Assistenzhunde: Neue Perspektiven für Diabetiker

Hunde reagieren auf Zuckerspiegel

Fasziniert von dem, was Hunde leisten können: Hundetrainerin Sandra Lindenmann. (Bild: Andrea Zimmermann)

Diabetiker-Warnhunde werden im Ausland bereits mit Erfolg eingesetzt. Nun gelangen sie auch in der Schweiz allmählich zu Bekanntheit. Wissenschaftlich ist noch nicht restlos geklärt, wie die Hunde einen drohenden tiefen Blutzuckerspiegel bemerken können. Im luzernischen Gunzwil gründete Sandra Lindenmann das erste Ausbildungszentrum für Assistenzhunde der Schweiz. Damit ermöglicht sie Diabetikern neue Perspektiven.

Familienmitglied, Freund oder Begleiter. Ein Hund kann vieles sein. Für Lucia Baumann und ihre sieben jährige Tochter Sara aus dem Solothurnischen Hägendorf ist «Yeti» mehr als das. Mutter und Tochter sind zuckerkrank und ihr Lagotta-Rüde soll ihnen nach seiner Ausbildung zum Diabetiker-Warnhund Sicherheit im Alltag bieten. «Meine Tochter ist im Alter von vier Jahren an Diabetes erkrankt», erzählt die 40-Jährige, die selber bereits seit 20 Jahren an der Krankheit leidet.

Durchschlafen durch Hundehilfe

Die Gratwanderung zwischen einem zu hohen und tiefen Blutzuckerspiegel kennt sie aus eigener Erfahrung. Insbesondere letzteres, eine sogenannte Hypoglykämie, kann dramatische Folgen haben. Sie bedeutet im schlimmsten Fall sogar den Tod. Während Lucia Baumann ihren Körper mittlerweile gut kennt und einen kritischen Zuckerspiegel rechtzeitig erkennen und dementsprechend reagieren kann, muss ihre Tochter Sara diese «Hypo-Wahrnehmung» erst noch erlernen. «Als Mutter steht man dabei immer unter Strom», so Baumann. «Die Angst, dass etwas passieren könnte, ist immer da.»

Vor diesem Hintergrund ist Lucia Baumann bereits vor Jahren auf sogenannte Diabetiker-Warnhunde aufmerksam geworden, die eine drohende Hypoglykämie zu jeder Tages- und Nachtzeit durch Bellen angeben. Im Bedarfsfall bringen sie ihrem Besitzer sofort das Blutzuckermessgerät und den rettenden Traubenzucker. Viele Diabetiker können dadurch erstmals seit Jahren wieder beruhigt durchschlafen. Der Hund würde sie wecken, falls ihr Blutzuckerspiegel fällt. «Ich war begeistert, als ich davon hörte», erzählt Lucia Baumann. Bis zu ihrem eigenen Hund sollte es jedoch noch ein langer Weg werden, den sie beinahe wieder aufgegeben hatte.

Pionierarbeit im Seetal

«Bis vor knapp zwei Jahren führte dieser Weg nur über Deutschland», erklärt Sandra Lindenmann. Sie rief in Gunzwil bei Beromünster das erste Ausbildungszentrum für Assistenzhunde der Schweiz ins Leben und leistete somit Pionierarbeit. Neben jahrelangen Wartelisten seien es vor allem die Kosten von mehr als 30’000 Franken, welche Diabetes-Patienten davon abgehalten hätten, sich einen Diabetiker-Warnhund aus Deutschland anzuschaffen. Sandra Lindenmann verfolgt jedoch ein anderes Konzept, das sich im Ausland ebenfalls bereits bewährt hat. Es ermöglicht auch weniger gut betuchten Patienten, von den Vorzügen eines solchen Hundes zu profitieren. Anstatt den ausgebildeten Hund zu erwerben, hilft Lindenmann ihren Kunden dabei, die Hunde selbst auszubilden. 

Tägliches Training zuhause und fünf Ausbildungs-Wochenenden sollen dazu führen, dass der Hund nach durchschnittlich eineinhalb Jahren eine offizielle Prüfung ablegen kann. «Bis alles wirklich perfekt klappt und die Hunde zuverlässig angeben, braucht es viel Übung», sagt Lindenmann. Noch ist es wissenschaftlich nicht vollständig erklärbar, wie die Hunde eine Unterzuckerung bemerken. Man vermutet jedoch, dass sie mit ihrem ausgeprägten Geruchssinn Veränderungen des Atemgeruchs und die Zusammensetzung des Schweisses wahrnehmen können.

Die Arbeit, die mit den Hunden zu leisten sei, dürfe nicht unterschätzt werden, betont Lindenmann. «Insbesondere mit Junghunden ist dies mit einem enormen Aufwand für die Besitzer verbunden, da sie nebenbei noch den Grundgehorsam erlernen müssen.» Aber auch sie als Ausbildnerin investiert viel Zeit in die Betreuung. Zu Beginn ist sie gar täglich mit ihren Kunden in Kontakt. Die Luzernerin begleitet die Hundebesitzer vom Welpenkauf bis zum Lebensende des Hundes, unterstützt sie mit Tipps und berät bei Unklarheiten. Alles in allem kostet dies 5000 Franken, wobei sich die Krankenkassen nicht an den Kosten beteiligen.

In der Schweiz dauert vieles länger

«Reich wird man dadurch nicht», lacht die Hundetrainerin. Abzüglich der Kosten für das Kurslokal, die Unterlagen und die Prüfungsgebühr bleibe ihr nicht viel. Zudem sei die Betreuung sehr aufwändig, da man jeden Hund nach seinen individuellen Bedürfnissen ausbilden müsse. Bisher konnte Sandra Lindenmann mit ihrem Ausbildungszentrum die Nachfrage nach Diabetiker-Warnhunden gut abdecken. Dies ist wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen, dass diese Hunde im Gegensatz zu Blindenhunden oder anderen Assistenzhunden kaum bekannt sind. Selbst bei der Zentralschweizerischen Diabetikergesellschaft konnte man bisher keine Erfahrungen mit solchen Hunden sammeln.

Dennoch bemerkt Lindenmann, dass das öffentliche Interesse an den Hunden allmählich wächst. «Während sich Diabetiker-Warnhunde in Deutschland bereits etablieren konnten, dauert in der Schweiz eben vieles etwas länger», bemerkt sie. Bisher konnten in der Schweiz auf diese Weise fünf Hunde ausgebildet und diplomiert werden. Weitere fünf befinden sich derzeit in Ausbildung und werden im kommenden Jahr ihre Prüfung ablegen.

Mit Yeti zur Schule

Einer dieser Hunde, die dann ihr Können unter Beweis stellen werden, wird «Yeti» von Lucia Baumann sein. Dass er auf eine Unterzuckerung reagieren kann, ist insbesondere für ihre 7-jährige Tochter Sara von grosser Bedeutung. Sie kann diesen Zustand selbst noch nicht rechtzeitig erkennen. «Es ist eine grosse Entlastung für mich», sagt die Mutter, «es gibt Sicherheit». In einigen Jahren soll «Yeti» Sara sogar zur Schule begleiten können. «Doch bis dahin ist noch viel Übung und Zeit notwendig. Der Hund ist mittlerweile zu einem Hobby geworden.» Und so wird «Yeti» schon bald mehr sein als ein Familienmitglied, Freund oder Begleiter, nämlich ein Alarmsignal auf vier Pfoten. Er kann warnend bellen, wenn Sara selbst noch gar nicht weiss, dass sie sich in Gefahr befindet.

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