Was macht eigentlich ... Fridolin Schwitter?

Wirtschaftsförderer, Mönch – und bald Beizer?

Armut, Gehorsam und Ehe­losigkeit: Fridolin Schwitter ­erhoffte sich vom Kloster «eine Vertiefung des Lebens». Nun beendet er seine «Zeitbruderschaft» dieses Jahr – bleibt dem Kloster aber trotzdem nahe. (Bild: Jakob Ineichen)

Vor sechs Jahren hat Fridolin Schwitter den Anzug gegen die Kapuzinerkutte getauscht. Jetzt macht er sich auf zu neuen Ufern – und äussert Kritik am System.

«Einiges, was meine Zukunft betrifft, ist klar, anderes noch in Planung», macht Fridolin Schwitter (55) noch vor dem Treffen klar. «Oder man kann es auch so formulieren, es besteht noch Freiraum.»

Beim Gespräch im Luzerner Kapuzinerkloster Wesemlin lässt Schwitter dann die Katze aus dem Sack. «Ich werde dem Orden nicht beitreten», sagt Bruder Fridolin.

Eine Verlängerung der Bruderschaft auf Zeit sei kein Thema. «Das ist nur einmal möglich.» Danach müsse man sich entscheiden, ob man das Noviziat – die Ordensausbildung – machen oder eben aufhören wolle. Schwitter hört auf.

Mühe mit katholischen Traditionen

«Vom einfachen Ordensleben der Kapuziner bin ich zwar schon überzeugt», erklärt Schwitter. Er vermisse jedoch an der heute bestehenden Ordensausbildung die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftsrelevanten Fragen wie beispielsweise dem Verhältnis des Christentums zu den anderen Weltreligionen. «Ein für mich wichtiges Thema in der zunehmend globalisierten Welt.» Überhaupt würden ihm wichtige gesellschaftliche Themen wie beispielsweise auch Ethik zu wenig vorkommen. «Da wird kein Grundwissen vermittelt.»

«Mit oberflächlicher Frömmigkeit und blindem Gehorsam kann ich wenig anfangen.»

Fridolin Schwitter, «Bruder auf Zeit» bei den Kapuzinern

Generell habe er mit gewissen katholischen Traditionen noch immer seine Mühe. «Weil mir dazu der Bezug fehlt.» Er sei nicht religiös aufgewachsen und erzogen worden, erzählt Schwitter. «Mit oberflächlicher Frömmigkeit und blindem Gehorsam kann ich wenig anfangen.»

Der Entscheid, nicht in die Bruderschaft einzutreten, sei ihm alles andere als leichtgefallen, sagt Schwitter nachdenklich. Dass die Zukunft der Kapuziner auf wackligen Füssen steht, beschäftigt ihn. Das Kloster Wesemlin schrumpft. Aus noch lediglich 15 Brüdern besteht die Gemeinschaft. Das Durchschnittsalter beträgt rund 75 Jahre. Trotzdem meistern die Brüder den Alltag weitgehend selbstständig. Beten und Meditieren macht nur einen Teil des Tages aus, das Kloster muss in Schuss gehalten werden. Man hilft einander.

«Wir sind hier eine grosse Familie», sagt Schwitter. Und mit dem Klosterprojekt hier identifiziere er sich stark. «Mein Herz sagt Ja – die aktuelle Ausrichtung der Ordensausbildung aber stimmt mich nachdenklich.» Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: «Trotzdem waren die letzten sechs Jahre für mich sehr wertvoll und prägend.»

Kloster spielt weiterhin eine wichtige Rolle

Deshalb wird Fridolin Schwitter auch in Zukunft noch oft im Kapuzinerkloster Wesemlin anzutreffen sein. Die Arbeit als Leiter der Spendenkampagne will er nämlich im kommenden Jahr weiterführen – und damit dem Projekt «Oase-W» zum Erfolg verhelfen. Das Kloster will sich zu einem lebendigen spirituellen Zentrum wandeln (zentral+ berichtete).

