Projekt gegen Verkehrskollaps

«Mobilität muss ihren Preis haben»

Zu Stosszeiten kommt es in der Stadt, wie hier am Hirschengraben, oft zu Staus.

(Bild: lwo)

Mit besseren ÖV-Verbindungen wollen Stadt und Kanton Luzern die Autofahrer zum Umsteigen bewegen und ein Verkehrschaos verhindern. Im Interview mit zentral+ erklärt Roland Koch vom städtischen Tiefbauamt, wie realistisch dieses Ziel ist. Und wie zumutbar. Parteien und Verbände zeigen sich skeptisch. 

Weniger Staus und mehr Mobilität – das will die Stadt Luzern zusammen mit dem Kanton und Partnern erreichen. Mit dem neuen Gesamtverkehrskonzept wollen Stadt und Kanton den ewigen Verkehrsproblemen endlich Herr werden (zentral+ berichtete). 

Mit einer Vielzahl verschiedenster Massnahmen sollen die Hauptverkehrsachsen zugunsten aller Verkehrsteilnehmer entlastet werden (siehe Box). Profitieren werde davon vorallem der öffentliche Verkehr, der so flüssiger fliessen und dadurch mehr Passagiere befördern könnte, teilten die Behörden am Montag mit.

Umfassendes Massnahmenpaket

Angesetzt wird an zwei Punkten, dem öffentlichen Verkehr einerseits und Infrastrukturmassnahmen andererseits:

  • 9 weitere Dosierungsstellen: unter anderem Bundesplatz, Wesemlin-, Sedel-, Libellen- und Hünenbergstrasse
  • 5 weitere Parkhausdosierungen: u.a. bei den Parkhäusern Kesselturm, Schweizerhof und Löwencenter
  • 1 neue Busspur: Alpenstrasse 
  • 4 neue Busschleusen: unter anderem auf der Luzernerstrasse
  • 2 neue Fahrbahnhaltestellen: Casino-Palace und Wesemlinstrasse 
  • 2 neue Busperrons an der Hauptverkehrsachse am Bahnhofplatz
  • Mehr Kapazität durch Taktverdichtungen
  • Bessere Vernetzung von Bahn und Bus
  • Weniger umsteigen dank mehr Durchmesserlinien und kernnahen Tangentiallinien
  • Grössere Busse (vermehrter Einsatz von Doppelgelenkbussen wie auf der Linie 1)

Gegenüber zentral+ nimmt der Projektverantwortliche Verkehrsexperte Roland Koch vom Tiefbauamt der Stadt Luzern Stellung zu den vorgeschlagenen Plänen.

zentral+: Herr Koch, das neue Gesamtverkehrskonzept sieht fünf Prozent weniger motorisierten Individualverkehr auf den Hauptstrassen vor. Wieviele Autos werden so total aus dem Verkehr gezogen?

Roland Koch: Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Pauschalisierungen machen auch keinen Sinn. Es kommt nämlich sehr drauf an, welche Strasse man zu welcher Zeit betrachtet. Ein Beispiel: Auf der Haldenstrasse verkehren pro Tag rund 20’000 Fahrzeuge, in der Hauptverkehrszeit etwa 2’000 Autos. Durch die Massnahmen hätten wir in diesem Bereich also zirka 100 Autos weniger.

zentral+: Das klingt nicht gerade nach Effizienz, wenn man beachtet, dass das Gesamtprojekt rund acht Millionen Franken verschlingt.

Koch: Man darf diese Zahlen nicht isolieren, sondern muss sie im Zusammenhang betrachten. Der eingesparte Platz kommt dem Busverkehr zugute, der sich, wie der restliche Verkehr, dadurch nicht nur flüssiger bewegen, sondern überdies auf gleichem Raum auch noch viel mehr Passagiere befördern kann. Das Beispiel Haldenstrasse zeigt, dass mit einem relativ kleinen Eingriff die übrigen 1‘900 Autos und zusätzlich alle Busse nun viel weniger behindert werden und weniger im Stau stehen. Gesamthaft gesehen profitieren von den infrastrukturellen Massnahmen also alle: der individuelle wie auch der öffentliche Verkehr.

zentral+: Durch die Dosierungsanlagen bei den Einmündungen von Quartier- in die Hauptstrassen halten sie zwar die Hauptstrasse frei, stauen den Verkehr aber einfach in den Seitenstrassen zurück. Ist das nicht einfach eine Verlagerung des Problems anstatt einer Lösung?

Koch: Nein. Ganz im Gegenteil. Die Quartiere leiden heute an regelmässigem Schleichverkehr. Durch die Pförtneranlagen werden die Automobilisten davon abgehalten, die Hauptstrassen auf Umwegen durch die Wohnquartiere zu umfahren. Ausserdem werden die Dosierampeln nur zur Hauptverkehrszeit morgens und abends in Betrieb sein. Während den restlichen 20 Stunden fliesst der Verkehr auf den Hauptachsen schon heute gut. Die Quartiere können also nur profitieren.

«Darauf warten wir Verkehrsplaner schon 20 Jahre.»

Roland Koch, Verkehrsexperte Stadt Luzern

zentral+: Den bis ins Jahr 2030 erwarteten Mehrverkehr von 30 Prozent will die Stadt über Verkehrsverlagerungen erreichen. Ist das nicht utopisch?

Koch: Überhaupt nicht. Die Aufgabe ist nicht einfach, aber lösbar. Die Verkehrsverflüssigung auf den Hauptverkehrsachsen ermöglicht einen Kapazitätsausbau des Busverkehrs. Weil der Bus mit nur einem Fahrzeug sehr viele Personen transportiert, hat das auf die Gesamtmobilität einen massiven Einfluss. Auch für den Veloverkehr wird die Stadt so attraktiver. Wir müssen uns darüber klar sein, dass sämtlicher Mehrverkehr nur über die bestehenden Strassen absorbiert werden kann. Die Verkehrsträger sind bereits heute ausgelastet, Platz für neue Strassen gibt es kurzfristig aber keine. Deshalb erzielt man Verbesserungen nur über die Verkehrsverflüssigung und die Verlagerung auf den Bus.

zentral+: Erfolgt der Kapazitätsausbau also einmal mehr zu Ungunsten der Automobilisten?

Koch: Nein, durch die vorgeschlagenen Massnahmen halten wir den Gesamtverkehr flüssig. Das kommt auch den Autofahrern zugute.

zentral+: Stichwort Verdichtung: Der ÖV will Kapazität gewinnen mit neuen Fahrzeugen und noch dichteren Fahrplänen. Jeder Halt aber führt zu Verzögerungen. Wird ergänzend auch die Aufhebung oder Zusammenlegung von Haltestellen geprüft?

Koch: Nein, das ist mit dem vorliegenden Konzept nicht vorgesehen. Natürlich, jeder Stopp braucht Zeit. Aber Zu- und Ausstiegsmöglichkeiten sind enorm wichtig, damit die Leute überhaupt auf den Bus umsteigen. Jede unserer Haltestellen macht den öffentlichen Verkehr attraktiver.

zentral+: Die geplanten Massnahmen versprechen zwar kurz- bis mittelfristig Linderung. Wie aber wird das Verkehrsproblem langfristig gelöst?

Koch: Die langfristigen Lösungen zur Behebung unserer Verkehrsprobleme sind der Tiefbahnhof und der Bypass mit der Spange Nord. Wir können aber nicht die Langzeitlösung abwarten, denn Probleme gibt es schon jetzt. Und die müssen wir zeitnah in den Griff bekommen, mit angemessenen Lösungen. Das Mobilitätsbedürfnis wird dennoch aus meiner Sicht weiter wachsen. Auf die Dauer kann die Befriedigung dieses Bedürfnisses nur über wirtschaftliche Anreize beeinflusst werden. Mobilität muss ihren Preis haben – in Zukunft noch mehr als heute.

zentral+: Also bleibt Road Pricing für Luzern ein Thema?

Koch: Klar. Wobei wir das Mobility Pricing dem Road Pricing vorziehen. Damit würden zur Stosszeit auch Bahn- und Busbillette teurer. Nicht nur die Infrastrukturmassnahmen auf der Strasse kosten viel, sondern auch die zusätzlichen Busse, welche zur Stosszeit eingesetzt werden müssen. Mit dem Mobility Pricing tragen auch diese Verkehrsträger die Kosten mit. Zuerst aber müssen auf nationaler Ebene die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden. Darauf warten wir Verkehrsplaner schon 20 Jahre. 

Parteien loben und kritisieren

Die Fraktionen des Kantonsrates sowie betroffene Organisationen beurteilen die neue Verkehrsstrategie ganz unterschiedlich, wie die grosse Umfrage von zentral+ zeigt.

Rolf Born, FDP-Fraktionschef: «Die Zielsetzungen des Gesamtverkehrskonzeptes, welches mehr Mobilität und weniger Stau fordert, wird von der FDP Luzern unterstützt. Wir werden das neue Gesamtverkehrskonzept aber zuerst einer kritischen Prüfung unterziehen und keine vorschnellen Beurteilungen abgeben. Ein weiteres Schlüsselprojekt ist der Bypass Luzern. Nur dieser wird die Stadt und die Agglomeration vom Durchgangsverkehr entlasten, den Engpass der Autobahn beseitigen und die Erreichbarkeit der ganzen Region verbessern.»

Guido Müller, Fraktionschef SVP: «Fünf Prozent weniger motorisierter Individualverkehr (MIV) können nicht durch verkehrsbehindernde Massnahmen erzielt werden. Die Verkehrsflächen für den Autoverkehr dürfen nicht weiter eingeschränkt werden. Die knappen finanziellen Ressourcen, notabene erbracht durch die Autofahrer, sollen nicht für Massnahmen eingesetzt werden, die den MIV noch zusätzlich erschweren. Die «Durchflussgeschwindigkeit» der Strassen muss stellenweise erhöht werden. Zusätzliche Einbahnregelungen könnten dazu beitragen, nicht jedoch zusätzliche Ampeln und MIV-Verhinderungsanlagen.»

Michèle Graber, Fraktionschefin GLP: «Die Senkung des Verkehrsaufkommens und die Förderung von ÖV und Langsamverkehr sind vielversprechende Ziele. Problematisch ist aber, dass das neue Gesamtverkehrskonzept nur kurzfristig ausgelegt ist. Die angedachten Massnahmen bleiben ein Flickwerk. Wenn der Kanton die Verkehrsprobleme langfristig lösen will, muss er Mobilität und Raumplanung miteinander abstimmen. Die GLP setzt sich seit Langem dafür ein, dass auch lenkende Massnahmen wie Mobility-Pricing, die Reduktion der Pendlerförderung oder eine ökologische Motorfahrzeugsteuer diskutiert werden.»

Marcel Budmiger, SP-Kantonsrat: «Das Gesamtverkehrskonzept ist ein Schritt in die richtige Richtung, von dem alle Verkehrsteilnehmer profitieren. Dank Dosiersystem sind künftig nur so viele Fahrzeuge unterwegs, wie die Strasseninfrastruktur ohne Stau bewältigen kann. Und da in der Stadt keine neuen Strassen mehr gebaut werden können, macht es Sinn, die Kapazität und Effizienz zu erhöhen. Dies wird mit der Buspriorisierung erreicht. Die SP begrüsst ausdrücklich, dass dies nun auch der Kanton erkannt hat.»

Monique Frey, Fraktionspräsidentin Grüne: «Wir sind grundsätzlich mit dem Konzept einverstanden. Das Gesamtverkehrskonzept verfolgt das von der Stadtbevölkerung angenommene Reglement für eine nachhaltige Mobilität, welches mindestens eine Plafonierung des MIV und die Abwicklung von zusätzlicher Mobilität einzig durch öV und Langsamverkehr vorsieht. Nicht einverstanden sind wir mit der langfristigen Ausrichtung, welche die Grossprojekte Spange Nord und den Bypass fordert. Denn diese werden eher mehr Verkehr generieren.»

Andrea Gmür, Vizefraktionschefin und Präsidentin der städtischen CVP: «Die wirkliche Lösung des Verkehrsproblems werden erst der Bypass mit den Spangen und der Tiefbahnhof bringen. Da deren Realisierung aber noch dauern wird, braucht es Massnahmen, um den Verkehr zu den Stosszeiten verflüssigen zu können und die Erreichbarkeit der Stadt zu gewährleisten. Wir legen grossen Wert auf die Zusicherung, dass die MIV-Lenkung in der Abendspitze nur zu den tatsächlich überlasteten Zeiten und Strassen erfolgt und nicht vorsorglich auf weitere Stunden und Strassen ausgedehnt wird. Eine umfassende Beurteilung werden wir in den nächsten Wochen vornehmen.»

Alex Mathis, Geschäftsführer Touring Club Schweiz, Sektion Waldstätte: «Gegenüber den einzelnen Massnahmen haben wir verschiedene Vorbehalte. So sind wir in Bezug auf die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs von fünf Prozent äusserst skeptisch. Der TCS wird in den nächsten Wochen eine Beurteilung des Gesamtverkehrskonzepts vornehmen und sich anschliessend wieder dazu äussern.»

André Bachmann, Präsident City Vereinigung Luzern, Co-Präsident der IG Wirtschaft und Mobilität: «Das Gesamtverkehrskonzept ist auf den Bereich Pilatusplatz-Bahnhofplatz-Hofkirche fokussiert. Die vorgeschlagenen Massnahmen sind prüfenswert, ihre Wirkung muss aber in einem im Voraus definierten und nachprüfbaren Monitoring ausgewertet und überprüft werden. Einen zweiten Fall «Bundesplatz» können und wollen wir nicht unterstützen! Insbesondere die Frage des Wirtschaftsverkehrs muss konkretisiert werden.»

Nico van der Heiden, Co-Präsident von Pro Velo Luzern (und Luzerner SP-Grossstadtrat): «Pro Velo begrüsst Massnahmen, welche es Velofahrenden ermöglichen, flüssiger und schneller ans Ziel zu gelangen. Dazu gehört insbesondere die Reduktion des Schleichverkehrs auf Nebenachsen, welche stark von Velofahrenden benützt werden – wie etwa an der Bruchstrasse. Leider vermissen wir im Gesamtverkehrskonzept konkrete Massnahmen für den Langsamverkehr. So wird nicht ersichtlich, wie die Fussgänger und Velofahrenden gefördert würden.»

Monique Frey, Geschäftsleiterin Verkehrsclub der Schweiz (VCS) Luzern: «Dieses Gesamtverkehrskonzept unterstützt die Forderungen des VCS. Durch Busspuren und Verkehrslenkungsmassnahmen wird das Umsteigen auf den Bus attraktiver. Interessant ist, dass mit nur fünf Prozent weniger Autos der Verkehr schon wieder fliessen kann. Dieses Ziel ist locker erreichbar. Wir orten einen hohen Umsteigeeffekt bei Pendlern und hoffen deshalb, dass auch die Firmen ihren Beitrag leisten und nicht wie bisher fast unbeschränkt Gratisparkplätze zur Verfügung stellen.»

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