Wracks und Schätze in Zentralschweizer Seen

Die verborgenen Geheimnisse «der schwarzen Schlünde»

Der Sensationsfund von Roger Eichenberger: Das Wrack eines Frachtseglers aus dem 19. Jahrhundert, beladen mit 15 Kisten Glas. (Bild: Roger Eichenberger)

Ob Pfahlbausiedlung, Schiffswrack oder abgestürztes Flugzeug: Auf dem Grund der Zentralschweizer Seen befinden sich Zeitzeugen bewegender Geschichten. Und explosive Güter wie 3400 Tonnen Munition alleine im Vierwaldstättersee. Doch auch um die noch unentdeckten «Schätze» ranken sich die Mythen.

Geschichten habe er erzählt bekommen, sagt Roger Eichenberger, 35 und selbstständiger Berufstaucher aus Gersau, über dieses verschollene Schiffswrack und jenes versunkene Auto. Geschichten, die ihn gepackt haben – und die ihn so neugierig machten, dass er sich selber auf die Suche nach den Schätzen im Vierwaldstättersee machte. «Zuerst bin ich nur von Land aus getaucht, zu den bekannten Wracks», sagt er. Aber nachdem er selber welche entdeckt hatte, habe sich das alles immer weiterentwickelt. «Jetzt ist es meine Lebensaufgabe, den Vierwaldstättersee systematisch nach versunkenen Objekten abzusuchen.»

Vor rund vier Jahren begann Roger Eichenberger, den Grund des Vierwaldstättersees per Boot mit Sonargerät und Kameraroboter systematisch abzusuchen. Zehn Prozent des Sees habe er seither bereits erforscht, sagt er. Seine Geduld hat sich ausgezahlt: Diesen Frühling sorgte er für viel Aufsehen, als er das Wrack eines Schweizer Militärflugzeugs vom Typ Morane in 120 Meter Tiefe entdeckte. Die Maschine stiess während einer Formations-Übung am 3. Juni 1946 mit einem anderen Flugzeug zusammen und stürzte in den See – der Pilot kam dabei ums Leben. «Die Leute denken immer, ich tauche ab und finde sofort etwas», sagt Roger Eichenberger. «Aber die Arbeit wird unterschätzt – sie braucht Geduld und Ausdauer.» Dreieinhalb Jahre habe er nach dem Flugzeug gesucht.

Beitrag des Schweizer Fernsehens zu Roger Eichenbergers Entdeckung des Flugzeugwracks:

«Ungeheure» Vielzahl an archäologischen Schätzen im See

Er habe den Vierwaldstättersee mit all seinem «Gerümpel», sagt Roger Eichenberger, direkt vor seiner Haustüre. Warum also nicht gleich hier auf Schatzsuche gehen? Tatsächlich beflügelt der Vierwaldstättersee die Fantasie – schliesslich galt er bis zum Bau von Strasse und Eisenbahn während Jahrhunderten als wichtiger Verkehrsweg auf dem Weg über die Alpen. Da muss einiges untergegangen sein. In den «schwarzen Schlünden» des Sees, schreibt die Historische Gesellschaft Luzern in ihrem Jahrbuch von 2008, sollen bis heute «eine ungeheure Vielzahl schiffsarchäologischer Schätze ruhen.»

Natürlich träumt auch Roger Eichenberger gerne von Schätzen, von prächtigen Handelsschiffen mit Kanonen. «Das wäre natürlich toll, wenn es solche Wracks in der Schweiz auch gäbe. Aber die Situation ist doch eher nüchtern», sagt er. Es gäbe da zwar ein Gerücht, wonach sogar römische Galeeren auf dem Grund des Gersauer Beckens liegen sollen. Doch diese zu entdecken, sei schwierig: Der Vierwaldstättersee fällt an vielen Stellen steil ab und ist bis zu 214 Meter tief – Objekte aus Holz sind auch mit Sonargeräten kaum zu entdecken. Darum sucht Roger Eichenberger bereits seit längerem nach einem Militärflugzeug vom Typ C-35, ein Doppeldecker aus den 30er-Jahren, der am 20. Juni 1941 über Gersau bei einer Übung ins Trudeln kam und in den See stürzte. Der Pilot ertrank, als er mit dem Fallschirm im Wasser landete.