Zur Person

Fridolin Schwitter, geboren 1960, wuchs in Luzern auf. Nach einer Karriere als Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater wünschte sich der Ökonom eine berufliche und persönliche Veränderung. 2009 hängte er seinen Job als Wirtschaftsförderer der Stadt Luzern an den Nagel, gab das berufliche und gesellschaftliche Lebensumfeld auf und trat dem Orden der Schweizer Kapuziner bei. Als «Bruder auf Zeit» lebte Schwitter unter anderem in den Kapuzinerklöstern Rapperswil und Brig. Aktuell ist die Kapuzinergemeinschaft Fribourg sein Zuhause. Besonders engagiert hat sich Schwitter in Luzern, wo er als Leiter der Spendenkampagne Geld für die Neuausrichtung des Klosters sammelte. 2015 wird Fridolin Schwitter seine Kutte abstreifen, nach Luzern zurückkehren und ein Wohnstudio im Kloster Wesemlin beziehen.

«Wir müssen diese alten Gemäuer wiederbeleben, mit neuem Inhalt füllen. Nur so hat das Kloster hier eine Zukunft», erklärt Schwitter. Deshalb wird Schwitter gleich selbst ein Wohnstudio im Kapuzinerkloster Wesemlin beziehen. So sei er dem Kloster auch in Zukunft nahe. «Und durch meine Arbeit bleibe ich darüber hinaus mit den Brüdern verbunden», sagt Schwitter.

Es sei schon eine emotionale Verbundenheit gewachsen zwischen ihm, den Kapuzinern und dem Kloster. «Man gibt eine solche Verantwortung in der Mitte des Vorhabens nicht einfach ab. Ich fühle mich gegenüber dem Vorhaben, den zahlreichen Spendern und Helfern und letztendlich auch gegenüber mir selber in der Verpflichtung.»

Das sei kein Vollzeitjob, sondern ein Teilzeitengagement. Als Mitglied der Ordensgemeinschaft sei der Orden für seinen Lebensunterhalt aufgekommen. «Künftig werde ich mir also einen ‹Brotberuf› zulegen dürfen», lacht Schwitter. Da seien Abklärungen im Gange, sagt Schwitter. Eines ist ihm klar: «Die Freude an der Sache steht dabei im Zentrum.» Er müsse nicht mehr viel verdienen. «Luxus und Annehmlichkeiten waren gestern.»

«Luxus war gestern.»

Gerne würde er handwerklichen Interessen nachgehen, so Schwitter. «Die Gastronomie oder auch die Arbeit in der Natur, im Garten, das interessiert mich. Pflanzen mochte ich schon immer.» Er könne sich gut vorstellen, künftig in der Natur tätig zu sein. Oder auf einem Gasthof. Oder im kulturellen Bereich.

Keine Angst vor der Zukunft

Was kommt, weiss Bruder Fridolin noch nicht so genau. Eines ist jedoch sicher: «Ich will die nächsten 30 Jahre ein Sinn stiftendes und gutes Leben führen. Ein zufrieden stellendes. Ein einfaches, aber reiches Leben.» Freude, Überzeugung, Freiraum, das stehe im Zentrum. Darum werde er auch nicht viele «Mandätli» annehmen oder «sich mit Aufgaben zudecken». Er wolle nicht in den alten Trott zurückfallen, sich nicht instrumentalisieren lassen. «Ein Zustand, welcher von vielen beklagt wird.»

Die ungewisse Zukunft macht Bruder Fridolin nicht nervös. «Das alles ergibt sich Schritt für Schritt. Und meine Zeit hier ist noch nicht zu Ende. Es geht ja immerhin noch sechs Monate.» Er mache sich keine Sorgen. «Im kirchlichen Bereich erwähnen wir oft den Begriff Gottesvertrauen», so Schwitter. Und schliesslich solle man dem nachleben, wovon man gerne spricht. «Ich freue mich auf das, was kommt.» Und überhaupt, Veränderung sei wichtig. Er sei seinem Wunsch nach Veränderung gefolgt. «Ich habe zu viele Leute gesehen, die zu lange auf einem Sitz klebten und immer das Gleiche taten.»

Die ungewisse Zukunft macht Fridolin Schwitter keine Angst: «Einiges ist klar, anderes noch in Planung.»

Die ungewisse Zukunft macht Fridolin Schwitter keine Angst: «Einiges ist klar, anderes noch in Planung.»

(Bild: Jakob Eineiigen)

Einer, der auffällt

Schwitter blickt zurück. «Beim Eintritt ins Kloster wurde ich mit vielen Fragen konfrontiert.» Da sei ein riesiger Rummel um seine Person entstanden. Nicht nur in der Öffentlichkeit, vor allem auch im Privaten. «Meine Freunde dachten, ich gehe ins Gefängnis». Alle hätten ihn nochmals zum Essen eingeladen. «Die meisten Menschen haben keine klare oder sogar eine falsche Vorstellung vom Leben im Kloster.» Das sei schade. Er fände es für «die Sache bedauerlich, dass das Leben in der Klostergemeinschaft bei vielen mit negativen Vorstellungen verknüpft ist».

Auch im Kloster ist Schwitter aufgefallen. Wegen des Altersunterschieds, der anderen Lebensprägung und Ausrichtung, auch wegen der Erziehung. «Die meisten meiner Mitbrüder könnten altersmässig meine Väter sein.» Aber das seien ja letztlich alles «Banalitäten», meint er lachend.

Angefangen hat Bruder Fridolin im Kloster Rapperswil als Pförtner. Drei Jahre ist er geblieben. «In dieser Zeit beschäftigte mich unter anderem der Umbau der Klosterpforte, die neu mit einem kleinen gastronomischen Angebot aufwartet.» Auch Gespräche für Hilfesuchende habe er angeboten und die Möbel der Gästezimmer restauriert, erzählt Schwitter. «Rückblickend war das für mich selber die ‹klösterlichste› und schönste Zeit.» Dann lebte Schwitter einige Zeit in der Kapuzinergemeinschaft in Brig, wo er sich für den Weinbau zu interessieren begann. «Eigentlich wollte ich noch zu einem Weinbauern», sagt Bruder Fridolin. Das sei dann leider nicht mehr möglich gewesen, wegen der Spendenkampagne für Luzern.

«Geldbeschaffung ist eine weltliche Aufgabe.»

Mittlerweile ist Fridolin Schwitter in der Mitte der Kapuziner angekommen. «Als Bruder auf Zeit bin ich ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft.» Bruder Fridolin war der Erste, der sich zu diesem Schritt entschieden hat. «Es war eine schöne und gute Zeit, etwas, das ich nicht missen möchte», sagt er. Sogar Klarinette spielen könne er inzwischen einigermassen. «Für das KKL reicht es aber noch nicht.»

Ein Ereignis habe ihn besonders beeindruckt: «Als ich zum ersten Mal mit der Kutte in der Öffentlichkeit war. Das war ein Bekenntnis nach aussen. Und das wird auch so wahrgenommen.» Die Kutte sei für ihn auch Arbeitskleidung gewesen. «Sie hat meine Aufgabe als Leiter der Spendenkampagne enorm erleichtert.» Die Geldbeschaffung, das sei eine knallharte Sache. «Das ist klar eine weltliche Aufgabe, die wie geschaffen für mich war.»

Wobei sich das eher so ergeben habe. Marketing sei früher nicht notwendig gewesen. «In der damals kirchlich geprägten Gesellschaft waren Ordensgemeinschaften ein fester Bestandteil der Gesellschaft», erklärt Schwitter. «Das ist heute nicht mehr so. Für den Fortbestand der Orden sind Massnahmen zur besseren Selbstvermarktung nötig geworden.» Die Voraussetzungen dafür seien bei den Bettelorden durchaus vorhanden. «Wir haben ein gutes, geregeltes und sinnvolles Leben. Etwas, das sich heutzutage viele Menschen wünschen.» Das habe ihm seine eigene Erfahrung gezeigt. «In meinem bisherigen Leben habe ich noch nie ein Projekt erlebt, das ein so hohes Ansehen genoss – und zwar in der ganzen Bevölkerung.»

