Landwirtschaft in der Stadt

Wo der Hahn kräht und die Kuh friert

Die Schafe und Ziegen des Gemperlehofes haben ihren Unterschlupf an der Zollhausstrasse, wo sie von Franz Gemperle betreut werden. (Bild: azi)

Insgesamt befinden sich 46 Landwirtschaftsbetriebe auf dem Boden der Stadt Luzern. Teilweise wirtschaften «Stadtbauern» auch im dichten Siedlungsgebiet. Doch wenn aus dem Garten des Nachbarn gegrunzt, geblökt oder gegackert wird, findet die Liebe zur Natur manchmal ein Ende, wie das Beispiel eines Reussbühler Hofes zeigt.

Die Helgengüetlistrasse in Reussbühl und das umliegende Quartier unterscheiden sich auf den ersten Blick kaum von anderen Wohnorten ausserhalb des Stadtkerns. Wenn da nicht ein kleines, idyllisches Holzhaus stehen würde, in dessen Garten sich Schweine, Hühner und Chüngeli tummeln. Diese scheinen sich in ihrer Umgebung sichtlich wohl zu fühlen.

«Landwirtschaft ist eine Art Selbstverwirklichung»

Umsorgt werden die Tiere von Heidy und Franz Gemperle. Das Paar führt den «Gemperlehof», der als offizieller Landwirtschaftsbetrieb anerkannt ist, seit gut 14 Jahren. Es sei schon immer ihr Wunsch gewesen, Tiere zu halten, erzählt Heidy Gemperle. «Die Landwirtschaft ist eine Art Selbstverwirklichung und deshalb gehören die Tiere einfach zu uns.»

Um die Anerkennung ihres Hofes mussten sie allerdings lange kämpfen. «Dies weil unsere verzettelte Betriebsart damals noch untypisch und relativ unbekannt war», so Gemperle weiter.

Der landwirtschaftliche Kleinbetrieb produziert Lamm-, Gitzi- und Schweinefleisch, Natura Beef, aber auch verschiedene Schnapssorten, die regelmässig an lokalen Märkten oder direkt ab Hof angeboten werden. Ihre Obstbäume, das Vieh wie auch dessen Unterkünfte und Weideflächen sind über den gesamten, dicht besiedelten Ortsteil Reussbühl und der weiteren Umgebung verteilt. 

«Wenn wir einen anderen Standort finden würden, wären wir schon längst gegangen.»
Heidy Gemperle, Stadtbäuerin 

Während insbesondere die Kleintiere gemeinsam mit den Landwirten an der Helgengüetlistrasse zuhause sind, befindet sich der Rest des Hofes an verschiedenen Standorten. Der Stall für die Schafe und Ziegen ist an der Zollhausstrasse in unmittelbarer Nähe zum Seetalplatz. Die Rinder haben auf dem Littauerboden eine Unterkunft gefunden. «Wenn jedoch ein Schaf, Rind oder eine Ziege krank ist, oder ein Jungtier aufgezogen werden muss, nehmen wir es nach Hause», so Gemperle. «Die Nähe zu den Tieren ist uns sehr wichtig.»

Ärger in der Nachbarschaft

Genau an jener Nähe stören sich jedoch Anwohner immer wieder. Beschwerden wegen Geruchs- und Lärmemissionen sind häufig ein Konfliktthema, da rund ums Haus munter gegrunzt, geblökt und gegackert wird.

«Wenn wir einen anderen Standort finden würden, wären wir schon längst gegangen», meint Heidy Gemperle. Jedoch seien sie zu sehr mit der Stadt Luzern verwurzelt, um plötzlich irgendwo abgeschieden auf dem Land zu leben. «Obwohl dies für den Betrieb um einiges einfacher wäre», so die Bäuerin.

Mensch und Tier auf Du und Du

Gemäss Luzern Statistik (Lustat) teilten sich 2013 die rund 80'500 Stadtbewohner ihren Lebensraum mit 47 Pferden, 1'465 Rindern, 2'758 Schweinen, 162 Schafen, 57 Ziegen und 1'003 Hühnern. Insgesamt befinden sich 46 Landwirtschaftsbetriebe auf städtischem Boden. Die Landwirtschaft hat somit innerhalb des städtischen Siedlungsgebietes einen festen Platz. Lustat erhebt die Entwicklung der Landwirtschaftsbetriebe in der Stadt Luzern bereits seit dem Jahr 1939.

Man versuche bei Konflikten stets, eine einvernehmliche Lösung mit der Nachbarschaft zu finden, erzählt Gemperle. «Insbesondere die Hähne waren immer wieder ein Streitpunkt. Einige zu Unzeiten besonders lautstarke Exemplare mussten wir deshalb bereits abtun.» Damit den jetzigen Hahn nicht dasselbe Schicksal ereilt, wurde eine elektrische Stalltür installiert. Vor sieben Uhr in der Früh kann das Tier den Morgen daher nur innerhalb des Stalls begrüssen, bevor er dann die Quartierbewohner aus den Betten holt.

An die Schweine im Vorgarten habe man sich mittlerweile gewöhnt. «Sie sind zu einem richtigen Publikumsmagneten geworden, was uns natürlich sehr freut. Immer wieder stehen Eltern mit Kindern vor unserem Haus und bestaunen die Säuli.» 

Tiere auf der Weide vergiftet?

Weniger erfreut ist man allerdings über die Kuhglocken. Immer wieder gab es Reklamationen, weshalb die Rinder seit einiger Zeit ohne Glocken auf der Weide stehen. Solche Konflikte zwischen Bewirtschaftern und Anwohnern sind auch der kantonalen Dienststelle für Landwirtschaft und Wald bekannt, auch wenn diese eher selten seien. Man habe die Erfahrung gemacht, dass die Landwirte in Siedlungsnähe im Allgemeinen besonders umsichtig und mit Rücksicht auf die Bevölkerung wirtschaften, sagt Markus Richner.

«Leider beruht diese Rücksichtnahme nicht immer auf Gegenseitigkeit», bemängelt Heidy Gemperle. Öfters würden Wiesen unrechtmässig betreten und Zäune zerstört. Insbesondere sei jedoch das Littering auf den Weiden das grösste Problem.

Ob Bierflaschen, Hundekot oder verdorbene Lebensmittel, – es gibt nichts, was die beiden Landwirte nicht regelmässig zum Schutz ihrer Tiere aufsammeln müssen. Vor allem aufgrund letzterem seien schon einige Tiere verendet. «Ob die Tiere absichtlich vergiftet wurden, können wir nicht abschliessend beurteilen.»

Stierkampf auf der Weide

Vielfach bestünde das Problem auch darin, dass die Stadtbewohner zu wenig über das Leben und die Bedürfnisse der Tiere Bescheid wüssten, erklärt Franz Gemperle. So hätte ihn kürzlich ein besorgter Spaziergänger angerufen und mit dem Tierschutzverein gedroht, da die Kühe auf der Weide frieren würden.

Auch seien sich viele Eltern nicht bewusst, dass Tiere auf der Weide auch eine Gefahr darstellen und daher mit Respekt behandelt werden müssen. «Wenn Kinder mit Mutterkühen auf der Weide Stierkampf spielen, hört es einfach auf.» Zum Glück sei bei solchen Aktionen noch nie jemand verletzt worden.

An Wertschätzung fehlt es letztlich nicht

«Gegenüber der Landwirtschaft im Naherholungsgebiet von Agglomerationen besteht im Allgemeinen eine grosse Wertschätzung», sagt Markus Richner von der Dienststelle für Landwirtschaft und Wald. Trotz aller Herausforderungen erleben das auch die Gemperles regelmässig.  

«Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder sehen, dass die Milch eben nicht von der Migros kommt und schätzen die Begegnung zwischen Mensch und Tier.» Insofern würden die Tiere auch vielen Anwohnern fehlen, sollten die Gemperles die Heugabel in den Mist werfen.

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