Fund des Lebens: Ein mit Glas beladener Frachtensegler

Roger Eichenberger machte den Fund seines Lebens vor einem Jahr: Er entdeckte vor Hergiswil das Wrack eines 13 Meter langen Frachtenseglers aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der mit 15 Kisten Glas beladen war. Das Unglück war bisher nirgends dokumentiert. Zuvor waren im Vierwaldstättersee nur zwei Wracks solcher vorindustrieller Lastensegler bekannt.«Meine Lieblingsfunde sind jene, die mit einer tragischen Geschichte zusammenhängen – oder besonders interessantes Material geladen haben», sagt Eichenberger.

Ebenfalls als Sensation galt die Entdeckung des Frachtschiffs «Flora», ein mit einem seltenen Petrolmotor angetrieber Nauen aus Holz. Das Schiff wurde 1810 gebaut und sank 1899, womöglich nachdem das Petrol an Bord explodierte. Fünf Menschen starben dabei. In den Archiven sind zudem zahlreiche Schiffsunglücke auf dem Vierwaldstättersee erwähnt, deren Wracks bis heute unentdeckt blieben. Katastrophal war dabei der Untergang eines Nauens am Palmsonntag 1766, bei dem 48 Personen aus Obwalden in den Fluten ertranken.

Obwohl Schiffswracks und andere neuzeitlichen Funde im Vierwaldstättersee bei den Kantonsarchäologen nicht oberste Priorität hat, sind sie dennoch wichtige Zeugen der Zeitgeschichte: «Das Alltägliche wird selten dokumentiert, darum geben solche Objekte Aufschluss über die Lebensweise früherer Zeiten», sagt Fabian Küng von der Kantonsarchäologie Luzern. Für das Auffinden von Wracks seien die Archäologen aber angewiesen auf Taucher, die solche Funde melden.

Tausende Tonnen Munition auf dem Seegrund

Die Tiefen des Vierwaldstättersees verbergen nicht nur archäologisch wertvolle Wracks, sondern auch explosive Geschosse: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Munitionsmagazine überfüllt, so dass die Schweizer Armee insgesamt rund 8200 Tonnen Munition im Thuner-, Brienzer-, und Vierwaldstättersee versenkte. Seither liegen allein im Vierwaldstättersee knapp 3400 Tonnen Munition – das entspricht etwa dem Gewicht von 85 vollbeladenen 40-Tonnen-Lastwagen. Weil die Bergung zu teuer, zu gefährlich und eine zu grosse Belastung für die Umwelt wäre, bleiben die Geschosse weiterhin im Seeboden. Sie sind dort bereits mit bis zu zwei Metern Sediment bedeckt.

Die Munition ist jedoch nicht der einzige Abfall, den das Militär im See versenkte: Im Alpnachersee liegen beispielsweise mehrere hundert Stück Gasmaskenfilter aus den 70er-Jahren, aber auch Fässer mit Speiseöl aus der Kriegszeit. Aus welchen Gründen auch immer hat die Armee sogar Kochkisten und Laternen im Gersauer Becken versenkt.

Der prunkvolle Degen aus dem Zugersee

Auch im Zugersee verbergen sich einige archäologisch wertvolle Fundstücke: So fand die Tauchequipe des Amts für Städtebau Zürich vor drei Jahren einen prunkvollen Degen aus dem 15. Jahrhundert. Im Auftrag der Kantonsarchäologie Zug schwimmen die Unterwasserarchäologen alle sieben bis zehn Jahre die Ufer der Zuger Seen ab, um zu kontrollieren, ob interessante Objekte angespült wurden. Diesbezüglich kann der Ägerisee nicht mit dem Zugersee mithalten: Dort stiessen die Taucher nur auf einen Blindgänger aus der Zeit des ersten Weltkrieges. Der Ägerisee war lange Zielgebiet von Schiessübungen der Schweizer Festungsartillerie.

