Ein Blick in die Zuger Heroinabgabe

Oft weiss der Chef nichts von der Sucht

Jeder Patient hat hier seine persönlichen Utensilien hinterlegt. (Bild: wia)

Eine Vernissage, bei der der Künstler fehlt. Das gibt es selten. Höchstens, wenn sich diese nicht trauen zu kommen, wie etwa bei der Vernissage des Drogenforums Zug. Denn diese Werke stammen von Drogenabhängigen. zentral+ war dabei, hat bunte Kunst bestaunt und einen Einblick erhalten in ein Erfolgsprojekt, das an Diskretion kaum zu übertreffen ist.

Ein wenig wie Spital fühlt sich das an. Alles ist klinisch sauber, es gibt ein Wartezimmer, die Oberflächen der Theke sind hellgrün. Wir sind aber nicht im Krankenhaus. Auch wenn fast alle der Angestellten hier einen medizinischen Hintergrund aufweisen und die Menschen, die hier täglich ein- bis zweimal aufkreuzen, Patienten genannt werden. 

Hier kommt man her, um sich Heroin zu spritzen, Methadon einzunehmen oder andere Medikamente zu erhalten. Um sich zu wappnen für den Alltag, den man ohne diese Substanzen nicht bodigen könnte. Wir sind bei der heroingestützten Behandlung, der Zuger Opiatabgabe, kurz, bei der «HeGeBe Zopa» in Baar. Der Grund: Man feiert eine Vernissage. Eine, deren Künstler nicht vor Ort sein wollen.

Offene Türen, wo sonst Diskretion herrscht

Am Donnerstagabend sind alle Türen geöffnet. Auch jene, die normalerweise zu sind. Denn Diskretion wird hier grossgeschrieben. Entsprechend unauffällig ist auch der Eingang zur HeGeBe, versteckt hinter einer Metallwand. Jedenfalls haben die Vernissage-Besucher den Weg gefunden, versammeln sich im Wartezimmer, lauschen den Worten des Zuger Gesundheitsdirektors Urs Hürlimann. Auch Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard ist hier. Nicht zuletzt deshalb, weil  sie sich von Anfang an für die Heroinabgabe in Zug eingesetzt hat.

«Das Erfolgsrezept hier ist, dass jeder Patient eine oder mehrere Ansprechpersonen hat.»

Urs Hürlimann, Zuger Gesundheitsdirektor

Wenn Hürlimann von der HeGeBe redet, dann redet er von einem Erfolgsprojekt. Sagt mit Nachdruck: «50 Prozent der Menschen, die hier Patienten sind, können im ersten Arbeitsmarkt arbeiten.» Es ist ein Satz, den wir an diesem Abend öfters hören werden und in dem sehr viel Stolz drin steckt. Als Erfolgsrezept für diese vergleichsweise gute Rate nennt Hürlimann, «dass jeder Patient hier eine oder mehrere Ansprechpersonen hat.» Das erfordere zwar viel Kraft, Geduld und sicherlich auch viele Enttäuschungen, sei aber der richtige Weg.

Kunst, um eigene Ressourcen zu finden

Nun, eigentlich geht es ja heute um die Kunst. Kunst, die überall, in allen Zimmern an den Wänden hängt und aufgestellt ist. Oft bunt. Nie grell. Filigran und manchmal wild. Der Betriebsleiter Thomas von Däniken sagt dazu: «Ich kann es nicht anders formulieren, als dass es mich ‹tschudered› hat, als ich entdeckt habe, wie sehr die Leute in den Werken, die sie herstellen, ihre eigenen Ressourcen finden.» Viele der Künstler hätten sich aber dennoch nicht getraut, an diesem Abend herzukommen.

Kompakte, bunte Kunst. Sieht aus wie gewobener Stoff, ist aber Karton.

Kompakte, bunte Kunst. Sieht aus wie gewobener Stoff, ist aber Karton.

(Bild: wia)

Doch wie entsteht sie überhaupt, diese Kunst? Von Däniken erklärt, dass das eigentliche Ziel die berufliche Eingliederung der Drogenabhängigen sei. Einige von ihnen finden jedoch weder im ersten noch im geschützten Arbeitsmarkt eine Stelle. Darum sei es wichtig, dass die HeGeBe eine anhaltende Betreuung biete und die soziale Integration verbessere. «So wird hier etwa regelmässig gemeinsam gekocht. Es gibt auch Gruppen, denen man sich anschliessen kann, um gemeinsam laufen zu gehen. Und dann gibt es natürlich die Möglichkeit, zu malen», erklärt von Däniken.

Von Däniken nickt hinüber zu einer Dame mit grauen, schulterlangen Haaren und freundlichem Gesicht. Es wird schnell klar: Irena Degunda, das ist hier die gute Seele des Malateliers. Seit 17 Jahren ist sie bei der HeGeBe angestellt. Arbeitet in der Heroinabgabe, als Bezugsperson und als Maltherapeutin.

 «Jeder von uns hat Aspekte in sich, die ein Leben im Untergrund führen.»

Irena Degunda, Mitarbeiterin der Heroinabgabestelle Zug

Und was dabei rausgekommen ist, hängt nun hier an den Wänden. Auch ein Zitat von Ödön von Horvath hat Irena Degulda im Rahmen der Ausstellung aufgehängt. «Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu», steht da über mehrere A4-Blätter an der Wand. Sie erklärt: «Jeder von uns hat Aspekte in sich, die ein Leben im Untergrund führen.» Es ist kaum zu übersehen, dass Degunda ihrer Arbeit mit viel Hingabe, Geduld und grosser Empathie nachgeht. Um uns diesen Ort und ihre eigenen Aufgaben näherzubringen, lässt Degunda das Apérogebäck und die anderen Gäste allein.

Es sind immer mindestens zwei Angestellte vor Ort. Nicht zuletzt, um sicherzugehen, dass keine Drogen mitgenommen werden.

Es sind immer mindestens zwei Angestellte vor Ort. Nicht zuletzt, um sicherzugehen, dass keine Drogen mitgenommen werden.

(Bild: wia)

Dreissig Menschen sind im Heroinprogramm

«Wenn ich nur in der Abgabe arbeiten würde, wäre das bestimmt erschöpfend», erklärt sie. «Aber das ist das Schöne hier. Man hat viel Gestaltungsraum und kann Neues aufbauen. So wie ich damals das Kunstatelier aufgebaut habe», erklärt sie.

20 Jahre HeGeBe Zug

Die heroingestützte Behandlung (HeGeBe) gibt es im Kanton Zug seit rund 20 Jahren. Sie steht unter der Verantwortung des Drogenforum Zug und dient der kontrollierten Abgabe von Betäubungsmittel wie Heroin, Methadon und weiteren. Daneben soll die HeGeBe als Unterstützung dienen, damit Drogenabhängige sozial eingebunden sowie angemessen betreut und beraten werden.

Seit Eröffnung der HeGeBe im Kanton Zug 1995 wurden insgesamt 127 Personen im Programm erfasst. Davon sind 97 wieder ausgetreten. 27 Austritte sind erfolgt, weil sie vom Hausarzt Methadon verschrieben bekommen, elf wegen Entzugs und stationärer Therapie und 27 aufgrund von Abstinenz. 7 wurden aus dem Programm ausgeschlossen, 5 Personen sind verstorben. Dazu kommen ein paar Austritte aus anderen Gründen. Über 50 Prozent der Patienten sind im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. Andere, vergleichbare HeGeBes weisen eine durchschnittliche Beschäftigungsrate von maximal 30 Prozent auf.  

Während Degunda redet, gehen wir durch den Gang, an Büros und natürlich an Gemälden vorbei, bis wir hinter der Theke stehen, in dem Raum, wo Drogen konsumiert werden. «Wir lassen immer nur maximal vier Leute ins Wartezimmer», erklärt sie. «Und diese dürfen dann nach und nach bei uns Heroin abholen, welches sie gleich vor Ort konsumieren.»

Abgegeben werden auch andere Substanzen. Methadon beispielsweise, aber auch Psychopharmaka und HIV-Medikamente. Während der Öffnungszeiten sind stets zwei Mitarbeiter vor Ort, daneben auch ein Arzt. Es gibt eine Überwachungskamera und einen grossen Spiegel, mit dem man das Zimmer gut im Blick hat. «Wir müssen sehr aufpassen, dass nichts von den Drogen abgezügelt wird», sagt die gelernte Krankenschwester und Kunsttherapeutin. Derzeit sind es dreissig Menschen, die im Kanton Zug für eine Heroinabgabe registriert sind. «Und weil der Kanton Schwyz keine eigene Abgabestelle hat, haben wir von dort noch zwei Patienten.»

Die Voraussetzungen sind klar geregelt

Nicht jeder darf hier Heroin beziehen. «Jeder Patient muss mindestens 18 Jahre alt sein, mindestens zwei gescheiterte Entzugsversuche hinter sich haben und im Kanton Zug wohnen.» Ist das nicht frustrierend, an einem solchen Ort zu arbeiten? Die Chancen, dass jemand den Ausstieg aus der Abhängigkeit schafft, sind doch denkbar gering. «Eine Abhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die oft gleichzeitig eine psychiatrische Erkrankung ist. Unsere Devise ist, dass wir versuchen, die Leute stabil zu halten und zu integrieren», erklärt Degunda. Und diese Integration scheint zu funktionieren.

«Manchmal weiss es der Arbeitgeber, oft aber nicht.»

Irena Degunda, Mitarbeiterin der Heroinabgabestelle Zug

50 Prozent der Patienten im primären Arbeitsmarkt – das ist viel. Ob deren Umfeld von ihrer Drogenabhängigkeit weiss? «Manchmal weiss es der Arbeitgeber, oft aber nicht. Überhaupt ist man heute viel liberaler als früher.» So können beispielsweise auch Herointabletten mitgegeben werden, damit ein Abhängiger nicht täglich zweimal, sondern nur einmal ins HeGeBe kommen muss. «So ist es sogar möglich, dass man einem Drogenabhängigen mehrere Rationen mitgibt, so dass er in die Ferien fahren kann. Heute haben wir andere Patienten als noch vor 20 Jahren. Früher sahen sie oft aus wie direkt von der Gasse. Heute sieht man einem Patienten seine Abhängigkeit oft nicht an.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Mahatma Andy
    Mahatma Andy, 06.12.2015, 02:13 Uhr

    Die Ärzte und Therapeuten verdienen ja ihr Geld mit den Abhängigen, dann muss ja möglichst alles schön geredet werden. Wer bezahlt denn die ganze Sache? Das sind nun mal die Prämienzahler, darum steigen Jahr für die Krankenkassenprämien. Der Gesundheitsdirektor sollte dafür zuständig sein dass nicht Jahr für Jahr die Kosten für die Prämienzahler steigen.

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