Travestie-Kürstler Milky Diamond

«Das Nachtleben ist die Schwester der Kunst»

(Bild: Anja Wurm)

Milky Diamond lebt zwischen den Geschlechtern. Das sei keine Rolle, die er als «Drag Queen» spielt, sondern sein wahres Ich, sagt er im Interview mit zentral+. In der Öffentlichkeit angestarrt zu werden, ist er gewohnt – trotzdem will er sich nicht alles gefallen lassen. Ein Porträt.

Er ist eine Person, die auffällt – ob er es will oder nicht. Ein gross gewachsener Mann mit stahlblauen Augen, exzentrischer Frisur und aufgespritzten Lippen. «Trashglam» nennt er seinen Kleidungsstil, in dem er den teuren Chanel-Blazer mit zerrissenen Jeans aus dem Brocki kombiniert. Doch das ist nur ein Teil dessen, was Milky Diamond als Kunstfigur erscheinen lässt. Er hat eine besondere Ausstrahlung und auffallend androgyne Gesichtszüge, von der Natur gegeben, wie er betont.

Das Weibliche versucht er zusätzlich zu betonen. Hin und wieder trägt der 22-Jährige auch im Alltag Make-up, dann jedoch wesentlich dezenter als im Nachtleben, wo er als Travestie-Künstler sein Geld verdient, um sein Kunststudium zu finanzieren.

Vor knapp einem halben Jahr wurde er dazu animiert, bei einem Contest im «Heaven» mitzumachen, einem Nachtclub für Homosexuelle in Zürich – und dabei als «Drag Queen» entdeckt. Er begeisterte das Publikum und organisiert seither sein eigenes Party-Label «G.U.Y.», das im Programm des «Heaven» seinen festen Platz hat. Aber auch sonst wird Milky Diamond für Auftritte und Events gebucht. Zudem ist er Barchef in der Zürcher Heldenbar, einem Treffpunkt – egal, ob queer, schwul, lesbisch, bi oder hetero.

«Mir gefällt dieser Nicht-ganz-Mann-Nicht-ganz-Frau-Look. Brüste würde ich mir aber deswegen nicht ausstopfen.»
Milky Diamond, Travestie-Künstler 

Weder Frau noch Mann

«Ich trage und tue nur das, was ich möchte», sagt Milky Diamond. (Bild:  Marcel Goe)

«Ich trage und tue nur das, was ich möchte», sagt Milky Diamond. (Bild: Marcel Goe)

«Dabei bin ich gar keine ‹Drag Queen› und auch nicht transsexuell», sagt Milky Diamond, wie er sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr nennt. «‹Drag Queens› tragen High Heels, falsche Nägel, Perücken, das volle Programm.» Für die meisten sei dies ein Hobby, das sie an einer Party ausleben. «Ich trage in den Clubs dasselbe wie im Privatleben und auf High Heels und falsche Wimpern verzichte ich liebend gerne», erklärt er. 

Er sehe sich selbst als androgyner Mann, da er auch ungeschminkt aus dem Haus gehen kann und aufgrund seiner Gesichtszüge trotzdem sehr weiblich wirkt. «Mir gefällt dieser Nicht-ganz-Mann-Nicht-ganz-Frau-Look. Brüste würde ich mir aber deswegen nicht ausstopfen», lacht er und fasst sich an den Oberkörper, bevor er wieder ernster wird. Das Leben zwischen den Geschlechtern sei keine Rolle, die er spielt. «Viele Leute denken, dass mein Look nur aufgesetzt ist und ich privat ein ganz anderer Mensch bin», meint er weiter.

«Dabei trage und tue ich nur das, was ich möchte. So bin ich und war ich schon immer.» Diamond will sich nicht verstellen müssen, um der breiten Öffentlichkeit zu gefallen. «Ich möchte nie zurückblicken und mich fragen: Warum habe ich mein Leben nicht so gelebt, wie ich wollte?»

«Dass ich in der Öffentlichkeit angestarrt werde, ist nicht zu ändern.»
Milky Diamond

Plätze in Luzern gemieden

Aufgewachsen ist er als Melchior Rohrer in Dierikon, man kannte ihn bereits dort als Paradiesvogel. «Daher hat sich mein Leben auch primär in der Stadt Luzern abgespielt.» Aber auch dort haben er und seine Freunde gewisse Orte gemieden, um nicht in Konflikte zu geraten. «Wenn man nachts durch den Bahnhof gehen musste, dann hatte man immer ein ungutes Gefühl.» Aber auch Gruppen von Jugendlichen sei er – so gut es geht – immer ausgewichen, um nicht angepöbelt zu werden.

Milky Diamond wird regelmässig als «Drag Queen» gebucht. (Bild: Pixxpower)

Milky Diamond wird regelmässig als «Drag Queen» gebucht. (Bild: Pixxpower)

«Ich liebe Luzern, das ist meine Heimatstadt», sagt er im Gespräch in seiner ehemaligen Lieblingsbar Time Out am Hirschengraben. «Doch für Leute wie mich gibt es hier nicht viel. Die Schwulenszene ist praktisch nicht existent und die Nachfrage nach ‹Drag Queens› gleich null.» Daher wohnt er mittlerweile in Zürich, wo er auch studiert und regelmässig für Shows gebucht wird. Aber auch hier nimmt er sich oft ein Taxi zu seinen Auftritten, um Feindseligkeiten im öffentlichen Verkehr aus dem Weg zu gehen. «Dass ich in der Öffentlichkeit angestarrt werde, ist nicht zu ändern, aber deswegen muss ich mir nicht alles gefallen lassen.»

Kein «richtiges» Coming-out

In seiner Freiheit fühle er sich deshalb nicht eingeschränkt. «Mein Umfeld akzeptiert mich, wie ich bin, und das ist das Wichtigste.» Das sei schon immer so gewesen. «Ich hatte nie das Gefühl, dass ich mich für irgendetwas rechtfertigen muss», weshalb er auch nie ein richtiges Coming-out als Homosexueller hatte. Den Leuten, die er kennt, sei immer klar gewesen, wer er ist.

Innerhalb der Community erntet er für sein selbstbewusstes Auftreten und den offenen Umgang mit sich selbst viel Bewunderung und konnte sich bereits eine kleine Fanbase aufbauen. 

Videokunst mit Botschaft

Doch seine Auftritte als «Drag Queen» sind nur eine Seite seiner Person. «Bei den Shows geht es um Unterhaltung, man muss keine Message rüberbringen oder sein Konzept verkaufen wie im Kunstbereich. Das Nachtleben ist für mich die oberflächliche Schwester der Kunst.»

Als Videokünstler versucht er hingegen, mehr zu polarisieren, und konnte seine neuste Videoarbeit «DOPE» an verschiedenen Ausstellungen in der Schweiz zeigen.

 

«Ich arbeite gerne mit kritischen oder negativen Themen, über die nicht jeder offen spricht. Als Künstler will ich mich nicht nur selbst darstellen, sondern auch bei jeder Arbeit eine Botschaft transportieren – auch wenn die nicht immer positiv ankommt.»

So hätten gewisse Leute kritisiert, dass seine letzte Arbeit von Drogenkonsum handelt.  «Das glorifiziere Drogen, meinten einige. Dabei zeigt meine Inszenierung, dass diese geradewegs in den Abgrund führen.»

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