Was tut Luzern gegen sieben geklaute Velos am Tag?

Chip vergrault Diebe – erst in der Romandie

Hier werden besonders viele Velos geklaut: Abstellplatz vor dem Bahnhof Luzern. (Bild: dor)

Nur 0,6 Prozent aller Velodiebstähle in Luzern werden aufgeklärt. Nun gibt es eine Hightechwaffe dagegen: einen Chip, der Alarm schlägt, wenn ein Velo geklaut wird. Lausanne führt den Chip im Herbst ein und hofft, dass andere Städte mitmachen – doch Luzern hat Bedenken.

60 bis 80 Franken soll der Chip kosten, den man ab Herbst auf dem Polizeiposten in Lausanne erhält. Velobesitzer können diesen Chip im Lenker verstecken – und sich anschliessend vor Diebstahl sicher fühlen, so zumindest die Theorie: Der Chip hat einen kleinen Funksender eingebaut. Die wichtigsten Veloabstellplätze der Stadt werden mit einem Empfänger ausgerüstet. Wird das Velo in Abwesenheit des Besitzers bewegt, schlägt der Chip Alarm.

«Der Chip hat grosses Potenzial.»

Fabian Baumann, Fachzeitschrift Velojournal

Der Chip wurde von einer Westschweizer Firma im Auftrag der Stadt Yverdon entwickelt.

Der Chip wurde von einer Westschweizer Firma im Auftrag der Stadt Yverdon entwickelt.

(Bild: zvg)

Erwischt die Polizei den Dieb nicht direkt, kann sie das Velo orten: Polizeibeamte werden mit einem Funkempfänger ausgerüstet, der ausschlägt, wenn sie sich dem Velo auf 30 Meter nähern. Total sollen rund 70 Empfängergeräte ein Netz bilden, dem Diebe nicht entwischen können.

In Lausanne rechnet die Stadt mit Kosten von circa 70’000 Franken, durch den Verkauf der Chips sollen rund 25’000 Franken wieder eingenommen werden.

Im Unterschied zu GPS-Geräten kann man einen Funksender auch in Containern oder Kellern wiederfinden. Und der Chip hat gegenüber GPS einen weiteren Vorteil: Die Batterie hält laut Hersteller rund zehn Jahre. Die Technologie ist bereits auf Baustellen im Einsatz: Werkzeuge und Geräte werden mit solchen Chips ausgerüstet, damit sie nicht verloren gehen.

Fabian Baumann, Redaktor bei der Fachzeitschrift Velojournal, hält das Chipsystem technisch für gut durchdacht. Und was besonders wichtig sei: «Es scheint recht praktikabel und einfach in der Bedienung.»

Erste Erfolge in Yverdon

Den Chip entwickelt hat eine private Firma im Auftrag der Stadt Yverdon-les-Bains und der Polizei Nord Vaudois. Dort wird das System seit September getestet: «In den ersten drei Monaten konnten wir so zwei Velos wiederfinden. Das beweist, dass unser System funktioniert», berichtet Serge Freymond von der örtlichen Polizei. Er hatte die Idee zum Chipsystem. Diebe hätten sie bisher keine erwischt, erzählt er: «Das ist für uns aber zweitrangig. In erster Linie wollen wir Diebe abschrecken. Und die Leute sollen merken, dass uns geklaute Velos nicht egal sind.»

«Der Chip wäre effizienter, wenn weitere Städte mitmachen würden.»

Grégoire Junod, Sicherheitsdirektor von Lausanne

Ob der Chip ein Erfolg wird, hängt wesentlich davon ab, wie viele Empfangsgeräte ein gestohlenes Velo orten können: Je engmaschiger das Netz, desto kleiner die Chancen für einen Dieb, zu entschlüpfen. «Der Chip hat grosses Potenzial, aber er steht und fällt mit der Verbreitung», glaubt auch Fabian Baumann vom Velojournal. Der Lausanner Sicherheitsdirektor Grégoire Junod hofft deshalb, dass andere Städte aufspringen: «Der Chip wäre effizienter, wenn auch weitere Städte ein kompatibles System installieren würden. Und wieso nicht auch gleich die Grenzwache?»

«Wenn sich der Chip durchsetzt, rentiert das auf längere Sicht.»
Mario Stübi, Stadtparlamentarier SP

Luzerner Polizei ist nicht überzeugt

Dieser Chip stand Pate: Die Technologie wurde ursprünglich entwickelt, um verlorene Werkzeuge auf Baustellen wieder zu finden.

Dieser Chip war das Vorbild: Die Technologie wurde ursprünglich entwickelt, um verlorene Werkzeuge auf Baustellen wieder zu finden.

(Bild: AgoraBee)

In Luzern werden jeden Tag sieben Velos gestohlen (siehe Box). Doch die Luzerner Polizei reagiert nicht gerade euphorisch auf den Diebstahl-Chip. Grundsätzlich begrüsse man alle Systeme, die zur Überführung von Tätern führten, sagt Mediensprecher Simon Kopp. Allerdings würden Diebe solche Sicherheitssysteme schnell einmal kennen: «Allenfalls kann das System ausgetrickst werden.»«Dieses Problem besteht bei allen Ortungssystemen», meint dazu Velojournal-Redaktor Fabian Baumann. Man sehe dem Velo den Sender jedoch nicht an, so Baumann: «Ich glaube nicht, dass Diebe nun jedes Mal den Lenker abmontieren, um einen Chip zu suchen.» Kommt hinzu, dass der Chip fest mit dem Velo verleimt wird. Serge Freymond: «Wer den Chip entfernen will, beschädigt das Velo.»

In der Luzerner Stadtpolitik waren Velodiebstähle kürzlich schon ein Thema: Im letzten Jahr forderte SP-Parlamentarier Mario Stübi von der Stadt, zu prüfen, ob ein GPS-System Velodiebstähle eindämmen könnte. Er ist begeistert vom Lausanner Modell: «Dadurch werden Gelegenheitsdiebe abgeschreckt. In Amsterdam wurde durch GPS-Sender die Anzahl der Diebstähle halbiert. Die Polizei hat viel weniger zu tun und wir würden uns einen Haufen Ärger ersparen.» Will man sich hier also dem Lausanner System anschliessen?

Stadt winkt ab

Danach sieht es nicht aus. Die Stadt Luzern will vom neuen Chip-System nichts wissen: Auf die Anfrage von Stübi antwortete die Stadtregierung damals, solche Ortungssysteme seien Sache der Velofahrerinnen und Velofahrer, nicht der Stadt.

«Ortungssysteme sind Sache der Velofahrerinnen, nicht der Stadt.»

Luzerner Stadtrat

Nur jeder 200. Diebstahl wird aufgeklärt

2618 Velos wurden 2014 im Kanton Luzern geklaut, das sind sieben Velos pro Tag. Über 90 Prozent aller Fahrzeugdiebstähle sind entwendete Velos. Die wenigsten Velos fanden dabei zurück zu ihrem ursprünglichen Besitzer: Nur 0,6 Prozent aller Velodiebstähle wurden 2014 aufgeklärt, schweizweit waren es immerhin 2,2 Prozent.

Mario Stübi findet die niedrige Aufklärungsquote «einen Witz»: «Velodiebstahl wird viel zu wenig ernst genommen.» Dem widerspricht Simon Kopp, Mediensprecher der Strafverfolgungsbehörden, vehement: «Wir haben eine Abteilung, welche sich gezielt mit Fahrzeugdiebstählen beschäftigt. Das zeigt, dass wir das ernst nehmen.»

Diese Einschätzung gelte grundsätzlich noch, meint Verkehrsdirektor Adrian Borgula auf Anfrage. Auch Versicherungen unterstützen solche Ortungssysteme bisher nicht. Für Mario Stübi ist deshalb klar: «Um solchen Systemen zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es das Engagement der öffentlichen Hand. Wenn sich der Chip dann breit durchsetzt, rentiert das auf längere Sicht.»

Zwar sieht auch die Stadt ein gewisses Potenzial für einen solchen Chip, meint Stadtrat Borgula: «Aber das müsste man schweizerisch oder zumindest in grösseren Regionen angehen.» Die Stadt hätte bei den Velofördermassnahmen derzeit andere Prioritäten: «Wir wollen uns auf möglichst sichere und attraktive Velowege und Parkmöglichkeiten konzentrieren (zentral+ berichtete).»

Mit dieser Ansicht könnte die Stadt Luzern jedoch ins Hintertreffen geraten: Einem grossen Polizeikorps der Deutschschweiz wolle man den Chip bald vorstellen, verrät Polizist Serge Freymond: «Zuerst wollen wir sicher die Romandie gut abdecken. Aber klar: Je weiter der Chip verbreitet ist, desto besser sind die Chancen, ein Velo wieder zu finden.»

Ein Stapel Chips: Sie werden im Lenker oder im Vorbau versenkt und festgeklebt.

Ein Stapel Chips: Sie werden im Lenker oder im Vorbau versenkt und festgeklebt.

(Bild: zvg)

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon