Griechen in Luzern

«Die auswegslose Situation belastet uns»

Georg Moutafis und seine Partnerin Iris Mandaris sind vor vier Jahren von Athen nach Luzern gezogen. (Bild: rob)

Wieder einmal steht Griechenland am Abgrund und kurz vor der Pleite. Was denken die 500 Exil-Griechen in Luzern über ihr Land? Welche Sorgen und Nöte plagen sie, und wie leben sie hier? zentral+ hörte sich bei der Griechischen Gemeinde um.

Beide sind gut ausgebildet, beide hatten Arbeit in Athen. Trotzdem sind George Moutafis und seine Partnerin Iris Mandanis vor vier Jahren nach Luzern gezogen. «Hier verdient man zehn mal so viel wie in Griechenland», sagt Moutafis, der Präsident der Griechischen Gemeinde in Luzern ist. «Für uns war schon damals klar, dass wir dort keine Zukunft haben». Als Architekt wurde es für ihn immer schwieriger, Arbeit zu finden. Auch Iris Mandanis hatte Mühe, sich als Rechtsanwältin über Wasser zu halten.

Absurde Zustände in Athen

Nun lebt das Paar mit einem Kleinkind im Bruchquartier mitten in der Stadt und ist froh, in einem Land zu leben, das weit weg ist von den Wirren Griechenlands. Dennoch belastet sie die finanzielle Notlage sehr. «Meine ganze Familie und meine Verwandten leben in Athen», sagt George Moutafis. Sein Vater besitzt eine Fabrik, welche Gebrauchsprodukte für Spitäler herstellt. Da diese grösstenteils staatlich sind, hat er seit einem Jahr kein Geld mehr für seine Lieferungen erhalten. «Trotzdem verlangt der Staat von ihm, dass er die 23 Prozent Mehrwertsteuer bezahlt.» George Moutafis verdreht die Augen. «Und das für Gelder, die die Regierung ihm schuldet, man stelle sich das mal vor.» Absurd sei das, fast schon grotesk, fügt er an.

«Wir kennen Griechen in der Schweiz, die ihre Verwandten finanziell unterstützen.»

Iris Mandanis, Griechische Gemeinde Luzern

Geld muss das Paar seinen Verwandten zum Glück nicht schicken, im Moment können diese sich noch selber über Wasser halten. «Aber wir kennen Griechen in der Schweiz, die ihre Verwandten finanziell unterstützen», sagt Iris Mandanis. Viele machen sich grosse Sorgen um ihre Angehörigen. Auch George Moutafis. «Es ist schon traurig, was in Griechenland geschieht. Wenn ich daran denke, wie wenig meine Freunde und Bekannten verdienen – viele Familien müssen mit 500 Euro pro Monat leben –, dann graut mir schon etwas.» Iris Mandanis nickt. «Die auswegslose Situation belastet uns je länger je mehr.»

«Wenn ich daran denke, wie wenig meine Freunde und Bekannten verdienen, dann graut mir schon etwas.»

Georg Moutafis, Präsident Griechische Gemeinde Luzern

Verzwickte Lage

Selbstverständlich verfolgen beide mit grossem Interesse, was zur Zeit zwischen der EU und Griechenland abläuft. Die Verhandlungen, die um die enormen Staatsschulden geführt werden, sind eine ständige Achterbahnfahrt. Bis Ende Monat müsste Griechenland 1,6 Milliarden Euro an Krediten zurückzahlen – wofür das Geld fehlt. Damit die letzte Rate des Rettungsschirms, 7,2 Milliarden Euro, ans Land ausbezahlt werden, müsste Griechenland schmerzhafte Reformen versprechen. Die Exil-Griechen wissen alle Bescheid über den Stand der Verhandlungen – eine Lösung haben auch sie nicht. «Sollen wir in der EU bleiben oder den Grexit, also den Ausstieg aus dem Euroraum wagen?» Da weiss auch der 34-jährige George Moutafis keine Antwort. «Beide Seiten haben ihre Argumente, beide haben irgendwie Recht.» Er aber findet, dass Griechenland unbedingt in der EU bleiben sollte. Und seine Schulden zurückzahlen sollte – wie, weiss auch er nicht.

Das Paar kommt ins Diskutieren. Über die Mentalität vieler Griechen, die nicht so schnell zu ändern sei, über die Korruption, die sich wie eine Seuche über das Land ausgebreitet hat und über die Trägheit der Menschen, wenn es darum geht, liebgewonnene Gewohnheiten zu ändern. Iris Mandanis ärgert sich zum Beispiel darüber, dass viele griechische Frauen trotz Geldnot in den schönsten und teuersten Klamotten rumlaufen. «Offenbar ist vielen der Schein wichtiger als das Sein.»

