Zentrum erteilen. Also probierte man es ennet der Kantonsgrenze: 2008 verkündete Bätscher in den Medien, man wolle im bernischen Roggwil «ein Nottwil für die Hirnverletzten» errichten. Und später: Die Finanzierung sei gesichert.

«Die Organisation hat nie genug Geld sammeln können, um mit dem Bau zu beginnen.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Die Roggwiler stimmten Landverkauf und Umzonung zu. Die Gemeinde erteilte eine Baubewilligung und der Kanton Bern eine Betriebsbewilligung für das Zentrum. Doch zwischen der Turnhalle und dem Fussballplatz steht in Roggwil bis heute eine grüne Wiese.

Spenden gleich wieder ausgegeben

«Die Organisation hat nie genug Geld sammeln können, um mit dem Bau zu beginnen», meint ein ehemaliger Vereinsvorstand. Dabei war man auf dem Spendenmarkt erfolgreich: Als Botschafter warben (und werben auf der Webseite immer noch) Skirennfahrer Daniel Albrecht und Fernsehmoderator Patrick Rohr. Die letzte Jahresrechnung, die Pro Integral veröffentlicht hat, stammt aus dem Jahr 2011: In einem einzigen Jahr akquirierte der Verein gut eine Million Franken. «Für eine Behindertenorganisation ist das viel», sagt einer, der sich auskennt. Doch Pro Integral gab das Geld, das man eigentlich für das geplante Zentrum sammelte, gleich wieder aus: Bis zu 20 Mitarbeitende arbeiteten zeitweise im Büro an der Allmendstrasse 6 in Sursee.

«Man hat das gesammelte Geld zum Fenster rausgeworfen. Es ist unglaublich, was ich da alles gesehen habe.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Reto Maurer (Name geändert) war zu jener Zeit im Vorstand der Gönnervereinigung Pro Integral. Er merkte bald, dass nicht sauber gearbeitet wurde: «Michel Bätscher hat viel zu viele Leute eingestellt. Bei einer ähnlichen Organisation habe ich alleine mehr Spenden reingeholt als Pro Integral mit 15 Leuten. Die Leute waren teils schlicht unqualifiziert.» Das gesammelte Geld habe man zum Fenster rausgeworfen: «Es ist unglaublich, was ich da alles gesehen habe.»

Abenddämmerung bei der Pro Integral: Eine Visualisierung des geplanten Hirnzentrums

Abenddämmerung bei der Pro Integral: Eine Visualisierung des geplanten Hirnzentrums

(Bild: CAS Architekten/Bearbeitung zentral+)

Ganz am Anfang habe sich Bätscher von einem Sponsor ein teures Auto als Geschäftswagen geben lassen. «Und einmal wurden wir mit dem Schiff nach Hergiswil chauffiert, wo der Vorstand zusammen Znacht gegessen hat.» Auch das Büro sei viel zu gross gewesen: «Nachdem der Sponsor, der uns das Büro zu Verfügung gestellt hatte, pleite ging, haben sie die Räumlichkeiten einfach selber weiter gemietet.»  Stets habe man damit gerechnet, dass bald eine grosse Spende komme. «Es herrschte ein eigenartiger Bezug zur Realität», sagt Maurer.

«Die Fortführung der Vereinstätigkeit ist wegen Liquiditätsschwierigkeiten und Überschuldung gefährdet.»

Revisor der Gönnervereinigung Pro Integral, 2011

Schon 2011 hatte die Organisation Schulden von fast 300’000 Franken, das steht im letzten ausführlichen Geschäftsbericht. Das Einholen der Bau- und Betriebsbewilligung für das Zentrum Roggwil hat in der Anfangsphase viel Geld gekostet. Die externen Revisoren warnen zu dieser Zeit: Die «Fortführung der Vereinstätigkeit» sei «wegen den bestehenden Liquiditätsschwierigkeiten und der ausgewiesenen Überschuldung gefährdet». Statt die Kosten zu senken und die Schulden zurückzuzahlen, sucht sich Bätscher eine neue Revisionsfirma.

«Bätscher hat vom Wirtschaften keine Ahnung»

«Michel Bätscher war absolut beratungsresistent», erinnert sich Reto Maurer: «Alles wusste er besser. Dabei hat er vom Wirtschaften keine Ahnung. Und auch die Leute im Verein waren Amateure.» Tatsächlich hat Michel Bätscher eine KV-Lehre absolviert. Vereinspräsident Franz Müller ist Fahrlehrer, sein Vize gelernter Pflegefachmann und Homöopath.

