Dating-Apps liegen im Trend. Egal ob auf der Suche nach der grossen Liebe oder dem One-Night-Stand, die Beliebtheit von «Tinder» und Co. ist ungebrochen. Es geht meistens um das Eine. Doch was hat eine Luzerner Band in dieser schlüpfrigen Umgebung zu suchen?
Meistens geht es um «unkomplizierten und schnellen Sex». Und es funktioniert ganz einfach. Die Dating-Plattform «Tinder» präsentiert Bilder von Nutzern des anderen Geschlechts, so wie zum Beispiel das von Sya (22). Sie macht eindeutige Avancen. Sinnlich, mit laszivem Blick umarmt sie ihre Gitarre. Engelhaftes, weisses Oberteil. Verruchte schwarze Fingernägel.
Den Usern – nicht selten auf der Suche nach einer schlüpfrigen Affäre — sticht Sya sofort ins Auge. Es braucht nur einen Display-Wisch nach rechts, und das Interesse ist vorerst kundgetan. Ein Wisch nach links, so könnte man sie ablehnen. Dann Bestätigung. Wird Sya auf die Anfrage reagieren? Zeigt sie Gefallen, öffnet sich ein Chat-Fenster und die Unterhaltung kann beginnen. Ansonsten verschwindet Sya für immer in der grossen, weiten «Tinder-Welt».
«Congratulation! You have a new match»
Es hat geklappt. Die Unterhaltung kann beginnen. Was nun? Ein einfaches «Hallo, wie gehts?», «Schöne Bilder, Lust auf einen Kaffee?» oder «Ich habe meinen Teddybär verloren, schläfst du mit mir?». Die Auswahl an möglichen Eisbrechern ist riesig. Aber nichts da.
Sya Müller, wie sie mit vollem Namen heisst, hat keine solchen Absichten. Die Luzernerin will keinen Flirt, sie will ihre Arbeit präsentieren. Der «match» auf Tinder passt nicht zu dem, was auf dieser Plattform sonst so stattfindet. Sie sendet eine aussergewöhnlich lange Nachricht zurück – und die Botschaft ist speziell: «Es mag verzweifelt und gaga tönen», schreibt Sya. Sya ist Sängerin der Luzerner Band «Syasuun» und auf der Suche nach Musikliebhabern und Fans.
Fuss fassen im schwierigen Musikbusiness
Eine ausgeklügelte Marketingstrategie? zentral+ wollte von der Sängerin wissen, was es mit der Tinder-Strategie auf sich hat. «Ich studiere Sozialpädagogik an der Hochschule Luzern und in den Vorlesungen waren alle rundherum die ganze Zeit am tindern», beschreibt sie. So wurde auch sie auf die Datingapp aufmerksam.
Irgendwann habe sie gemerkt, dass viele Profile mit den Musikinteressen der Personen gespickt sind, sei es durch Bilder am Musizieren oder mit Zeilen von bekannten Songs im Profilbeschrieb. «Da dachte ich mir, ein Versuch ist es wert, die Leute auf meine Musik aufmerksam zu machen.»
«Ich like nur gezielt Personen, die sich für meine Musik interessieren könnten. Zu plump will ich nicht wirken», sagt sie. Trotzdem gehe der Plan auf: Der Rücklauf sei riesig. Sie habe sehr viele Matches und die Rückmeldungen seien im Allgemeinen positiv. «Einige Männer geben schon zu, mit dieser Art von Kontaktaufnahme überfordert zu sein, aber die meisten würden sich die Zeit nehmen, in die Musik hineinzuhören und sie geben anschliessend ihren Kommentar ab.»
Also wirkt die personalisierte Tuchfühlung mit der Musik? Das könne man so sagen. Es sei eben für eine junge Band enorm schwierig Fuss zu fassen, sagt Sya. Sie habe ihre Lieder zwar an die vielen Radiostationen geschickt, erhalte aber nur Absagen oder gar keine Rückmeldung. «Wenn die Radiostationen von Anfragen wie meiner überflutet werden, setze ich halt auf diese unkonventionelle Marketingstrategie.»
«Musik ist unsere Leidenschaft»
Die Stilrichtung ihrer Musik würde Müller am ehesten dem «Indie Pop» zuordnen. Es ist eine variationsreiche und gleichzeitig harmonische Mischung aus Gesang, Gitarre Bass und Schlagzeug. Mal sphärisch, mal nachdenklich, dann wieder eingängig und leicht.
Die Band besteht aus vier Mitgliedern: Sya singt, Simão spielt Bass, Chili Gitarre und Niki Schlagzeug. «Da bringt jeder seine Ideen ein.» Das Hauptziel der Band sei, Freude an der eigenen Musik zu haben, aber auch den Zuhörern etwas bieten zu können. «Musik ist unsere Leidenschaft», sagt Müller. Die Band probt mindestens zwei Mal in der Woche. Dabei werden neue Ideen gesammelt und Jamsessions abgehalten.
«Syasuun» mit dem Song «Know»
Viele positive Reaktionen
Die Reaktionen seien vielschichtig, stellt Sya Müller fest. Darunter Rückmelder, die für das Marketing überhaupt kein Verständnis zeigten. «Mein Profil wurde als Fake-Werbeprofil gemeldet, da musste ich mich gegenüber Tinder rechtfertigen – natürlich habe ich die Strategie als meinen Flirtstil verkauft.»
Und dann gebe es noch Antwortnen, die tatsächlich total oberflächlich seien: «Ein Benutzer schrieb mir, wie dumm ich sei und dass auf Tinder eh alle nur das eine wollen.» Vor allem jüngere Tindernutzer seien sehr direkt und nur auf der Suche nach Kontakten mit dem anderen Geschlecht.
Sängerin ist gar nicht Single
Zum Schluss muss sich sich Sya Müller dann doch entlarven und gibt zu, «Tinder» zu missbrauchen: «Ich habe einen Freund, seit drei Jahren bin ich mit unserem Bassspieler zusammen. Die Band ist quasi unser Baby», sagt Müller und lacht.
«Am Anfang war er sehr kritisch gegenüber der Tinder-Strategie, mittlerweile machen wir es zusammen.» Und wie halten sie es mit den Gerüchten um ihre Treue? Was, wenn Bekannte auf ihre Tinderaktivität aufmerksam werden? Sya Müller hat vorgesorgt und auf Facebook ihre Liebe beteuert.
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