«Luzern ist ein Paradies»

Und wie leben die Griechen in Luzern? George Moutafis schmunzelt. «Luzern ist ein Paradies, die Trottoirs sind gross und nicht von Autos überstellt, alles ist so grün, die Landschaft so abwechslungsreich, die Stadt so schön – und die Menschen sind sehr freundlich.» Obwohl man ihm ganz am Anfang, als sie hierherzogen, auch mit Skepsis begegnet ist. «Wir kamen mit dem Auto mit dem griechischen Nummernschild hier an, da sagte mir ein Mann: Aha, die Ratten verlassen das sinkende Schiff.» Heute kann er darüber lachen, damals habe er das nicht so lustig gefunden, gibt er zu.

«Wir kamen mit dem Auto mit dem griechischen Nummernschild hier an, da sagte mir ein Mann: Aha, die Ratten verlassen das sinkende Schiff.»

Georg Moutafis

Die Griechen in Luzern fallen kaum auf, viele integrieren sich still und leise. «Wir sind ruhige und freundliche Leute», sagt George Moutafis. Die meisten arbeiten, viele sind gut ausgebildet. Ein Vereinslokal hat die griechische Gemeinde, die es seit 1976 gibt, nicht. Drei mal im Jahr findet ein grosses Fest statt, eines davon ist es eine Benefizveranstaltung für die Griechische Schule. Bis vor zwei Jahren bezahlte der Griechische Staat eine Lehrerin für die Stunden am Mittwoch-Nachmittag, aus Spargründen wurde dieses Förderprojekt gestoppt. «Nun sammeln wir das Geld für die Lehrperson, damit die Eltern der Schüler nicht den ganzen Betrag aufbringen müssen», sagt George Moutafis. Es sei wichtig, dass ihre Kinder die griechische Sprache und Kultur vermittelt bekommen.

In den Sommerferien verreisen fast alle Luzerner Griechen in ihre Heimat, Krise hin oder her. An dieser Stelle gibt der Präsident der Griechischen Gemeinde zu, dass er doch nicht alles so paradiesisch findet hier. «Es ist einfach zu kalt hier im Sommer.» Andererseits sei Athen unerträglich heiss, darum verbringen sie den Urlaub am Meer – wie die meisten Griechen, die sich das, trotz Krise, leisten können. «Viele Athener sind in einem Dorf an der Küste aufgewachsen oder haben Verwandte auf einer Insel, so können sie günstig Ferien machen», erklärt Iris Mandanis.

Mühe mit dem Dialekt

Aber ansonsten fühlt sich das Paar in Luzern wohl. Iris Mandanis stammt aus Luzern, ihr Grossvater war Grieche. Kennengelernt hat sich das Paar – wie könnte es anders sein – auf einer griechischen Insel. George Moutafis spricht bereits erstaunlich gut deutsch, allerdings hat er mit dem Dialekt Mühe. «Ich möchte mit meinem Sohn zusammen Schweizerdeutsch lernen, aber leider gibt es dazu keine Bücher.»

An der Schweiz gefällt George Moutafis auch, dass man sich hier als Bürger ernst genommen fühle. «Wenn das Volk etwas bestimmt, dann wird das auch gemacht, das ist super.» Das sei leider in seiner Heimat ganz anders. Dass alles so gut organisiert ist in Luzern, gefällt ihm – auch wenn er ab und an etwas Mühe mit der Regulierungswut der Eidgenossen bekundet. Seine Partnerin nickt und lacht. «Es ärgert ihn manchmal, dass alles so strikt ist, dass sogar die Abfälle eingesperrt werden und man so viel Gebühren bezahlen muss.»

Aber, räumt George Moutafis sofort ein, die Griechen könnten von der Schweiz viel lernen. «Die Organisation, das gut funktionierende System: Da könnten wir uns eine Scheibe davon abschneiden.» Diese Botschaft des Luzerner Exil-Griechen wird bald schon auch in Griechenland zu hören sein. Dieses Wochenende besucht ein Fernsehteam eines Privatsenders Mitglieder der griechischen Gemeinde und dreht einen Film über das Leben der Griechen in Luzern. «Offenbar interessiert es die Leute zu Hause, was wir hier machen», sagt George Moutafis. Vielleicht nützt es etwas, und Griechenland findet einen Ausweg aus der Krise – dank dem guten Beispiel der Luzerner Griechen. Wer weiss.

 

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