Trotz dieser regelmässigen Kontrolltauchgänge ist man auch in Zug auf die Hinweise von Hobby-Tauchern angewiesen. So fand Roger Eichenberger vor zwei Jahren einen Einbaum aus der Jungsteinzeit – in 70 Meter Tiefe. Auch zwei alte Nauen-Wracks liegen laut der Kantonsarchäologie Zug auf dem Grund des Zugersees: Vor der Halbinsel Buonas sank an Weihnachten 1817 ein Lastensegler während eines Sturms wenige Meter vor der Küste. Sechs Menschen ertranken dabei. Vor kurzem habe man ein weiteres Schiff entdeckt. Wo, wollen die Kantonsarchäologen nicht verraten.

Wo liegt das Unglücksauto von Königin Astrid?

Dass in den Zentralschweizer Seen noch viel Spannendes liegt, treibt Taucher wie Roger Eichenberger an. Etwa eine Hand voll solcher Wrackjäger wie ihn gebe es in der Schweiz, sagt er. Nicht alle gehen mit ihren Entdeckungen so offen um wie er: Seine Tauchgänge zu den Wracks filmt Roger Eichenberger und stellt die Videos ins Netz.  «Aber die Koordinaten verrate ich natürlich nicht», sagt er und lacht.

Das Rätsel um das mysteriöseste Wrack im Vierwaldstättersee bleibt indes weiter ungelöst: 1935 starb die belgische Königin Astrid bei einem Autounfall vor Küssnacht. Am Steuer sass ihr Ehemann König Leopold, der leicht verletzt überlebte. Auf seine Anweisungen hin wurde das Unglücks-Cabriolet der Marke Packard an der tiefsten Stelle des Vierwaldstättersees versenkt. Es bleibt bis heute verschollen.

 

Kantonsarchäologen forschen nach versunkenen Pfahlbausiedlungen

Was die Kantonsarchäologen vor allem interessiert sind mögliche Siedlungsreste im Luzerner Seebecken. Bis heute hat man dort nämlich kaum urzeitliche Siedlungen gefunden. «Es muss aber welche geben, denn Luzern ist seit der Steinzeit über alle Epochen hinweg besiedelt, wie verschiedene Funde belegen», sagt Fabian Küng. Weil der Pegel des Vierwaldstättersees noch vor 2000 Jahren rund sieben Meter tiefer lag als heute, deute vieles darauf hin, dass sie im Luzerner Seebecken liegen: Dieses hat nur eine Tiefe von rund vier Metern – und wurde erst vor gut 1000 Jahren überflutet. «Die Suche nach den Siedlungen schlummert momentan», sagt Küng, «im Rahmen des Bauprojekts Tiefbahnhof Luzern mitsamt des geplanten Tunnels unter dem See hindurch sind wir aber involviert.»

Im Vierwaldstättersee wurde bisher erst ein steinzeitliches Dorf bei Kehrsiten im Kanton Nidwalden entdeckt: vor zehn Jahren durch Zufall von einem Hobbytaucher. Dabei gelten die Luzerner Seen als Hotspots für Pfahlbausiedlungen, mit Fundstellen im Sempachersee und Baldeggersee. Mehrere sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

Dazu gehören auch drei Pfahlbausiedlungen am Zugersee. Von den bekannten 33 Fundorten im Kanton Zug liegen nur noch drei unmittelbar im See. Denn im Gegensatz zum Vierwaldstättersee liegen sie in Zug heute grösstenteils an Land: 1591 senkte der damalige Stadtbaumeister von Zug den Zugersee um 2,5 Meter ab – und legte dadurch auch die meisten Pfahlbausiedlungen trocken. «Die Siedlungsreste sind deswegen oft schlecht erhalten, weil das organische Material verrottet», sagt Gishan Schaeren, Abteilungsleiter im Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Zug.

