Fitnesscenter unter Baumkronen

Allein im «schönsten Stadion der Welt»

Der Vitaparcours: idyllisch gelegen und jederzeit kostenlos zugänglich. Trotzdem unbeliebt? Wegweiser auf dem Parcours in Baar. (Bild: pbu)

Die Schweiz ist ein Paradies für Outdoorsportler. Dennoch pilgern Unzählige in die Fitnesscenter. Während diese sich bis zum Bersten füllen, steht eines leer. Es befindet sich im Wald und wartet darauf, entdeckt zu werden.

Die Tage werden länger, die Temperatur steigt, der Sommer steht vor der Tür. Der von Eitelkeit geplagte Mensch sieht die Zeit gekommen, seinen Körper Bademoden-tauglich zu trimmen.

Eine Schweizer Erfindung bietet eine Alternative zu gängigen Fitness- und Sportcentern. Erstaunlicherweise wird sie aber selten genutzt. Dabei könnten die Rahmenbedingungen für eine Trainingseinheit nicht besser sein.

Der Wald ruft

Blauer Himmel und frühsommerliche Temperaturen locken Sportwillige nach draussen – und hinein in die Wälder. Denn hier finden sich eigens für die körperliche Ertüchtigung konzipierte Freiluftsportanlagen: die Zurich Vitaparcours.

Im Kanton Zug existieren sechs Vitaparcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Auf dem ganzen Kantonsgebiet, von Rotkreuz bis Walchwil, hat man die Möglichkeit, sich an den Übungsposten entlang der Waldwege zu verausgaben. Zeit für einen Praxistest.

Auf den ersten Blick macht der mit dem Schwierigkeitsgrad «hoch» versehene Vitaparcours «Ruggeren / Obere Allmend» in Baar einen gepflegten Eindruck. Die Wege sind aufgeräumt, die Beschilderung ist lückenlos und alle Posten befinden sich in tadellosem Zustand.

Ein Knistern unter den Füssen

Während man sich im Fitnessstudio auf mechanischen Geräten abmüht und Gewichte stemmt, wird auf dem Vitaparcours ausschliesslich mit der Gravitation und dem eignen Körpergewicht gekämpft.

Der Waldboden fühlt sich dabei angenehm an. Das Knistern unter den Füssen ist, verglichen mit dem Quietschen der Hallenschuhe auf dem Kunststoffboden, Balsam für die Ohren.

Kein Gerätesurren, kein Klimpern von Gewichtsscheiben, keine Anweisungen durch Instruktoren und kein beissender Schweissgeruch. Dafür der Gesang von Amseln und Spatzen, das Rascheln des Waldgetiers, der frische Waldgeruch sowie die Freiheit, sich variantenreich und nach eigenem Gusto auf dem Parcours zu vertun.

Kostenloser und uneingeschränkter Zugang

Barbara Baumann, Leiterin Zurich Vitaparcours, spricht vom «schönsten Stadion der Welt.» Ein Stadion, das rund um die Uhr geöffnet hat, keine Mitgliedschaft verlangt und für alle kostenlos zur Verfügung steht.

«Gut gelegene Parcours werden häufiger genutzt als andere.»

Barbara Baumann, Leiterin Zurich Vitaparcours

Heute existieren landesweit gut 500 solcher Fitnesspfade. Dieses Angebot solle erhalten bleiben, sagt Baumann. «Die aktuell 497 Standorte bilden ein flächendeckendes Netz, sodass bei der heutigen Mobilität der Bevölkerung jedermann in vernünftiger Entfernung Zugang zu einem Parcours hat.»

Allein auf weiter Flur

Auf dem Rundgang begegnet man Familien, Wanderern und Waldläufern – und natürlich Parcoursabsolventen. Dass letztere während des Praxistests ausblieben, liege nicht nur an der Tageszeit, sondern auch am Schwierigkeitsgrad der Strecke in Baar.

Der Vitaparcours - eine Schweizer Erfindung

Ende der 1960er Jahre hat die Männerriege des Turnvereins Wollishofen bei Zürich das Konzept des Vitaparcours entworfen. Deren Mitglieder haben sich in Wäldern an umgestürzten Bäumen und mit Hilfe anderer natürlicher Objekte körperlich ertüchtigt.