«Man hat nie AHV-Beiträge bezahlt und auch viele Lieferanten haben nie Geld gesehen.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Hätten sie Ahnung gehabt, hätten sie gewusst, dass man als Unternehmer besser einmal die Stromrechnung nicht bezahlt als die AHV-Beiträge der eigenen Mitarbeiter. Denn die Ausgleichkasse treibt ausstehende Beiträge «relativ strikt» ein, wie es Alain Rogger von der Ausgleichskasse Luzern formuliert. zentral+ weiss aus sicheren Quellen, dass es die Ausgleichskasse ist, die den Konkurs von Pro Integral beantragt hat: 315’000 Franken schuldet die Organisation der AHV.

«Man hat nie AHV-Beiträge bezahlt» ist sich Roger Leupi (Name geändert) sicher. Auch er war eine Zeit lang im Vorstand des Vereins. Aber nicht nur die AHV wurde im Namen eines guten Zwecks geschädigt: «Viele Lieferanten haben nie Geld gesehen», weiss Leupi.

«Pro Integral schuldet uns einen immensen Betrag.»

René Chappuis, CAS Architekten Luzern

Eine geschädigte Firma sind die CAS Architekten in Luzern. Das Architekturbüro plante für Pro Integral das nie realisierte Zentrum in Roggwil. «Man hat uns Leistungen versprochen und versprochen, aber nie bezahlt. Pro Integral schuldet uns einen immensen Betrag», berichtet Verwaltungsratspräsident René Chappuis. Wie viel genau, will Chappuis nicht sagen: «Für unser Büro mit 70 Mitarbeiterinnen ist es sehr viel Geld, das fehlt.»

Die Architekten bauten für Pro Integral sogar ein Modell des geplanten Zentrums – bezahlt wurden sie nicht.

Die Architekten bauten für Pro Integral sogar ein Modell des geplanten Zentrums – bezahlt wurden sie nicht.

(Bild: CAS Architekten)

Konkurs: Gönner stehen ohne Versicherung da

Doch nicht nur Firmen, auch Privatpersonen sind nun geschädigt: Um Gönner anzuwerben, organisierten Michel Bätscher und seine Mitstreiter verschiedene Vergünstigungen für die Mitglieder der Gönnervereinigung. Wer jährlich 40 Franken einzahlte, konnte günstiger einkaufen oder günstiger ein Auto mieten. Als Herzstück der Gönnermitgliedschaft warb Pro Integral jedoch mit einer «Gönnerversicherung». Jeder Gönner war – ähnlich wie bei der Paraplegikerstiftung – im Falle einer Hirnverletzung versichert. Pro Integral schrieb: «Sie haben einen garantierten Unterstützungsbeitrag in der Höhe von bis zu 100’000 Franken und einen ebenfalls garantierten Rechtsschutz von bis zu 250’000 Franken.»

«Der Versicherungsschutz für die Gönnerinnen endete mit der Konkurseröffnung.»

Die Mobiliar, Versicherungspartnerin

Doch mit dem Konkurs der Gönnervereinigung stehen auch die Gönnerinnen mit abgesägten Hosen da. Das bestätigt die Versicherungspartnerin von Pro Integral «die Mobiliar» auf Anfrage von zentral+: «Der Versicherungsschutz für die Gönnerinnen und Gönner endete mit dem Datum der Konkurseröffnung (3. Februar 2016).» Pro Integral scheint das – wie übrigens ihre gesamte Situation, siehe zweite Seite – nicht wahrzunehmen: Auf der Webseite wirbt sie sogar fleissig weiter Gönner an.

«Ich hätte Zahlen verlangen sollen»

Nach den ersten Rückschlägen kamen immer mehr Schulden hinzu. Mit den hereinkommenden Spenden überdeckte man die ärgsten Löcher. Zu bröckeln begann das Gebilde Pro Integral jedoch erst kürzlich: Mehrere ehemalige Vorstandsmitglieder der Gönnervereinigung Pro Integral wurden im Herbst von der Ausgleichskasse informiert, dass sie für die ausstehenden AHV-Beiträge haftbar gemacht würden. Wer als Vereinsvorstand seiner Aufsichtspflicht nicht nachkommt, haftet nämlich persönlich für nicht bezahlte AHV-Beiträge, so will es das Gesetz. Wenn Pro Integral die 315’000 Franken nicht auftreiben kann, müssen also die ehemaligen Vorstandsmitglieder für den Schaden aufkommen.