 

Liste spezieller Elemente in Zentralschweizer Seen

Vierwaldstättersee

  • Munition: insgesamt 3360 Tonnen, darunter Fabrikationsrückstände, Fehlchargen und Altmunition aus der Munitionsfabrik Altdorf sowie überschüssige Artilleriemunition aus dem Zweiten Weltkrieg
    • Urnersee: 2830 Tonnen
      • Axenfelsen: 330 Tonnen
      • Bolzbach: 150 Tonnen
      • Bauen-Sisikon/Nördl. Isleten: 1000 Tonnen
      • Vor Rütli: 1350 Tonnen
    • Gersauer Becken: 530 Tonnen
  • Weitere Militärabfälle
    • Alpnachersee: mehrere hundert Stück Gasmaskenfilter der Schutzmaske 74 sowie Fässer mit Speiseöl
    • Gersauer Becken: Kochkisten und Laternen
  • Schiffswracks
    • Segeljasse (Lastensegler) in 70 Meter Tiefe vor Hergiswil, beladen mit 15 Kisten Altglas, erbaut zwischen 1860/70, Unglück nirgends dokumentiert
    • Motor-Nauen «Portland», in 75 Meter Tiefe, gesunken 1953, 47 Meter lang
    • Motor-Nauen «Flora», in 70 Meter Tiefe vor Buochs, 27 Meter lang, erbaut 1810, gesunken 1899, fünf Tote
    • Lastensegler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in 30 bis 40 Meter Tiefe bei Untermatt unterhalb des Bürgenstocks
    • Lastensegler, erbaut Ende 19. Jahrhundert, in 23 Meter Tiefe bei Obermatt unterhalb des Bürgenstocks.
    • «Vitzanove», in 114 Meter Tiefe. Fahrgastschiff mit Platz für 60 Personen, sank 1999 während des Sturms Lothar.
    • Nauen «Bruno», in 15 Metern Tiefe bei Eichwald vor Brunnen. Ausgedientes Frachtschiff, das vom Tauchverein Brunnen 2007 absichtlich versenkt wurde als Attraktion für Taucher.
    • Unzählige weitere Wracks, viele davon unentdeckt
  • Flugzeugwracks
    • Militärflugzeug der Schweizer Armee, Typ Morane, in 120 Metern Tiefe zwischen Gersau und Beckenried, Absturz am 3. Juni 1946, Pilot starb
    • Militärflugzeug C-35, Absturz 20. Juni 1941 vor Gersau, bisher nicht gefunden, Pilot starb
  • Fahrzeugwracks
    • Unglücksauto der belgischen Königin Astrid, Cabriolet der Marke Packard, 1935 an tiefster Stelle des Vierwaldstättersees (214 Meter) im Gersauer Becken, unentdeckt
    • Zwei Betonmischer-Lastwagen vor Beckenried, beim Bau des Seelisbergtunnels 1974 von einer Naue gefallen
    • weitere Autowracks (vermutet)
  • Pfahlbausiedlungen
    • Steinzeitliches Dorf bei Kehrsiten in sieben Meter Wassertiefe
    • Pfahlbausiedlungen im Luzerner Seebecken (vermutet)

Zugersee

  • Schiffswracks
    • Lastensegler Nauen «Buonas» vor der Halbinsel Buonas in 20 Meter Tiefe, gesunken 1817, sechs Tote
    • Einbaum aus Jungsteinzeit, 70 Meter Tiefe
    • Weiterer Nauen, Standort unbekannt
    • Weitere Wracks von Segelbooten aus jüngerer Zeit
  • Autowracks
    • Seilbagger, gesunken in den 70er Jahren
    • Auto der Marke Simca auf 60 Meter
  • Degen aus dem 15. Jahrhundert
  • Pfahlbausiedlungen «Sumpf», «Oterswil Insel Eielen» und «Riedmatt»

Ägerisee

  • Blindgänger und Übungsmunition der Schweizer Artillerie

Sempachersee:

  • Pfahlbausiedlungen «Halbinsel Zellmoos» und «Gammainseli»
  • Wrack: Segeljasse, in 31 Meter Tiefe, beladen mit Biberschwanzziegeln für eine Badehütte, 1867 als Sabotageakt dagegen von Unbekannten versenkt.

Baldeggersee

  • Pfahlbausiedlung Seematte

Tuetensee

  • Flugzeugwrack: Militärflugzeug Typ Hunter, abgestürzt am 8. März 1984, liegt in 14 Meter Tiefe im Moor
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon