Geistiges Heilen boomt

Luzern, spürst du das «Licht»?

Priester Roman Grüter lässt seine Kräfte wirken. Seine Zeremonie im Bildungszentrum Matt in Schwarzenberg ist beliebt. (Bild: bra)

Sei es durch «Engels-Botschaften», komplizierte physikalische «Quanten-Heilung» oder Handauflegen in der Kirche: Luzernerinnen und Luzerner lassen sich offenbar gerne spirituell heilen. Alles Hokuspokus? zentral+ hat sich «erleuchten» lassen und ging der Sache auf den Grund: Weshalb sind Geistheiler so beliebt? Was ist der neuste Trend und wie seriös sind die verschiedenen Angebote?

In der Luzerner Buchhandlung Lotus an der Bleicherstrasse glaubt man fest an Gott. Ausserdem glaubt man hier auch an Engel, an Magnete, Quanten und grundsätzlich an alles, was helfen kann. Das Spektrum umfasst die gesamte Esoterik. Es sind Ratgeber, Heiler-Biografien, Anleitungen für ein besseres Leben – ein breites Sortiment wie sonst nirgendwo in der Stadt. Und eines fällt besonders auf: Die vielen bunten Flyer vorne an der Kasse. Fast alles sind Angebote von Geistheilern. Geschäftsführerin Lucie Ruf schätzt: «Es gibt insgesamt 50 verschiedene Praxen hier». Auch sie könne mit Geistern heilen; die ehemalige Laborantin für Krebsdiagnostik mache das in einem Hinterzimmer der Buchhandlung.

Das grosse Angebot erstaunt. 50 Praxen allein in der Stadt Luzern? Lassen sich Luzerner gerne spirituell behandeln? Deutliche Anzeichen dafür gibt es. Schaut man sich den Inserateteil des Gratis-Anzeigers «Barni-Post» an, lässt sich auf jeder vierten Seite mindestens ein Angebot für Geistheilung finden. Nadja Miczek, Religionswissenschaftlerin an der Universität Luzern, stellt sogar einen entsprechenden Trend fest. «Es gibt auffallend viel geistiges Heilen. Neben der Esoterik hat auch die ökumenische Kirche entsprechende Praktiken für sich entdeckt.» Aber zunächst einmal ein Abstecher in die Esoterik.

Spirituelles Heilen als Business

Eine in Luzern beliebte Form ist die Engel-Beratung. Veronika Filyo-Perèz gilt damit unter lokalen Esoterikern als erfolgreich. Sie habe ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und es geschafft, sich selbständig zu machen. Bis vor zwei Jahren war Filyo-Perèz noch als Sachbearbeiterin tätig, heute hat sie als Heilerin eine eigene Praxis. «Engel sind sehr humorvoll», sagt sie. «Und wenn wir sie in unser Leben einladen, erhalten wir wundervolle und hilfreiche Unterstützung.»

Man spricht von «Licht und Energie»

Die Definition ist wichtig: In der umfassenden Welt der «medizinischen Esoterik» soll man für spirituelle Wesen den Begriff «feinstofflich» verwenden, erklärt die Buchhändlerin Lucie Ruf. Das bedeutet, dass nur ein «Geist» arbeitet. Tee oder Farbe, Aroma oder Rauch kommen bei Geistheilern nicht zum Einsatz; das wäre «grobstofflich». Eine Linderung von Beschweren erfolge immer durch «Licht» oder fliessende «Energie».

Geistheilung wird von keiner Krankenkasse abgedeckt. Erfolg, Ursache und Wirkung nachzuweisen sei schwierig. Und das Spektrum an verschiedenen Behandlungen ist breit.

Filyo-Perèz spricht abgeklärt über den Nutzen von überirdischen Wesen – ähnlich fachkundig wie ein Mechaniker von Zange und Schraubschlüssel: «Erzengel Michael ist gut für die Stimmung der Seele. Raffael hingegen für Heilung und Linderung.» Zum Geschäftlichen gibt sie sich hingegen bedeckt. «Ich kann davon leben», sagt sie. 30 Minuten kosten bei ihr 60 Franken. Eine Stunde das Doppelte. Ihr Flyer liegt als einer von vielen in der Buchhandlung Lotus auf. 

Der neuste Trend in der Heiler-Szene sei «Quantenheilung», sagt Buchhändlerin Lucie Ruf. Wie so vieles stamme das Konzept dazu aus dem Englischen. Man lösche die innere «Matrix» (Ruf vergleicht es mit dem gleichnamigen Science Fiction-Blockbuster) und könne so Blockaden, Ängste und Schmerzen angehen. «Positive Programme umsetzen und Probleme lösen», das steht in der Broschüre. Das Vokabular für die gemeinsame Meditation mit Heilern ist der Physik entnommen. Der Preis ist moderat. Eine Sitzung von einer Stunde wird für 50 Franken angeboten.  