Einer von ihnen ist ein ehemaliger Luzerner Kantonsrat. Er sass bis 2011 im Vorstand des Vereins. Gegenüber zentral+ gab er zunächst Auskunft, zog seine Aussagen später jedoch zurück. Ob er seine Aufsichtspflicht verletzt hat und auch bezahlen muss, bleibt deshalb unklar. Klar ist hingegen: Der Mann steht den Verantwortlichen weiterhin nahe, er ist immer noch Gönnermitglied und glaubt an eine Rettung des Projekts (Hinweis der Redaktion: In der ersten Version haben wir den Mann mit Namen genannt. Auf seinen Wunsch und weil er seit vier Jahren nicht mehr im Vorstand sitzt, haben wir ihn nun anonymisiert).
Andere ehemalige Vorstandsmitglieder geben sich (selbst)kritischer. Reto Maurer: «Im Nachhinein war ich zu nachlässig. Ich hätte Zahlen verlangen sollen.» Dasselbe sagt auch das andere ehemalige Vorstandsmitglied.

«Das war wie in einer Sekte: Wir gegen die Welt»

Tatsächlich scheint die interne Kontrolle bei Pro Integral versagt zu haben: In den verschiedenen Rechtsgebilden von Pro Integral sassen jeweils die gleichen Personen. Man hat sich selber auf die Finger geschaut. Bei Organisationen, die mit Spendengeldern hantieren, gilt das als absolutes No-Go.

«Niemand hat sich getraut, Bätscher die Stirn zu bieten.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Reto Maurer legte sein Amt im Vorstand nieder, als man nicht auf seinen Rat hörte. Er erinnert sich, dass Michel Bätscher jede kritische Frage gleich als Majestätsbeleidigung aufgefasst habe: «Herr Bätscher war der starke Mann und niemand hat sich getraut, ihm die Stirn zu bieten.» Roger Leupi sagt, dass es nicht möglich gewesen sei, Initiant Bätscher und Vereinspräsident Müller zu konfrontieren: «Die ganze Dynamik dort, das war auch inspirierend. Diese ständige Aufbruchstimmung: Jeder glaubt ans Ziel und macht alles dafür. Ein Teil von etwas Grossem zu sein, das ist verlockend und hat auch mich reingezogen.»

Bätscher habe zwar bestimmt, aber er sei auch enorm engagiert gewesen, sagt Leupi, der ehemalige Vorstand, heute. Erst als er selbst zurückgetreten war, sei ihm das ganze Ausmass des Schlamassels bewusst geworden: «Das war ein bisschen wie in einer Sekte: Wir gegen die Welt. Und auf der Türschwelle mutierst du zum Judas.»

«Ego-Befriedigung? Dem würde ich nicht widersprechen.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Der Wunsch, sich zu verwirklichen, der Welt etwas Bleibendes zu hinterlassen, treibt viele engagierte Leute an. Ein Beobachter spricht bei Pro Integral von «Ego-Befriedigung». «Dem würde ich nicht widersprechen» meint dazu Roger Leupi: «Bätscher wollte sich dort verdient machen. Darum hat er auch nie Hilfe angenommen: Er wollte den Ruhm nicht teilen.»

Wieso schaute die Ausgleichskasse so lange zu?

Doch auch von aussen hätte man schon lange wissen können, dass es um Pro Integral finanziell schlecht steht. 2010 warnte die Revisionsstelle vor einer Überschuldung. 2013 setzte die Stiftung Zewo, die Spenden sammelnde Organisationen zertifiziert, Pro Integral auf eine Liste intransparenter Organisationen. Und 2014 berichtete die Berner Zeitung, dass Betreibungen gegen die Pro Integral liefen. Reto Maurer hat letztes Jahr darüber nachgedacht, wegen ungetreuer Geschäftsführung Anzeige einzureichen: «Doch dann dachte ich: Jetzt ist es sowieso zu spät.»

Nun hat die Ausgleichskasse einen Schlussstrich gezogen. Doch wieso hat die Ausgleichskasse so lange gewartet, bis sie den Konkurs verlangt hat? Wieso hat sie das unwürdige Treiben nicht schon viel früher beendet? Alain Rogger, Leiter Beiträge bei der Ausgleichskasse Luzern, darf zum Fall Pro Integral nichts sagen. Grundsätzlich gebe es beim Eintreiben von ausstehenden AHV-Beträgen jedoch Spielraum, so Rogger. Ob man jemanden direkt betreibe oder darauf warte, dass eine Firma wieder zu Geld komme, komme drauf an: «Es gibt Konstellationen, wo uns Geld versprochen wird und wir dann Aufschub gewähren. Einen Konkurs beantragt man dann, wenn man davon ausgeht, dass es nichts mehr zu holen gibt. Dann belangen wir die Aufsichtspersonen.»

«Sicher zehn-, zwölfmal hiess es: ‹Wir haben es geschafft, gleich geht’s los›.»

Ehemaliges Vorstandsmitglied

Roger Leupi glaubt nicht, dass die Initianten Michel Bätscher, dessen Partnerin und Franz Müller selber zur Einsicht gekommen wären: «Wir liefen immer auf dem allerletzten Zacken. Aber immer ist wieder jemand aufgetaucht, der Geld gebracht hat. Sicher zehn-, zwölfmal hiess es: ‹Wir haben es geschafft, gleich geht’s los›. Das hat auch mich lange hoffen lassen.»

Es gibt Leute, die hoffen noch heute – koste es, was es wolle.

Pro Integral will den Konkurs abwehren. Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Gönnervereinigung bis am Montag 315’000 Franken organisieren will und wieso man noch ans Hirnzentrum in Roggwil glaubt.

 

Nicht an der Architektur gescheitert: Das Hirnzentrum von Pro Integral

Nicht an der Architektur gescheitert: Das Hirnzentrum von Pro Integral

(Bild: CAS Architekten)

Pro Integral glaubt nicht an den Konkurs

Im Jahresbericht berichtete Franz Müller als Präsident der Gönnervereinigung Pro Integral jeweils von Erfolgen.

Im Jahresbericht berichtete Franz Müller als Präsident der Gönnervereinigung Pro Integral jeweils von Erfolgen.

(Bild: Geschäftsbericht Gönnervereinigung Pro Integral)

Verschiedene ehemalige Beteiligte und Geschäftspartner erheben zum Teil schwere Vorwürfe gegen Pro Integral und deren Vertreter. Michel Bätscher sei nicht mehr im Vereinsvorstand, hiess es bei Pro Integral. Deshalb nehme Franz Müller Stellung, der Präsident der konkursiten Gönnervereinigung. zentral+ hat ihn mit den Vorwürfen konfrontiert.

«Am Montag erhalten wir eine Spende, um den Konkurs anzufechten.»

zentral+: Herr Müller, die Gönnervereinigung Pro Integral ist Konkurs. Der Ausgleichskasse schulden Sie mehrere Hunderttausend Franken an AHV-Beiträgen. Hätten Sie das Vorhaben, in Roggwil ein Zentrum für Hirngeschädigte zu bauen, nicht schon lange stoppen müssen?

Franz Müller: Nein. Wir sind weiterhin fest davon überzeugt, dass das Zentrum bald gebaut wird. Wir haben erst kürzlich eine schriftliche Zusage für eine Spende erhalten, die sowohl unsere offenen Schulden bei der Ausgleichskasse zahlen als auch später das Zentrum in Roggwil finanzieren soll.

zentral+: Dann sind Sie gar nicht Konkurs?

Müller: Nein. Am Montag erhalten wir die Spende, um den Konkurs anzufechten. Die Ausgleichskasse können wir dann bezahlen.

«Wir hoffen, dass wir das Zentrum bis in zwei bis drei Monaten vorantreiben können.»

zentral+: Und wie kommen Sie auf die Idee, dass sie trotz hoher Schulden das Zentrum in Roggwil bauen könnten?

Müller: Auch dort haben wir einen Spender. Er hat uns zugesichert, eine abgespeckte Variante des Zentrums zu finanzieren. Die benötigten 60 Millionen Franken will er uns tranchenweise überweisen. Wir hoffen, dass wir das Projekt bis in zwei bis drei Monaten vorantreiben können.

zentral+: Wieso haben Sie die AHV-Beiträge nie bezahlt?

Müller: Das war ein Fehler. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wir haben mit einer Spende gerechnet, die dann aber nicht geflossen ist. Dadurch ist unser Projekt in Schieflage geraten, Gönner haben nicht mehr daran geglaubt und es ist weniger Spendengeld reingekommen als früher. Dabei hätten wir mehr benötigt, um das Zentrum für Hirnverletzte endlich realisieren zu können.

Visualisierung: So hätte das Zentrum in Roggwil aussehen sollen.

Visualisierung: So hätte das Zentrum in Roggwil aussehen sollen.

(Bild: CAS Architekten)

«Wir haben abgespeckt, als sich die finanzielle Situation verschlechtert hat: Drei Mitarbeiter sind gegangen.»

zentral+: Wieso haben Sie das viele Geld, das Sie durch Spenden eingenommen haben, jeweils gleich wieder ausgegeben, statt für das Zentrum bereitzustellen?

Müller: Wenn Sie so ein Zentrum bauen, müssen Sie am Anfang viel Geld investieren. Baubewilligung, Betriebsbewilligung: Das sind hohe Hürden, die wir aber gemeistert haben, obwohl das niemand geglaubt hätte. Aber es hat viel Geld gekostet. Besonders weil eine Einsprache unser Projekt blockiert hat und dann Geldgeber abgesprungen sind. Diese Schulden haben wir von Anfang an tragen müssen.

Wir haben dann auch abgespeckt, als sich die finanzielle Situation verschlechtert hat: Drei Mitarbeiter sind gegangen. Aber ganz ohne Mitarbeiter können Sie so ein Zentrum halt nicht realisieren, deshalb konnten wir ja nicht alles zumachen.

zentral+: Sie hätten irgendwann sagen müssen: Nun ist es nicht mehr realistisch, wir geben auf. Jetzt aber haben Sie immer mehr Spendengelder verbrannt, am Schluss sind es mehrere Millionen Franken gewesen. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass dieses Geld anders als versprochen nie bei Hirnverletzten angekommen ist?

Müller: Das ist falsch. Wir haben sehr viel Geld in Hirnverletzte investiert. Jedes Jahr haben wir um die 300’000 Franken in unsere Regionalberatung gesteckt. Unsere Berater, sechs Betroffene und vier Angehörige, begleiten dort Menschen, die von einer Hirnverletzung betroffen sind. Dieses Geld wurde direkt für Hirnverletzte investiert. Dazu haben wir einen «Braintruck», einen Lastwagen, der jedes Jahr durch die Schweiz getourt ist und Präventionsarbeit geleistet hat.

«Jetzt regeln wir mal die AHV-Sache. Dann schauen wir weiter.»

zentral+: Wie viel Prozent der Spenden gingen denn an Hirnverletzte?

Müller: Das kann man so einfach nicht sagen. Ich müsste das zuerst ausrechnen.

zentral+: Wie viele Schulden haben Sie eigentlich?

Müller: Jetzt regeln wir mal die AHV-Sache. Dann schauen wir weiter. Aber das benötigte Geld ist in unserem Finanzierungsprogramm eingeplant. Das Zentrum kommt.

«Ich weiss nicht, ob wir das heute nochmals in Angriff nehmen würden, wenn wir gewusst hätten, was auf uns zukommt.»

zentral+: Viele Firmen haben für Sie gearbeitet, ohne dafür bezahlt worden zu sein. Wer soll überhaupt noch mit Ihnen arbeiten wollen?

Müller: Wir wissen, das wir hier nicht besonders gut dastehen. Wir sind jedoch mit den Gläubigern in Kontakt und bemüht, die Sache ins Reine zu bringen.

Ich weiss nicht, ob wir die Planung heute nochmals in Angriff nehmen würden, wenn wir gewusst hätten, was da auf uns zukommt. Aber ich bin weiterhin überzeugt, dass das, was wir machen, sehr gut ist. Dass wir das Zentrum doch noch auf die Reihe kriegen, können wir nur beweisen, indem wir das Zentrum bauen. Ich kann nicht mehr als versichern, dass wir jetzt eine Zusage für das Geld haben.

zentral+: Falls diese Spende nun doch nicht fliessen würde und das Zentrum nicht gebaut werden kann: Haben Sie einen Plan B?

Müller: Ja, den haben wir. Dann würden wir uns auf die Prävention und Aufklärung konzentrieren. Menschen mit einer Hirnverletzung werden in unserer Gesellschaft nämlich weiterhin oft schräg angeschaut.

«Herr Bätschers Engagement für hirnverletzte Menschen ist sehr gross.»

zentral+: Was sagen Sie zum Vorwurf, dass es sich beim Projekt um eine reine Ego-Befriedigung des Initianten, sprich Herrn Bätscher, handelt?

Müller: Nein, nein, nein. Das ist nicht so. Ich weiss nicht, wer so etwas behauptet. Das ist überhaupt nicht so. Wir haben viele Leute, die unbedingt in unser Zentrum wohnen kommen wollen, weil sie keinen adäquaten Wohnplatz haben. Herr Bätschers Engagement für diese Leute ist sehr gross. So wie Guido A. Zäch den Paraplegikern einen riesigen Dienst erwiesen hat, wollen wir den Hirnverletzten einen grossen Dienst erweisen.

