Interview mit Lügenforscher

«Zollbeamte und Polizisten würde ich nie anlügen»

SP-Kantonsrat Martin Krummenacher hat Spass am Lügen. Es ist sein Spezialgebiet. (Bild: bra)

Martin Krummenacher kombiniert zwei interessante Eigenheiten: Er ist Luzerner SP-Kantonsrat und Lügenforscher zugleich. Im Interview erklärt der 49-Jährige, wie er zum Lügenexperten wurde, was sein Kater damit zu tun hat und warum er Zollbeamte nie anlügen würde. 

Der Schwur vor Gericht ist verbindlich: «Die Wahrheit. Und nichts als die Wahrheit. So wahr mir Gott helfe.» Doch meistens bringt das Lippenbekenntnis allein noch nicht die gewünschte Sicherheit. Deshalb gehört es zum Berufsalltag von Staatsanwälten oder Kriminalbeamten, angelogen zu werden. Bei ihren Einvernahmen sollten sie eine Lüge sofort erkennen, was aber enorm schwierig ist. Zwischen Schauspielerei und einer echten Lüge ist ein grosser Unterschied. Das zeigen die Untersuchungen von Martin Krummenacher.

Der Kantonsrat und Nationalratskandidat aus Willisau ist Lügenforscher. zentral+ hat ihn getroffen, um herauszufinden, wie gut er sich auskennt in seinem doch etwas speziellen Fachgebiet.

zentral+: Herr Krummenacher, was fasziniert Sie am Lügen?

Martin Krummenacher: Lügen ist eine sehr komplexe Fähigkeit des Menschen und eine, die nicht angeboren ist. Wir müssen sie zuerst erlernen und da öffnet sich ein breites Forschungsgebiet. Weiter findet man die Fähigkeit, Täuschungsverhalten an den Tag zu legen auch bei Tieren. Es scheint, dass Lügen oder Täuschungsverhalten überlebenswichtig sind für jede Spezies auf diesem Planeten.

zentral+: Wie meinen Sie das?

Krummenacher: Beispielsweise gibt es Vögel, die am Boden brüten. Sie täuschen eine Verletzung vor, um Nesträuber wie Marder oder Füchse von ihrem Gelege wegzulocken. Solches Verhalten finden wir überall im Tierreich. Ein anderes gutes Beispiel ist unser Kater. Ich habe ihm eine Tanzbewegung antrainiert, die er jeweils für sein Lieblingsfutter zeigen sollte. Wenn er seine Tanzeinlage dann ein zweites Mal bei meiner Frau aufführt, nur eine halbe Stunde später, dann ist das eigentlich gelogen. Denn er kennt die Regeln genau und weiss, dass er nur eine Portion am Tag zugute hat.

«Lügenzeichen, wie lange Reaktionszeiten oder Füllworte, wie ‹ähm›, sind in der Praxis unbrauchbar» 

zentral+: Was macht Sie zum Lügenforscher?  

Krummenacher: Ich habe über zehn Jahre damit verbracht, Tonaufzeichnungen aus Gesprächen wissenschaftlich zu analysieren. Bei meiner Arbeit ging es vor allem um existenzielle Lügen, also um Äusserungen von Menschen unter Druck. Für meine Forschungsarbeiten analysierte ich über 200 Tonaufnahmen aus Verhörsituationen. Da ging es zum Teil um richtig heftige Geschichten, die sich im Nachhinein mit Beweisen als gelogen oder wahrheitsgetreu herausgestellt haben. 

zentral+: Wie merkt man, dass ein Mensch lügt?

Krummenacher: 

Was ist wahr, was ist falsch?

Martin Krummenacher (49) ist promovierter Psychologe und hat an den Universitäten in Bern und Freiburg studiert. Seine Dissertation hat er über Lügen geschrieben. Anhand von Tonaufnahmen aus echten Vernehmungssituationen zeigte er auf, welche Lügenzeichen tatsächlich brauchbar sind. Krummenacher arbeitete in verschiedenen Funktionen in der Bundesverwaltung und hat während seiner Arbeit vor allem Lügen in der Praxis unter die Lupe genommen. Er ist seit 2010 Mitglied des Luzerner Kantonsrates (SP, Willisau) und kandidiert für den Nationalrat.

Bei harmlosen und alltäglichen Lügen ist das schwer auszumachen. Es gibt zwar gewisse Studien über die Deutung von Körpersignalen. Aber diese Ergebnisse wurden oft widerlegt. Viele vermeintliche Lügenzeichen, wie lange Reaktionszeiten oder Füllworte, wie «ähm», sind in der Praxis unbrauchbar.

zentral+: Gibt es denn ein Rezept, mit dem man herausfinden kann, ob jemand lügt? 

Krummenacher: Nein. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Lügenverhalten ist situationsabhängig. Bei Alltagslügen verhält man sich anders als in existenziell bedeutsamen Situationen. 

zentral+: Wie ist es denn möglich, gut zu lügen?

Krummenacher: Als gut oder schlecht würde ich das nicht werten. Generell ist es nur auf zwei Arten möglich, zu lügen: Entweder, man lässt etwas Belastendes weg. Oder man erweitert bestehende Sachverhalte. Man reichert Geschichten an. Dabei ist es für unser Gehirn eine gänzlich andere Aufgabe, eine Weglassungslüge zu kreieren, als eine Erweiterungslüge. Und wie meine Forschungen zeigen, ist dann auch das gezeigte Sprechverhalten unterschiedlich. 

zentral+: Gibt es Personen, die Sie nicht anlügen würden?

Krummenacher:  Ja, etwa Verkehrspolizisten oder Zollbeamte. Sie sind von allen polizeilichen Berufsgruppen am besten fähig, Lügen zu erkennen. Das haben Untersuchungen gezeigt. Sie haben standardisierte Vorgehensweisen bei der Tatbestandsaufnahme und anhand der Unfallspuren oder mit einem Blick in den Kofferraum zeitlich sehr schnell eine Rückmeldung, ob eine Aussage wahrheitsgetreu war oder nicht. Das heisst, sie entwickeln ein ausgeprägtes Gespür für Lügen, weil sie ihre Erfahrungen systematisch aufbauen können. 

Unsere Eltern haben zum Beispiel diesen Vorteil auch. Aus Beobachtungen kennen sie ihre Kinder von klein auf und wissen meistens ganz genau, was wahr oder falsch ist. Wer die Vase zerbrochen oder den Fleck auf dem Sofa verursacht hat. Sie können unzählige Situationen überprüfen. Das erklärt auch, warum wir es nicht schaffen, auch im Erwachsenenalter vor unseren Eltern etwas zu verbergen.  

«Politiker glauben an das, was sie sagen.»

zentral+: Politiker neigen gelegentlich dazu, die Worte bis aufs Äusserste zu biegen. Kann man da Lügen auch erkennen? 

Krummenacher:  Nein. Politiker stehen ja meistens hin mit einer gewissen Überzeugung und glauben selber an das, was sie sagen. In der Politik muss man eher die Hintergründe kennen, um wirkliche Lügen aufzudecken. Was hat etwa die andere Partei vor? Was beabsichtigen sie? Ich glaube eher, politische Wortbiegereien sind ein Arbeitsfeld für Journalisten. Was in der Politik gilt, gilt auch anderswo: Es ist ein kreatives Umgehen von- oder mit Fakten. 

zentral+: Verschafft Ihnen das Wissen über Lügen Vorteile bei Ihrer Arbeit als Kantonsrat? 

Krummenacher: Nicht wirklich. Als Lügenforscher habe ich einen anderen Fokus. Es wäre nicht möglich, meine Forschungsergebnisse auf diese Situationen anzuwenden. Es entstehen keine Lügen unter Bedrängnis. 

zentral+: In diesem Fall ist es nicht schwierig, Sie anzulügen?

Krummenacher: Nein. Ich erkenne Lügen im Alltag nicht besser, als andere Menschen. Nur in Befragungssituationen kann ich mein Wissen anwenden. 

«Man sagt nicht von ungefähr: Lügen haben kurze Beine.»

zentral+: Was ist mit Flunkern oder Schwindeln? 

Krummenacher: Man darf nicht vergessen, Schwindeln hilft ja manchmal, das Alltagsleben einfacher zu machen. Wir sagen, es gehe uns gut, weil wir das Gegenüber nicht mit unseren Problemen belasten wollen oder zeigen Interesse, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht, um jemanden nicht zu enttäuschen.

zentral+: Wie geht es Ihrem Umfeld. Lügt man Sie nicht an? 

Doch doch. Ich lüge genauso viel wie andere Menschen. Und ich werde am Tag 100 Mal angelogen. Das ist ganz normal. Das sind aber die harmlosen, die «prosozialen» Lügen. Bei den wirklich groben Lügen, also bei existenziellen Lügen, kommt früher oder später meistens die Wahrheit ans Tageslicht. Man sagt ja auch nicht von ungefähr: Lügen haben kurze Beine. 

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