Sehr populär sei auch das Japanische «Reiki». Bei dieser Methode legt ein Heiler die Hände auf und will damit die Lebensenergien wecken. Das Erreichen körperlicher und geistiger Gesundheit sei nur ein Zwischenziel. Schliesslich soll «geistige Erleuchtung» erlangt werden.

Betrug würde sich herumsprechen

K. Nostramas Brun ist ein «All-in-One-Anbieter». Dem Inserenten der Barni-Post gehe es explizit nicht um Geld, sondern um das Vertrauen der Menschen und um wirkliche Hilfe. Das stehe im Vordergrund. Er sagt auf Anfrage glaubwürdig: «Ich selber habe vor 40 Jahren bei einem Unfall meine Tochter verloren». Der heute 70-jährige arbeitet mit verschiedenen Techniken, Gesprächen und Handauflegen. «Mit den geistigen Helfern, damit konnte ich schon vielen helfen.» Er schildert diverse Erfolgserlebnisse.

Gibt es Scharlatane? Etikettenschwindler? Betrüger? Diese Fragen sind grundsätzlich bei jedem Heiler angebracht, der erzählt, was man glauben soll. Besonders dann, wenn es zudem noch Geld kostet. Staatlich ist die Tätigkeit als Therapeut der Komplementärmedizin nicht kontrolliert, und mit Ausnahme der Akupunktur im Kanton Luzern bewilligungsfrei möglich.

«Grundsätzlich sind jegliche Erfolgs- oder Heilungsversprechen als unseriös einzuschätzen»
Rolf Frick

Betrüger will von den Befragten keiner kennen. Obwohl fast jeder Insider bestätigt, dass es Schwarze Schafe gäbe. Vergleiche mit «Uriella» werden gemacht, die Sektenführerin von Fiat Lux ist aber seit Jahren nicht mehr aktiv. Früher stellte sie ihre umstrittenen Heilpraktiken gerne öffentlich zur Schau und nährte so Vorurteile und ein zwielichtiges Image.

«Grundsätzlich sind jegliche Erfolgs- oder Heilungsversprechen als unseriös einzuschätzen», sagt Rolf Frick, Leiter des Rechtsdienstes des Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Luzern. Unrealistische Zielvorgaben könnten als Betrug zudem strafbar sein. Auf Ursache und Wirkung hin geprüft – und rein naturwissenschaftlich betrachtet – ist kein Konzept, weder Quantenheilung noch Reiki, plausibel.

Buchhändlerin Lucie Ruf meint, dass sich die meisten Praktiker in Luzern nicht als Wunderheiler sehen, sondern als ergänzende Hilfe. «Misserfolg oder Heilversprechen machen bei der Kundschaft schnell die Runde. Sobald ein Kunde keine Besserung spürt oder ein schlechtes Gefühl hat, geht er nicht mehr zu diesem Heiler», sagt sie. Das marktwirtschaftliche Argument wäre also eine mögliche irdische Erklärung, warum niemand Betrüger aus seiner Umgebung nennen kann.

Auch der Schweizerische Verband für Naturheiler (SVNH, früher Geistheiler) kennt keine Etikettenschwindler. «Ob es etwas bringt, diese Erfahrung ist immer individuell», sagt Sekretariatsleiterin Franziska Wild. Der Verband verlangt von seinen Mitgliedern, dass sie sich seriös verhalten: Sie haben einen Strafregisterauszug einzureichen, einen Verhaltenskodex zu unterschreiben, ihre Weiterbildung jährlich zu bescheinigen und eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschliessen. Zum Titel «Geistheiler SVNH» müssen sie zudem eine dreiteilige Fachprüfung bestehen. Die wenigsten der hier praktizierenden Geistheiler sind aber einem Verband angeschlossen.

Kirche zelebriert das Handauflegen

Geistheilung hat nicht nur eine esoterische Seite. Auch die Kirche hat die «Heilung des Lichts» für sich wiederentdeckt. Jeden Freitag trifft sich eine ökumenische Gruppe in der Lukaskirche zum «Handauflegen und Gespräch». Laut Projektleiterin Yvonne Lehmann lief das neue Angebot sehr gut an: «Seit Frühjahr kommen im Durchschnitt mindestens zehn Personen». Man bekommt eine Nummer zugeteilt, es wird die Hand auf die Stirn gelegt, und am Schluss gibt es einen Unkostenbeitrag ins Körbchen. «Die Sorgen und Probleme der Besucher reichen von schweren und unheilbaren Krankheiten, Depressionen, bis hin zu Einsamkeit, oder Familienproblemen», sagt Lehmann.

Und die Wirkung? «Wunderheilungen gibt es keine», sagt Lehmann. «Es sind kleine Erfolgserlebnisse, die sich nicht überprüfen lassen, die aber subjektiv betrachtet sicherlich zutreffen.» Nach der Sitzung seien die Besucher erleichtert und froh darum, ihr Anliegen gut aufgehoben zu wissen und gestärkt nach Hause zurückkehren zu können. «Ein Mann berichtete einmal, dass die Kraftübertragung vier, fünf Tage anhält und er dann wieder kommen kann, um sich für die folgende Woche zu stärken», so Lehmann.

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Roman Grüter: Priester und Star-Heiler

In diesem Sinne fast schon ein «Guru» unter den Katholiken ist Roman Grüter. Der Priester ist zu 50 Prozent als Heiler tätig und organisiert in der Region Luzern Gottesdienste mit dem gewissen Extra. «Der Heiler ist nur eine Funktion. Der Handelnde ist Gott, ist das Ganze. Gib Gott Raum, und mit tiefer Andacht überlasse ich es Gott, durch dich hindurchzufliessen und dich zu erreichen», sagt Grüter. Versprechen mache er in keinem Fall.

Ein Augenschein: Am Mittwochnachittag im Bildungszentrum Matt in Schwarzenberg. Der Saal ist voll. Grüter führt eine seiner monatlichen Messen mit anschliessendem Heilsegen durch, die Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt. «Zwischen 100 und 120 Personen schafft er jeden Monat», heisst es beim Empfang. Die meisten Besucher sind älter als sechzig und nicht wenige gehen am Stock. 

Sakrale Begleitung

Grüter eröffnet die Zeremonie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, begleitet von Flöten- und Klangschalenmusik. Nicht selten hört man ein rauhes Husten. Am Ende, beim kollektiven Segen, folgen vier Minuten absolute Stille. Der charismatische Priester Grüter hat beide Arme weit von sich gestreckt und verharrt in dieser Position. Spürbar ist soweit nichts.

«Ich komme regelmässig», sagt die Sitznachbarin und gibt 20 Franken in den Opferstock. Mit einer einfachen Hochrechnung wären das an diesem Nachmittag 2’800 Franken Einnahmen. Es ist für die Auslagen der Heiltätigkeit von Roman Grüter. Das stösst bei den Besuchern nicht etwa auf Skepsis. Drei von ihnen versicherten unisono: «Er hat Auslagen, zwei Mitarbeiter, und die telefonische Heilung ist kostenlos.»

Nach der Feier erteilt Grüter seinen speziellen Heilungssegen. Fast alle im Raum stehen auf und gehen zu ihm. Der Priester schliesst die Augen, legt die Hände auf und bekreuzigt die Stirnen mit geweihtem Olivenöl. «Dieses Ritual ist keine sakramentale Krankensalbung, sondern ein Segensritus mit geweihtem Olivenöl», sagt er.

Grüters Einzelbehandlungen in seiner Praxis in Littau kosten 100 Franken. Er bietet auch Seminare und Vorträge an. Seine Broschüren sind bei den Besuchern im Bildungszentrum Schwarzenberg sehr beliebt.

Zwischen Glauben, Hoffnung und Verstand

Ein Fazit über Geistheilung zu ziehen ist im Grunde einfach: Wenn’s hilft, dann hilft’s. Zwischen Glauben, Hoffnung und Verstand, zwischen Erfolg, Ursache und Wirkung gibt es vielerlei Interessantes, erklärbar dabei ist das Wenigste. Ein Test der Konsumsendung «Kassensturz» mit sieben Personen, die übersinnliche Fähigkeiten unter Beweis stellen wollten, zeigte ebenso klar: Wissenschaftlich beweisbar ist offenbar nichts. Dies war auch im Falle eines Entlebucher Pendlers nicht anders.

Man kann es glauben oder nicht. Der gefühlte Erfolg von Patienten gibt den Anbietern nicht selten Recht. So steht auf Roman Grüters Webseite: «Während zehn Jahren litt ich an starken Kopfschmerzen und Migräneanfällen. In der Schul- und Alternativmedizin erhielt ich keine Besserung. Ich schluckte über Jahre starke Schmerzmedikamente. In einem Kurhaus gab mir ein Gast die Adresse. Ich entschloss mich vor zwei Jahren zu ihm in Behandlung zu gehen. … Es hat sich gelohnt. Es wurden immer weniger Migräneanfälle und heute bin ich schmerzfrei. Ich bin überglücklich und ausserordentlich dankbar, dass ich nach so vielen Jahren schmerzfrei leben darf. Ich wünsche Herr Roman Grüter weiterhin in seinem Wirken Gottes reichen Segen. (Frau E.S., Horgen).»

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