Dialekt auf dem Prüfstand

Anke oder Botter? Möuch oder Melch?

Die Sprache verändert sich. Eine Schulklasse 1981. (Bild: Emanuel Ammon)

Interessant: So verändert sich der Stadtluzerner Dialekt. Eine wissenschaftliche Arbeit an der Pädagogischen Hochschule Luzern hat die Veränderung der Stadtluzerner Mundart untersucht. Sagt man nun eher Möuch oder Melch? Anke oder Botter?

Wie hat sich die Stadtluzerner Mundart in den vergangenen drei bis fünf Jahrzehnten verändert? Dieser Frage ging Ueli Bischof, Student an der Pädagogischen Hochschule Luzern, im Rahmen einer Projektarbeit nach. Er hat dazu eine Online-Befragung durchgeführt, welche sehr grossen Anklang fand. Innert kürzester Zeit nahmen über 700 Personen daran teil. Rund 250 Fragebögen konnten schlussendlich verwendet werden. Darüber hinaus hat Bischof viel theoretisches Material zusammengetragen. Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus seiner Arbeit: 

«Meinsch dä Tesch? Nei, dese…»

  • Röschti: Mitte des 20. Jahrhunderts sagte man in der Stadt Luzern vorwiegend Bröisi oder Brausi für die gebratenen Kartoffeln. Heute hat sich Röschti über alle Altersgruppen hinweg durchgesetzt.
  • Anke oder Botter? In Luzern werden beide Bezeichnungen etwa gleich häufig verwendet. Allerdings: Die jüngeren Generationen verwenden eher Botter
  • Dese? De ander? Unabhängig vom Alter verwenden zwei Drittel der Luzernerinnen und Luzerner dese anstelle von de ander (z.B. Meinsch dä Tesch? Nei, dese…).
  • Das Gänseblümchen ist ein Wasebörschteli, ein Gänseblüemli und ein Margritli, das heisst, alle drei Varianten werden verwendetDas ursprüngliche Wasebörschteli scheint mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Und zwar überraschenderweise nicht nur zugunsten des Gänseblüemli, sondern überwiegend des Margritli. Möglicherweise offenbart hier auch die Art der Befragung ihre Tücken. Da Margritli als mögliche Antwort vorgegeben wurde, konnte diese Antwort auch gewählt werden – wahrscheinlich aufgrund eines fehlerhaften botanischen Wissens.
«In der Beiz beim Jassen bestellen wir vielleicht eher einen Chöbu, obwohl wir beim Putzen einen Chöbel verwenden.»
Ueli Bischof, Student PHZ
  • Grüezi dominiert. Mitte des 20. Jahrhunderts grüsste man in der Innerschweiz morgens mit guete Morge, tagsüber mit guete Tag und abends mit guete ObigGrüezi war kaum bekannt. Diese Zeiten sind vorbei: Grüezi hat sich durchgesetzt.
  • Zum Löwenzahn sagt mehr als die Hälfte aller Befragten Söiblueme. Aber der Löwezaan ist auf dem Vormarsch. Das zeigt sich daran, dass Personen ab 50 Jahren zu 70 Prozent Söiblueme sagen, Personen unter 34 Jahren allerdings nur noch zu 36 Prozent.
  • Ein ähnlicher Trend zeichnet sich für stottern ab. Die ursprünglichen Bezeichnungen stag(e)le und stigle verschwinden allmählich zugunsten von stottere.
  • Noch in den 1950er-Jahren war die Zwiebel in der Stadt Luzern eine Böl(l)e. Heute verwendet noch eine von hundert Personen diesen Begriff. Wir essen Zwib(e)le.
  • Möuch oder Melch? Eines der spannendsten, mundartlichen Phänomene ist die L-Vokalisierung. Das heisst, anstelle des Konsonanten L werden Vokale verwendet (folge wird zu fougehälfe wird zu häufe oder höufeMelch wird zu Möuch oder Meuch usw.). 

«Spannend daran ist, dass nicht die Form ohne L die ursprünglichere ist, wie häufig angenommen, sondern jene mit L», sagt Studienverfasser Ueli Bischof. Die L-Vokalisierung trat erstmals wahrscheinlich im ländlichen Emmental vor rund 200 Jahren auf, damit ist sie sprachgeschichtlich relativ jung. Weil sie aber als althergebracht, bodenständig und traditionell gilt, kann man seine Zugehörigkeit markieren, indem man sie verwendet (oder vermeidet).

Kurz: «In der Beiz beim Jassen bestellen wir vielleicht eher einen Chöbu, obwohl wir beim Putzen einen Chöbel verwenden», sagt Bischof. Diese L-Vokalisierung verschwindet in der Innerschweiz ganz und gar nicht, sie sei sogar auf dem Vormarsch: In der Stadt Luzern sagen zwei von drei Personen Melch oder Milch. Und ein Drittel der Befragten sagt Meuch oder Möuch (dieses Drittel ist ebenfalls in der Stadt aufgewachsen und hat auch Stadtluzerner Eltern). Warum beide Varianten auftreten, ist unklar. Womöglich, um sich «bodenständiger» oder «städtischer» zu geben, vermutet Bischof.

  • Weitere Resultate:
    • Gelb: gälb und gäl treten beide gleich häufig auf, wahrscheinlich keine Veränderung. 
    • meinmi (Tesch) wird wahrscheinlich von min (Tesch) verdrängt. Viele verwenden auch mine (nicht abgefragt). 
    • tief: Ursprüngliches töif wird zu tüüf.

Warum verändert sich die Sprache?

Man stellt bei mehreren Ausdrücken eine Veränderung fest, so Bischof. Und es scheint, als würden spezifische Ausdrücke verschwinden. Doch warum ist das so? Ganz einfach: «Wir wollen verstanden werden. Unterhalten wir uns mit Personen, die einen anderen Dialekt sprechen, kann unsere Wortvielfalt zum Gesprächshindernis werden. Wir passen uns an und geben unsere lokalsprachlichen Besonderheiten zugunsten von allgemein verständlichen Dialektausdrücken auf. Das gilt insbesondere für den Wortschatz. In städtischen Gebieten geht dieser Prozess noch schneller voran.»

Keine Angst vor Veränderung

Und dennoch verschwindet der eigene Dialekt nicht, so Bischof weiter. Denn Laute sind ziemlich stabil. «Wünscht Ihnen jemand einen guete Oobig, so ist die Person mit grosser Wahrscheinlichkeit aus dem Raum Luzern-Hochdorf (ZH: Aabig, Nidwalden und Entlebuch: Aabe, Luzerner Hinterland: Oobe.).» Es sei auch ganz natürlich, dass sich eine Sprache verändert. Denn unser Leben ändert sich. «Man mag zwar bedauern, dass seechte – also das mühselige Wäschewaschen mit Aschenlauge – kaum mehr bekannt ist, doch die Waschmaschine gibt wohl dennoch niemand mehr her.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von M. Luetolf
    M. Luetolf, 07.09.2015, 20:48 Uhr

    Seit je nenne ich die Rösti «Bröisi» – wie von meinen Lozärner Eltern (Schongau) gelernt. Und erntete dafür allseits Kopfschütteln. Endlich nun die Gewissheit, dass die Bezeichnung durchaus «öppis vo Lozärn» ist.. :-). Woher das schräge Wort etymologisch wohl stammt?

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    • Profilfoto von Alain Brunner
      Alain Brunner, 08.09.2015, 08:05 Uhr

      Eine Antwort zu «Bröisi»

      Guten Morgen!

      Im Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz, den ich übrigens sehr empfehlen kann, steht: „Brausi/Bräusi zeigt die noch heute häufige Ableitungssilbe -i zum älteren schweizerdeutschen Verb branse/bränse ‚anbrennen, rösten‘. Brausi/Bräusi ergab sich durch das Staubsche Gesetz, das z.B. auch für die Aussprache Hausi für Hansi verantwortlich ist.“ (Christen/Glaser/Friedli, 2013, S. 107)

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  • Profilfoto von Sarastro
    Sarastro, 07.09.2015, 18:16 Uhr

    Auffällig ist auch der Trend, den Wörtern, die mir e enden, den Zusatz: ne anzuhängen. Häufig sagen die Jungen heute für da nicht mehr do, sondern done. Kurven werden zu Kurvene, Themen zu Themene, Stufen zu Stufene und so(ne) weiter. Wenn das so weiter geht, gibt es bald Feriene, Bärgene ond im Wald Tannene. Komisch, oder?

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