Weil die entsprechenden «Trainingsgeräte» regelmässig vom zuständigen Forstamt entfernt wurden, wandte sich der Turnverein an die Gemeinde, mit der Bitte, einen dauerhaften und für die Öffentlichkeit frei zugänglichen Trainingspfad zu erstellen.

Die Gemeinde willigte ein. Mit Unterstützung der Vita-Lebensversicherungs-Gesellschaft (heute Zurich Versicherungsgesellschaft AG) entstand 1968 der erste Vitaparcours. Insbesondere die Fitnesswelle in den 1980er Jahren sorgte für eine rasante Verbreitung des Konzepts.

Barbara Baumann bestätigt: «Es ist klar, dass nicht alle Parcours gleich gut genutzt werden. Gut gelegene, nicht allzu strenge Parcours werden häufiger genutzt als andere.» Eine exakte Bezifferung der Frequentierung sei aufgrund der unbeschränkten Zugänglichkeit nicht möglich.

Nichtsdestotrotz scheint eine Nachfrage vorhanden zu sein. Laut einer Erhebung von Sport Schweiz aus dem Jahr 2014 sei gut die Hälfte der Schweizer Wohnbevölkerung im Alter von 15 bis 74 Jahren auf Vitaparcours anzutreffen – wenn auch mehrheitlich selten. Diese Seltenheit wurde durch die beharrliche Einsamkeit während des Rundgangs in Baar eindrücklich bestätigt.

Das tut dem Reiz jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, es bietet den Vorteil, dass sich das Training mehrheitlich unbeobachtet durchführen lässt. Es ist egal, ob man eine bestimmte Übung nur mit dem Minimum an Wiederholungen durchzuführen vermag oder diese gleich gänzlich auslässt. Abschätzige (oder neidische) Blicke bleiben aus.

Unterhalt durch die Gemeinde

Wie Baumann erläutert, würden die Kosten für den Bau und den Unterhalt eines Parcours von der lokalen Trägerschaft getragen. «Heute sind 72% der Trägerschaften Gemeinden sowie 14% Tourismusorganisationen und Vereine oder ähnliches.»

Auf dem Gemeindegebiet Baar ist der Werkdienst für die Betreuung des Parcours verantwortlich. Werkmeister Eduard Zumbach nennt folgende durchzuführende Arbeiten, um Zweckdienlichkeit und Sicherheit zu erhalten: Kontrolle der Geräte, Unterhalt der Pfade, Zurückschneiden von Büschen, Kontrolle der Bäche und ähnliches.

«Kontrollgänge durch den Werkdienst werden monatlich durchgeführt», so Zumbach. Ausserdem würden Mängel oder Schäden an der Strecke auch direkt von Parcoursbenützern oder Spaziergängern festgestellt und gemeldet.

«Auf durchschnittlich 2’000 bis 3’000 Franken pro Jahr belaufen sich die Kosten für Instandhaltungsarbeiten», sagt Zumbach.

Selbstvergessen im Gehölz

Sich alleine im schönsten Stadion der Welt körperlich verausgaben, das klingt vielversprechend. Manch einer kann darob alles andere vergessen, selbst wenn es sich dabei um den eigenen Hund handelt.

Eduard Zumbach erzählt: «Einmal hat ein Vitaparcoursbenutzer den Hund beim Start angebunden und nachher vergessen, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen.» Die Gründe für dessen Vergesslichkeit bleiben derweil unbekannt.

Vielleicht wurden die Sinne des Parcoursbenutzers von der natürlichen Umgebung vollständig absorbiert. Oder er nutzte einen akuten Endorphinschub, schoss übers Ziel hinaus und setzte seinen Lauf bis nach Hause fort.

Wie dem auch gewesen sei, Spaziergänger hätten daraufhin die Polizei gerufen, welche das vergessene Tier mit Hilfe der Hundemarke seinem Besitzer zurückbringen konnte.

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