«Unser Projekt ist wasserdicht, sonst hätte der Kanton Bern uns keine Betriebsbewilligung erteilt.»

zentral+: Im Unterschied zu Herrn Zäch konnten Sie jedoch nicht mit Geld umgehen, lautet ein Vorwurf.

Müller: Das mag jetzt so scheinen. Herr Zäch war vielleicht besser darin, Geld einzutreiben. Aber man muss sehen: Auch bei uns machen Ärzte mit, wir haben Leute mit Pflegeerfahrung und so weiter. Unser Projekt ist wasserdicht, sonst hätte der Kanton Bern uns keine Betriebsbewilligung erteilt.

zentral+: Ich habe gehört, dass sich Herr Bätscher von einem Sponsor einen teuren BMW hat geben lassen?

Müller: Erstens: Das war kein BMW, sondern ein Audi. Und zweitens hat die Stiftung dafür keinen Rappen bezahlt. Das war ein Deal mit einer Sponsorenfirma: Sie haben Ihr Logo darauf gedruckt und ihn uns zur Verfügung gestellt. In dem Sinne war das unser Firmenauto, das auch nicht nur Herrn Bätscher persönlich gehört hat.

Mit der grossen Kelle angerührt: Das Zentrum hätte auch einen Konferenzsaal gehabt.

Mit der grossen Kelle angerührt: Das Zentrum hätte auch einen Konferenzsaal gehabt.

(Bild: CAS Architekten)

zentral+: Und was ist mit dem Nachtessen und einer Schifffahrt nach Hergiswil?

Müller: Wahrscheinlich meinen Sie unser jährliches Vorstandsessen. Unsere Vorstandsmitglieder haben nie auch nur einen Rappen für ihre Arbeit erhalten, dafür haben wir sie jährlich zum Essen eingeladen. Ich denke, das liegt im vertretbaren Rahmen und wird auch bei anderen Organisationen so gehandhabt. An eine Schifffahrt kann ich mich nicht erinnern.

«Im Moment ist unser Büro vielleicht ein bisschen zu gross. Aber sobald die Spende eintrifft, brauchen wir den Platz.»

zentral+: Ihr Büro ist 300 Quadratmeter gross. Als ich angerufen habe, war nur jemand dort. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ihr Büro viel zu gross sei?

Müller: Im Moment ist es vielleicht ein bisschen zu gross. Aber sobald die Spende fürs Zentrum eintrifft, nützen wir den Platz sofort aus. Man darf hier nicht so kurzfristig denken: Bis wir dieses Büro gekündigt hätten, bräuchten wir schon lange wieder Platz für mehr Leute. Wir erwarten fast täglich den Eingang der Spende.

zentral+: Die Stiftung Zewo hat Pro Integral 2013 auf ihre Liste von intransparenten Organisationen gesetzt. Unter anderem sei die Gewaltenteilung nicht gewährleistet: In den Aufsichtsgremien und in der Geschäftsleitung sitzen teilweise die gleichen Leute. Damit locken Sie aber keine Spender an.

Müller: Wenn man mit einem Geschäft beginnt, ist das immer so. Einige Leute haben eine Idee, beginnen diese umzusetzen, treiben die Sache vorwärts. Erst mit der Zeit können sie dann weitere Leute für ihre Sache gewinnen. Am Anfang gibt es diese Verbandelungen einfach. Sie müssen auch sehen: In der heutigen Zeit ist es nicht immer so einfach, Leute für Freiwilligenarbeit zu gewinnen. Aber ich kann versprechen: Wenn das Zentrum in Roggwil eröffnet, werden in unseren Gremien verschiedene Leute einsitzen.

 

In zwei, drei Monaten wolle man loslegen, sagt Pro Integral heute: Pläne fürs Hirnzentrum aus dem Jahr 2009.

In zwei, drei Monaten wolle man loslegen, sagt Pro Integral heute: Pläne fürs Hirnzentrum aus dem Jahr 2009.

Und was meinen Sie? Glauben Sie noch daran, dass das Zentrum für Hirnverletzte gebaut wird? Was halten Sie von der ganzen Geschichte? Schreiben Sie einen Kommentar oder uns eine E-Mail.

UPDATE! Hier gehts zur Fortsetzungsgeschichte: «Pro Integral: in letzter Minute gerettet – vorerst»

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