Die Arbeit geht Schwitter nicht aus. Im Herbst werde die Spendenkampagne neu lanciert, mit Fokus auf den Klostergarten (zentral+ berichtete). «Dafür brauchen wir weitere grössere finanzielle Beiträge.»

Eine Erfahrung fürs Leben

Was er im Kloster gelernt habe? Er sei während dieser Zeit sicher ruhiger geworden, abgeklärter, bewusster, sagt Schwitter. «Das Leben ist nicht unendlich. Friede und Freude sind wichtig. Und realistisch bleiben ebenso. Das ist in der heutigen Gesellschaft zunehmend ein Problem. Wir stecken uns immer höhere Ziele, anstatt mit dem Erreichten zufrieden zu sein.»

«Wir stecken uns immer höhere Ziele, anstatt mit dem Erreichten zufrieden zu sein.»

Luxusbedürfnisse habe er keine mehr. Kulturelle Bedürfnisse seien ihm schon lange wichtiger. Als Beispiel nennt Schwitter die «Inspiration, die sich aus dem Austausch in der Gemeinschaft ergibt». Das sei ganz im Sinne der Idee einer Lebensgemeinschaft von Franz von Assisi, dem geistlichen Vater des Ordens. Genau nach diesem Vorbild wolle man hier auf dem Wesemlin ein neues Miteinander ermöglichen. Rückbesinnung sei nötig. Er habe auf seinen Reisen mit dem Velo quer über den Globus viel Elend erlebt. «Da lernt man, dass es auch einfacher geht.»

Nach 30 Jahren im Wirtschafts- und Finanzbereich habe sich eine Veränderung und eine Auszeit aufgedrängt, sagt Schwitter. «Ich wollte mich nicht mehr der Gewinnmaximierung, sondern der Vertiefung meines Lebens widmen.» Seine Erfahrungen teilt Schwitter mit andern. «Ich wurde auch schon an Seminare und Tagungen zum Thema Lebenswandel eingeladen.»

Klar, am Anfang habe er die Freiheiten eines materiell abgesicherten Lebens ein bisschen vermisst. «Vor allem die soziale Selbstständigkeit, die Geld erlaubt. Im Kloster bin ich in eine Gemeinschaft eingebunden», sagt Schwitter, «wie in einer grossen Familie.»

Die Vorteile einer geschützten Werkstatt

Ein bisschen eine geschützte Werkstätte sei so ein Kloster schon, meint Schwitter. «Entrücktheit bietet Freiräume, Freiheit. Nicht nur im Denken. Auch im Handeln. Es gibt keinen Lohn, das erleichtert so einiges.» Die Gemeinschaft stehe im Zentrum, nicht das Geldverdienen. Schwitter wird gesellschaftskritisch. «Der Mittelstand schert Statussymbole um sich.» Man schaffe sich einen Standard und versuche diesen mit allen Mitteln zu erhalten und auszubauen. «Wir leben im goldenen Käfig», bringt es Schwitter auf den Punkt. Damit werde man zum Gefangenen seines eigenen Lebens.

«Man verpasst im Leben immer etwas.»

Ist Schwitter im Kloster zum Sozi geworden? «Nein, nein», lacht er. «Meine politische Einstellung ist geprägt von freiheitlichem Denken und Handeln – mein Herz schlägt gesellschaftsliberal.» Trotzdem, so ist Schwitter der Meinung, müsse der Sonntag auch künftig ein Ruhetag bleiben. «Freie Zeit, Besinnung und Ruhe werden in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Auch für diejenigen, welche das nicht wahrhaben möchten.»

Und was wird Fridolin Schwitter mit der frei werdenden Zeit anstellen? Eine Familie gründen, nein, das tue er nicht mehr. «Dafür bin ich zu alt», sagt der kinderlose Single. Und dann, etwas reumütig, schiebt er nach: «Man verpasst im Leben immer etwas.»

Aber Klarinette spielen würde er gerne noch besser können, meint Schwitter und lacht. Oder wieder mal ein Abenteuer erleben. «So eine längere Veloreise durch Zentralasien, das wäre schon noch etwas.»

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